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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
wir bleiben bis auf weiteres zu Hause, denn Gesundheit<br />
steht an erster Stelle! Es gibt Zeiten,<br />
da ist Vieles wichtiger als gemeinsam zu feiern.<br />
Aber zu keiner Zeit gibt es etwas wichtigeres als<br />
unsere Gesundheit. Deshalb liegt es uns sehr<br />
am Herzen, darüber zu informieren, dass das<br />
Kneipenfestival „Görlitz Rockt“ auf den 3. Oktober<br />
<strong>2020</strong> verschoben wird, dies wurde uns auch<br />
von Seiten der Stadt Görlitz nahegelegt. Des<br />
Weiteren haben wir, um die Gesundheit unserer<br />
Kunden und Mitarbeiter*innen sowie deren Familien<br />
zu schützen, alle erforderlichen Maßnahmen<br />
ergriffen um einer weiteren Ausbreitung<br />
der COVID-19 Pandemie entgegenzuwirken.<br />
Dazu gehört die temporäre Schließung unseres<br />
Büros für den Kundenverkehr und die Öffentlichkeit.<br />
Wir sind selbsverständlich weiterhin für Sie<br />
online per Mail unter info@<strong>StadtBILD</strong>-Verlag.de<br />
und telefonisch unter 03581 878787 für Sie da.<br />
In unserem Online-Shop unter: www.StadtBild-<br />
Verlag.de finden Sie viele Bücher, die in diesen<br />
schweren Zeiten vielleicht ein wenig Abwechslung<br />
versprechen. In dieser Ausgabe widmen<br />
wir uns der „Spanischen Grippe“ vor über 100<br />
Jahren, die natürlich in ihrem gewaltigen Ausmaß<br />
mit mindestens 50 Millionen Toten nicht<br />
vergleichbar war, mit der jetzigen COVID-19<br />
Pandemie. Gewisse Parallelen lassen sich zwar<br />
herstellen, aber das heutige Gesundheitswesen<br />
und insbesondere die Virologie-Forschung ist<br />
der Tage auf einem Stand, wovon die Medizin<br />
1918/19 geträumt haben dürfte.<br />
Folgendes kleine Gedicht zum Mutmachen erreichte<br />
die Redaktion dieser Tage von unserer<br />
Leserin Karin Röhr:<br />
Ein Virus hat die Welt im Griff.<br />
Wann Ende? Ist sehr ungewiß.<br />
Die Menschen werden sehr gebeten,<br />
nur zu zweit zu gehen auf den Wegen,<br />
die nötig sind um einzukaufen,<br />
zur Apotheke, Arzt, zu Laufen,<br />
bei frischer Luft, doch dort allein.<br />
Es wird gefordert auch daheim<br />
nicht sich mit seinen Freunden treffen.<br />
Die Anordnung nicht zu vergessen.<br />
„Alle“ Geschäfte müssen schließen,<br />
Vorsicht geboten ist beim Niesen,<br />
2 Meter Abstand wären gut,<br />
nun hoffen wir und haben Mut,<br />
daß Einhaltung der Forderungen,<br />
zu jedem in der Stadt gedrungen<br />
und jeder dies auch versteht,<br />
damit Corona bald vergeht.<br />
Wir sollten all denen danken,<br />
die Pflege leisten für die Kranken,<br />
die in Geschäften, die noch offen,<br />
Leistung zeigen und auch hoffen,<br />
daß jeder Einzelne begreift,<br />
was Achtung vor der Menschheit heißt.<br />
Mit diesen Zeilen wünsche ich Ihnen dennoch<br />
ein frohes Osterfest und bleiben Sie bitte in erster<br />
Linie gesund!<br />
Ihr Andreas Ch. de Morales Roque<br />
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Einleitung<br />
3
Sitten, Bräuche und Traditionen des Osterfestes<br />
Österliches<br />
Nach dem in Schlesien<br />
deutlich ruhiger gefeierten<br />
Karneval – zu dem<br />
man sich vor allem auf<br />
Maskenbällen und Kostümfesten<br />
traf, begann<br />
„die lange Faste“. Unterbrochen<br />
wurde diese<br />
entbehrungsreiche Zeit<br />
am dritten Sonntag vor<br />
Ostern, an Lätare.<br />
An diesem Sonntag zogen<br />
die Kinder in Schlesien<br />
mit ihren bunt verzierten<br />
Sommerstecken<br />
singend von Haus zu<br />
Haus und bekamen dort<br />
Süßigkeiten, Obst und<br />
„Beegla, ein speziell zu<br />
diesem Anlass hergestelltes<br />
Schaumgebäck.<br />
Für die Bewohner Schlesien<br />
hielt die vorösterliche<br />
Zeit ein weiteres<br />
fröhliches Ereignis bereit.<br />
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4<br />
Geschichte
in Schlesien<br />
Österliches<br />
Alljährlich am Palmsonntag<br />
fand dort der<br />
Tallsackmarkt statt. Hervorgegangen<br />
aus der<br />
Bewirtung der am Palmsonntag<br />
gekommenen<br />
Kirchenbesucher, hat er<br />
sich über die Jahrhunderte<br />
zu einem großen<br />
Volksfest entwickelt.<br />
Bekannt sind vor allem<br />
die angebotenen Pfefferkuchenmänner<br />
gewesen,<br />
die „Tallsäcke“.<br />
Ankunft der Griechen in Görlitz, 28.September 1916<br />
Die Karwoche und das<br />
Osterfest selbst sind besonders<br />
reich an Traditionen<br />
und Bräuchen, die<br />
oft lokale Unterschiede<br />
aufweisen.<br />
So zogen in manchen<br />
Regionen Schlesiens die<br />
Kinder statt an Lätare<br />
am Gründonnerstag mit<br />
bunten Papierstreifen,<br />
Papierblumen und Bän-<br />
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Geschichte<br />
5
Sitten, Bräuche und Traditionen des Osterfestes<br />
Österliches<br />
dern geschmückten Sommerbäumchen<br />
durchs Dorf und heischten mit dem Ruf<br />
„Seid gebata üm a Griendusch!“ ihre<br />
Gaben. Wie in vielen<br />
katholischen Regionen<br />
