Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 456 — Um dieselbe Zeit saß Haideröschen in der geräumigen Wohnstube Ehrholds auf der Bank am Fenster, ließ flink das Rädchen schnurren und zupfte mit ihren schlanken Fingern, die ungeachtet der harten Arbeit, der sie sich in der Wirthschaft unterziehen mußte, immer weiß und zart blieben, den silbernen Flachs vom Rocken, um das feinste Garn daraus zu spinnen. Es war dasselbe Rädchen, derselbe Rockenhalter, den sie am lustigen Abend der letzten Spinte gebraucht hatte. Seitdem war blos ein halbes Jahr vergangen und ach, welche Tage des Kummers, welche schlaflos durchwachten, thränenreichen Nächte lagen dazwischen! – Sie war Frau, die geliebte Frau ihres Erwählten geworden, sie fühlte ein zum Leben erwachendes Leben unter ihrem Herzen sich regen, und sie schauderte vor diesem erwachenden Leben, und Gedanken trüben Wahnsinns ließen ihre Brandmale in der gepeinigten Seele zurück; denn sie konnte und durfte ja den geliebten Gatten nicht Vater nennen! Selbst der Name Mutter machte sie erbeben und häufig in Krämpfe und ohnmächtige Erstarrung fallen. Seit der unseligen Hochzeitsnacht, die für sie die letzte Nacht irdischer Freuden gewesen war, trug sie die halbe Trauer. Ein schwarzer lündischer 1 Faltenrock umhüllte ihre zarten Glieder. Das bunte Tuch von lebhaften Farben mußte einem schlichten weißen Linnentuch weichen, das sie um Hals und Busen legte. Eben 1 So genannt, weil das Zeuch früher aus Lund bezogen wurde.
— 457 — so verhüllte sie sich den Kopf und die schönen seidenweichen goldblonden Haare, die in ein dickes Nestchen gewunden unter der Frauenhaube um verlorenes Glück und geraubte Unschuld trauerten. Die aufknospenden Lockenröschen, die ihrem Gesicht einen so eigenthümlichen Ausdruck schalkhaften Reizes gegeben hatten, waren verschwunden. Ging sie aus, so warf sie noch ein weißes Tuch über Kopf und Schulter, so daß nur das jetzt bleicher gewordene trauernde Gesicht und die schönen melancholisch tiefen Augen sichtbar blieben. Mit immer gleicher Beharrlichkeit zupfte Haideröschen die zartesten Fäden aus dem schimmernden Flachse und drehte taktmäßig ihr schnurrendes Rädchen, ohne des Pochens und Schütterns an den Holzwänden zu achten, welche Clemens und sein Vater mit Laub und Stroh gegen die Winterkälte verwahrten. Der schnelle Tod des Grafen Erasmus beschäftigte auch sie und über dem Unglücke Herta’s, das in wenigen Tagen zum lauten Geheimniß geworden war, vergaß sie ihr eigenes, der verehrten Herrin so ähnliches Leid. Nun begriff sie auf einmal das tiefe Verstummen, das entsetzliche Hinstarren des Fräuleins nach jener räthselhaften Nacht, ja sie wunderte sich fast, daß ein so zartes, schönes und gebildetes Wesen, wie Herta es in ihren und Aller Augen war, das Gräßliche hatte überleben können, ohne den Verstand zu verlieren.
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Um dieselbe Zeit saß Haideröschen in der geräumigen<br />
Wohnstube Ehrholds auf der Bank am Fenster,<br />
ließ flink das Rädchen schnurren und zupfte mit ihren<br />
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der sie sich in der Wirthschaft unterziehen mußte, immer<br />
weiß und zart blieben, den silbernen Flachs vom<br />
Rocken, um das feinste Garn daraus zu spinnen. Es<br />
war dasselbe Rädchen, derselbe Rockenhalter, den sie<br />
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Seitdem war blos ein halbes Jahr vergangen und ach,<br />
welche Tage <strong>des</strong> Kummers, welche schlaflos durchwachten,<br />
thränenreichen Nächte lagen dazwischen! –<br />
Sie war Frau, die geliebte Frau ihres Erwählten geworden,<br />
sie fühlte ein zum Leben erwachen<strong>des</strong> Leben<br />
unter ihrem Herzen sich regen, und sie schauderte<br />
vor diesem erwachenden Leben, und Gedanken trüben<br />
Wahnsinns ließen ihre Brandmale in der gepeinigten<br />
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Gatten nicht Vater nennen! Selbst der Name<br />
Mutter machte sie erbeben und häufig in Krämpfe und<br />
ohnmächtige Erstarrung fallen.<br />
Seit der unseligen Hochzeitsnacht, die für sie die<br />
letzte Nacht irdischer Freuden gewesen war, trug sie<br />
die halbe Trauer. Ein schwarzer lündischer 1 Faltenrock<br />
umhüllte ihre zarten Glieder. Das bunte Tuch von lebhaften<br />
Farben mußte einem schlichten weißen Linnentuch<br />
weichen, das sie um Hals und Busen legte. Eben<br />
1 So genannt, weil das Zeuch früher aus Lund bezogen wurde.