Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 130 — Sobald der Vortrab desselben den Todtenstein erreicht hatte, holten mehrere Burschen Stahl, Stein und Schwamm aus den Taschen ihrer kurzen Jacken, schlugen Feuer an und entzündeten mitgebrachtes Werg und Heu, über dem sie schnell im Schutz des Felsens einen hell lodernden Scheiterhaufen aus dürren Reisern und Wurzeln erbauten. Um dieses Feuer stellten sich alle diejenigen, welche mit Stroh umwundene Stöcke trugen, im Kreise und setzten sie an der Flamme in Brand. Hierauf trat der junge Mann mit der Strohpuppe in den Kreis, hielt an die zahlreiche Versammlung eine kurze Rede und warf das wunderliche Wickelkind unter fröhlichem Zuruf der Menge in die knisternde Flamme. Kaum schlug die Lohe über der Puppe zusammen, als jeder Fackelträger um sich selbst zu tanzen begann, seinen Strohbrand um Kopf und Schulter schwang und in kurzen abgestoßenen Sätzen wiederholt die Worte sang: »Den Tod haben wir ausgetrieben, Den Frühling bringen wir wieder!« Dieser Gesang ward unter fortdauerndem Tanz, dem sich auch die bei der Handlung selbst Unthätigen lustig mit anschlossen, so lange fortgesetzt, bis die Strohpuppe in ein Häufchen glimmender Asche verwandelt war. Dann warfen die Fackelträger ihre Brände theils auf die Feuerstatt, theils in nahe Klüfte des Felsens, und umtanzt und umjauchzt von den »Palmmietzeln« tragenden Kindern machten sich die vielen Hunderte, welche

— 131 — dem Schauspiele beigewohnt hatten, wieder auf den Heimweg. Diese sonderbare Feier, auf welche man heut’ zu Tage vergeblich warten möchte, hieß das »Todaustreiben« und ward noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts an sehr vielen Orten Böhmens, Mährens, Schlesiens und der Lausitz gehalten. Weil man sie seit undenklichen Zeiten auf den Sonntag Lätare verlegte, nannte man diesen Tag den »Todtensonntag«. Das Volk hing, wie an allem Herkömmlichen, auch an diesem uralten, jedenfalls der heidnischen Vorzeit entlehnten Gebrauche, und die Jugend freute sich auf das Verbrennen der Strohpuppe, welche den Tod vorstellte, fast eben so sehr, wie auf den Weihnachtsabend. Bei den heidnischen Slawen war diese Puppe wahrscheinlich nicht ein Abbild des Todes, sondern des Winters gewesen, und das Verbrennen derselben bei Beginn des wiedererwachenden Lenzes hatte symbolisch die Wiederbelebung der Natur, das Hinsterben des Winters darstellen sollen. Es gab wenige Orte, wo der Todtensonntag so alterthümlich solenn begangen wurde, wie am Fuße des Todtensteines, was unstreitig seinen Grund darin hatte, daß dieser hochgelegene, eigenthümlich gestaltete Felsen im heidnischen Alterthume einer der geheiligten Opferplätze gewesen sein mochte, an denen die Priester der Wenden ihre religiösen Gebräuche, sei’s öffentlich, sei’s heimlich, übten. Wenigstens deuten vielfache Spuren darauf hin, selbst die erwähnte in

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dem Schauspiele beigewohnt hatten, wieder auf den<br />

Heimweg.<br />

<strong>Die</strong>se sonderbare Feier, auf welche man heut’ zu Tage<br />

vergeblich warten möchte, hieß das »Todaustreiben«<br />

und ward noch zu Ende <strong>des</strong> vorigen Jahrhunderts<br />

an sehr vielen Orten Böhmens, Mährens, Schlesiens<br />

und der Lausitz gehalten. Weil man sie seit undenklichen<br />

Zeiten auf den Sonntag Lätare verlegte, nannte<br />

man diesen Tag den »Todtensonntag«. Das Volk hing,<br />

wie an allem Herkömmlichen, auch an diesem uralten,<br />

jedenfalls der heidnischen Vorzeit entlehnten Gebrauche,<br />

und die Jugend freute sich auf das Verbrennen<br />

der Strohpuppe, welche den Tod vorstellte, fast eben<br />

so sehr, wie auf den Weihnachtsabend. Bei den heidnischen<br />

Slawen war diese Puppe wahrscheinlich nicht<br />

ein Abbild <strong>des</strong> To<strong>des</strong>, sondern <strong>des</strong> Winters gewesen,<br />

und das Verbrennen derselben bei Beginn <strong>des</strong> wiedererwachenden<br />

Lenzes hatte symbolisch die Wiederbelebung<br />

der Natur, das Hinsterben <strong>des</strong> Winters darstellen<br />

sollen. Es gab wenige Orte, wo der Todtensonntag<br />

so alterthümlich solenn begangen wurde, wie am<br />

Fuße <strong>des</strong> Todtensteines, was unstreitig seinen Grund<br />

darin hatte, daß dieser hochgelegene, eigenthümlich<br />

gestaltete Felsen im heidnischen Alterthume einer der<br />

geheiligten Opferplätze gewesen sein mochte, an denen<br />

die Priester der Wenden ihre religiösen Gebräuche,<br />

sei’s öffentlich, sei’s heimlich, übten. Wenigstens deuten<br />

vielfache Spuren darauf hin, selbst die erwähnte in

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