Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 666 — möge. – Ich ertrug Alles schweigend und konnte den Abend kaum erwarten, der mir Gewißheit bringen sollte. Er kam, ich besuchte den Mann, der mir allein noch helfen konnte, abermals. Noch höflicher, als am Tage, empfing er mich. ›Es wird sich thun lassen, mein schönes Kind,‹ sagte er. ›Noch in dieser Nacht soll ein anderer weiblicher Körper abgeliefert werden. Niemand weiß davon und so kann ich Dir gegen Morgen Deine arme Schwester wieder geben.‹ »Ich war gerührt, entzückt, drückte dem gütigen Manne im heißen Dankgefühl die Hand und bot ihm all’ mein baares Geld für seine Großmuth an. Lächelnd schlug er es aus. Das behalte für Dich, Du wirst es schon brauchen, sagte er. Weit lieber wäre mir ein Kuß von den schönen Lippen, die so anmuthig danken können. Werd’ ich vergeblich darum flehen? – Er sah mir so freundlich, so mild und gutherzig in die Augen, und ich fand den Gefälligen in jenem Augenblick so schön und wahrhaft liebenswürdig, daß ich mich nicht lange besann. Weinend sank ich an seine Brust, schlang meine Arme um seinen Nacken und preßte meine Lippen fest an seinen Mund. Lange hielten wir uns umschlungen, wir fühlten den beschleunigten Schlag unserer Herzen. Als ich mich endlich aus den Armen des vortrefflichen Mannes wieder losmachen wollte, fühlte ich mich in der heftigsten Aufregung. Der gütige Vermittler entließ mich nicht. Von Neuem umschlang, drückte er mich an sich. Es ist um Deine Schwester! flüsterte er mir zu,

— 667 — und dies Zauberwort hätte mich damals selbst in der Hölle fest gehalten. Seinen Bitten konnte ich nicht widerstehen. Ich blieb, blieb lange, lange, und als ich von ihm ging, hingen Thränen an meinen Wimpern, Thränen, die nicht meiner Schwester, die mir selbst galten! Jetzt hätte ich neben der Todten niederknieen und auf ihren kalten Mund einen Kuß der Vergebung drücken mögen. Was war ich mehr, als sie? Konnte ich nicht gleich ihr endigen, nun ich gefallen war, wie sie? – »Verstohlen, dem Monde ausweichend, um den Schatten meiner Gestalt nicht zu sehen, schlich ich nach Hause. Schlaflos brachte ich die Nacht unter Thränen, unter Gebet, unter entsetzlichen Vorwürfen hin. Als der Morgen graute, verließ ich mein ärmliches Lager, das mir zur Folterbank geworden war. Über die öden Gassen eilte ich schnellen Laufes nach der Anatomie. Da schmetterte mich die trockene Antwort nieder, daß der versprochene Leichnam untauglich sei und mir demnach die Schwester nicht verabfolgt werden könne! – – »Dabei blieb es. Therese verfiel dem Messer des Anatomen und ich hatte meine Jugend, meine Unschuld, meine Ehre einem Phantom geopfert! »Von meiner Dienstherrschaft entlassen, das Augenmerk der ganzen Stadt, für die ich nur die Schwester der schönen Selbstmörderin war, blieb mir nichts übrig als schleunigste Flucht. Vielleicht wäre ich Therese

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möge. – Ich ertrug Alles schweigend und konnte den<br />

Abend kaum erwarten, der mir Gewißheit bringen sollte.<br />

Er kam, ich besuchte den Mann, der mir allein noch<br />

helfen konnte, abermals. Noch höflicher, als am Tage,<br />

empfing er mich. ›Es wird sich thun lassen, mein schönes<br />

Kind,‹ sagte er. ›Noch in dieser Nacht soll ein anderer<br />

weiblicher Körper abgeliefert werden. Niemand<br />

weiß davon und so kann ich Dir gegen Morgen Deine<br />

arme Schwester wieder geben.‹<br />

»Ich war gerührt, entzückt, drückte dem gütigen<br />

Manne im heißen Dankgefühl die Hand und bot ihm<br />

all’ mein baares Geld für seine Großmuth an. Lächelnd<br />

schlug er es aus. Das behalte für Dich, Du wirst es<br />

schon brauchen, sagte er. Weit lieber wäre mir ein Kuß<br />

von den schönen Lippen, die so anmuthig danken können.<br />

Werd’ ich vergeblich darum flehen? – Er sah mir so<br />

freundlich, so mild und gutherzig in die Augen, und ich<br />

fand den Gefälligen in jenem Augenblick so schön und<br />

wahrhaft liebenswürdig, daß ich mich nicht lange besann.<br />

Weinend sank ich an seine Brust, schlang meine<br />

Arme um seinen Nacken und preßte meine Lippen fest<br />

an seinen Mund. Lange hielten wir uns umschlungen,<br />

wir fühlten den beschleunigten Schlag unserer Herzen.<br />

Als ich mich endlich aus den Armen <strong>des</strong> vortrefflichen<br />

Mannes wieder losmachen wollte, fühlte ich mich in<br />

der heftigsten Aufregung. Der gütige Vermittler entließ<br />

mich nicht. Von Neuem umschlang, drückte er mich an<br />

sich. Es ist um Deine Schwester! flüsterte er mir zu,

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