Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 302 — Sohn nicht etwa Ursache haben zu erröthen? Ich will jetzt nicht weiter gehen, Magnus, ich gebe Dir nur zu bedenken, daß ein böses Gerücht umläuft unter dem Volke über den Tod von Jan Sloboda’s Schwiegertochter, und daß ich alter Mann nicht vermag, diesem Gerücht die Zunge auszureißen!« »Geschwätz, rachsüchtige Verleumdungen derer, die ich wegen Waldfrevel bestrafen ließ.« »Ich sprach die Sterbende,« sagte Erasmus mit einem Tone, der furchtbar klang und selbst Magnus erblassen machte. »Sie hat mir, mir ganz allein gebeichtet und auf ihren Wunsch habe ich ihre Beichte tief in mein bekümmertes Herz verschlossen. Doch glaube mir, Magnus, daß ich seitdem an jedem Abend mein Haupt mit schwerem Kummer zur Ruhe lege, daß ich die Zukunft, daß ich Deine Zukunft fürchte!« Gräfin Utta blickte zum ersten Male mit Entsetzen auf ihren Liebling, in der Hoffnung, daß der Ausdruck seiner Züge ihr zu muthiger Entgegnung Anlaß geben werde. Aber sie bebte in sich selbst zurück vor Magnus. Dieser stand wie leblos vor seinem mit finsterm Richterauge zu ihm aufblickenden Vater. Seine Hände zitterten sichtbar und das Antlitz mit der schwarzen Binde glich vollkommen weißem Marmor. Er hatte die Augen fest auf den Boden geheftet. Weil ihm die Kräfte versagten, sank er auf den Stuhl nieder, auf dessen Lehne er sich bisher in eitler Selbstgefälligkeit gestützt hatte. Es mußte ein furchtbares Geheimniß sein, zu dessen
— 303 — Kenntniß der alte Graf gekommen war und das er jetzt im entscheidenden Augenblick als niederschmetternde Waffe gegen seinen eigenen Sohn gebrauchte. Eine beklemmende Pause trat ein, die Niemand zu unterbrechen wagte. Um diese Todtenstille aufhören zu lassen, die wie ein Sargdeckel über den Häuptern der Familie schwebte, fing Herta an, mit dem Theegeschirr zu klappern. Dies gab dem alten Grafen auf’s Neue Fassung, und da es nun einmal zu einer Aussprache gekommen war, ergriff er abermals das Wort und wendete sich damit fast ausschließlich an seinen Sohn. »Es scheint, als verkenntest Du ganz die Pflichten des Herrn gegen seine Untergebenen,« sagte er. »Dir und leider tausend Andern, welche Dir gleichen, sind alle Unterthanen nur Werkzeuge, nur Maschinen, die man abnutzen kann nach Belieben und zu seinem Vergnügen. Du glaubst blos Forderungen, keine Pflichten an sie zu haben. Es sollte aber die Ehre des Adels sein, die Unterthanen zu schirmen, sich in Noth und Jammer ihrer anzunehmen, sie zu bilden, zu erziehen und aus der dumpfen Atmosphäre geistiger Erniedrigung, in der sie schmachten, emporzuheben in die heitere Luft einer hellern Denkungsart, eines bessern Daseins! Was soll denn aus uns und der Welt werden, wenn wir immer nur auf einem Punkte uns fortdrehen wollen, wie wahnsinnige Derwische? Wir müssen zuletzt in völlige Apathie versinken und als blödsinnige Schwächlinge
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Sohn nicht etwa Ursache haben zu erröthen? Ich will<br />
jetzt nicht weiter gehen, Magnus, ich gebe Dir nur zu<br />
bedenken, daß ein böses Gerücht umläuft unter dem<br />
Volke über den Tod von Jan Sloboda’s Schwiegertochter,<br />
und daß ich alter Mann nicht vermag, diesem Gerücht<br />
die Zunge auszureißen!«<br />
»Geschwätz, rachsüchtige Verleumdungen derer, die<br />
ich wegen Waldfrevel bestrafen ließ.«<br />
»Ich sprach die Sterbende,« sagte Erasmus mit einem<br />
Tone, der furchtbar klang und selbst Magnus erblassen<br />
machte. »Sie hat mir, mir ganz allein gebeichtet und<br />
auf ihren Wunsch habe ich ihre Beichte tief in mein<br />
bekümmertes Herz verschlossen. Doch glaube mir, Magnus,<br />
daß ich seitdem an jedem Abend mein Haupt mit<br />
schwerem Kummer zur Ruhe lege, daß ich die Zukunft,<br />
daß ich Deine Zukunft fürchte!«<br />
Gräfin Utta blickte zum ersten Male mit Entsetzen<br />
auf ihren Liebling, in der Hoffnung, daß der Ausdruck<br />
seiner Züge ihr zu muthiger Entgegnung Anlaß geben<br />
werde. Aber sie bebte in sich selbst zurück vor Magnus.<br />
<strong>Die</strong>ser stand wie leblos vor seinem mit finsterm<br />
Richterauge zu ihm aufblickenden Vater. Seine Hände<br />
zitterten sichtbar und das Antlitz mit der schwarzen<br />
Binde glich vollkommen weißem Marmor. Er hatte die<br />
Augen fest auf den Boden geheftet. Weil ihm die Kräfte<br />
versagten, sank er auf den Stuhl nieder, auf <strong>des</strong>sen Lehne<br />
er sich bisher in eitler Selbstgefälligkeit gestützt hatte.<br />
Es mußte ein furchtbares Geheimniß sein, zu <strong>des</strong>sen