Deutschlands, zogen<br />
auch in Schlesien an<br />
Karfreitag, wenn die<br />
Glocken schwiegen, die<br />
jungen Leute mit Ratschen<br />
und Klappern<br />
durch den Ort, um die<br />
Leute zum Gottesdienst<br />
zu rufen.<br />
Natürlich war es auch<br />
hier Brauch einander<br />
gefärbte Eier zum Osterfest<br />
zu schenken. Berühmt<br />
sind vor allem die<br />
kunstvollen, in Oberschlesien<br />
gefertigten<br />
Eier, bei denen die Motive<br />
mit dünnen Nadeln<br />
oder Messern in die bunt<br />
gefärbten Eier geritzt<br />
werden. Das Ergebnis<br />
sind filigrane Muster, die<br />
regionale Unterschiede aufweisen.<br />
Ein ebenfalls weit verbreiteter Osterbrauch<br />
ist das Schmackostern.<br />
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6<br />
Geschichte
in Schlesien<br />
Österliches<br />
Am Ostermontag gingen traditionell die<br />
jungen Burschen schon früh zu ihren<br />
Mädchen und gaben ihnen mit selbstgefertigten<br />
Ruten leichte Schläge auf die<br />
unbedeckten Arme und Beine.<br />
Durch das Schlagen sollten nicht nur<br />
die Fruchtbarkeit, sondern auch die<br />
Kraft und Tüchtigkeit der zur Arbeit<br />
unentbehrlichen Glieder gefördert<br />
werden. Die dabei benutzte Rute hieß<br />
„Schmackoster“ und bestand aus mehreren<br />
zusammengedrehten, mit bunten<br />
Papierschnitzeln dicht durchflochtenen<br />
Weidenruten. Für viele Kinder und Jugendliche<br />
hielt die Frühlingszeit noch einen<br />
weiteres wichtiges Ereignis bereit:<br />
So gingen traditionell die jungen Protestanten<br />
am Palmsonntag zur Konfirmation,<br />
die in der katholischen Kirche gefeierte<br />
erste heilige Kommunion wurde<br />
meist am Sonntag nach Ostern gefeiert.<br />
Laurel Goldberg-Saintgobein<br />
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Geschichte<br />
7
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Im September 1916 wurde ein ganzes<br />
griechisches Armeekorps in Mazedonien<br />
eingeschlossen. Als „Gäste der Reichsregierung“<br />
wurden die Soldaten nach<br />
Görlitz gebracht – und überaus gastlich<br />
empfangen.<br />
Die Worte des Bürgermeisters von Görlitz<br />
an die Fremden unterschieden sich<br />
doch sehr von Politikerreden, wie sie<br />
seinerzeit gern in der sächsischen Provinz<br />
gehalten wurden: „Wir reichen Ihnen<br />
in deutscher Treu und Gemütlichkeit<br />
die Hand zum gastlichen Empfange<br />
und versprechen Ihnen, alles zu tun, um<br />
Ihnen den Aufenthalt bei uns so angenehm<br />
wie möglich zu gestalten. Uns allen<br />
sind Sie herzlich willkommen.“<br />
Es waren nicht wenige Migranten, denen<br />
da die Hand gereicht wurde, im damals<br />
preußischen Görlitz am 28. September<br />
1916. Die erste Gruppe von rund 7000<br />
Griechen hatte die Stadt erreicht, 22<br />
Offiziere, 427 Mann und einige Frauen<br />
und Kinder, wie die „Görlitzer Nachrichten“<br />
zählten. „Beim Einlaufen des Zuges<br />
spielte eine Kapelle die griechische Nationalhymne.“<br />
Keine Frage: Die Griechen, die damals<br />
die Oberlausitz erreichten, waren den<br />
90.000 Einwohnern der Stadt hochwillkommen.<br />
Am 29. September 1916 schrieb Hedwig<br />
Christoph an ihren Bruder Willy, Unteroffizier<br />
an der Front: „Sende Dir hiermit<br />
das Neuste: Ankunft der Griechen. Ganz<br />
Görlitz war auf den Beinen. Mutter hat 3<br />
Stunden gestanden‘‘.<br />
Die Geschichte reicht zurück bis in die<br />
Balkankriege 1912 und 1913. Griechenland<br />
und Bulgarien, zunächst verbündet<br />
und dann verfeindet, hatten alles getan,<br />
um das türkische Mazedonien für sich<br />
zu gewinnen. Griechenland war mit serbischer<br />
Unterstützung Sieger geblieben,<br />
was Bulgarien bewog, 1915 an der Seite<br />
der Mittelmächte in den Ersten Weltkrieg<br />
einzutreten. Mit Deutschland und<br />
Österreich im Bunde, überrannten die<br />
Bulgaren Serbien. Doch ihr eigentliches<br />
Ziel war Mazedonien und seine Hauptstadt<br />
Saloniki.<br />
Gegen den entschiedenen Willen König<br />
Konstantins, der die erklärte Neutralität<br />
Griechenlands auf keinen Fall aufge-<br />
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8<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische Ankunft der Griechen in Görlitz, 28.September 1916<br />
ben wollte, hatte sein Ministerpräsident<br />
Eleutherios Venizelos französischen und<br />
britischen Truppen die Landung bei Saloniki<br />
ermöglicht.<br />
Zwar kamen sie zu spät, um Serbien<br />
vor dem Zusammenbruch zu retten,<br />
aber sie bauten ihre Stellungen in Mazedonien<br />
aus, um – nach dem Rückzug<br />
der Entente von der Gallipoli-Halbinsel<br />
– Truppen der Mittelmächte zu binden.<br />
Als Rumänien im August 1916 endlich<br />
dem Werben der Entente folgte und Österreich<br />
den Krieg erklärte, waren die<br />
von deutschen Truppen unterstützten<br />
Bulgaren schneller und rückten nach<br />
Süden vor.<br />
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Geschichte<br />
9
