Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

finanz.math.tugraz.at
von finanz.math.tugraz.at Mehr von diesem Publisher
26.12.2012 Aufrufe

— 1288 — »Er sammelt feurige Kohlen auf das Haupt des Hartherzigen,« erwiederte Vollbrecht, »nicht, indem er ihm Gutes mit Bösem vergilt, sondern indem er seine Lippen zwingt, aus dem Kelch der Arbeit zu trinken und ihre Bitterkeit zu kosten. Es giebt kein besseres, kein wirksameres Mittel, Verstockte zu bekehren. Wohl bekomm’ es ihm!« »Still!« sagte Gilbert. »Auch Martel tritt an seine Maschine und läßt das Spiel der Spindeln beginnen.« Der Anblick dieser einsamen beiden Spinner in dem weiten öden Saale, von flackerndem Lampenschein und bläulichem Mondlicht matt erleuchtet, hatte etwas durchaus Gespenstisches. Die blassen, knochigen, verfallenen Gesichter der beiden Brüder, die in der geistigen Aufregung, in der sie lebten, sich auffallend ähnlich sahen; ihre düstern, unheimlichen Blicke, das Zittern ihrer Hände, das lautlose, schattenhafte Auf – und Niederwandeln auf ein und derselben Stelle, verbunden mit dem eigenthümlich schrillenden Geräusch der rastlos arbeitenden Maschinen: dies Alles machte einen unbeschreiblichen, unvergeßlichen Eindruck auf die heimlichen Zuschauer. Und damit dieser Eindruck noch verstärkt werde, hörte man aus den untern Gewölben wie aus dem Grabe herauf ein Geräusch, als sänge eine tiefe heisere Männerstimme wilde Lieder. Eine Zeitlang spannen die beiden Brüder ungestört fort, dann aber rissen auf Adrian’s Spindelflucht mehrere Fäden und er mußte die Maschine hemmen. Es

— 1289 — gelang ihm erst, nachdem der Wagen noch mehrmals auf – und niedergerollt und eine Menge Fäden abgerissen waren. »Bruder,« sagte er bittend, sich mit dem seidenen Taschentuche den Angstschweiß abtrocknend, »Bruder, habe Nachsicht! . . . Verzeihe mir und . . . entlasse mich! Ich fühle meine Brust kaum noch . . . die Augen entzünden sich . . . und hindern mich deutlich zu sehen!« »Das ist die gewöhnliche Arbeiterkrankheit, Bruder Adrian,« versetzte Martell, ohne seine Maschine einzuhemmen. »Alle leiden daran, Einige kurze Zeit, Andere immerwährend, und für den Lohn, den sie für ihre Mühen erhalten, zeigt es wahrlich von Aufopferung und großer Geduld, wenn sie dabei zufrieden bleiben. Aber schnell, schnell, sonst wird man Dir den Lohn verkürzen!« »Habe Erbarmen!« winselte Adrian, noch beschäftigt mit ungeübter Hand die zerrissenen Fäden anzuknüpfen und die Wollflocken aus einigen gehemmten Kämmen zu zupfen. »Ich vermag nicht, mit Dir . . . gleichen Schritt zu . . . halten!« »Hatte der Herr am Stein Erbarmen, als sein armer Bruder Martell darum flehte? Hatte er Erbarmen, als fünf Kinder seiner Arbeiter Hungers starben? . . . Nein, er hatte kein Erbarmen! Er legte ihre gefrorenen Leichen an die Arbeitsstätten ihrer Ältern und blieb

— 1289 —<br />

gelang ihm erst, nachdem der Wagen noch mehrmals<br />

auf – und niedergerollt und eine Menge Fäden abgerissen<br />

waren.<br />

»Bruder,« sagte er bittend, sich mit dem seidenen<br />

Taschentuche den Angstschweiß abtrocknend, »Bruder,<br />

habe Nachsicht! . . . Verzeihe mir und . . . entlasse<br />

mich! Ich fühle meine Brust kaum noch . . . die Augen<br />

entzünden sich . . . und hindern mich deutlich zu sehen!«<br />

»Das ist die gewöhnliche Arbeiterkrankheit, Bruder<br />

Adrian,« versetzte Martell, ohne seine Maschine einzuhemmen.<br />

»Alle leiden daran, Einige kurze Zeit, Andere<br />

immerwährend, und für den Lohn, den sie für ihre Mühen<br />

erhalten, zeigt es wahrlich von Aufopferung und<br />

großer Geduld, wenn sie dabei zufrieden bleiben. Aber<br />

schnell, schnell, sonst wird man Dir den Lohn verkürzen!«<br />

»Habe Erbarmen!« winselte Adrian, noch beschäftigt<br />

mit ungeübter Hand die zerrissenen Fäden anzuknüpfen<br />

und die Wollflocken aus einigen gehemmten Kämmen<br />

zu zupfen. »Ich vermag nicht, mit Dir . . . gleichen<br />

Schritt zu . . . halten!«<br />

»Hatte der Herr am Stein Erbarmen, als sein armer<br />

Bruder Martell darum flehte? Hatte er Erbarmen,<br />

als fünf Kinder seiner Arbeiter Hungers starben? . . .<br />

Nein, er hatte kein Erbarmen! Er legte ihre gefrorenen<br />

Leichen an die Arbeitsstätten ihrer Ältern und blieb

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!