Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 1322 — Die Freunde störten die Andächtigen nicht in ihrem Gesange. Schweigend beugten auch sie ihre Knie und stimmten zum Theil mit in das Lied ein, wie z.B. der Maulwurffänger und Sloboda. Erst als der Gesang endigte, drängte Martell mit einigem Ungestüm zum Sterbelager des ehrwürdigen Greises, beugte sich mit Heftigkeit über ihn und fragte besorgt: »Wie geht es, Vater? Soll ich nicht nach dem Doctor schicken?« Traugott drückte dem Schwiegersohn matt die Hand und schüttelte lächelnd sein Haupt. »Der Herr kommt,« sagte er flüsternd, »und der ist der beste Doctor. – Aber setze Dich zu mir, mein Sohn, und höre . . . was ich Dir sagen werde . . . Ihr Andern, Nachbarn und gute Freunde, auch Ihr könnt meine Worte in einem feinen Herzen bewahren, denn . . . sie werden Euch keine Gewissensbisse verursachen . . . auf dem Sterbebette und am Tage des Gerichts.« Er schwieg eine lange Zeit, um Athem zu schöpfen und seine letzten Kräfte zu sammeln. Christel, seine jüngste Enkeltochter zündete die Lampe an, bei deren flimmernden Schein die Mutter gar manche Nacht am Webstuhl den kalten Morgen herangewacht hatte, und stellte sie auf den Ofensims, daß ihr Schimmer auf das welke Gesicht des sterbenden Großvaters fiel. »Mein Sohn,« nahm jetzt Traugott das Wort wieder auf, »so arm wie ich, wills Gott, noch heut’ aus der

— 1323 — Welt scheide, um morgen mit Jesu Christo das Auferstehungsfest im Himmel zu feiern, so arm trat ich in die Welt, so arm lebte ich an die achtzig Jahre! . . . Es heißt etwas, ein solches Leben zurückzulegen; es erfordert nicht blos Mühe und Geduld, es erfordert vor Allem Glaube und Liebe und Gehorsam! . . . O Martell, ich kenne Dein Herz und weiß, daß es im tiefinnersten Grunde gut ist und rechtschaffen, aber Glaube, Liebe und Gehorsam, – diese drei – sie haben darin nicht ihre bleibende Stätte gefunden.« Martell wollte dem Greise antworten, dieser aber machte eine abwehrende Bewegung. »Unterbrich mich nicht, laß mich endigen, denn meine Zeit ist kurz.« Traugott holte einigemal tief Athem, dann fuhr er fort: »Sieh, mein Sohn, so arm ich war und blieb bis auf den heutigen Tag, so fröhlich schlug doch immer mein Herz auch unter den härtesten Bedrängnissen! . . . Du wirst sagen, das mache mein glückliches, heiteres Temperament, ich aber rufe dagegen, das machte der Glaube, aus dem Liebe und Gehorsam, die beiden sichersten Führer durch die Irrwege der Welt, uns erwachsen . . . Ach warum lacht die heutige Welt über den Glauben, warum kennt sie die Liebe nicht, warum will sie den Gehorsam nicht mehr? . . . Am Abend meines Lebens kommt mir dies vor wie ein Frevel an der heiligen Lehre des Sohnes Gottes und es will mir scheinen,

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Welt scheide, um morgen mit Jesu Christo das Auferstehungsfest<br />

im Himmel zu feiern, so arm trat ich in<br />

die Welt, so arm lebte ich an die achtzig Jahre! . . . Es<br />

heißt etwas, ein solches Leben zurückzulegen; es erfordert<br />

nicht blos Mühe und Geduld, es erfordert vor<br />

Allem Glaube und Liebe und Gehorsam! . . . O Martell,<br />

ich kenne Dein Herz und weiß, daß es im tiefinnersten<br />

Grunde gut ist und rechtschaffen, aber Glaube, Liebe<br />

und Gehorsam, – diese drei – sie haben darin nicht ihre<br />

bleibende Stätte gefunden.«<br />

Martell wollte dem Greise antworten, dieser aber<br />

machte eine abwehrende Bewegung.<br />

»Unterbrich mich nicht, laß mich endigen, denn meine<br />

Zeit ist kurz.«<br />

Traugott holte einigemal tief Athem, dann fuhr er<br />

fort:<br />

»Sieh, mein Sohn, so arm ich war und blieb bis auf<br />

den heutigen Tag, so fröhlich schlug doch immer mein<br />

Herz auch unter den härtesten Bedrängnissen! . . . Du<br />

wirst sagen, das mache mein glückliches, heiteres Temperament,<br />

ich aber rufe dagegen, das machte der Glaube,<br />

aus dem Liebe und Gehorsam, die beiden sichersten<br />

Führer durch die Irrwege der Welt, uns erwachsen<br />

. . . Ach warum lacht die heutige Welt über den<br />

Glauben, warum kennt sie die Liebe nicht, warum will<br />

sie den Gehorsam nicht mehr? . . . Am Abend meines<br />

Lebens kommt mir dies vor wie ein Frevel an der heiligen<br />

Lehre <strong>des</strong> Sohnes Gottes und es will mir scheinen,

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