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Bei Kavalla schlossen sie das<br />
4. griechische Armeekorps mit<br />
zwei Divisionen ein.<br />
Der Kommandeur, Oberst Ioannis<br />
Chatzopoulos, hielt sich an<br />
die Befehle des Königs und wies<br />
die Avancen von mit Venizelos<br />
sympathisierenden Offizieren<br />
ab. Stattdessen setzte er alles<br />
daran, seine Truppen ins, wie<br />
es hieß, freie Griechenland zu<br />
evakuieren. Die Zeit drängte,<br />
denn die bulgarischen Truppen<br />
wurden von Freischärlern,<br />
Komitatschis, unterstützt, die<br />
marodierend durch die Gegend<br />
zogen.<br />
Die Aussicht, in bulgarische Gefangenschaft<br />
zu geraten, sorgte<br />
unter Chatzopoulos‘ Männern<br />
für Unruhe, sodass dieser sich<br />
gegenüber den Briten bereit erklärte,<br />
von ihnen auf der Insel<br />
Thasos interniert zu werden.<br />
Als diese aber mitteilten, sie<br />
würden nur Soldaten an Bord<br />
nehmen, die sich für Venizelos<br />
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10<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische erklären und den Meuterern in Saloniki<br />
anschließen würden, brach eine regelrechte<br />
Panik aus.<br />
Nach einer Intervention des königlichen<br />
Armeeministeriums in Athen erklärten<br />
sich die Briten schließlich doch bereit,<br />
das 4. Korps auf die Ägäisinsel zu evakuieren.<br />
Wie es aber der Zufall (oder ein<br />
deutscher Agent) wollte, erreichte die<br />
Order Chatzopoulos nicht mehr. Er war<br />
bereits mit dem deutschen Verbindungsoffizier<br />
bei den Bulgaren, Major Wolfgang<br />
von Schweinitz, handelseinig geworden.<br />
Auf Einladung der soeben berufenen<br />
deutschen Obersten Heeresleitung unter<br />
Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff<br />
sollten die griechischen Soldaten<br />
auf Züge verladen und als „Gäste der<br />
Reichsregierung“ mit der Bahn nach<br />
Deutschland transportiert werden.<br />
Am 11. September brachen 400 Offiziere<br />
und mehr als 6000 Soldaten nach<br />
Norden auf, 2000 Mann konnten sich zu<br />
den Venizelos-Anghängern nach Saloniki<br />
oder zu den königlichen Truppen im<br />
Süden durchschlagen. Insgesamt zehn<br />
Züge waren nötig, um das 4. Korps nach<br />
Görlitz zu schaffen, das in Zusammenarbeit<br />
mit der griechischen Gesandtschaft<br />
in Berlin als Quartier ausgewählt worden<br />
war. Jeder Transport war rund zwölf Tage<br />
unterwegs.<br />
Der griechische König und seine Minister<br />
erfuhren von Chatzopoulos‘ Entscheidung<br />
erst, als seine Männer bereits auf dem<br />
Weg waren. Die öffentliche Meinung der<br />
Entente-Mächte verurteilte die „schändliche<br />
Desertion, Meuterei, Meineid und<br />
Verrat“, was indes kontraproduktiv für<br />
Konstantins Forderung war, die Soldaten<br />
umgehend zurückzuschicken. Denn diese<br />
fürchteten nach dieser Vorverurteilung<br />
wohl nicht zu Unrecht unangenehme Repressalien.<br />
Sarkastisch schrieb später Hugo Rietzsch,<br />
Geheimer Regierungsrat und Syndikus<br />
der Landstände der Preußischen Oberlausitz:<br />
„Als das griechische Armeekorps<br />
dann eintraf, stellte sich heraus, daß von<br />
dem angeblichen 18000 Mann umfassenden<br />
Armeekorps ein Drittel noch im<br />
Lande ausgerissen und ein zweites Drittel<br />
sich auf der Herfahrt und zum Teil<br />
Hermarsch verkrümelt hatte“.<br />
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Geschichte<br />
11
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz<br />
Griechen in Tageszeitung der Griechen in Görlitz<br />
Die Aufnahme durch die Bevölkerung<br />
bewegte sich zwischen freundlicher<br />
Neugier und Sympathie bis zur empörten<br />
Ablehnung.<br />
So richteten sich die Griechen also in<br />
Görlitz ein. Die Offiziere wurden in Privathäusern<br />
untergebracht, die Soldaten<br />
in Lagern. Eine täglich erscheinende Zeitung<br />
erschien in griechischer Sprache.<br />
Für die Ladenbesitzer waren die Gäste<br />
willkommene Kunden, wurden sie doch<br />
aus dem deutschen „Griechenfonds“<br />
ordentlich besoldet, der bis Kriegsende<br />
10,87 Millionen Mark ausgab.<br />
In der Gaststätte „Drei Raben“ wurde<br />
griechischer Wein offeriert, und „die<br />
jüngere Damenwelt von Görlitz, deren<br />
Männer im Krieg waren, war natürlich<br />
von den temperamentvollen Südländern<br />
angetan“, schreibt ein Zeitzeuge. Zahlreiche<br />
Heiraten wurden dokumentiert.<br />
Nach Kriegsende kehrten die meisten<br />
in ihre Heimat zurück. Dort wurde ihnen<br />
nicht selten der Prozess gemacht,<br />
Offiziere wurden entlassen oder gar<br />
verbannt. Etwa 200 Griechen blieben in<br />
Görlitz und gründeten Familien.<br />
133 wurden zwischen 1916 und 1923<br />
auf dem städtischen Friedhof zur letzten<br />
Ruhe gebettet, die meisten starben an<br />
der Spanischen Grippe, die 1918 plötzlich<br />
auftrat und bis 1920 weltweit wütete.<br />
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12<br />
Geschichte
