Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 566 — Wochen lag er müßig vor Anker und in dieser Zeit hatte er die meisten Genüsse Hamburgs so ziemlich ausgekostet. Da fiel sein Blick auf einen Anschlag an der Straßenecke. Der Zettel kündigte öffentlichen Tanz an in der Bacchushalle. »Da bin ich noch nicht gewesen,« murmelte der leichtfertige Kapitän und schritt weiter. Als er um die Ecke beim Graskeller bog, sah er mit leichtem tanzenden Gange einen schlanken Jungen in der Sonntagstracht eines gemeinen Matrosen etwa dreißig Schritte vor sich behend durch die belebte Straße hüpfen, die Stufen an seinem Hause hinanlaufen und in der engen Thür verschwinden. Aurel eilte ihm nach und überholte den Jüngling, als er eben pfeifend die Treppe zu den Zimmern des Kapitäns hinaufschritt. 31. EIN ABENTEUER. »Gilbert!« rief Aurel dem jungen Matrosen nach. »Wohin so eilig?« Der Jüngling kehrte sich um und zeigte dem Kapitän ein offenes, von Wetter, Sonne und Seesturm gebräuntes Gesicht. Höflich seinen bebänderten Hut lüftend und mitten auf der Treppe stehen bleibend, versetzte er: »Ich wollte dem Herrn Kapitän Bericht abstatten.« »Hast Du etwas ausgegattert?« »Verschiedenes, Herr Kapitän,« entgegnete mit verschmitztem Ausdruck seiner lebhaften Augen der junge

— 567 — Matrose. »Es kommt nur auf Sie an, ob Sie sich herablassen wollen –« »Marsch hinauf!« commandirte Aurel, die Antwort Gilbert’s unterbrechend. »Ist die freie Treppe ein Ort, um die Geheimnisse eines Seekapitäns darauf auszuplaudern?« Gilbert sprang nun leichtfüßig die wenigen Stufen vollends hinan und folgte seinem Vorgesetzten in ein gut meublirtes, mit allem Comfort europäischen Lebens reich ausgestattetes Zimmer. Hier streckte sich Aurel nachlässig in einen weichen Lehnsessel und Gilbert setzte sich auf ein niedriges Bänkchen am Ofen, dessen weiß glänzende Kacheln eine angenehme Wärme im Zimmer verbreiteten. »Nun rede!« befahl der Kapitän, warf seinen Hut auf das ihm gegenüber stehende Sopha und fuhr mit der linken Hand mehrmals durch sein braungelocktes Haar. »Zu allererst,« sagte Gilbert, »kann ich Ihnen einen Trödler empfehlen. Der Kerl hockt den ganzen langen Tag auf den Stufen seiner Kellertreppe und schachert mit allem nur erdenklichen alten Unrath. Sein Aussehen ist nichts weniger als anziehend, allein man wird entschädigt, sobald man die Treppe hinunterkriecht. Denn in der engen dunstigen Kellerwohnung haust eine Fee von unbeschreiblicher Schönheit. Ich habe sie heut’ bei Sonnenlicht gesehen, wie sie über die Straße schwebte, um in irdenem Kruge Wasser zu holen.

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Matrose. »Es kommt nur auf Sie an, ob Sie sich herablassen<br />

wollen –«<br />

»Marsch hinauf!« commandirte Aurel, die Antwort<br />

Gilbert’s unterbrechend. »Ist die freie Treppe ein Ort,<br />

um die Geheimnisse eines Seekapitäns darauf auszuplaudern?«<br />

Gilbert sprang nun leichtfüßig die wenigen Stufen<br />

vollends hinan und folgte seinem Vorgesetzten in ein<br />

gut meublirtes, mit allem Comfort europäischen Lebens<br />

reich ausgestattetes Zimmer. Hier streckte sich<br />

Aurel nachlässig in einen weichen Lehnsessel und Gilbert<br />

setzte sich auf ein niedriges Bänkchen am Ofen,<br />

<strong>des</strong>sen weiß glänzende Kacheln eine angenehme Wärme<br />

im Zimmer verbreiteten.<br />

»Nun rede!« befahl der Kapitän, warf seinen Hut<br />

auf das ihm gegenüber stehende Sopha und fuhr mit<br />

der linken Hand mehrmals durch sein braungelocktes<br />

Haar.<br />

»Zu allererst,« sagte Gilbert, »kann ich Ihnen einen<br />

Trödler empfehlen. Der Kerl hockt den ganzen langen<br />

Tag auf den Stufen seiner Kellertreppe und schachert<br />

mit allem nur erdenklichen alten Unrath. Sein Aussehen<br />

ist nichts weniger als anziehend, allein man wird<br />

entschädigt, sobald man die Treppe hinunterkriecht.<br />

Denn in der engen dunstigen Kellerwohnung haust eine<br />

Fee von unbeschreiblicher Schönheit. Ich habe sie<br />

heut’ bei Sonnenlicht gesehen, wie sie über die Straße<br />

schwebte, um in irdenem Kruge Wasser zu holen.

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