Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 1304 — In der nun folgenden, bis an den Morgen dauernden Berathung ward beschlossen, den beiden an einem Tage umgekommenen Brüdern ein feierliches Begräbniß zu veranstalten und sämmtliche Mitglieder der Familie dazu zusammen zu rufen. Adalbert von den erschütternden Ereignissen zu benachrichtigen, übernahm Aurel in einem ausführlichen Briefe, der eben so wahr, offen und gerade, als liebenswürdig und versöhnlich geschrieben war, und wohl geeignet sein konnte, auch das haßerfüllteste Herz zu erschüttern und wider Willen zur Versöhnung zu zwingen. Da er Adalbert als einen vornehmen und abgeschlossenen Aristokraten kannte, hütete er sich wohl, in einen allzuvertraulichen Ton zu fallen, obwohl sein Herz diesen gern angeschlagen hätte. Seinen Zweck zu erreichen und zugleich den feindlich gesinnten Bruder von der Schuldlosigkeit dessen zu überzeugen, auf den ein Bösgesinnter wohl einige Schuld wälzen konnte, zog er es vor, mehr die Klugheit als das Gefühl sprechen zu lassen. Dieser Brief, der Aurel’s Charakter in so schönem Lichte zeigte, lautete folgendermaßen: »Mein vielgeliebter Bruder, Es ist löblich, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen! Mit diesem treuherzigen Bibelwort, von dem ich freilich nicht behaupten will, daß ich es ganz wörtlich nach Luthers Übersetzung citirt habe – denn es ist

— 1305 — eine ziemlich lange Reihe von Jahren seit der Zeit verflossen, wo ich mich bibelfest nennen durfte – mit obigem Wort also rufe ich Dir heut’ einen wohlgemeinten, von Herzen kommenden Gruß zu. Wir haben vor wenigen Tagen einen Proceß gegen arme und rechtliche Leute verloren, die ein unerforschlicher Wille der Vorsehung von Geburt an zu unsern nächsten Verwandten auserwählte, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten. Gewiß, ein ganz anderer Geist hätte unser Aller Leben und Wirken beseelt, wäre vor nur zehn Jahren diese für uns so wichtige Entdeckung gemacht worden! Weil dies nicht geschah, nicht geschehen konnte und sollte, deßhalb trennten wir uns in einer finstern Stunde und standen uns feindlich gegenüber. – Ich bekenne lieber Bruder, daß ich durch meine Hartnäckigkeit und die Gereiztheit meines ganzen Wesens nicht wenig Schuld gewesen bin an dieser Trennung. Indeß, Gott Lob, ich kann mir auch selbst Unrecht geben, wenn ich es verdient habe, und so hoffe ich, der Freudentag, wo unrechtmäßig getrennte Brüder sich wieder in Liebe vereinigen, einander aufrichtig vergeben und sich für immer versöhnen, wird nicht mehr fern sein! – »Alles fordert uns dazu auf, der verlorene Proceß, der für uns gewonnen ist, wenn wir, wie ich gethan habe, diejenigen als unserm Geschlecht zugehörig anerkennen, welche vermöge ihrer Abstammung ein unbestrittenes Recht dazu haben! Das Schicksal, das den Samen der Zwietracht unter uns ausgestreut hat, und

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eine ziemlich lange Reihe von Jahren seit der Zeit verflossen,<br />

wo ich mich bibelfest nennen durfte – mit obigem<br />

Wort also rufe ich Dir heut’ einen wohlgemeinten,<br />

von Herzen kommenden Gruß zu. Wir haben vor wenigen<br />

Tagen einen Proceß gegen arme und rechtliche<br />

Leute verloren, die ein unerforschlicher Wille der Vorsehung<br />

von Geburt an zu unsern nächsten Verwandten<br />

auserwählte, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten.<br />

Gewiß, ein ganz anderer Geist hätte unser Aller Leben<br />

und Wirken beseelt, wäre vor nur zehn Jahren diese<br />

für uns so wichtige Entdeckung gemacht worden! Weil<br />

dies nicht geschah, nicht geschehen konnte und sollte,<br />

deßhalb trennten wir uns in einer finstern Stunde und<br />

standen uns feindlich gegenüber. – Ich bekenne lieber<br />

Bruder, daß ich durch meine Hartnäckigkeit und die<br />

Gereiztheit meines ganzen Wesens nicht wenig Schuld<br />

gewesen bin an dieser Trennung. Indeß, Gott Lob, ich<br />

kann mir auch selbst Unrecht geben, wenn ich es verdient<br />

habe, und so hoffe ich, der Freudentag, wo unrechtmäßig<br />

getrennte Brüder sich wieder in Liebe vereinigen,<br />

einander aufrichtig vergeben und sich für immer<br />

versöhnen, wird nicht mehr fern sein! –<br />

»Alles fordert uns dazu auf, der verlorene Proceß,<br />

der für uns gewonnen ist, wenn wir, wie ich gethan<br />

habe, diejenigen als unserm Geschlecht zugehörig anerkennen,<br />

welche vermöge ihrer Abstammung ein unbestrittenes<br />

Recht dazu haben! Das Schicksal, das den<br />

Samen der Zwietracht unter uns ausgestreut hat, und

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