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Im Ersten Weltkrieg, der von 1914 bis<br />
1918 andauerte, kamen rund 17 Millionen<br />
Menschen um, dagegen „raffte“ die<br />
Spanische Grippe, je nach Schätzung<br />
50 bis mehr als 100 Millionen Menschen<br />
dahin. Sie hinterließ wahrscheinlich<br />
mehr Tote als jede andere Krankheit<br />
davor und danach in der Geschichte.<br />
Dieses Ausmaß ist vielen nicht bewusst.<br />
In einigen Ländern wurden Todesfälle<br />
gar nicht nicht dokumentiert, zeitweise<br />
starben auch einfach zu viele Menschen<br />
gleichzeitig. Allein im damaligen Deutschen<br />
Reich soll die Spanische Grippe<br />
rund 426.000 Menschen das Leben gekostet<br />
haben. In Wellen hatte sich die<br />
Spanische Grippe von 1918 bis 1920 zur<br />
schlimmsten Grippe-Pandemie der Geschichte<br />
entwickelt.<br />
Der Name Spanische Grippe rührt daher,<br />
dass die iberische Presse als erste von<br />
der Krankheit berichtete. Als neutrales<br />
Land unterlag Spanien in einem geringeren<br />
Maße der Zensur als die kriegsteilnehmenden<br />
Länder, die jede Information<br />
über ein Grassieren der Seuche unter<br />
den Soldaten unterdrücken wollten.<br />
Woher die Grippe kam, ist nicht endgültig<br />
geklärt - aber wohl nicht aus Spanien.<br />
In der Forschung dominiert die These,<br />
dass das Virus im Mittleren Westen<br />
der USA, namentlich in Kansas, seinen<br />
Ursprung nahm. Von Schweinen oder<br />
Geflügel aus sprang es auf einen amerikanischen<br />
Rekruten über, der die heute<br />
als Influenza-A-Virus H1N1 bezeichnete<br />
Seuche als Patient Null in ein Ausbildungslager<br />
der US-Armee schleppte.<br />
Von dort aus gelangte es über Truppentransporte<br />
nach Frankreich und in den<br />
Rest der Welt. An der Westfront infizierten<br />
sich deutsche Soldaten, über die das<br />
Virus nach Deutschland gelangte.<br />
Gleichwohl gab etwa die Oberste Heeresleitung<br />
des Deutschen Kaiserreichs<br />
dem Grippe-Virus eine gewichtige Mitschuld<br />
für die schwindende Moral der<br />
Truppe und das drohende Scheitern des<br />
Krieges.<br />
Was ebenfalls nicht zu belegen sei, ist<br />
die oft bemühte These, dass sich die<br />
Grippe nur aufgrund der Kriegssituation<br />
verbreiten konnte.<br />
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14<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische Lazarette mit Grippeerkrankten, 1918<br />
Im Gegenteil: vor 1914 war die Welt<br />
über internationale Waren- und Migrationsströme<br />
bereits extrem globalisiert<br />
– so wäre das Virus mit Sicherheit auch<br />
ohne Truppenbewegungen in Umlauf<br />
geraten.<br />
Die erste Welle der Spanischen Grippe<br />
im Frühjahr 1918 infizierte große Teile<br />
der Weltbevölkerung,<br />
nahm sich im<br />
Vergleich zur zweiten<br />
Welle im Herbst<br />
1918, in der das Virus<br />
nochmals mutiert<br />
war, aber tendenziell<br />
harmlos aus.<br />
Schon im Juni 1918<br />
wurden Epidemien<br />
aus China, Australien,<br />
Neuseeland und<br />
Indien gemeldet.<br />
Durch winzige Tröpfchen<br />
beim Husten<br />
oder Niesen steckten<br />
sich die Menschen<br />
reihenweise an.<br />
Die Erkrankung begann<br />
mit Fieber, Husten, Kopf- und<br />
Gliederschmerzen und endete für viele<br />
mit einer begleitenden bakteriellen Lungenentzündung<br />
und dem Tod wenige<br />
Tage später. Bewohner der Insel Java<br />
beschrieben den Krankheitsverlauf so:<br />
„Morgens krank, abends tot; abends<br />
krank, morgen tot.“<br />
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Geschichte<br />
15
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Die Haut der Erkrankten verfärbte sich<br />
aufgrund der Unterversorgung mit Sauerstoff<br />
oft dunkelblau bis bräunlichviolett.<br />
Deshalb dachten viele Menschen damals<br />
zuerst an die Pest. Der „schwarze Tod“<br />
gehe wieder um, war nur eines der kursierenden<br />
Gerüchte. Die Mediziner waren<br />
ratlos. Manche hielten ein „Grippe-<br />
Bakterium“ für die Ursache. Der wahre<br />
Auslöser einer Grippe, das Influenza-<br />
Virus, wurde aber erst 1933 von drei<br />
Forschern in London entdeckt.<br />
Betroffen waren vor allem Babys und<br />
Kleinkinder unter fünf Jahren, ältere<br />
Menschen zwischen 70 und 74 Jahren<br />
- und auffallend viele robuste 20- bis 40-<br />
Jährige. Eine Altersklasse, die normalerweise<br />
von Infektionskrankheiten eher<br />
verschont bleibt.<br />
Besonders für die hart betroffenen Teile<br />
Afrikas, Asiens und Ozeaniens gibt es<br />
kaum valide Statistiken. Die Letalitätsrate<br />
lag je nach Versorgungssituation<br />
zwischen 0,7 und 6 Prozent, im polynesischen<br />
Samoa starb wegen des Fehlens<br />
jedweder Grippe-Immunität gar ein<br />
Fünftel der Bevölkerung.<br />
In der deutschen Öffentlichkeit war die<br />
Grippe zunächst kein großer Aufreger.<br />
Die Gesellschaft hatte sich eher mit der<br />
Niederlage und den direkten Kriegsfolgen<br />
als mit einer Grippeepidemie beschäftigt,<br />
