Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 196 — Haideröschen hätte gebildeter sein müssen, als sie es war, um diese Rede des Grafen vollkommen verstehen zu können. Sie hörte ihm zwar aufmerksam zu, aber sie wußte doch eigentlich nicht, was er mit all’ den schönen Worten hatte sagen wollen. Nur die milde Freundlichkeit, die unveränderlich seine interessanten Züge geistig belebte und verschönerte, machten sie begierig, noch mehr zu vernehmen, Sie stützte daher das feine Köpfchen in ihre Hand und wandte mit schalkhaft klugem Lächeln, dem eine entzückende kindliche Unwissenheit inne wohnte, das Gesicht dem Grafen zu. »Wenn ich von dem Verdienen der Freiheit spreche,« fuhr Magnus fort, »so will ich damit nichts Anderes sagen, als daß ich wünsche, es möge jeder Einzelne meiner Unterthanen die guten Absichten anerkennen, die meinen Handlungen stets zum Grunde liegen. Von Dir, Röschen, verlange ich das vor Andern. Du bist klug und alt genug, um mich zu verstehen. Der Instinct, welchen die Natur Deinem Geschlecht in so reichem Maße verliehen hat, sagt Dir schon von selbst, was am meisten dazu dienen kann, Dich mir gefällig zu machen. Ohne Dir einen Wink zu geben, bist Du von selbst darauf gefallen, diese unschönen Kleider mit zarteren, geschmackvolleren Hüllen vertauschen zu wollen. Sieh, mein Kind, das nenne ich natürliches Talent, Anlage, meine Gedanken zu errathen. Mit dem Kleide wirst Du unmerklich auch Deine Wünsche, Deine Erwartungen, Deine Gefühle wechseln. Glaube mir, es ist gar

— 197 — nicht gleichgiltig, wie man sich kleidet! Der rohe Stoff, die grobe, unschöne Tracht drückt mit lähmender Gewalt unsere geistigen Anlagen nieder und stumpft alles feinere Gefühl ab, während die leichte, schimmernde, weiche Hülle, die sich sanft den Formen anschmiegt, unsern Gedanken Schwung und Kraft, unsern Empfindungen dauernden Reiz, unserm Willen erhöhte Festigkeit und einen schönen vornehmen Stolz verleiht. – Vermöchte es der Bettler über sich, die Lumpen, die seine Blöße decken, von sich zu werfen und der Unreinlichkeit zu entsagen, an die ihn sein faules Leben gewöhnt hat, wahrlich, er würde sich alsbald seiner selbst schämen und in Kurzem ein anderer, ein besserer Mensch werden! Und so hoffe ich, soll der Geist der Anmuth, der feineren Sitten, der größeren Lebensgewandtheit auch in Deinem schuldlosen Busen mit dem Kleidertausche, den Du wünschest, einziehen. Dafür mußt Du mir jedoch einen Gefallen thun.« Röschens Bezauberung, die mit ihrer Ankunft auf dem Edelhofe begonnen hatte und in welcher sie wie in einer Welt wunderbarer Träume seitdem lebte, ward immer gewaltiger. Sie fühlte sich von den lockenden Tönen, die von des Grafen Lippe fielen und um ihre Schläfen schmeichelten, wie von einer reizenden Musik berauscht, und ohne zu ahnen, was man eigentlich mit ihr vorhabe oder von ihr wolle, gab sie jetzt durch billigendes Kopfnicken zu erkennen, daß sie die Meinung ihres klugen Gebieters zu theilen bereit sei.

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Haideröschen hätte gebildeter sein müssen, als sie<br />

es war, um diese Rede <strong>des</strong> Grafen vollkommen verstehen<br />

zu können. Sie hörte ihm zwar aufmerksam zu,<br />

aber sie wußte doch eigentlich nicht, was er mit all’<br />

den schönen Worten hatte sagen wollen. Nur die milde<br />

Freundlichkeit, die unveränderlich seine interessanten<br />

Züge geistig belebte und verschönerte, machten sie begierig,<br />

noch mehr zu vernehmen, Sie stützte daher das<br />

feine Köpfchen in ihre Hand und wandte mit schalkhaft<br />

klugem Lächeln, dem eine entzückende kindliche<br />

Unwissenheit inne wohnte, das Gesicht dem Grafen zu.<br />

»Wenn ich von dem Verdienen der Freiheit spreche,«<br />

fuhr Magnus fort, »so will ich damit nichts Anderes sagen,<br />

als daß ich wünsche, es möge jeder Einzelne meiner<br />

Unterthanen die guten Absichten anerkennen, die<br />

meinen Handlungen stets zum Grunde liegen. Von Dir,<br />

Röschen, verlange ich das vor Andern. Du bist klug und<br />

alt genug, um mich zu verstehen. Der Instinct, welchen<br />

die Natur Deinem Geschlecht in so reichem Maße verliehen<br />

hat, sagt Dir schon von selbst, was am meisten<br />

dazu dienen kann, Dich mir gefällig zu machen. Ohne<br />

Dir einen Wink zu geben, bist Du von selbst darauf<br />

gefallen, diese unschönen Kleider mit zarteren, geschmackvolleren<br />

Hüllen vertauschen zu wollen. Sieh,<br />

mein Kind, das nenne ich natürliches Talent, Anlage,<br />

meine Gedanken zu errathen. Mit dem Kleide wirst<br />

Du unmerklich auch Deine Wünsche, Deine Erwartungen,<br />

Deine Gefühle wechseln. Glaube mir, es ist gar

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