Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 24 — »Mit den Jahren kommt der Schlaf nur langsam, doch laß Dich dadurch nicht in Deiner Ruhe stören, Paul!« »Mir ist’s, als hätt’ ich schon ausgeschlafen. Hört nur, wie es regnet!« »Haidewetter, nichts weiter!« »Großvater, ich möcht’ Euch was fragen.« »Wer verwehrt es Dir?« »Haben wir noch weit bis an den Ort, wo meine selige Mutter geboren ward?« »Nein, Paul! Wir kommen aber vor jetzt nicht dahin.« »Aber warum denn nicht? Ich möchte so gern das Haus sehen, wo sie gewohnt, wo sie Euch gepflegt und geliebt hat.« Der Greis richtete sich auf und wendete sein patriarchalisches Gesicht dem Enkel zu. Die hüpfenden bläulich rothen Flämmchen am Kamin beleuchteten ruckweise seine ausdrucksvollen, von Schmerz durchfurchten, aber in Demuth gefaßten Züge. »Paul,« sprach er, »ich habe, als wir zusammen die weite Reise antraten, versprochen, deren Veranlassung und Zweck Dir an dem Tage zu erklären, wo wir das Land unserer Väter betreten würden. Dieser Tag ist gekommen, und da es scheint, als wolle Gott mein Gebet erhören und mir die letzten Stunden meines Lebens aufheitern, so will ich gleich jetzt mein Wort lösen und Dich, so weit es frommt, in das einweihen, was die Zukunft auch von Dir erheischen wird.

— 25 — »Du hast mich oftmals gefragt,« fuhr der Greis fort, »weßhalb ich, da es doch sonst Niemand zu thun pflegt, mit ledernem Riemen mir Haar und Stirn umwinde? Es geschieht dies zur Erinnerung an eine schwere und furchtbare Vergangenheit, deren Schauplatz diese endlose Haide und deren Umgegend ist. Oft, lieber Paul, ehe die blutige Revolution in Polen ausbrach, hast Du den Zustand der elenden unwissenden Bauern beklagt, die jeder Laune ihrer hochmüthigen, brutalen Herren demüthig nachkommen müssen und nicht einmal murren dürfen, wenn sie unmenschlich gemißhandelt, gleich dem Vieh mit Füßen getreten werden. Es ist dies das beklagenswerthe, empörende Loos aller Leibeigenen, es war auch das meine, Paul, als ich hier lebte, denn Dein Großvater war ein Leibeigener!« Hier überwältigte das Gefühl den alten Wenden, die Stimme versagte ihm, in lautem Schluchzen und weinend barg er sein Antlitz in die zitternden Hände. »O Gott, o Gott!« rief Paul. »Wie kann dies möglich sein!« »Es war noch weit mehr möglich,« versetzte der Greis, sich wieder beruhigend. »Höre mich an und schweige! – Wir, die wir einem und demselben Herrn unterthan waren, wir erhielten von ihm am Tage der Confirmation den Stirnriemen als Schmuck und Zierde, wenn Du willst als Abzeichen. Wie man den Schaafen mit glühendem Eisen eine Ziffer in ihre Wolle

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»Du hast mich oftmals gefragt,« fuhr der Greis fort,<br />

»weßhalb ich, da es doch sonst Niemand zu thun<br />

pflegt, mit ledernem Riemen mir Haar und Stirn umwinde?<br />

Es geschieht dies zur Erinnerung an eine<br />

schwere und furchtbare Vergangenheit, deren Schauplatz<br />

diese endlose Haide und deren Umgegend ist.<br />

Oft, lieber Paul, ehe die blutige Revolution in Polen<br />

ausbrach, hast Du den Zustand der elenden unwissenden<br />

Bauern beklagt, die jeder Laune ihrer hochmüthigen,<br />

brutalen Herren demüthig nachkommen müssen<br />

und nicht einmal murren dürfen, wenn sie unmenschlich<br />

gemißhandelt, gleich dem Vieh mit Füßen getreten<br />

werden. Es ist dies das beklagenswerthe, empörende<br />

Loos aller Leibeigenen, es war auch das meine, Paul,<br />

als ich hier lebte, denn Dein Großvater war ein Leibeigener!«<br />

Hier überwältigte das Gefühl den alten Wenden, die<br />

Stimme versagte ihm, in lautem Schluchzen und weinend<br />

barg er sein Antlitz in die zitternden Hände.<br />

»O Gott, o Gott!« rief Paul. »Wie kann dies möglich<br />

sein!«<br />

»Es war noch weit mehr möglich,« versetzte der<br />

Greis, sich wieder beruhigend. »Höre mich an und<br />

schweige! – Wir, die wir einem und demselben Herrn<br />

unterthan waren, wir erhielten von ihm am Tage der<br />

Confirmation den Stirnriemen als Schmuck und Zierde,<br />

wenn Du willst als Abzeichen. Wie man den Schaafen<br />

mit glühendem Eisen eine Ziffer in ihre Wolle

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