die man weitgehend als naturgegeben<br />
hinnahm.<br />
Schlimmer wurde es im Herbst 1918:<br />
Jetzt infizierte das Virus wegen einer<br />
nunmehr partiellen Immunität in Teilen<br />
der Bevölkerung zwar deutlich weniger<br />
Menschen, brachte aber oft binnen zwei<br />
Tagen den Tod. Ein Charakteristikum der<br />
Spanischen Grippe, die sie von allen bekannten<br />
Epidemien – so auch vom heutigen<br />
Covid 19 - Virus – unterscheidet,<br />
war der Umstand, dass sie insbesondere<br />
Personen mit gesunden Immunsystemen<br />
im widerstandsfähigen Alter zwischen<br />
15 und 40 Jahren dahinraffte.<br />
Zudem wurde das Influenza-Virus selbst<br />
erst 1933 entdeckt, so dass man von<br />
wirksamen Impfstoffen nicht einmal<br />
hätte träumen können. Auch Therapeutika<br />
wie invasive Beatmung standen den<br />
Ärzten nicht zur Verfügung.<br />
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16<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische Abtransport von Erkrankten, 1918<br />
Bei der Herbstwelle 1918 regte sich<br />
nun auch in Deutschland Unmut in der<br />
Bevölkerung und die Presse berichtete<br />
weit mehr als noch im Frühjahr.<br />
In der Öffentlichkeit wurde eine Verbindung<br />
zwischen der durch die Kriegssituation<br />
bedingten schlechten Versorgungslage<br />
und der Heftigkeit der Grippe<br />
hergestellt, der sich aber heute nicht<br />
belegen läßt.<br />
Im Gegenteil – wenn die Hypothese<br />
vom Zykotin-Sturm zutrifft, waren gerade<br />
die besser versorgten Bürger der<br />
Siegermächte ob ihrer schlagkräftigen<br />
Immunsysteme besonders gefährdet.<br />
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Geschichte<br />
17
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Hinweis im Umgang mit der Grippe in den USA, 1918<br />
So verlor die US-Army insgesamt mehr<br />
Soldaten an die Spanische Grippe als im<br />
Kontakt mit dem Kriegsgegner.<br />
Verschwörungstheorien, die die Krankheit<br />
zum Teufelswerk deutscher Agenten<br />
oder zu Folgeschäden von Giftgaseinsätzen<br />
erklärten, waren in den USA<br />
an der Tagesordnung – ebenso in Frankreich<br />
und Südafrika.<br />
Wie aber reagierte<br />
die Politik auf die Spanische<br />
Grippe? Wie<br />
gestalteten sich die<br />
derzeit vielbeschworenen<br />
nichtpharmazeutischen<br />
Interventionen?<br />
Von koordinierten<br />
Schritten konnte in<br />
den meisten Ländern<br />
keine Rede sein.<br />
Ein Beispiel ist die<br />
Diskrepanz der seuchenpolizeilichen<br />
Maßnahmen<br />
in den amerikanischen<br />
Städten<br />
St. Louis und Philadelphia.<br />
Während die Behörden in St. Louis umfassend<br />
reagierten und das öffentliche<br />
Leben weitgehend zurückfuhren – ähnlich<br />
wie heute wurden Schulen, Kinos,<br />
Bibliotheken und Kirchen kurzerhand<br />
geschlossen – gab man sich in Philadelphia<br />
gelassen. Am 28. September 1918<br />
fand eine große Parade mit 200.000 Be-<br />
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18<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische suchern statt. Nach einer Woche waren<br />
45.000 Bürger infiziert und kurz danach<br />
gab es schon bald 12.000 Tote.<br />
St. Louis hingegen setzte um, was bei<br />
uns vor ein paar Tagen zum kategorischen<br />
Imperativ gesundheitsbewusster<br />
Gesellschaften avanciert ist: handele so,<br />
dass sich die Seuchenkurve abflacht. Da<br />
das Gesundheitssystem hier, anders als<br />
in Philadelphia, nicht ruckartig kollabierte,<br />
starben deutlich weniger Menschen.<br />
In der Schweiz dagegen, die ein im Vergleich<br />
zum Deutschen Reich wesentlich<br />
radikaleren „Shutdown“ umsetzten,<br />
hatte es aber prozentual genauso viele<br />
Krankheits- und Todesfälle gegeben wie<br />
in Deutschland, das seuchenpolitisch<br />
viel weniger agierte.<br />
Die Reichs- und Landesbehörden gaben<br />
keine verbindlichen Antworten, wie auf<br />
die Seuche zu reagieren sei, sondern<br />
überließen die Entscheidungen vollständig<br />
den Lokalverwaltungen. Der Föderalismus<br />
war im Deutschen Kaiserreich<br />
noch deutlich ausgeprägter als heute.<br />
Im Oktober 1918, wenige Wochen vor<br />
Ende des Krieges und in Zeiten höchster<br />
Not, war auch die Grippeepidemie auf dem<br />
Höhepunkt. „Sämtliche Schulen in Görlitz<br />
bleiben in dieser Woche weiter geschlossen“,<br />
schreiben die Nachrichten am 30.<br />
Oktober 1918. Allein bei der preußischen<br />
Staatseisenbahn waren wegen der Grippe<br />
45.000 Beschäftigte arbeitsunfähig.<br />
Dresden etwa und auch Görlitz hatte auf<br />
die zweite Welle sofort mit der Schließung<br />
von Schulen, Theatern, Kinos und<br />
dem Aussetzen von Gerichtsverhandlungen<br />
reagiert.<br />
In Leipzig aber waren solche Schließungen<br />
erst nach heftiger Kritik aus der Bevölkerung<br />
erfolgt – die Leipziger Messe<br />
fand seinerzeit noch statt.<br />
Flächendeckende Schulschließungen<br />
wie heute waren aber damals kein Thema,<br />
