Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

finanz.math.tugraz.at
von finanz.math.tugraz.at Mehr von diesem Publisher
26.12.2012 Aufrufe

— 74 — folgende List ausgedacht. Wir besuchen ihn in seiner Spinnburg als Fremde, die seine großartigen Werke zu besehen wünschen. Um mehr Respect einzuflößen, geben wir uns für Russen aus, das öffnet uns alle Thüren, oder ich müßte unsere deutschen Herren nicht kennen. Er wird keinen Zweifel in unsere Ächtheit setzen. Haben wir uns nun auf’s Genaueste über den Zustand der Fabrik, über ihre in- und ausländischen Verbindungen und so fort Kenntniß verschafft, so bringst Du wie von ungefähr das Gespräch auf die Grafen von Boberstein und fragst naiv, als wissest Du gar nichts von der noblen Race, was denn aus ihnen geworden sein möge? Das altadlige Blut wird diese Frage nicht ruhig hinnehmen und der Baumwollenspinner keine Minute anstehn, sich mit selbstgefälligem Stolz als Stammhalter des alten Geschlechtes uns vorzustellen. Was dann zu thun sein wird, hängt von den Umständen ab. Jedenfalls genügt dieser Besuch, uns Fuß fassen zu lassen und uns die Herren am Stein als die wahren Grafen von Boberstein kennen zu lehren. Noch wird es nöthig sein, daß der Fabrikherr dieses Geständniß vor vielen Zeugen ablegt.« »Natürlich, natürlich!« sagte der Schulmeister. »Mich schaudert, jene Gegend wieder zu betreten,« erwiederte düster der alte Wende. »Alle Schrecknisse werden wieder aufsteigen vor meinen Augen und beim Dienst der Leibeigenen werde ich alle Pein nochmals

— 75 — empfinden, die ich und die Meinigen so lange Jahre ertrugen.« »Laß Dich davon nicht abschrecken,« sagte Heinrich beruhigend. »Auch in dieser Hinsicht haben die Jahre eine völlige Umwälzung bewirkt. Die jetzigen Herren am Stein haben so wenig über einen Unterthanen zu gebieten, wie ich. Es giebt bei uns keine Leibeigenen mehr seit jener Katastrophe! Das Volk ist frei, wie die Herren, es kann sich jetzt beliebig in vollkommenster Freiheit ertränken, erhängen, erschießen oder freiwillig verhungern. Die Hungerfreiheit, sagt man, sei die am häufigsten vorkommende, weßhalb es Hunderte giebt, die sie um einen Spottpreis losschlagen, und sich als Knecht bald der Menschen, bald der Maschinen verdingen.« »Nun so vergeb’ ich dem Feinde meiner Familie seine Ungerechtigkeiten,« sagte Sloboda feierlich, »ja ich segne seine Frevel, da sie Ursache geworden sind, eine Einrichtung aufzuheben, die kein göttliches Gesetz billigen kann! Wo es keine Leibeigenen giebt, da steht die Thür des Paradieses offen! Nur der freie Mensch ist das Ebenbild Gottes, der Knecht ein verkrüppeltes Scheusal, Mitleid und Abscheu in gleichem Maße erregend!« »So glauben wir, Jan, und wohl uns, daß wir diesen Glauben haben, geht man aber der Sache näher auf den Grund, so mindert sich unsere Freude, wird unser Entzücken herabgestimmt. Das Wort ›Freiheit‹ hat die neue Zeit wirklich an’s Licht gebracht, ihr Wesen aber

— 75 —<br />

empfinden, die ich und die Meinigen so lange Jahre<br />

ertrugen.«<br />

»Laß Dich davon nicht abschrecken,« sagte Heinrich<br />

beruhigend. »Auch in dieser Hinsicht haben die Jahre<br />

eine völlige Umwälzung bewirkt. <strong>Die</strong> jetzigen Herren<br />

am Stein haben so wenig über einen Unterthanen<br />

zu gebieten, wie ich. Es giebt bei uns keine Leibeigenen<br />

mehr seit jener Katastrophe! Das Volk ist frei, wie<br />

die Herren, es kann sich jetzt beliebig in vollkommenster<br />

Freiheit ertränken, erhängen, erschießen <strong>oder</strong> freiwillig<br />

verhungern. <strong>Die</strong> Hungerfreiheit, sagt man, sei<br />

die am häufigsten vorkommende, weßhalb es Hunderte<br />

giebt, die sie um einen Spottpreis losschlagen, und<br />

sich als Knecht bald der Menschen, bald der Maschinen<br />

verdingen.«<br />

»Nun so vergeb’ ich dem Feinde meiner Familie seine<br />

Ungerechtigkeiten,« sagte Sloboda feierlich, »ja ich<br />

segne seine Frevel, da sie Ursache geworden sind, eine<br />

Einrichtung aufzuheben, die kein göttliches Gesetz billigen<br />

kann! Wo es keine Leibeigenen giebt, da steht die<br />

Thür <strong>des</strong> Paradieses offen! Nur der freie Mensch ist das<br />

Ebenbild Gottes, der Knecht ein verkrüppeltes Scheusal,<br />

Mitleid und Abscheu in gleichem Maße erregend!«<br />

»So glauben wir, Jan, und wohl uns, daß wir diesen<br />

Glauben haben, geht man aber der Sache näher auf<br />

den Grund, so mindert sich unsere Freude, wird unser<br />

Entzücken herabgestimmt. Das Wort ›Freiheit‹ hat die<br />

neue Zeit wirklich an’s Licht gebracht, ihr Wesen aber

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!