Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 216 — Sinnigkeit, auf tiefes und leicht verletzbares Gemüth keine Rücksicht genommen wurde. Unter den neu angezogenen Mädchen befand sich namentlich eins, das einen unüberwindlichen Abscheu vor den an sich unschädlichen und völlig harmlosen Heimchen hatte. Es kam wohl vor, daß einige dieser Thierchen während der Mahlzeit in die riesengroße Schüssel fielen, in welcher die Suppe aus Roggenmehl dampfte. Die Knechte fischten dann die zappelnden Geschöpfchen, ohne sich den Appetit dadurch im Geringsten verderben zu lassen, mit ihren Löffeln heraus und warfen sie unter den Tisch. Marie aber kreischte laut auf, wurde blaß vor Ekel und legte den Löffel aus der Hand. Dies reichte hin, um das arme Kind zum Sündenbock für alles Gesinde zu machen. Stillschweigend kam man überein, sich gemeinschaftlich an dem Schreck des Mädchens zu ergetzen und ihr regelmäßig die ärmliche Mahlzeit zu verderben. Kaum war nämlich das Gebet gesprochen, das man niemals vergaß, so strich der oberste Knecht, der als solcher den Ehrennamen Großknecht führte, mit halb zugebogener Hand flach über die Wand, raffte damit eine Menge Heimchen zusammen und warf sie lachend auf die Stelle der Schüssel, wo Marie ihren Löffel eintauchen mußte. Dadurch ward das bedauernswerthe Mädchen regelmäßig um ihre Mahlzeit betrogen, da sie durchaus

— 217 — den Ekel vor den geflügelten Thieren nicht überwinden konnte. Sie mußte wider Willen fasten und magerte zusehends ab. Die übrigen Knechte aber fanden den Spaß unübertrefflich, aßen nur mit desto größerem Appetit und wollten sich über die Gebehrden des entsetzten Mädchens zu Tode lachen. Wenn jedoch ein jüngerer Knecht dem Vorsitzenden in’s Handwerk pfuschen und dasselbe Manöver auf seine eigene Faust machen wollte, gebrauchte der Großknecht sein Recht, indem er gelassen die Heimchen zählte und dem Vorwitzigen eine gleiche Anzahl sehr derber Maulschellen verabreichte. Diese bewirkten dann, daß dem Bestraften nicht allein die Lust zum Essen auf der Stelle gänzlich verging, sondern daß er auch noch den nächsten Tag darauf verzichten mußte, das harte schwarze Hofebrod zu beißen, weil er vor Schmerzen keinen Zahn gebrauchen konnte. Marie hatte so eben zur Unterhaltung ihrer übrigen Mitdienstboten wieder auf ihr Abendbrod verzichtet und stand betrübt am Ofen, mit Mühe die Zähren zurückhaltend, die ihr in’s Auge stürzten. Sie fühlte doppelten Hunger, da sie sich im Kretscham müde getanzt hatte und nun, weil sie keine Suppe essen wollte, auch weder Kartoffeln noch Brod erhielt. Diese Behandlung war unstreitig herzlos, grausam und unwürdig, allein der Großknecht dachte nicht daran. Er hatte im Gegentheil das Mädchen sehr gern und behandelte sie in seiner Weise nur so brutal, um sie

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Sinnigkeit, auf tiefes und leicht verletzbares Gemüth<br />

keine Rücksicht genommen wurde.<br />

Unter den neu angezogenen Mädchen befand sich<br />

namentlich eins, das einen unüberwindlichen Abscheu<br />

vor den an sich unschädlichen und völlig harmlosen<br />

Heimchen hatte. Es kam wohl vor, daß einige dieser<br />

Thierchen während der Mahlzeit in die riesengroße<br />

Schüssel fielen, in welcher die Suppe aus Roggenmehl<br />

dampfte. <strong>Die</strong> Knechte fischten dann die zappelnden<br />

Geschöpfchen, ohne sich den Appetit dadurch im Geringsten<br />

verderben zu lassen, mit ihren Löffeln heraus<br />

und warfen sie unter den Tisch. Marie aber kreischte<br />

laut auf, wurde blaß vor Ekel und legte den Löffel<br />

aus der Hand. <strong>Die</strong>s reichte hin, um das arme Kind zum<br />

Sündenbock für alles Gesinde zu machen. Stillschweigend<br />

kam man überein, sich gemeinschaftlich an dem<br />

Schreck <strong>des</strong> Mädchens zu ergetzen und ihr regelmäßig<br />

die ärmliche Mahlzeit zu verderben. Kaum war nämlich<br />

das Gebet gesprochen, das man niemals vergaß, so<br />

strich der oberste Knecht, der als solcher den Ehrennamen<br />

Großknecht führte, mit halb zugebogener Hand<br />

flach über die Wand, raffte damit eine Menge Heimchen<br />

zusammen und warf sie lachend auf die Stelle<br />

der Schüssel, wo Marie ihren Löffel eintauchen mußte.<br />

Dadurch ward das bedauernswerthe Mädchen regelmäßig<br />

um ihre Mahlzeit betrogen, da sie durchaus

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