denn die Schulspeisung war für viele<br />
Kinder die einzige Möglichkeit gewesen,<br />
an Nahrung zu gelangen, denn in<br />
der Arbeiterklasse mußten beide Eltern<br />
in den Fabriken molochen.<br />
Die Möglichkeit zum Homeoffice war<br />
für Fabrikarbeiter nicht gegeben. Für<br />
Hamsterkäufe, wie man sie dieser Tage<br />
beobachten kann, fehlte es nicht nur an<br />
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Geschichte<br />
19
Von der Ankunft der Griechen in Görlitz –<br />
Griechen in Geld, sondern auch schlichtweg an Lebensmitteln.<br />
Alles in allem aber wurde die Spanische<br />
Grippe weder in Berlin, noch in London<br />
oder Washington als vordringliche Aufgabe<br />
angesehen. Viele Gesellschaften<br />
hatten mit Krankheiten wie Fleckfieber<br />
und Tuberkulose zu kämpfen, da wurde<br />
die Spanische Grippe trotz ihrer hohen<br />
Letalitätsrate nicht für besonders<br />
wichtig erachtet – zumal es auch keine<br />
ausgeprägte Erwartungshaltung an den<br />
Staat gab, als gesundheitspolitischer<br />
Akteur in Erscheinung zu treten.<br />
Eine kollektive Erfahrung, wie man sie<br />
dieser Tage erlebt, hat es seinerzeit<br />
nicht gegeben. Ebenso wenig wie eine<br />
transnationale Debatte, die in der vom<br />
Krieg zerklüfteten Welt sowieso nicht<br />
hätte stattfinden können.<br />
Vielleicht ist es daher kein Wunder, dass<br />
es kaum Orte der Erinnerung gibt. Dabei<br />
wird sie in den USA, wo die Spanische<br />
Grippe das größte demographische<br />
Desaster des letzten Jahrhunderts darstellt,<br />
aber stärker rezipiert als in Europa,<br />
dessen Erinnerungsressourcen mit<br />
den Weltkriegskatastrophen und insbesondere<br />
mit dem Holocaust relativ stark<br />
ausgeschöpft sind.<br />
Durch die Häufigkeit von Seuchenkrankheiten<br />
und den Ersten Weltkrieg war<br />
das Sterben ein normaler Bestandteil<br />
der zeitgenössischen Erfahrungswelt.<br />
Im Vergleich zur saisonalen Influenza<br />
ungleich heftigere Folge-Epidemien<br />
beutelten die Welt noch Jahre danach,<br />
zudem litten viele Überlebende an neurologischen<br />
Spätfolgen.<br />
Heute wird vermutet, dass sich der damalige<br />
Virus kurz vor dem Ausbruch 1918<br />
durch die Kreuzung eines Vogelgrippevirus<br />
mit einem menschlichen Virus, das<br />
bereits seit rund 10 bis 15 Jahren kursierte,<br />
entwickelte. Dies könnte auch erklären,<br />
warum die Grippe besonders viele<br />
20- bis 40-Jährige dahinraffte: Menschen,<br />
die 1918 jünger als 20 oder bereits älter<br />
als 40 waren, hatten als Kinder saisonale<br />
Grippewellen durchlebt, deren Erreger<br />
denen der Spanischen Grippe ähnelten.<br />
Ihr Immunsystem war bereits darauf<br />
vorbereitet. Als die im Jahr 1918 20- bis<br />
40-Jährigen noch Kinder waren, kursier-<br />
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20<br />
Geschichte
is zum Ausbruch der „Spanischen Grippe“ 1918<br />
Spanische Essenausgabe für Kinder, Fotografie 1918<br />
ten allerdings andere Influenzaviren. Sie<br />
waren für die Spanische Grippe leichte<br />
Opfer.<br />
So schlimm die derzeitige Corona-Krise<br />
auch ist, ist die große mediale, politische<br />
und gesellschaftliche Aufregung auch<br />
Ausdruck eines historischen Privilegs.<br />
Die jetzige Situation führt uns vor Augen,<br />
dass wir zumindest in Europa seit<br />
dem Zweiten Weltkrieg von echten Katastrophen<br />
verschont geblieben sind.<br />
Bleiben Sie liebe Leser gesund und meiden<br />
auch Sie bitte unnötige soziale Kontakte!<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
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Geschichte<br />
21
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz –<br />
Im Stadtbild Januar befand sich ein Artikel<br />
über die alte Wasserversorgung in Görlitz.<br />
Dies möchte ich nun fortsetzen mit der<br />
Entsorgung des Schmutzwassers im alten<br />
Görlitz.<br />
Neben der Versorgung mit gutem Trinkwasser<br />
war die Abwasser- und Fäkalienbeseitigung<br />
aus hygienischen Gründen<br />
eine genauso wichtige und dringende<br />
Aufgabe der Stadt. Bereits im 14., 15. und<br />
16. Jahrhundert wurden für die Abwässer<br />
und Fäkalien mehrere Schwemmkanäle in<br />
Görlitz gebaut, die die Abwässer entweder<br />
direkt in die Neiße oder in den Stadtgraben<br />
führte. Solche Kanäle wurden nach<br />
Jecht „Aizucht, Agtzucht oder Agezucht“<br />
genannt. Es bestanden zu jener Zeit nachfolgende<br />
Kanäle:<br />
1. Hauptkanal entlang der Neißstraße zur<br />
Neiße.<br />
2. Kanal vom Fischmarkt, Bäcker-, Webergasse<br />
zum Hauptkanal Neißstraße.<br />
3. Kanal entlang der Brüderstraße zum<br />
Kanal Neißststraße.<br />
4. Kanal zur Entsorgung des Rathauses<br />
über die Pech- (Ölschlägergasse) dem<br />
Hundsloch und mündete westlich vom Nikolaiturm<br />
in den Stadtgraben(1517).<br />
5. Ein weiterer Hauptkanal ging entlang<br />
der Fleischergasse (1448). In diesen Kanal<br />
wurden die Grundstücke der Langengasse<br />
