Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 190 — denn Röschen hatte wohl zuweilen einen Spiegel zu Rathe gezogen, doch immer nur einen kaum handbreiten, fleckigen und nie ganz reinen. Hier nun sah sie sich von Kopf zu Fuß, und wenn sie sich gestehen mußte, daß sie recht hübsch sei und allenfalls wohl auch einem reichen Edelherrn gefallen könne, so erröthete sie zugleich auch, was ihr früher nie begegnet war, über ihre gar so ärmliche und unscheinbare Kleidung. Recht betrübt ließ sie das Köpfchen sinken und sah traurig auf ihren roth und schwarz gestreiften Wollenrock herab, der nur durch das Leibchen von allerdings sehr verschossenem Sammet einen Schimmer von Werth erhielt. Es kam ihr vor, als sei sie noch nie so ganz abscheulich gekleidet gewesen und der Gedanke, doch einmal zu sehen, wie ihr wohl bessere Kleider stehen möchten, stieg so plötzlich in ihr auf und bemächtigte sich so ganz ihrer Phantasie, daß sie mit dem festen Willen, dergleichen zu verlangen, rasch nach der silbernen Schelle griff und sie heftig schwang. Ihr unbedachter Eifer ließ das Glöckchen zweimal ertönen, worauf sie jedoch nicht achtete, sondern erwartungsvoll mitten im Zimmer stehen blieb und angestrengt lauschte, ob man ihren Befehlen zu gehorchen wohl bereit sein werde. Sie richtete dabei ihre Blicke auf die Thür, um gleich beim Erscheinen der begehrten Dienerin einigermaßen über deren Willfährigkeit sich ein Urtheil bilden zu können.

— 191 — Haideröschen mochte etwa eine Minute in dieser horchenden Stellung verharrt haben, als sie es rauschen hörte, nicht aber vor der Thür, sondern hinter oder an der Wand. Sie hielt den Athem an und horchte noch angestrengter. Da bemerkte sie deutlich, daß die gemalten Jäger auf der Tapete zu zittern begannen, die Wand aus ihren Fugen wich und sich gegen sie bewegte. Ein dumpfes Ach! entrang sich ihren Lippen, sie wollte fliehen und eilte nach der Thür. Allein, wie heftig sie auch am Schlosse drückte, es wich und wankte nicht! Auch wäre Flucht bereits zu spät und höchst unklug gewesen, denn Graf Magnus stand schon im Zimmer und drückte die unsichtbar in die Wand eingefugte Thür leise wieder zu. Eben so freundlich, wie er sie vor einer Stunde verlassen hatte, trat er wieder zu ihr und fragte bescheiden, was sie ihm mitzutheilen habe? Überrascht schwieg Haideröschen mit zu Boden gesenkten Blicken. »Muth, mein Kind, Muth!« sprach der Graf, seine Hand sanft unter ihr Kinn schiebend und das Köpfchen aufrichtend. »Du hast mir geschellt, jetzt mußt Du auch sprechen.« »Ach, gnädigster Herr, Erbarmen!« erwiederte die Wendin zaghaft. »Die Schelle sollte nur einmal läuten und sie hat –« »Zweimal geläutet,« fiel ihr Magnus lächelnd in’s Wort. »Ja, mein Kind, das hab’ ich gehört, darum bin

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denn Röschen hatte wohl zuweilen einen Spiegel zu<br />

Rathe gezogen, doch immer nur einen kaum handbreiten,<br />

fleckigen und nie ganz reinen. Hier nun sah sie<br />

sich von Kopf zu Fuß, und wenn sie sich gestehen mußte,<br />

daß sie recht hübsch sei und allenfalls wohl auch einem<br />

reichen Edelherrn gefallen könne, so erröthete sie<br />

zugleich auch, was ihr früher nie begegnet war, über<br />

ihre gar so ärmliche und unscheinbare Kleidung.<br />

Recht betrübt ließ sie das Köpfchen sinken und sah<br />

traurig auf ihren roth und schwarz gestreiften Wollenrock<br />

herab, der nur durch das Leibchen von allerdings<br />

sehr verschossenem Sammet einen Schimmer<br />

von Werth erhielt. Es kam ihr vor, als sei sie noch nie so<br />

ganz abscheulich gekleidet gewesen und der Gedanke,<br />

doch einmal zu sehen, wie ihr wohl bessere Kleider stehen<br />

möchten, stieg so plötzlich in ihr auf und bemächtigte<br />

sich so ganz ihrer Phantasie, daß sie mit dem festen<br />

Willen, dergleichen zu verlangen, rasch nach der<br />

silbernen Schelle griff und sie heftig schwang. Ihr unbedachter<br />

Eifer ließ das Glöckchen zweimal ertönen,<br />

worauf sie jedoch nicht achtete, sondern erwartungsvoll<br />

mitten im Zimmer stehen blieb und angestrengt<br />

lauschte, ob man ihren Befehlen zu gehorchen wohl<br />

bereit sein werde. Sie richtete dabei ihre Blicke auf die<br />

Thür, um gleich beim Erscheinen der begehrten <strong>Die</strong>nerin<br />

einigermaßen über deren Willfährigkeit sich ein<br />

Urtheil bilden zu können.

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