Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 640 — »Bei Gott, das hätt’ ich über dem neuesten Wirrsal beinahe vergessen!« rief er halblaut aus, als sein Blick auf die großgedruckte Anzeige eines Concertes fiel, das Nachmittags im Elbpavillon gehalten werden sollte. »Arme Verirrte,« fuhr er fort, »mit welcher Verachtung würdest Du Dein eiskaltes Auge über das Gewühl der Männer haben gleiten lassen, wenn Du Dich von mir getäuscht gesehen hättest! – Aber mein Gott, was ficht mich denn eigentlich an, daß ich jetzt auf einmal allen Schutzlosen Schirm und Schild sein muß? Es ist komisch, bei Gott, und wenn ich noch ein paar Tage mit gleichem Glück so fortfahre, habe ich am Ende der Woche einen ganz hübschen Harem beisammen. Ich will vier und zwanzig Stunden im Mastkorbe sitzen, wenn ich weiß, was ich mit der blassen Brünette anfangen soll! Habe ich doch sogar ihren Namen vergessen! – Und zu welchem Zwecke will ich sie aufsuchen? Weil sie mir gefiel, mich reizte? Oder aus kindischer Neugier, um rührende Scenen aus ihrem Leben zu erfahren? – Pfui, Aurel! Streife diese ekle Hülle schändender Selbstsucht von Dir und lebe für gemeinnützige Zwecke! Das Mädchen hat meine Zusage, ich muß sie halten. Mag dann geschehen, was immer will, es kann doch unmöglich meine Unruhe noch vermehren.« Nachdem unser Freund einen so edelmüthigen Entschluß gefaßt hatte, verließ er das Baumhaus, da er die gewünschte Zerstreuung nicht fand. Mittlerweile war die Zeit der Börse beinahe herangekommen, die

— 641 — er mehr aus Gewohnheit als aus wirklichem Bedürfniß zu besuchen pflegte. Er ging daher nicht erst in seine nahe Wohnung, sondern verfügte sich zuvörderst auf die Börsenhalle, wo sich um diese Zeit die Hamburger Kaufmannswelt versammelt. Hier und später an der Börse selbst fand Aurel so viel Unterhaltung, daß er momentan vergaß, was ihn quälte und, weil er nicht daran gewöhnt war, ihm das Leben verbitterte. Auf dem Platze zwischen Rathhaus und Bank mit einigen lustigen Freunden auf- und abwandelnd, verging die Zeit in gewünschter Schnelligkeit, und als auch die Börse vorüber war und nun jeder seiner Wege ging, nahm Aurel die Freunde am Arm und zog sie mit sich fort, bis sie seinem Drängen nachgaben und ihm bei Tafel Gesellschaft zu leisten versprachen. Nun ward er wieder heiter, denn er wußte, daß ihm bei Gespräch und Wortwechsel keine Zeit übrig bleiben konnte, an die ärgerliche Angelegenheit früher zu denken, als es nöthig sein würde. So zeigte der körperlich robuste, an die größten Anstrengungen gewöhnte Kapitän, daß die geistige Lebenskraft von seinem sinnlichen, dem Genuß ergebenen Temperament weit überwogen wurde, und daß er bei all’ seiner Rüstigkeit doch eigentlich das verwöhnte Kind einer siechenden, matten und schlaffen Zeit war.

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er mehr aus Gewohnheit als aus wirklichem Bedürfniß<br />

zu besuchen pflegte. Er ging daher nicht erst in seine<br />

nahe Wohnung, sondern verfügte sich zuvörderst<br />

auf die Börsenhalle, wo sich um diese Zeit die Hamburger<br />

Kaufmannswelt versammelt. Hier und später<br />

an der Börse selbst fand Aurel so viel Unterhaltung,<br />

daß er momentan vergaß, was ihn quälte und, weil er<br />

nicht daran gewöhnt war, ihm das Leben verbitterte.<br />

Auf dem Platze zwischen Rathhaus und Bank mit einigen<br />

lustigen Freunden auf- und abwandelnd, verging<br />

die Zeit in gewünschter Schnelligkeit, und als auch die<br />

Börse vorüber war und nun jeder seiner Wege ging,<br />

nahm Aurel die Freunde am Arm und zog sie mit sich<br />

fort, bis sie seinem Drängen nachgaben und ihm bei<br />

Tafel Gesellschaft zu leisten versprachen. Nun ward er<br />

wieder heiter, denn er wußte, daß ihm bei Gespräch<br />

und Wortwechsel keine Zeit übrig bleiben konnte, an<br />

die ärgerliche Angelegenheit früher zu denken, als es<br />

nöthig sein würde. So zeigte der körperlich robuste, an<br />

die größten Anstrengungen gewöhnte Kapitän, daß die<br />

geistige Lebenskraft von seinem sinnlichen, dem Genuß<br />

ergebenen Temperament weit überwogen wurde,<br />

und daß er bei all’ seiner Rüstigkeit doch eigentlich das<br />

verwöhnte Kind einer siechenden, matten und schlaffen<br />

Zeit war.

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