Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 636 — Schreckensahnungen auch nur in eine einzige entsetzliche Wirklichkeit zusammenliefen, wenn diese Wirklichkeit jetzt aus ihrem dunkeln so lange verborgenen Dasein auftauchte und als rächende Schreckensgestalt vor uns träte und von den Kindern Rechenschaft forderte für die Missethaten des Vaters! – O ich bitte, erwägen Sie diese Möglichkeit und sagen Sie, ob ich dann nicht Ursache habe, ernst zu werden, zu schaudern und zu zittern?« »Wer giebt Ihnen ein Recht, lieber Graf, sich mit so düstern Phantasien nutzlos zu peinigen?« »Wer? – Mein Gott, Adrian’s Brief und meine Ahnung, seit ich diesen Ring gefunden! – Ich kann das Wort der Schrift nicht mehr aus meinem Gedächtniß verjagen: die Sünden der Väter werden heimgesucht an den Kindern bis in’s dritte und vierte Glied!« »Nehmen wir die Drohung in diesem göttlichen Wort nicht so gar wörtlich, lieber Freund,« versetzte Madame Öhlers. »Wie vermöchten wir eine einzige Stunde ruhig zu leben, freudigen Herzens für der Welt Bestes zu wirken, wenn sich ein solch’ gräßliches Gespenst in unserm Geiste fest einnistete. Wir sind freilich alle schwache, sündige Menschen, aber uns ist auch Vergebung verheißen, wenn aufrichtige Reue uns die Augen zum letzten Schlummer verschließt.«

— 637 — »Mein Vater kannte die Reue nicht,« sagte Aurel, sichtbar erschüttert. »Ich erinnere mich noch mit Entsetzen, obwohl ich damals noch ein leichtfertiger Knabe war, der letzten Tage seines Lebens. Er konnte nicht sterben, der Arme! Seine Todesangst stieg bis zu wilder Raserei. Man mußte ihn schließen, um ihn nur bändigen zu können. So lag er drei Tage. Wir Kinder schlichen wohl hundert Mal an der Thür vorüber, die ihn unsern Blicken entzog, und flohen entsetzt, wenn wir das Klirren der Ketten, das hohle, dumpfe Lachen, das Knirschen seiner Zähne vernahmen. Die letzten Stunden schlug er die Wände und die Luft mit seinen Ketten, indem er unbekannte Namen nannte, Geister Verstorbener, die ihm erschienen und mit denen er kämpfen mußte. Ihren grausamen Umarmungen erlag er stöhnend, und röchelnd, wüste Flüche lallend, hauchte er seine gemarterte Seele aus! Man zeigte uns die Leiche nicht. Sie soll grauenvoll ausgesehen haben. Ganz in der Stille, ohne Begleitung ward sie beigesetzt. So befahl es der Arzt und – die Unterthanen, sagte man! – Sind das nun wohl Erinnerungen, die mich beruhigen können?« Obwohl Madame Öhlers von den Familienverhältnissen Aurel’s ziemlich genau unterrichtet war, hatte sie doch nicht über alle Epochen aus dem Leben des Grafen Magnus gleich ausführliche Nachrichten erhalten. Nach Aurel’s letzten Äußerungen begann sie mit ihm besorgt zu werden, und konnte jetzt selbst nicht

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Schreckensahnungen auch nur in eine einzige entsetzliche<br />

Wirklichkeit zusammenliefen, wenn diese Wirklichkeit<br />

jetzt aus ihrem dunkeln so lange verborgenen<br />

Dasein auftauchte und als rächende Schreckensgestalt<br />

vor uns träte und von den Kindern Rechenschaft forderte<br />

für die Missethaten <strong>des</strong> Vaters! – O ich bitte,<br />

erwägen Sie diese Möglichkeit und sagen Sie, ob ich<br />

dann nicht Ursache habe, ernst zu werden, zu schaudern<br />

und zu zittern?«<br />

»Wer giebt Ihnen ein Recht, lieber Graf, sich mit so<br />

düstern Phantasien nutzlos zu peinigen?«<br />

»Wer? – Mein Gott, Adrian’s Brief und meine Ahnung,<br />

seit ich diesen Ring gefunden! – Ich kann das<br />

Wort der Schrift nicht mehr aus meinem Gedächtniß<br />

verjagen: die Sünden der Väter werden heimgesucht<br />

an den Kindern bis in’s dritte und vierte Glied!«<br />

»Nehmen wir die Drohung in diesem göttlichen Wort<br />

nicht so gar wörtlich, lieber Freund,« versetzte Madame<br />

Öhlers. »Wie vermöchten wir eine einzige Stunde<br />

ruhig zu leben, freudigen Herzens für der Welt Bestes<br />

zu wirken, wenn sich ein solch’ gräßliches Gespenst<br />

in unserm Geiste fest einnistete. Wir sind freilich alle<br />

schwache, sündige Menschen, aber uns ist auch Vergebung<br />

verheißen, wenn aufrichtige Reue uns die Augen<br />

zum letzten Schlummer verschließt.«

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