Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 648 — »Meine um einige Jahre ältere Schwester hatte um diese Zeit ihr sechzehntes Jahr erreicht, war hübsch, von gutem Wuchs und freundlichem Betragen. Jedermann fand an ihr Gefallen und hatte sie gern, und da unsere höchst mißliche Lage kein Geheimniß war, so würde es Niemand den Ältern verdacht haben, wenn sie die Schwester in die Dienste Fremder hätten treten lassen. Der Vater wollte dies aber nicht, einmal, weil die Schwester der schon hinfälligen Mutter zur Hand gehen und mich gelegentlich auch beaufsichtigen konnte, und sodann, weil das hübsche Kind für Bauernarbeit zu schwächlich war. So blieben wir denn beisammen, bis ein eigener Zufall uns trennte und unser Aller Unglück herbeiführte. Dieser Zufall war ein Gespräch meiner Mutter mit einer Frau von einem nahen Gebirgsdorfe, die als Botenweib häufig in die belebten Städte, namentlich nach Erfurt und Weimar ging und von dort nebst allerhand Neuigkeiten auch sehr freie Ansichten mit in unsere stille Waldeinsamkeit zurückbrachte. Ein Ungefähr machte mich zum Zeugen dieses charakteristischen Gesprächs, das ich damals leider nicht verstand! Vielleicht wäre sonst Alles anders und besser gekommen.« »Die Mutter kehrte aus dem Walde zurück mit einem Bund Schachtelholz, das sie vom Förster auf Credit für den fleißigen Vater geholt hatte. Müde vom scharfen Gehen setzte sie sich vor der Thür auf die Bank, legte das Holzbündel an die Erde und sah den goldenen
— 649 — Wolken, die von Abend her gleich beschwingten Engeln langsam über die blauen Berge schwebten, mit gefalteten Händen nach. Da ging die Botenfrau vorüber und grüßte die Mutter. »›Guten Abend, Käthe! So andächtig? Und seht doch aus, als hättet Ihr in acht Tagen kein warmes Gericht mehr nur von weitem gerochen? Wie möchte ich mich nur so placken für nichts und wieder nichts!‹ »Dabei blieb sie wenige Schritte von der Mutter stehen, stemmte sich mit beiden Händen auf ihren langen Stock und heftete ihre falschen grünlich-grauen Augen fest auf meine betende Mutter. Ich fürchtete mich immer vor diesem langen, hagern Weibe mit dem braunen, von zahllosen Runzeln bedeckten Gesicht, in dem die falschen Augen wie grüne Flammen brannten. Im Allgemeinen war das Weib beim Volke seiner Klugheit und seines körnigen Witzes wegen beliebt, auch konnte ihr Niemand offenbare Schlechtigkeiten nachsagen. »›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!‹ entgegnete meine Mutter. ›Ihr kennt ja den Spruch, Korbmartha!‹ So hieß man nämlich ihres übergroßen Tragkorbes wegen die Botenfrau. Indem hüpfte meine Schwester aus der Hütte, um Wasser im vorüberrauschenden Bache zu schöpfen. Korbmartha sah ihr nach und blickte dann noch lebhafter auf meine Mutter. »›Ist das Euere Tochter?‹ fragte sie, den Stecken aufhebend und nach der Schwester zeigend.
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fand an ihr Gefallen und hatte sie gern, und da<br />
unsere höchst mißliche Lage kein Geheimniß war, so<br />
würde es Niemand den Ältern verdacht haben, wenn<br />
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weil die Schwester der schon hinfälligen Mutter zur<br />
Hand gehen und mich gelegentlich auch beaufsichtigen<br />
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Bauernarbeit zu schwächlich war. So blieben wir denn<br />
beisammen, bis ein eigener Zufall uns trennte und unser<br />
Aller Unglück herbeiführte. <strong>Die</strong>ser Zufall war ein<br />
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sehr freie Ansichten mit in unsere stille Waldeinsamkeit<br />
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Zeugen dieses charakteristischen Gesprächs, das ich<br />
damals leider nicht verstand! Vielleicht wäre sonst Alles<br />
anders und besser gekommen.«<br />
»<strong>Die</strong> Mutter kehrte aus dem Walde zurück mit einem<br />
Bund Schachtelholz, das sie vom Förster auf Credit für<br />
den fleißigen Vater geholt hatte. Müde vom scharfen<br />
Gehen setzte sie sich vor der Thür auf die Bank, legte<br />
das Holzbündel an die Erde und sah den goldenen