Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 662 — aus der Welt gegangen. Solche Personen sind unrettbar dem Messer des Anatomen verfallen. Wäre Therese häßlich, nun, dann könnten wir allenfalls ein Auge zudrücken, so aber ist die Entleibte ein Meisterwerk der Schöpfung, und je seltener so tadellose Cadaver zu bekommen sind, desto mehr müssen wir danach angeln. Gieb Dich also nur zufrieden, liebes Kind, behalte Dein Geld und mache Dir einen guten Tag!‹ »Ich glaubte vor Entsetzen in die Erde sinken zu müssen. Ich warf mich dem strengen Herrn zu Füßen, ich bat mit flehendster Schmerzensstimme, ich bot den doppelten Preis – Alles umsonst! Zuletzt ward ich hart angelassen und mit der Bemerkung aus dem Zimmer geführt: Bei armen Mädchen könne man durchaus keine Rücksichten nehmen; man habe genug mit den Reichen zu thun, die auf ihr Vorrecht pochend bei unangenehmen Ereignissen ähnlicher Art nie unterließen, an dasselbe zu appelliren. Ihnen müsse man aus Klugheit willfahren, bei armen Dienstboten aber fiele jeder haltbare Grund weg. »So ungefähr, wenn auch in andern Worten, lautete der mir gegebene Bescheid. Ich wußte mir nicht mehr zu rathen, zu helfen. Theresens Leichnam war bereits auf die Anatomie gebracht worden, und, wie die Sachen standen, keinerlei Aussicht vorhanden, irgendwie meinen Zweck zu erreichen. Indeß wollte ich doch nichts unversucht lassen und so lief ich denn durch die halbe Stadt, um Erkundigungen einzuziehen und mit
— 663 — den zur Zeit geltenden Verordnungen und Gesetzen mich bekannt zu machen. Was ich auf diesen schweren Gängen ermittelte, war freilich für mich nicht sehr tröstlich. Damals ward mein geängstetes Herz zum ersten Male von der entsetzlichen Wahrheit zerfleischt, daß in unsern civilisirten Staaten die Armuth sogar vom Gesetz wie ein Laster behandelt wird!« »Sollten Sie, armes Mädchen,« fiel Aurel ein, »unserer Gesetzgebung nicht einen zu harten Vorwurf mit dieser Behauptung machen?« »Nein, Herr Kapitän. Hören Sie, nach welchen Grundsätzen auf jener Universität zu meiner Zeit die Anatomie mit Leichnamen versorgt ward. Zuerst erfuhr ich, was ich bereits wußte, daß nur reiche Verwandte Selbstmörder von der Anatomie loskaufen können. Ferner war es damals noch Sitte – ob inzwischen eine Änderung stattgefunden hat, weiß ich nicht – daß nur bei der Section im Hospital verstorbener armer Mädchen, die gesetzlich auf die Anatomie geliefert werden mußten, das Hospitiren der Nichtmediciner gestattet ward. Jedermann weiß, daß diese nicht wissenschaftliches Interesse, sondern einzig und allein Neugier und wollüstiger Kitzel an den Secirtisch treibt. Man ergetzt sich in Gemeinschaft an schönen Formen und unzarten, wo nicht sittenlosen Witzen, die man auf Kosten des vorliegenden Leichnams oder des ganzen wehrlosen Geschlechtes macht.
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zu thun, die auf ihr Vorrecht pochend bei unangenehmen<br />
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willfahren, bei armen <strong>Die</strong>nstboten aber fiele jeder<br />
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»So ungefähr, wenn auch in andern Worten, lautete<br />
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auf die Anatomie gebracht worden, und, wie die Sachen<br />
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