Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 488 — war ein starker, großer, sehniger Mann mit interessanten Zügen, welche der sorgfältig gepflegte, sehr dichte und lange Schnurrbart noch ausdrucksvoller machte. Sein ergrauendes Haupthaar zeigte, daß er die Höhe des Lebens bereits überschritten hatte, es müßten denn Kummer, Gram und tiefe Seelenleiden ihn vor der Zeit gealtert haben. Der Fremde trug die gewöhnliche Kleidung eines Försters und war, wie ein solcher, mit schönem Hirschfänger bewaffnet. »Empfangen Sie zuvörderst,« hob er mit zitternder Stimme an, »meinen aufrichtigen, herzinnigen Dank für das Vertrauen, welches Sie mir durch Ihre Gegenwart schenken, verehrtes Fräulein!« – Dabei richtete er seine Worte entschieden an Herta, als kenne er sie schon längst. – »Ja,« fuhr er fort, »ich täusche mich nicht. Sie sind Herta, die arme, schöne, fromme Tochter der nicht minder armen Schwester Grafen Erasmus von Boberstein! Ist es mir doch, als wäre sie, die längst Dahingeschiedene, wieder zurückgekehrt in’s Leben und sähe mich mit ihren dunklen Wunderaugen erstaunt an über die Veränderung, die mit mir vorgegangen! Denn nur sie, die Verewigte, und ihre einzige, ihr in allen Tugenden und Eigenschaften so ganz gleiche Tochter, besitzen diesen Zauber des Blickes, dies seelentiefe, herzdurchforschende Engelsauge! – Gestatten Sie, Tochter Eugeniens von Boberstein, daß der einzige Freund Ihrer Mutter die Hand küßt, die seit zwanzig Jahren nicht mehr in der seinigen geruht hat!«
— 489 — Damit ergriff der Fremde Herta’s schlanke feine Hand und führte die bebenden Finger an seine Lippen. »Gütiger Himmel,« stammelte das erstaunte Mädchen, »Sie haben meine Mutter gekannt, räthselhafter Mann! Wer sind Sie? Was haben Sie mir zu eröffnen, daß Sie auf so ungewöhnliche versteckte Weise zu mir dringen?« Mit schmerzlichem Lächeln ruhte das glühende Auge des Fremden auf Herta. Seine wetterbraunen Züge wurden weich und sanft und seine Stimme zitterte, als er antwortete: »Sie dürfen und müssen so fragen, theures Mädchen, und ich bin gekommen, Ihnen Rede zu stehen, Sie zu Fragen und Forschungen aufzumuntern. – Haben Sie von Ihren Pflegeältern nie eines Mannes erwähnen hören, den man Johannes nannte?« »Nie!« betheuerte Herta kopfschüttelnd. »Nie!« wiederholte der Fremde und seufzte. »Also so ganz hatte man ihn vergessen, oder so geflissentlich schwieg man von ihm, daß nicht einmal in Beisein seines – – Doch bevor ich fortfahre,« unterbrach er sich selbst, »bitte ich inständigst: lassen Sie Ihre Gefährtin in ein Nebenzimmer treten! Ich weiß nicht, ob Sie selbst es billigen würden, wenn ich Ihnen vor Zeugen meine Geheimnisse mittheilte.«
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war ein starker, großer, sehniger Mann mit interessanten<br />
Zügen, welche der sorgfältig gepflegte, sehr dichte<br />
und lange Schnurrbart noch ausdrucksvoller machte.<br />
Sein ergrauen<strong>des</strong> Haupthaar zeigte, daß er die Höhe<br />
<strong>des</strong> Lebens bereits überschritten hatte, es müßten denn<br />
Kummer, Gram und tiefe Seelenleiden ihn vor der Zeit<br />
gealtert haben. Der Fremde trug die gewöhnliche Kleidung<br />
eines Försters und war, wie ein solcher, mit schönem<br />
Hirschfänger bewaffnet.<br />
»Empfangen Sie zuvörderst,« hob er mit zitternder<br />
Stimme an, »meinen aufrichtigen, herzinnigen Dank<br />
für das Vertrauen, welches Sie mir durch Ihre Gegenwart<br />
schenken, verehrtes Fräulein!« – Dabei richtete<br />
er seine Worte entschieden an Herta, als kenne er sie<br />
schon längst. – »Ja,« fuhr er fort, »ich täusche mich<br />
nicht. Sie sind Herta, die arme, schöne, fromme Tochter<br />
der nicht minder armen Schwester Grafen Erasmus<br />
von Boberstein! Ist es mir doch, als wäre sie, die längst<br />
Dahingeschiedene, wieder zurückgekehrt in’s Leben<br />
und sähe mich mit ihren dunklen Wunderaugen erstaunt<br />
an über die Veränderung, die mit mir vorgegangen!<br />
Denn nur sie, die Verewigte, und ihre einzige, ihr<br />
in allen Tugenden und Eigenschaften so ganz gleiche<br />
Tochter, besitzen diesen Zauber <strong>des</strong> Blickes, dies seelentiefe,<br />
herzdurchforschende Engelsauge! – Gestatten<br />
Sie, Tochter Eugeniens von Boberstein, daß der einzige<br />
Freund Ihrer Mutter die Hand küßt, die seit zwanzig<br />
Jahren nicht mehr in der seinigen geruht hat!«