Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 448 — An alle dem hatte bei Lebzeiten der unglücklichen Frau Niemand gezweifelt, jetzt aber durch des Irrsinnigen Reden aufmerksam gemacht, erhoben sich ganz im geheim einzelne Stimmen, welche andeutungsweise behaupteten, es sei damals bei der Entbindung von Nathanaels Frau nicht ganz nach Recht und Gerechtigkeit zugegangen! Ihr Kind habe wohl gelebt, indeß – später sei es als todtgeboren begraben worden! – Solche Gerüchte liefen, wie gesagt, jetzt um, allein wer hätte Zeit, Lust und Bedürfniß gehabt, ihrem Ursprunge nachzuspüren und die Wahrheit zu ermitteln! Die arme Frau war todt, Nathanael verrückt und sein Vater hatte mit der einzigen Tochter Kummer genug, als daß irgend einer seiner Mitbrüder ihm eines hohlen Gerüchtes wegen das Herz noch mehr hätte beschweren mögen. – Fast alle Tage besuchte der bekümmerte Vater seinen unglücklichen Sohn, um ein paar Worte mit ihm zu reden und sich von seinem elenden Hinvegetiren zu überzeugen. Stand Nathanael Wache vor der Thür, so ließ er den Vater nicht in’s Haus, denn er behauptete dann, sein Knabe sei drinnen in der Pension, werde zum vornehmen Herrn erzogen und erhalte jetzt eben Unterricht in feiner Lebensart; wer nun da Einlaß begehre, der beabsichtige, ihn zu entführen und wieder unter die Bauern zu verstoßen. Lag dagegen das blasse Gesicht des Wahnsinnigen in der fehlenden Fensterscheibe, so durfte Sloboda eintreten und dann erzählte
— 449 — ihm Nathanael die Verirrung seines Kindes beim Begräbniß der Mutter. Um diese beiden fixen Ideen drehte sich nun schon seit langen Monaten der Gedankengang des Unglücklichen. – Am Tage nach Heinrich’s nächtlicher Zusammenkunft mit Lips machte Sloboda seinen gewöhnlichen Besuch im Gemeindehause. Es war nach der stürmischen Schneenacht, wie dies zu Anfang Herbst oft geschieht, am Morgen wieder ganz still und warm geworden und die Sonne schien so erquickend mild, daß man hätte glauben können, der Lenz sei eben angebrochen. Nathanael lag mit dem lächelnden Gesicht im Fensterloche und sah mit den blödsinnigen, ausdruckslos gläsernen Augen auf die Haide, über deren blauschwarzem Walle die äußersten Thurmspitzen des fernen Schlosses Boberstein deutlich zu erkennen waren. »Guten Tag, Nathanael,« sagte Sloboda grüßend, »es will nochmals Sommer werden, scheint es.« »Er kommt doch nicht wieder,« entgegnete mit traurigem Kopfschütteln der Wahnsinnige, indem er das Fenster verließ, um seinem Vater bis an die Stubenthür entgegen zu gehen. Außer ihm war noch eine alte Frau in der dunstigen schmutzigen Stube, die auf der Ofenbank saß und die Spindel drehte. Ein paar Überreste von Dielen waren erst am Morgen aufgebrochen und in kleine Stückchen zerspalten worden, um Feuer damit anzumachen, denn das Reißig war ausgegangen und die Gemeinde hatte
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ihm Nathanael die Verirrung seines Kin<strong>des</strong> beim Begräbniß<br />
der Mutter. Um diese beiden fixen Ideen drehte<br />
sich nun schon seit langen Monaten der Gedankengang<br />
<strong>des</strong> Unglücklichen. –<br />
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mit Lips machte Sloboda seinen gewöhnlichen<br />
Besuch im Gemeindehause. Es war nach der stürmischen<br />
Schneenacht, wie dies zu Anfang Herbst oft geschieht,<br />
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und die Sonne schien so erquickend mild, daß man<br />
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Nathanael lag mit dem lächelnden Gesicht im Fensterloche<br />
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gläsernen Augen auf die Haide, über deren blauschwarzem<br />
Walle die äußersten Thurmspitzen <strong>des</strong> fernen<br />
Schlosses Boberstein deutlich zu erkennen waren.<br />
»Guten Tag, Nathanael,« sagte Sloboda grüßend, »es<br />
will nochmals Sommer werden, scheint es.«<br />
»Er kommt doch nicht wieder,« entgegnete mit traurigem<br />
Kopfschütteln der Wahnsinnige, indem er das<br />
Fenster verließ, um seinem Vater bis an die Stubenthür<br />
entgegen zu gehen.<br />
Außer ihm war noch eine alte Frau in der dunstigen<br />
schmutzigen Stube, die auf der Ofenbank saß und die<br />
Spindel drehte. Ein paar Überreste von <strong>Die</strong>len waren<br />
erst am Morgen aufgebrochen und in kleine Stückchen<br />
zerspalten worden, um Feuer damit anzumachen, denn<br />
das Reißig war ausgegangen und die Gemeinde hatte