Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 702 — bearbeiten zu können, Zugvieh halten, da aber der Ertrag selbst verhältnißmäßig nur gering ist, so bringt es Keiner zu mehr als einer einzigen Kuh. Diese zehrt fast die Hälfte allen Ertrages auf. Um den Acker nicht zu sehr auszusaugen, muß häufig die mangelnde Düngung für schweres Geld angekauft werden, und da man dies selten oder nie besitzt, so wird die Aufnahme eines Kapitals auf das Haus unabweisbare Nothwendigkeit. Gewöhnlich aber lastet auf jedem solchen kleinen Hause ein Kapital, so daß bei Verdoppelung desselben die Möglichkeit, je einmal ganz schuldenfrei zu werden, dem Besitzer für immer benommen ist. Nehmen wir noch dazu, daß ohne anderweiten Verdienst ein Familienvater von dem, was Feld und Wiesenplan ihm bringen, unmöglich leben kann und daß ihn die Bebauung des Ackers doch häufig an regelmäßigem anderweitigem Erwerbe verhindert, so wird es unsern Lesern einleuchten, daß Grund- und Ackerbesitz unter solchen Umständen eher ein Unglück als ein Glück zu nennen ist. Genau in dieser Lage befand sich Leberecht. Er hatte zwei Jahre nach der Katastrophe, die Boberstein in einen Schutthaufen verwandelte und dem im Auslande lebenden Magnus zur Freigebung seiner Leibeigenen Anlaß gab, die Haide verlassen, um in fruchtbareren Gefilden Arbeit und Nahrung zu suchen. Das grüne Schlesien mit seinem ehrlichen, derben, gutmüthigen Volke behagte ihm vorzugsweise, da er sich hier

— 703 — wie daheim befand. Er war sehr fleißig und sehr sparsam, und als er nach seinem Dafürhalten genug besaß, um Frau und Kind ernähren zu können, dachte er an’s Heirathen. Nie hatte ihm ein Mädchen besser gefallen, als die hübsche Marie, die auf dem Zeiselhofe so oft seinetwegen hungrig vom Tische gehen mußte. Marie diente noch in der Haide, war ebenfalls sparsam und in jeder Hinsicht wirtschaftlich. Leberecht machte sich also auf, putzte sich recht stattlich heraus, kaufte ein paar silberne Ohrringe und besuchte das Mädchen. Umschweife machte er nicht, vielmehr sagte er grade heraus, was er wollte, bot Marie Herz und Hand an und hatte die Freude, sechs Wochen später ein allerliebstes Weibchen sein nennen zu können. Von den Ersparnissen beider jungen Ehegatten ward ein eben feilgebotenes Haus nebst Ackerland gekauft, und seitdem bewirthschaftete Leberecht sein kleines Besitzthum redlich und unverdrossen. Es wollte aber nicht vorwärts gehen. Freilich lag die Schuld nicht an ihm, sondern an der Unzulänglichkeit des Besitzes, der viel Zeit raubte und wenig eintrug, und dennoch konnte sich Leberecht nicht entschließen, Haus und Land zu veräußern, da er mit Leib und Seele Landmann war. Marie mußte auf einen Nebenerwerb denken. Dieser fand sich auch, indem sie, zwar etwas spät, die Weberei erlernte. Oft ward sie freilich in ihrer Thätigkeit gestört, denn ihre Ehe mit Leberecht war sehr fruchtbar. Zur Bekümmerniß beider Ältern blieb

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wie daheim befand. Er war sehr fleißig und sehr sparsam,<br />

und als er nach seinem Dafürhalten genug besaß,<br />

um Frau und Kind ernähren zu können, dachte er<br />

an’s Heirathen. Nie hatte ihm ein Mädchen besser gefallen,<br />

als die hübsche Marie, die auf dem Zeiselhofe<br />

so oft seinetwegen hungrig vom Tische gehen mußte.<br />

Marie diente noch in der Haide, war ebenfalls sparsam<br />

und in jeder Hinsicht wirtschaftlich. Leberecht machte<br />

sich also auf, putzte sich recht stattlich heraus, kaufte<br />

ein paar silberne Ohrringe und besuchte das Mädchen.<br />

Umschweife machte er nicht, vielmehr sagte er grade<br />

heraus, was er wollte, bot Marie Herz und Hand an und<br />

hatte die Freude, sechs Wochen später ein allerliebstes<br />

Weibchen sein nennen zu können. Von den Ersparnissen<br />

beider jungen Ehegatten ward ein eben feilgebotenes<br />

Haus nebst Ackerland gekauft, und seitdem bewirthschaftete<br />

Leberecht sein kleines Besitzthum redlich<br />

und unverdrossen.<br />

Es wollte aber nicht vorwärts gehen. Freilich lag die<br />

Schuld nicht an ihm, sondern an der Unzulänglichkeit<br />

<strong>des</strong> Besitzes, der viel Zeit raubte und wenig eintrug,<br />

und dennoch konnte sich Leberecht nicht entschließen,<br />

Haus und Land zu veräußern, da er mit Leib und Seele<br />

Landmann war. Marie mußte auf einen Nebenerwerb<br />

denken. <strong>Die</strong>ser fand sich auch, indem sie, zwar etwas<br />

spät, die Weberei erlernte. Oft ward sie freilich in ihrer<br />

Thätigkeit gestört, denn ihre Ehe mit Leberecht war<br />

sehr fruchtbar. Zur Bekümmerniß beider Ältern blieb

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