und die nördlichen Häuser des Obermarktes<br />
angeschlossen.<br />
6. Im Jahre 1517 wurde ein Seitenkanal<br />
über den Untermarkt zum Kanal Neißstraße<br />
angelegt in diesen entsorgten unter anderem<br />
die Krämer auf dem Untermarkt.<br />
7. Im Jahre 1470 ein Kanal vom Federmarkt<br />
(Handwerk) über die Kränzelgasse<br />
zum Kanal Neißstraße.<br />
8. Ein Kanal entlang der Petergasse zur<br />
Neißstraße (1517).<br />
Diese Kanäle waren ausgemauert und<br />
überwölbt und es gab Stich- und Seitenkanäle<br />
zu den Häusern durch diese das Abwasser<br />
und die Fäkalien den Schwemmkanälen<br />
zugeführt wurden. Damit waren<br />
die überwiegenden Grundstücke der damaligen<br />
Stadt innerhalb der Stadtmauer<br />
an das Kanalnetz angeschlossen. Dies<br />
war in Görlitz zu jener Zeit ein besonderer<br />
Fortschritt, denn es war davon die Rede,<br />
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22<br />
Geschichte
Historischer Rückblick<br />
Abwasserentsorgung<br />
Der Pontekanal mündet an der Hotherstraße unter der ehemaligen Fußgängerbrücke in die Neiße<br />
das sich solche Einrichtungen bisher nur<br />
Rom und Straßburg leisten konnten, wie<br />
Stadtarchivar Richard Jecht in seinem<br />
Werk „Die Topographie der Stadt Görlitz“<br />
auf Seite 514 über Abzugskanäle bemerkte.<br />
Im Jahre 1830 existierten in Görlitz 36<br />
öffentliche unterirdische Kanäle mit einer<br />
Länge von 800-1.000 Ruten (ca.3.012 m<br />
bis 3.766 m).<br />
Eine ganz besondere Bedeutung hatten<br />
die inneren Stadtgräben, die rund um<br />
die Stadtmauer ihren Verlauf nahmen.<br />
Diese waren nicht nur Bestandteil der<br />
Stadtbefestigung und Verteidigung, sondern<br />
sie dienten auch zur Abführung von<br />
Schmutzwasser und Fäkalien. Gespeist<br />
wurden sie von Abzweigungen zahlreicher<br />
Wasserläufe (Lunitz, Ponte, Graben<br />
von der Kröl- und Salomongasse, sowie<br />
ein Gerinsel von der Langengasse über<br />
das Hundsloch in den Stadtgraben). Zusätzlich<br />
wurden das Überschusswasser<br />
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Geschichte<br />
23
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz –<br />
der Rohrbütten und das Regenwasser<br />
sowohl den Schwemmkanälen als auch<br />
dem Stadtgraben zwecks Spülung zugeführt.<br />
Zeitweise hatte man große Mühe,<br />
den inneren Stadtgraben mit Wasser zu<br />
füllen. Dieser war insbesondere bei langer<br />
Trockenheit schlammig und stinkend.<br />
In der Folgezeit zeigte sich jedoch, dass<br />
die Kanäle bei starkem Regen zu gering<br />
dimensioniert waren und der „Unflat“ in<br />
den Gassen landete. In den Grundstücken,<br />
die nicht an das Kanalnetz angeschlossen<br />
waren, mussten Senkgruben errichtet<br />
werden, die ständig mittels Fässer vorerst<br />
durch eine städtische Gesellschaft gelehrt<br />
werden mussten.<br />
Im Jahre 1873 wurde durch Ratsbeschluss<br />
die Tonnenabfuhr für die Fäkalienbeseitigung<br />
in den Grundstücken obligatorisch<br />
eingeführt.<br />
Mit dem Abbruch der Stadtmauern in<br />
den Jahren 1851-1860 verfüllte man die<br />
Stadtgräben und deren Zuflüsse wurden<br />
verrohrt oder als Kanal angelegt (Ponte-<br />
und Lunitzkanal). Am Nikolaigraben<br />
verlief der Stadtgraben als offener Bach<br />
in einem tiefen Graben. In den Jahren<br />
1861-1865 wurde auf der Nikolaistraße<br />
der Stadtgraben mit einem überwölbten<br />
Kanal mit 12 Fuß Breite (3,766 m) und 7<br />
Fuß Höhe (2,20 m) und einer Länge von<br />
40 Ruten (150,64 m) versehen. Gleichzeitig<br />
wurde eine gepflasterte Fahrstraße<br />
am Nikolaigraben errichtet. An dem überbauten<br />
Stadtgraben befindet sich jetzt die<br />
Grünanlage am Nikolaigraben. Der Pontekanal<br />
mündet an der Hotherstraße unter<br />
der ehemaligen Fußgängerbrücke in die<br />
Neiße, wie obige Abbildung auf Seite 27<br />
zeigt.<br />
Mit der stetigen Stadterweiterung kam<br />
die Stadt mit dem Anlegen der Kanäle<br />
nicht nach, und man wollte auch dafür<br />
die Kosten sparen. Um die Fäkalien aus<br />
den Grundstücken entsorgen zu können,<br />
wurde ab dem Jahre 1873 wie oben angeführt<br />
ein Tonnenabfuhrsystem eingeführt.<br />
Für die Erstbeschaffung der Tonnen und<br />
für die vorläufige Kostendeckung entnahm<br />
die Stadt 3.113,21 Taler aus dem<br />
kommunalen Haushalt. Dazu verabschiedete<br />
der Magistrat eine Verordnung zur<br />
Verpflichtung aller Grundstücksbesitzer<br />
zur Übernahme des Tonnenabführsys-<br />
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24<br />
Geschichte
Historischer Rückblick<br />
Abwasserentsorgung<br />
tems. Die Tonnenabfuhr übertrug später<br />
der Magistrat an private Firmen, die oft<br />
wechselten. So wurde im Jahre 1877 die<br />
Abfuhr der Tonnen dem früheren Rittergutspächter<br />
Oskar Hesse aus Frankfurt<br />
a. d. Oder gegen die Leistung einer Kaution<br />
von 600,- Mark und unter der Gewährung<br />
einer Entschädigung von 17 Pfennig<br />
pro Tonne kontraktlich übertragen.<br />
