Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 594 — beantworteten, sie mit einiger Zudringlichkeit zu umringen und sogleich wieder wie Spreu im Winde auseinander zu stauben. »Wohin führen Sie mich?« fragte Gilbert halblaut den Kapitän, denn so leichtfertig und grundsatzlos der junge Matrose, theils von Natur, theils durch Aurel’s Umgang und Beispiel geworden war, konnte man ihn doch keinen raffinirten, verdorbenen Wüstling nennen. Es war bei ihm, wie bei Aurel, mehr der unwiderstehliche Hang nach buntem, abenteuerlichem Leben, als die Lust an verbotenen Genüssen, die sie in bedenkliche Kreise führte und den Rigoristen ausreichenden Grund gab, den Stab über sie zu brechen. »Bei Gott, Junge, ich weiß es selbst nicht bestimmt!« entgegnete Aurel in bester Laune. »Sie heißen’s ›Salon‹, was heute Nacht so viel junges Volk in diese Stadtgegend führt. Ob aber daselbst getanzt, gesungen oder gespielt wird, das müssen wir abwarten! Es soll lustig hergehen, hab’ ich gehört, und die schönsten Mädchen Hamburgs, doch nicht immer die Tugendhaftesten, machen in diesen Salons die Honneurs. Das wollen wir uns denn ein Mal auf gut Glück mit ansehen.« Gilbert war es zufrieden, eine neue Seite des Lebens kennen zu lernen, wenn es auch nur eine tief dunkele Schattenseite sein sollte. Ihre Schritte beschleunigend kamen sie an ein stattliches Haus, dessen Thorweg hell erleuchtet war und aus dessen Innerem verworrenes

— 595 — Geräusch vieler Stimmen und die dumpfen Töne rauschender Tanzmusik erklangen. Männer und Frauen oder Mädchen bald einzeln, bald paarweise, oder zu Dreien und Vieren, traten in den Thorweg und stiegen eine ziemlich breite Treppe im Hinterhause hinauf, die auf beiden Seiten mit grünen Tannenzweigen garnirt war. Eine hohe, ebenfalls mit frischem Laubwerk geschmückte Pforte, in der buntfarbige Lampen sich drehten, eröffnete den Eingang zu einem geräumigen Saale. Dieser endigte in einer Spiegelwand, wodurch er ungleich größer und gewühlvoller erschien, als er wirklich war. Auch an den Wänden waren zwischen weichen und breiten Polstern hohe Spiegel angebracht. Drei große Kronleuchter mit zahllosen Flammen schwebten gleichsam aus der geheimnißvollen Nacht des gestirnten Himmels herab, denn die in leichter Schwingung gewölbte Decke des Saals war mattblau, fast etwas in’s Schwarze schillernd, gemalt und mit einer Unzahl glänzender silberner Sterne von allen Größen ausgeschlagen. Schien es doch, als bedürfe das Laster, das sich in blendendstem Schmuck, in verführerischstem Liebreiz, in kokettester Anmuth, in reizendster Schönheit in diesen Räumen tummelte und dem Götzen der Welt seine Huldigungen darbrachte, dieses künstlichen Deckmantels. Unter dem nachgeahmten Sternenzelt der keuschen heiligen Nacht fühlte die Sünde keine Reue, keine Schaam. Das Gewissen

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Geräusch vieler Stimmen und die dumpfen Töne rauschender<br />

Tanzmusik erklangen. Männer und Frauen<br />

<strong>oder</strong> Mädchen bald einzeln, bald paarweise, <strong>oder</strong> zu<br />

Dreien und Vieren, traten in den Thorweg und stiegen<br />

eine ziemlich breite Treppe im Hinterhause hinauf,<br />

die auf beiden Seiten mit grünen Tannenzweigen<br />

garnirt war. Eine hohe, ebenfalls mit frischem Laubwerk<br />

geschmückte Pforte, in der buntfarbige Lampen<br />

sich drehten, eröffnete den Eingang zu einem geräumigen<br />

Saale. <strong>Die</strong>ser endigte in einer Spiegelwand, wodurch<br />

er ungleich größer und gewühlvoller erschien,<br />

als er wirklich war. Auch an den Wänden waren zwischen<br />

weichen und breiten Polstern hohe Spiegel angebracht.<br />

Drei große Kronleuchter mit zahllosen Flammen<br />

schwebten gleichsam aus der geheimnißvollen<br />

Nacht <strong>des</strong> gestirnten Himmels herab, denn die in leichter<br />

Schwingung gewölbte Decke <strong>des</strong> Saals war mattblau,<br />

fast etwas in’s Schwarze schillernd, gemalt und<br />

mit einer Unzahl glänzender silberner Sterne von allen<br />

Größen ausgeschlagen. Schien es doch, als bedürfe<br />

das Laster, das sich in blendendstem Schmuck, in verführerischstem<br />

Liebreiz, in kokettester Anmuth, in reizendster<br />

Schönheit in diesen Räumen tummelte und<br />

dem Götzen der Welt seine Huldigungen darbrachte,<br />

dieses künstlichen Deckmantels. Unter dem nachgeahmten<br />

Sternenzelt der keuschen heiligen Nacht fühlte<br />

die Sünde keine Reue, keine Schaam. Das Gewissen

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