Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 1328 — 71. DER LETZTE GEBURTSTAG. Der Maulwurffänger hatte seinen Sonntagsrock angezogen, den wohl gebürsteten dreieckigen Hut aufgesetzt und stand wartend mitten in der Wohnstube seines kleinen, saubern Häuschens zu B. . . . In ähnlicher Kleidung, nur weniger accurat und reinlich, saß Schlenker auf der Ofenbank, die zinnerne Tabaksdose häufig unruhig auf- und zuklappend. Ein Wagen, mit zwei jungen muthigen Füchsen bespannt, fuhr vor. Pink-Heinrich schüttelte den Kopf, stampfte ungeduldig mit seinem Schlehdornstecken auf die Diele und sagte: »Na, da haben wir’s! Krücken-Gottlobs-Friedel, (so genannt, weil sein Vater Gottlob an Krücken ging), hält schon vor der Thür und mein Bruder kommt immer noch nicht! Wo er nur bleibt!« »Mein Gott, wo wird er bleiben!« versetzte Schlenker. »Wo er immer steckt, zu Hause. Er trödelt gar mit tausend Schrecken!« »Hast Du ihn nicht gesehen, da kommt er über die Wiese hergestiefelt!« sagte der Maulwurffänger, sein würdiges Gesicht zu ironischem Lachen verziehend. »Nimm Dir Zeit, Bruder Schulmeister, sonst kannst Du noch eine Lerche schießen, daß Dir acht Tage lang die Ohren gellen! – Friedel,« rief er durch das Schiebefenster dem jungen Burschen am Wagen zu. »Krempele die Plane auf, daß man eine Umsicht hat! Das Wetter ist schön heut’ und die Luft würzig und warm. Obgleich

— 1329 — wir drei alte Knackse sind, vertragen wir doch noch ein Bissel Zugluft. Nicht wahr?« »Natürlich, natürlich, ganz Natur!« sagte Gregor, der eben in’s Zimmer trat, als der Maulwurffänger diese Frage an Schlenker richtete. »Aber wo steckst Du denn, Bruder Schulmeister?« rief ihm Pink-Heinrich zu. »Es geht schon auf zwölf, wir haben noch einen langen Weg zurückzulegen und um vier sollen wir doch schon auf dem Zeiselhofe sein! Da ist’s höchste Zeit, daß wir aufbrechen!« »Aufbrechen, natürlich! Dennoch mußte ich mein Chronikon erst schließen! – Jetzt geht kein Sterbenswort verloren, ganz Natur!« »Wovon, Bruder Schulmeister?« »Von der grausamverwickelten, in vielem Betracht erschrecklichen, dabei aber wiederum hochlehrsamen und moralischen Geschichte, welche anhob mit dem sonderbaren Betragen des hochseligen Grafen Magnus von Boberstein, genannt Blauhut. Selbige Geschichte ist nunmehr von meiner Hand sorgfältig zu Papier gebracht bis auf den heutigen Tag, und zwar leserlich, höchst leserlich, natürlich!« »Hast Du auch nichts vergessen?« »Nichts Wesentliches. Und weil heut’ des Mannes Geburtstag ist, der unverschuldet durch sein schönes Töchterlein Rose oder Röse, genannt Haideröschen, Veranlassung gab zu so traurigen Vergehungen und herzbrechenden Ungerechtigkeiten, darum

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71. DER LETZTE GEBURTSTAG.<br />

Der Maulwurffänger hatte seinen Sonntagsrock angezogen,<br />

den wohl gebürsteten dreieckigen Hut aufgesetzt<br />

und stand wartend mitten in der Wohnstube<br />

seines kleinen, saubern Häuschens zu B. . . . In ähnlicher<br />

Kleidung, nur weniger accurat und reinlich, saß<br />

Schlenker auf der Ofenbank, die zinnerne Tabaksdose<br />

häufig unruhig auf- und zuklappend.<br />

Ein Wagen, mit zwei jungen muthigen Füchsen bespannt,<br />

fuhr vor. Pink-Heinrich schüttelte den Kopf,<br />

stampfte ungeduldig mit seinem Schlehdornstecken<br />

auf die <strong>Die</strong>le und sagte:<br />

»Na, da haben wir’s! Krücken-Gottlobs-Friedel, (so<br />

genannt, weil sein Vater Gottlob an Krücken ging), hält<br />

schon vor der Thür und mein Bruder kommt immer<br />

noch nicht! Wo er nur bleibt!«<br />

»Mein Gott, wo wird er bleiben!« versetzte Schlenker.<br />

»Wo er immer steckt, zu Hause. Er trödelt gar mit<br />

tausend Schrecken!«<br />

»Hast Du ihn nicht gesehen, da kommt er über die<br />

Wiese hergestiefelt!« sagte der Maulwurffänger, sein<br />

würdiges Gesicht zu ironischem Lachen verziehend.<br />

»Nimm Dir Zeit, Bruder Schulmeister, sonst kannst Du<br />

noch eine Lerche schießen, daß Dir acht Tage lang die<br />

Ohren gellen! – Friedel,« rief er durch das Schiebefenster<br />

dem jungen Burschen am Wagen zu. »Krempele<br />

die Plane auf, daß man eine Umsicht hat! Das Wetter<br />

ist schön heut’ und die Luft würzig und warm. Obgleich

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