Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

finanz.math.tugraz.at
von finanz.math.tugraz.at Mehr von diesem Publisher
26.12.2012 Aufrufe

— 282 — ein entschiedener Revolutionär, gefahrvoll für die Jugend, gefahrvoll für das ungebildete Volk! Er redet Ideen das Wort, die, griffen sie Platz im Leben, unsere ganze Existenz bedrohten. Namentlich richtet er seine, ich gebe es zu, furchtbaren Schwerthiebe gegen die höchsten Stände und schon deßhalb müssen wir ihn ignoriren. Ignoriren ist eine höchst empfindliche Strafe, die mehr wirkt, als Lärm! – Dies meine Meinung, liebes Herzchen, und nun sage mir, weßhalb Du von der Lectüre so nachdenkend gestimmt worden bist?« »Erlasse mir dies, guter Onkel,« versetzte Herta. »Ich müßte die herrlichen Worte, die königlichen Gedanken, welche alle Menschen, ja die ganze Welt mit gleicher Liebe umfassen, auswendig wissen, wenn ich Dir ein nur schwaches Bild von dem Gemälde entwerfen wollte, das jeden Guten entzücken muß. Nein, Oheim, lies es selbst das Buch! Lies es ohne Vorurtheil, in völlig reiner Geistesstimmung, und dann sage mir unumwunden, was Du davon hältst. Verurtheilst Du meinen Schützling, so verspreche ich Dir, meine Hand von ihm abzuziehen.« »Brav, mein Mädchen!« sagte Erasmus, zog die schlanke Gestalt an sich und küßte sie auf die im Feuer der Begeisterung leuchtende Wange. »Du hast Recht, man muß prüfen, ehe man urtheilt oder gar verdammt.« »Aber sage mir doch, kleiner Schalk,« warf die Gräfin ein, gewaltsam ihren Verdruß über die Milde und

— 283 — Nachgiebigkeit ihres Gemahls niederkämpfend, »wie bist Du denn zu diesen aufregenden Büchern gekommen?« Herta preßte feurig die Hand der Tante an ihre schwellenden Lippen. »Nicht zürnen, beste Tante!« sagte sie, so hold bittend, mit so engelsanftem Blick der großen schönen Augen, daß Weigerung nicht möglich war. Die Gräfin gewährte die Bitte durch gnädiges Kopfnicken. »Also,« fuhr Herta munter und treuherzig fort, »so hört mich denn! Einige Meilen von hier gegen die Berge hin wohnt ein wunderlicher, aber herzensguter Mann, der sich durch Unterricht der Dorfkinder kümmerlich genug sein Brod erwirbt. Er ist Schulmeister und heißt Gregor. Wenigstens kennt ihn Groß und Klein unter diesem Namen. Ich halte den guten Mann nicht eben für sehr gelehrt, dazu ist er zu steif und unbeweglich, auch mag er wohl nicht viel Zeit zum Studiren übrig behalten, aber für Besorgung des geringsten Auftrages, den man ihm giebt, läßt sich Keiner bereitwilliger finden.« »Bauernschulmeister!« bemerkte hier die Gräfin und wehte sich mit dem aufgeschlagenen Fächer Luft zu. »Dorfschulmeister,« verbesserte Herta etwas boshaft. »Nun siehst Du, dieser ganz prächtige Mann ist ein leidenschaftlicher Bienenvater und als solcher sehr geübt und gesucht. Schon im vorigen Jahre sah ich

— 282 —<br />

ein entschiedener Revolutionär, gefahrvoll für die Jugend,<br />

gefahrvoll für das ungebildete Volk! Er redet Ideen<br />

das Wort, die, griffen sie Platz im Leben, unsere ganze<br />

Existenz bedrohten. Namentlich richtet er seine, ich<br />

gebe es zu, furchtbaren Schwerthiebe gegen die höchsten<br />

Stände und schon deßhalb müssen wir ihn ignoriren.<br />

Ignoriren ist eine höchst empfindliche Strafe, die<br />

mehr wirkt, als Lärm! – <strong>Die</strong>s meine Meinung, liebes<br />

Herzchen, und nun sage mir, weßhalb Du von der Lectüre<br />

so nachdenkend gestimmt worden bist?«<br />

»Erlasse mir dies, guter Onkel,« versetzte Herta. »Ich<br />

müßte die herrlichen Worte, die königlichen Gedanken,<br />

welche alle Menschen, ja die ganze Welt mit gleicher<br />

Liebe umfassen, auswendig wissen, wenn ich Dir<br />

ein nur schwaches Bild von dem Gemälde entwerfen<br />

wollte, das jeden Guten entzücken muß. Nein, Oheim,<br />

lies es selbst das Buch! Lies es ohne Vorurtheil, in völlig<br />

reiner Geistesstimmung, und dann sage mir unumwunden,<br />

was Du davon hältst. Verurtheilst Du meinen<br />

Schützling, so verspreche ich Dir, meine Hand von ihm<br />

abzuziehen.«<br />

»Brav, mein Mädchen!« sagte Erasmus, zog die<br />

schlanke Gestalt an sich und küßte sie auf die im<br />

Feuer der Begeisterung leuchtende Wange. »Du hast<br />

Recht, man muß prüfen, ehe man urtheilt <strong>oder</strong> gar verdammt.«<br />

»Aber sage mir doch, kleiner Schalk,« warf die Gräfin<br />

ein, gewaltsam ihren Verdruß über die Milde und

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!