Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 278 — »Ach ja, das bin ich auch, Onkel, aber von weiter nichts, als der Lectüre.« »Was lasest Du?« fragte schneidend scharf die Gräfin. »Ein deutsches Buch,« erwiederte kaum halblaut das junge Mädchen. »Herta,« versetzte die Gräfin ruhig, aber in befehlendem Tone, »ich habe Dich schon so häufig ermahnt, diese rohe, unzarte und alle ächte Bildung zerstörende Lectüre aufzugeben, aber es scheint nicht, daß meine mütterlichen Warnungen etwas bei Dir fruchten. Wie hab’ ich solchen Undank verdient? Fehlt es Dir etwa an bildender Unterhaltung? Die gesammte Bibliothek steht Dir zu Gebote, Du brauchst mir Deine Wünsche nur zu nennen. Altes und Neues ist reichlich vorhanden, alle Schriften der geistreichsten französischen Autoren, denen gebildete Geister allein Geschmack abgewinnen können und dürfen, öffnen sich Dir. Warum also diese Abweichung vom Wege der Pflicht und guten Sitte? Warum diese abscheuliche Vorliebe für unsere neuesten plumpen deutschen Schriftsteller, denen ich kaum diesen Namen zugestehen möchte? Es ist nicht einer darunter, der wahrhafte Lebensart besitzt. Sie lieben alle den Verkehr mit dem Pöbel und incanaillisiren sich durch so entwürdigenden Umgang. Ja habe ich doch sogar von einer Freundin hören müssen,

— 279 — daß mehrere dieser Menschen, von denen der ungebildete Haufe jetzt so großes Geschrei macht, sich zuweilen betrinken! Fi donc! Sich betrinken, wie unsere wendischen Holzbauern! – Das allein verdirbt mir allen Geschmack, macht, daß ich jedem Buche so roher Menschen den Zutritt in mein reines Zimmer verwehre, und enthielte es selbst entzückende Dinge. Nur der Mann der Gesellschaft, der feinen Lebensart kann Werke schreiben, die uns fesseln und gefallen! – Was lasest Du?« Herta warf einen fragenden Blick auf den Grafen, der mit stillem Lächeln dieser Strafrede seiner Gattin zugehört hatte. Erasmus verstand seinen Liebling und sagte mit leichtem Augenblinken, das Herta Unterstützung verhieß: »Ja, Liebe, das möchte ich auch wissen.« Das Mädchen senkte wieder die Blicke, und während sie Wasser in die Theekanne goß, was eigentlich ein Eingriff in die Rechte der Gräfin war, erwiederte sie: »Es war das neue Trauerspiel von Schiller, von dem die Zeitungen so viel sprachen. Don Karlos, Infant von Spanien hat es der Dichter genannt.« »Von Schiller?« fiel die Gräfin ein. »Ist das nicht der aufrührerische Taugenichts, der heimlich seinem gnädigen Herrn entlaufen ist und das abscheuliche, schwülstige, der lästerlichsten Gedanken volle Buch ›Die Räuber‹ geschrieben hat? Ein sauberer Mensch, dieser Schiller! Die Polizei sollte auf ihn fahnden und

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»Ach ja, das bin ich auch, Onkel, aber von weiter<br />

nichts, als der Lectüre.«<br />

»Was lasest Du?« fragte schneidend scharf die Gräfin.<br />

»Ein deutsches Buch,« erwiederte kaum halblaut das<br />

junge Mädchen.<br />

»Herta,« versetzte die Gräfin ruhig, aber in befehlendem<br />

Tone, »ich habe Dich schon so häufig ermahnt,<br />

diese rohe, unzarte und alle ächte Bildung zerstörende<br />

Lectüre aufzugeben, aber es scheint nicht, daß meine<br />

mütterlichen Warnungen etwas bei Dir fruchten. Wie<br />

hab’ ich solchen Undank verdient? Fehlt es Dir etwa<br />

an bildender Unterhaltung? <strong>Die</strong> gesammte Bibliothek<br />

steht Dir zu Gebote, Du brauchst mir Deine Wünsche<br />

nur zu nennen. Altes und Neues ist reichlich vorhanden,<br />

alle Schriften der geistreichsten französischen Autoren,<br />

denen gebildete Geister allein Geschmack abgewinnen<br />

können und dürfen, öffnen sich Dir. Warum also<br />

diese Abweichung vom Wege der Pflicht und guten<br />

Sitte? Warum diese abscheuliche Vorliebe für unsere<br />

neuesten plumpen deutschen Schriftsteller, denen ich<br />

kaum diesen Namen zugestehen möchte? Es ist nicht<br />

einer darunter, der wahrhafte Lebensart besitzt. Sie<br />

lieben alle den Verkehr mit dem Pöbel und incanaillisiren<br />

sich durch so entwürdigenden Umgang. Ja habe<br />

ich doch sogar von einer Freundin hören müssen,

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