Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 492 — »Meine arme Mutter! Ich kannte sie nie, ich konnte sie nur im kalten, todten Bilde lieben und küssen!« »Beklagen Sie Ihre Mutter nicht, edles Fräulein, Eugenie war glücklich, und als das Unglück über sie herein brach, nahm der erlösende Tod sie sanft in seine Vaterarme.« Herta stürzten die Thränen in die Augen, während der Fremde ruhig fortfuhr: »Johannes und Eugenie sahen einander, lernten sich kennen und liebten sich. – Es giebt Wesen, die beim ersten Zusammentreffen sich in der Tiefe ihres erbebenden Herzens gestehen müssen, daß sie von Ewigkeit her für einander bestimmt sind. Ein paar solche ursprüngliche Naturen waren Johannes und Gräfin Eugenie. Ein Strahl aus ihren Augen reichte hin, in Beide den heiligen Gluthstrom der Liebe zu gießen, der in den Pulsadern der Welt schlägt und das Reich der Geister beherrscht. Über der Ursprünglichkeit ihrer reinen Neigung, über der geistig schönen Tiefe ihrer Leidenschaft und der sittlichen Höhe ihres Standpunktes vergaßen sie, daß es bevorzugte und verachtete Kasten gab; wollten sie nichts wissen von einem Unterschiede zwischen gräflichem und bürgerlichem Blut. Eugenie liebte den reinen, tiefen, edlen Menschen in Johannes, und dieser fühlte an Eugeniens Busen nur das Herz eines Mädchens schlagen, das von Lüge und Verstellung nichts wußte.

— 493 — »Vor dieser Gluthfülle ihrer Neigung sah Johannes alle Hindernisse stürzen, ja er dachte nicht einmal daran, daß es deren überhaupt geben könne. Er wollte Eugenie besitzen, bald besitzen und hielt um dieselbe an bei – ihrem Bruder! – Graf Erasmus lachte dem Hofmeister in’s Gesicht und nannte ihn einen Narren. Er glaubte anfangs wirklich, Johannes erlaube sich in übermüthiger Stimmung einen Scherz. Als er aber sah, daß der Hofmeister im glühendsten Redestrome nur seinem überschäumenden Glück Worte gegeben und als er von Eugeniens blühenden Lippen die Bestätigung vernommen, da trat er stolz an Johannes heran, maß den jungen Mann von Kopf zu Fuß und sagte verächtlich: ›Der Wein von meinem Tisch ist Ihm zu Gesicht gestiegen. Trinke Er künftighin wieder Wasser, wie sich’s gehört, und esse Er mit meinen Bedienten, damit Er Mores lernt! Und jetzt packe er sich und verlaufe sich die verrückten Gedanken auf einem Spaziergange durch die Haide!‹ – Darauf kehrte er dem Hofmeister den Rücken, nahm die Hand der Schwester und zog sie in’s Nebenzimmer, das er hinter sich verriegelte. »Johannes blieb wie vom Schlage getroffen stehen. Er glaubte, ein wirrer Traum habe sich festgesetzt in seiner Seele. Er konnte lange Zeit weder Sprache noch gesundes Gefühl wieder erhalten. Als er endlich des ganzen entsetzlichen Unglücks sich bewußt ward,

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»Vor dieser Gluthfülle ihrer Neigung sah Johannes<br />

alle Hindernisse stürzen, ja er dachte nicht einmal daran,<br />

daß es deren überhaupt geben könne. Er wollte<br />

Eugenie besitzen, bald besitzen und hielt um dieselbe<br />

an bei – ihrem Bruder! – Graf Erasmus lachte dem<br />

Hofmeister in’s Gesicht und nannte ihn einen Narren.<br />

Er glaubte anfangs wirklich, Johannes erlaube sich in<br />

übermüthiger Stimmung einen Scherz. Als er aber sah,<br />

daß der Hofmeister im glühendsten Re<strong>des</strong>trome nur<br />

seinem überschäumenden Glück Worte gegeben und<br />

als er von Eugeniens blühenden Lippen die Bestätigung<br />

vernommen, da trat er stolz an Johannes heran,<br />

maß den jungen Mann von Kopf zu Fuß und sagte<br />

verächtlich: ›Der Wein von meinem Tisch ist Ihm zu<br />

Gesicht gestiegen. Trinke Er künftighin wieder Wasser,<br />

wie sich’s gehört, und esse Er mit meinen Bedienten,<br />

damit Er Mores lernt! Und jetzt packe er sich und<br />

verlaufe sich die verrückten Gedanken auf einem Spaziergange<br />

durch die Haide!‹ – Darauf kehrte er dem<br />

Hofmeister den Rücken, nahm die Hand der Schwester<br />

und zog sie in’s Nebenzimmer, das er hinter sich<br />

verriegelte.<br />

»Johannes blieb wie vom Schlage getroffen stehen.<br />

Er glaubte, ein wirrer Traum habe sich festgesetzt<br />

in seiner Seele. Er konnte lange Zeit weder Sprache<br />

noch gesun<strong>des</strong> Gefühl wieder erhalten. Als er endlich<br />

<strong>des</strong> ganzen entsetzlichen Unglücks sich bewußt ward,

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