Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

finanz.math.tugraz.at
von finanz.math.tugraz.at Mehr von diesem Publisher
26.12.2012 Aufrufe

— 762 — »Ich habe schon einen Lootsen gefunden, der mir zuverlässig scheint. Es ist ein alter verschmitzter, kupfriger Lohnbedienter, eingeweiht in alle Heimlichkeiten und heimisch auf jedem verbotenen Wege. Dieser Mentor hat mir versprochen, uns gegen doppelte Bezahlung zu der jetzt berühmtesten und namentlich bei den Damen in größtem Ansehen stehenden Sibylle zu geleiten. Bei nur einigermaßen glücklichem Winde müssen wir in den rechten Port kommen, wenn der Musiker in der Mohrentaverne uns nichts aufgeheftet hat.« Aurel lobte die Vorkehrung Gilbert’s und schrieb während des Nachmittags, um nur die Zeit hinzubringen, mehrere Briefe. So kam der Abend heran, der minder regnerisch zu werden versprach. Um sieben Uhr meldete Gilbert, daß der Geleitsmann ihrer harre. Aurel schob sogleich Alles bei Seite, warf seinen Mantel um und verließ, von Gilbert und dem Lohndiener begleitet, das Hôtel. Dieser führte die Fremden zum Petersthore hinaus, über den Roßplatz nach der Johannisvorstadt, dem Stadttheil, wo der ärmere Theil der Bevölkerung Leipzigs wohnt. Durch schmutzige finstere Gassen, von kleinen, schlecht gebauten Häusern gebildet, schritten Aurel und Gilbert dem Führer nach bis an das äußerste Ende der Stadt. Ein paar zweistockige Häuser schlossen hier die schmale Gasse, die ungeachtet des scharf wehenden Windes von übelriechender Luft erfüllt war, welche selbst bis in das Innerste der Häuser

— 763 — drang. In einem dieser Häuser war eine Schenkwirthschaft. Man hörte es an dem Durcheinander der vielen laut sprechenden Männerstimmen. Das zweite etwas sauberer aussehende Haus schien unbewohnt zu sein. Die Thür war verschlossen, an keinem der kleinen Fenster schimmerte Licht. Der Lohndiener wußte jedoch Bescheid. Er bat die Fremden etwas zurückzutreten und sich ruhig zu verhalten. Dann hustete er leise und schnalzte dreimal mit der Zunge, indem er zugleich an der Thür klinkte. Bald darauf erschien hinter schneeweißen Vorhängen ein wanderndes Licht im ersten Stock. Man hörte klappernde Pantoffeln, ein Schlüssel klirrte im Schloß und die Thür ward geöffnet. »Ein gutes Zeichen,« flüsterte Gilbert dem Kapitän zu, als er das rosige Gesicht eines jungen Mädchens an dem Spalt der behutsam geöffneten Thür gewahrte. »Die Weiber haben uns bisher immer Glück gebracht, es wird uns auch heute nicht fehlen, mögen sie uns nun Gutes oder Böses prophezeihen! Ha, der alte Schelm unterhandelt mit der niedlichen Kleinen! Wär’ ich doch an seiner Stelle! Ich wollte das plappernde Mündchen so geschickt küssen, wie Thysbe ihren Pyramus durch den Spalt in der Mauer!« Aurel stand auf Kohlen, denn die Unterhandlung dauerte etwas lange und ward äußerst bedächtig und förmlich geführt.

— 763 —<br />

drang. In einem dieser Häuser war eine Schenkwirthschaft.<br />

Man hörte es an dem Durcheinander der vielen<br />

laut sprechenden Männerstimmen. Das zweite etwas<br />

sauberer aussehende Haus schien unbewohnt zu<br />

sein. <strong>Die</strong> Thür war verschlossen, an keinem der kleinen<br />

Fenster schimmerte Licht. Der Lohndiener wußte<br />

jedoch Bescheid. Er bat die Fremden etwas zurückzutreten<br />

und sich ruhig zu verhalten. Dann hustete<br />

er leise und schnalzte dreimal mit der Zunge, indem<br />

er zugleich an der Thür klinkte. Bald darauf erschien<br />

hinter schneeweißen Vorhängen ein wandern<strong>des</strong> Licht<br />

im ersten Stock. Man hörte klappernde Pantoffeln, ein<br />

Schlüssel klirrte im Schloß und die Thür ward geöffnet.<br />

»Ein gutes Zeichen,« flüsterte Gilbert dem Kapitän<br />

zu, als er das rosige Gesicht eines jungen Mädchens<br />

an dem Spalt der behutsam geöffneten Thür gewahrte.<br />

»<strong>Die</strong> Weiber haben uns bisher immer Glück gebracht,<br />

es wird uns auch heute nicht fehlen, mögen sie uns nun<br />

Gutes <strong>oder</strong> Böses prophezeihen! Ha, der alte Schelm<br />

unterhandelt mit der niedlichen Kleinen! Wär’ ich doch<br />

an seiner Stelle! Ich wollte das plappernde Mündchen<br />

so geschickt küssen, wie Thysbe ihren Pyramus durch<br />

den Spalt in der Mauer!«<br />

Aurel stand auf Kohlen, denn die Unterhandlung<br />

dauerte etwas lange und ward äußerst bedächtig und<br />

förmlich geführt.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!