Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 476 — sein Herz hatte geliebt. Dies war hohl, leer, nicht fähig einer großen reinen Leidenschaft. Tausend unerlaubte und unreine Genüsse hatten seine ursprüngliche Gluth vor der Zeit aufgezehrt. Magnus fürchtete ein Zusammentreffen mit Herta. Indeß war Utta keine Frau, die einen einmal entworfenen Plan, wenn er größeren Zwecken zu entsprechen schien, sogleich wieder aufgab oder einen Entwurf nur zur Hälfte ausführte. Ihr langer Verkehr mit ihrem jesuitischen Onkel hatte sie die Wichtigkeit consequenten Handelns kennen gelehrt, und wie sie im Denken und Leben von der praktischen, ob auch unlautern Weltweisheit des feinen, vielerfahrnen Mannes den Schein als glänzenden Ersatz eines in der Wirklichkeit nicht vorhandenen Gutes kennen gelernt hatte, so hielt sie auch Alles für erlaubt, was nicht durch ausdrückliche Gesetze verboten war, oder was durch ein betrügliches Spiel des Geistes, gleichsam durch ein Volteschlagen aus Schwarz in Weiß, aus Böse in Gut, aus Verlust in Gewinn verwandelt werden konnte. Sie ging deßhalb unverweilt zu ihrer Nichte, und so vortrefflich hatte sich die kluge Frau mit zarter, theilnehmender Anmuth, mit mütterlicher Würde, mit christlich mildem Zuspruch, mit liberal tönenden ein lautes Echo in Herta’s halbgebrochenem Herzen erweckenden Phrasen ausgerüstet, daß ihr das Unbegreifliche in kurzer Frist gelang, nämlich ihrer Nichte

— 477 — die Bewilligung zu entlocken, den reuigen Frevler ruhig anzuhören. Eine Viertelstunde später meldete Emma ihrer traurigen Gebieterin den jungen Grafen. Herta winkte der Zofe, ihren Cousin einzulassen und sich zurückzuziehen. In einfacher schwarzseidener Kleidung, ein Florband durch ihr schönes Haar gewunden, saß Herta in der Epheulaube ihres Fensters. Grüßend erhob sie sich beim Eintritt des Grafen, den sie mit anmuthiger Handbewegung aufforderte, niederzusitzen. Zum ersten Male in seinem Leben war Magnus verlegen und in Folge dessen etwas linkisch. Er rückte einen der altmodischen, aber kostbaren Stühle in Herta’s Nähe und sich nach seiner Gewohnheit auf die Lehne stützend, überflog er die reizenden Züge seiner Cousine mit scheuem Aufblick, ohne sie anzureden. Statt seiner ergriff nun Herta das Wort. »Auf Fürbitten meiner geliebten Tante, Ihrer verehrten Frau Mutter,« sprach sie vollkommen ruhig, »habe ich mich entschlossen, Sie zu sprechen, Herr Graf. Ich ersuche Sie daher, mir Ihr Anliegen in möglichster Kürze vorzutragen, da Sie hoffentlich einsehen werden, daß unsere Unterhaltung keine ausführliche sein kann.« »Es scheint mein Schicksal zu sein, theure Cousine,« versetzte Magnus, »Ihnen stets widersprechen zu müssen, und weil dies denn einmal so ist, so stehe ich

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sein Herz hatte geliebt. <strong>Die</strong>s war hohl, leer, nicht fähig<br />

einer großen reinen <strong>Leiden</strong>schaft. Tausend unerlaubte<br />

und unreine Genüsse hatten seine ursprüngliche Gluth<br />

vor der Zeit aufgezehrt. Magnus fürchtete ein Zusammentreffen<br />

mit Herta.<br />

Indeß war Utta keine Frau, die einen einmal entworfenen<br />

Plan, wenn er größeren Zwecken zu entsprechen<br />

schien, sogleich wieder aufgab <strong>oder</strong> einen Entwurf<br />

nur zur Hälfte ausführte. Ihr langer Verkehr mit<br />

ihrem jesuitischen Onkel hatte sie die Wichtigkeit consequenten<br />

Handelns kennen gelehrt, und wie sie im<br />

Denken und Leben von der praktischen, ob auch unlautern<br />

Weltweisheit <strong>des</strong> feinen, vielerfahrnen Mannes<br />

den Schein als glänzenden Ersatz eines in der Wirklichkeit<br />

nicht vorhandenen Gutes kennen gelernt hatte,<br />

so hielt sie auch Alles für erlaubt, was nicht durch<br />

ausdrückliche Gesetze verboten war, <strong>oder</strong> was durch<br />

ein betrügliches Spiel <strong>des</strong> Geistes, gleichsam durch ein<br />

Volteschlagen aus Schwarz in Weiß, aus Böse in Gut,<br />

aus Verlust in Gewinn verwandelt werden konnte.<br />

Sie ging deßhalb unverweilt zu ihrer Nichte, und<br />

so vortrefflich hatte sich die kluge Frau mit zarter,<br />

theilnehmender Anmuth, mit mütterlicher Würde, mit<br />

christlich mildem Zuspruch, mit liberal tönenden ein<br />

lautes Echo in Herta’s halbgebrochenem Herzen erweckenden<br />

Phrasen ausgerüstet, daß ihr das Unbegreifliche<br />

in kurzer Frist gelang, nämlich ihrer Nichte

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