Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes
— 18 — Euch dann auf den Weg und geht schnurstracks nach dem Todtensteine, den Ihr in einer guten halben Stunde vom Gasthofe aus erreichen könnt, so werdet Ihr unter irgend einer der vorspringenden Felsenkanten den Mann, den Ihr sucht, in stilles Nachdenken verloren sitzen sehen! Ob er ein Anhänger des lieben Heidenthums ist, das vor alten Zeiten in der Gegend gehaust haben soll, oder ob er heimlich Schätze gräbt oder gar mit den Geistern und Holzweibeln Verkehr treibt, die um die schauerlichen Klüfte schweben und ihre unheimlichen Weisen singen, das weiß ich nicht und mag’s auch nicht wissen! Aber ich will kein Wort wendisch mehr sprechen, wenn Ihr dem Pink-Heinrich nicht am Todtensteine begegnet!« Sichtlich erheitert reichte der alte Wende dem Wirth die Hand über den Tisch, dankte und trank ihm nach altwendischer Sitte zu. »Gott segne Euch und Euer Haus für diese Auskunft!« sagte er. »Ruhiger, als ich glaubte, lege ich jetzt mein weißes Haupt auf das Stroh nieder, das auf dem Boden meiner theuren Heimath gewachsen ist! Schwere, traurige, furchtbare Schicksale vertrieben mich daraus und ich verließ sie mit der lähmenden Gewißheit, sie nie mehr wieder zu sehen. Aber der Herr hat es anders mit mir beschlossen. Er will vielleicht die Wunden, welche seine prüfende Hand meinem armen Herzen in den Jahren der Kraft schlug, jetzt im Alter heilen und einen vollen, segnenden Strahl seiner Gnade mir schenken! Sein Name sei
— 19 — gepriesen, was mir immer begegnen möge, aber verdreifacht wird mein Glaube werden, der mich stets aufrecht erhalten hat in Noth und Elend, wenn ich diese abgehetzten Glieder endlich nach langer Irrfahrt an meiner Ältern Grabe zur Ruhe niederlegen sollte.« Der Greis sprach so ernst und feierlich, daß selbst dem etwas neugierigen Wirth, der gern heiter und launig war, die Wiederanknüpfung des Gespräches verleidet ward. Er schwieg gänzlich, auch der jüdische Kutscher mit seinem Sohne flüsterte nur leise, dagegen erhob die spinnende Alte, die schon längst wieder ihrer Gewohnheit nach die Spindel drehte und ein Gespräch nur dann beachtete, wenn Worte darin vorkamen, die irgend ein vergangenes Ereigniß urplötzlich in ihr unklares Gedächtniß zurückriefen, abermals ihre Stimme. Phantastisch die linke Hand schüttelnd, sprach sie in singendem dumpfem Tone: »Zu Haus, im Felde Zwiefache Noth! Schlimm ist’s für Jeden, Der hat kein Brod!« Dann fiel sie sogleich in ein lustiges Gelächter, stampfte taktmäßig mit dem Fuße auf das Bänkchen ihres Rockenhalters und sang munter und fröhlich, den Kopf hin und her wiegend und häufig laut dazwischen auflachend, indem sie die Spindel in hohen Bogen um sich tanzen ließ: »Tom tom tinz,
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Euch dann auf den Weg und geht schnurstracks nach<br />
dem Todtensteine, den Ihr in einer guten halben Stunde<br />
vom Gasthofe aus erreichen könnt, so werdet Ihr<br />
unter irgend einer der vorspringenden Felsenkanten<br />
den Mann, den Ihr sucht, in stilles Nachdenken verloren<br />
sitzen sehen! Ob er ein Anhänger <strong>des</strong> lieben Heidenthums<br />
ist, das vor alten Zeiten in der Gegend gehaust<br />
haben soll, <strong>oder</strong> ob er heimlich Schätze gräbt<br />
<strong>oder</strong> gar mit den Geistern und Holzweibeln Verkehr<br />
treibt, die um die schauerlichen Klüfte schweben und<br />
ihre unheimlichen Weisen singen, das weiß ich nicht<br />
und mag’s auch nicht wissen! Aber ich will kein Wort<br />
wendisch mehr sprechen, wenn Ihr dem Pink-Heinrich<br />
nicht am Todtensteine begegnet!«<br />
Sichtlich erheitert reichte der alte Wende dem Wirth<br />
die Hand über den Tisch, dankte und trank ihm nach<br />
altwendischer Sitte zu. »Gott segne Euch und Euer<br />
Haus für diese Auskunft!« sagte er. »Ruhiger, als ich<br />
glaubte, lege ich jetzt mein weißes Haupt auf das Stroh<br />
nieder, das auf dem Boden meiner theuren Heimath<br />
gewachsen ist! Schwere, traurige, furchtbare Schicksale<br />
vertrieben mich daraus und ich verließ sie mit<br />
der lähmenden Gewißheit, sie nie mehr wieder zu sehen.<br />
Aber der Herr hat es anders mit mir beschlossen.<br />
Er will vielleicht die Wunden, welche seine prüfende<br />
Hand meinem armen Herzen in den Jahren der Kraft<br />
schlug, jetzt im Alter heilen und einen vollen, segnenden<br />
Strahl seiner Gnade mir schenken! Sein Name sei