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Ernst Adolf Willkomm Weiße Sclaven oder Die Leiden des Volkes

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— 12 —<br />

in die magern Hände drückte, sagte Paul, zu dem Greise<br />

gewandt: »Großvater, war das nicht meiner verstorbenen<br />

Mutter Lieblingslied?«<br />

»Es war das Lied, das sie nimmer vergessen konnte,<br />

die arme Seele!« erwiederte die alte Wende. »Man<br />

kennt und singt es, so weit die wendische Sprache<br />

reicht, zumal, wenn man ein selbst erlebtes Unglück<br />

zu beweinen hat. Aber wie, Herr Wirth, wie kommt die<br />

alte Mutter zu dem Liede?«<br />

Der Wirth zuckte die Achseln. »Da wäre viel zu erzählen,«<br />

versetzte er, »wenn ich Euch mit den Einbildungen<br />

einer schwachsinnigen alten Frau unterhalten<br />

wollte. Wir sind darauf gewöhnt und lassen uns<br />

nicht mehr durch ihre Gesänge stören. Wohl zehn- und<br />

mehrmal täglich pflegt sie das alte Lied abzuleiern, so<br />

oft sie ein junges Mädchengesicht erblickt. Es scheint,<br />

sie bildet sich dann ein, ihre Tochter stände vor ihr, die<br />

ein schlechtes Ende nahm in Folge einer leichtsinnigen<br />

Liebelei. Eine alte Klage aller Ältern, die nie ganz<br />

aufhören wird, so lange es noch junge heißblütige Burschen<br />

giebt.«<br />

Das Mädchen hatte unterdeß ein Linnentuch über<br />

den Tisch gebreitet, eine Schüssel kaltes Rauchfleisch<br />

und gewärmtes Sauerkraut aufgesetzt, und auch ein<br />

paar Gläser Bier eingeschenkt. Dann legte sie neue<br />

Kienspäne auf die Kaminplatte und fachte die Flamme<br />

mit ihrem Athem an, bis sie knisternd hoch aufflackerte<br />

und die geräumige Stube leidlich erhellte. Lichter

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