Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 748 — Besichtigung des Grundstücks aufgefordert. Dadurch war Jedermann Gelegenheit zu leichtem Zutritt gegeben, und der listige Maulwurffänger, der jeden Zufall zu seinem Gunsten zu nutzen verstand, hatte seinen Plan darauf gebaut. Unter den drei hochbejahrten Männern war die ganze Vergangenheit während der dreitägigen Reise nochmals übersichtlich zur Sprache gekommen. Dabei ergab sich, daß ungeachtet der völligen Umgestaltung aller Verhältnisse in einem Zeitraume von über vierzig Jahren doch ein allgemeiner Fortschritt zum Bessern von der Masse des Volkes nicht anerkannt ward. Ließen sich doch sogar laute Stimmen Unzufriedener hören, welche eine Wiederkehr und Wiederbelebung alter zerstörter und abgeschaffter Institutionen wünschten und für bei weitem ersprießlicher hielten. Leberecht gehörte zu diesen und leider vermochten seine Freunde ihn nicht immer durch haltbare Gründe zu widerlegen und eines Bessern zu belehren. In welcher Lage sich Leberecht befand, haben wir zu Anfang dieses Buches angedeutet. Diese Lage war niederdrückend und mußte einen Mann von Leberechts Fleiß und Redlichkeit mit Unwillen erfüllen. Als Leibeigener geboren, an Druck und Gehorsam gewöhnt und später durch unerwartetes Zusammentreffen günstiger Ereignisse unabhängig und frei geworden, hatte er in der Freiheit ein Glück höherer Art zu finden gedacht.

— 749 — Daß er sich schwer getäuscht, dies lähmte seit Jahren seine Energie und machte ihn häufig wahrhaft unglücklich. Da seine Freunde nicht recht daran glauben wollten, suchte er sich durch eine offene Darlegung seiner Verhältnisse, die genau jene von tausend und abertausend ihm Gleichgestellter waren, zu überzeugen. »Was versteht Ihr denn eigentlich unter Volksfreiheit und Volksselbstständigkeit,« sagte er, »worin Ihr ein Universalheilmittel aller nur denkbaren Übelstände erblickt? Ich begreife Euch nicht und muß mich deßhalb gegen Euch erklären. Gott bewahre mich, daß ich das veraltete Schlechte, das Unnatürliche und Entehrende vertheidigen oder gar zurückwünschen sollte! Nur loben, billigen, preisen kann ich das Neue nicht, das menschenfreundliche Gesinnung als unreife Frucht an dessen Stelle gesetzt hat. Geht doch herum unter dem Volke, fragt den Weber, den Kleinbauer, den Tagelöhner, ob er zufrieden sei? und Alle werden mit trauriger Miene ein wehklagendes Nein antworten.« »Weil sie den Augenblick nicht benutzen und Alles nach dem alten Schlendrian forttreiben,« unterbrach ihn der Maulwurffänger. »Das ist die gewöhnliche Redensart Aller, denen es an gründlicher Einsicht gebricht,« versetzte Leberecht. »Nein, nein, Freund Heinrich, nicht der Schlendrian,

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Besichtigung <strong>des</strong> Grundstücks aufgefordert. Dadurch<br />

war Jedermann Gelegenheit zu leichtem Zutritt gegeben,<br />

und der listige Maulwurffänger, der jeden Zufall<br />

zu seinem Gunsten zu nutzen verstand, hatte seinen<br />

Plan darauf gebaut.<br />

Unter den drei hochbejahrten Männern war die ganze<br />

Vergangenheit während der dreitägigen Reise nochmals<br />

übersichtlich zur Sprache gekommen. Dabei ergab<br />

sich, daß ungeachtet der völligen Umgestaltung<br />

aller Verhältnisse in einem Zeitraume von über vierzig<br />

Jahren doch ein allgemeiner Fortschritt zum Bessern<br />

von der Masse <strong>des</strong> <strong>Volkes</strong> nicht anerkannt ward. Ließen<br />

sich doch sogar laute Stimmen Unzufriedener hören,<br />

welche eine Wiederkehr und Wiederbelebung alter<br />

zerstörter und abgeschaffter Institutionen wünschten<br />

und für bei weitem ersprießlicher hielten. Leberecht<br />

gehörte zu diesen und leider vermochten seine<br />

Freunde ihn nicht immer durch haltbare Gründe zu widerlegen<br />

und eines Bessern zu belehren.<br />

In welcher Lage sich Leberecht befand, haben wir zu<br />

Anfang dieses Buches angedeutet. <strong>Die</strong>se Lage war niederdrückend<br />

und mußte einen Mann von Leberechts<br />

Fleiß und Redlichkeit mit Unwillen erfüllen. Als Leibeigener<br />

geboren, an Druck und Gehorsam gewöhnt und<br />

später durch unerwartetes Zusammentreffen günstiger<br />

Ereignisse unabhängig und frei geworden, hatte er in<br />

der Freiheit ein Glück höherer Art zu finden gedacht.

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