Der Unternehmer Hesse betrieb bis 1884<br />
die Tonnenabfuhr mit 7 Wagen und 7 Pferdegespannen.<br />
Damit waren beschäftigt:<br />
1 Schirrmeister, 7 Kutscher, 3 Ausheber<br />
und 10 Tonnenwechsler (21 Personen).<br />
Am 1. Oktober 1884 wurde die Tonnenabfuhr<br />
dem Unternehmer Fünfstück vertraglich<br />
übergeben. Fünfstück war Pächter<br />
des Kämmereirittergutes Hennersdorf.<br />
Der Wechsel erfolgte infolge eines Submissionsverfahrens.<br />
Durch dieses war<br />
die festgesetzte Entschädigung von 17,5<br />
Pfennig auf 10 Pfennig je Tonne herabgesetzt<br />
worden.<br />
Die 6 Endladestellen der Tonnen befanden<br />
sich im Umkreis der Stadt, einschließlich<br />
einer Bahnverladung in Hennersdorf. Die<br />
seit 1878 in Pacht gewesenen Waggons<br />
zur Abfuhr der Fäkalien sind 1884 von<br />
Fünfstück durch eigene Eisenbahntransportwagen<br />
ersetzt worden.<br />
Die Fäkalien verkaufte man als Dünger,<br />
vorwiegend nach Seidenberg, Lomnitz<br />
(Kreis Görlitz), Rietschen, Horka und weitere<br />
Orte. Innerhalb von 5 Tagen kamen<br />
2.200 Tonnen zur Abfuhr zu den Entladestellen<br />
zur Entleerung. Der Inhalt einer<br />
Tonne erster Größe betrug im Sommer<br />
100 Kg und im Winter 150 Kg, und die<br />
Tonne zweiter Größe betrug im Sommer<br />
50 Kg und im Winter 100 Kg. Die Fäkalien<br />
fanden bei den umliegenden Gutsbesitzern<br />
stets eine gute Abnahme. Die<br />
Desinfektion der Tonnen erfolgte bei jeder<br />
Leerung seitens einer Ausspülung mit<br />
Karbol- und Schwefelsäure und im Winter<br />
nur durch einfache Reinigung. Der Verordnung<br />
zur pflichtgemäßen Einrichtung von<br />
Tonnenkammern in den Grundstücken<br />
kamen die Grundstückbesitzer nur zögerlich<br />
nach. Seit dem 1. Juli 1884 setzte die<br />
Stadt einen Revisor in Person des Ökonomieinspektors<br />
Förster ein, der diese Verordnung<br />
durchsetzen sollte. Der Bestand<br />
an Tonnen betrug im Jahre 1890/91 4.248<br />
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Geschichte<br />
25
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz –<br />
Tonnen in 1647 Haushalten.<br />
Für dieses Berichtsjahr 1890/91 entstanden<br />
für die Fäkalienabfuhr folgende Kosten:<br />
Entgelte an den Unternehmer für die Tonnenabfuhr<br />
27.022,14 M<br />
Diäten für den Revisor 1.095,00 M<br />
Sonstige Ausgaben für neue Tonnen und<br />
Reparaturen 11.770,98M<br />
Gesamtausgaben 39.888,12 M<br />
Einnahmen 5.848,30 M<br />
Gesamtausgaben für Tonnenentsorgung<br />
aus dem städtischen Etat 34.039,82 M<br />
Die letzte Statistik über die Fäkalienabfuhr<br />
befindet sich im Verwaltungsbericht<br />
des Magistrates 1902. Ausgewiesen sind<br />
7271 Tonnen in 2558 Grundstücken. Die<br />
Einnahmen setzten sich aus den Beiträgen<br />
der Hausbesitzer und dem Erlös verkaufter<br />
Tonnen in Höhe von 31.254,15 M<br />
zusammen. Dem standen Ausgaben für<br />
die Abfuhr und für die Aufstellung neuer<br />
Tonnen von 86.307,27 M gegenüber.<br />
Dies ergab einen Zuschuss der Kommune<br />
von 55.953,12 M. Das waren 6.251,49<br />
Mehrausgaben als im vergangenen Berichtsjahr.<br />
Mit der Fertigstellung des Wasserwerkes<br />
1878 und der zunehmenden<br />
Einrichtung von Wasserspültoiletten und<br />
Bädern genügte das bisherige System<br />
der Tonnenentsorgung nicht mehr. Die für<br />
diesen Zweck erforderlichen Schwemmkanäle<br />
waren in großen Teilen noch nicht<br />
vorhanden oder ungenügend dimensioniert.<br />
In den Jahren 1909-1913 ist ein modernes<br />
Kanalsystem als Trennsystem für<br />
Schmutz- und Regenwasser mit einem<br />
Aufwand von 4.000.000 M errichtet worden.<br />
Im Jahre 1910 wurde das Klärwerk<br />
in Görlitz in Betrieb genommen. Bis zu<br />
diesem Zeitpunkt und in Teilen der Stadt<br />
danach war noch das Tonnensystem in<br />
Betrieb, da noch nicht alle Grundstücke<br />
an das Kanalsystem angeschlossen werden<br />
konnten.<br />
Im Jahre 1911 gab es bereits in Privathaushalten<br />
7779 Wasserspülklosetts und<br />
1927 Bäder, sowie 10 öffentliche Bedürfnisanstalten.<br />
Die Einwohnerzahl in Görlitz<br />
betrug 85.742 Personen. Der Tonnenwechsel<br />
erfolgte auch noch im Jahre 1912<br />
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26<br />
Geschichte
Historischer Rückblick<br />
Abwasserentsorgung<br />
aller 5 Tage durch zwei Unternehmen.<br />
Durch die Inbetriebnahme der Kläranlage<br />
1910 und den Anschluss zahlreicher<br />
Grundstücke an die Kanalisation ergab<br />
sich eine wesentliche Reduzierung der<br />
Tonnenabfuhr. Im Jahre 1912 waren erst<br />
534 Häuser an die Schmutzwasserkanalisation<br />
angeschlossen. Die nicht angeschlossenen<br />
Grundstücke beseitigten ihre<br />
Fäkalien nach wie vor mit Tonnen.<br />
Selbstwechsler entsorgten die Fäkalientonnen<br />
in eigener Regie und verwendeten<br />
die Fäkalien in ihren eigenen Gärten bzw.<br />
auf Feldern. Für das Tonnensystem 1911<br />
musste die Stadt aus ihrem Etat 3.112<br />
Mark zuschießen. Die größten Leistungen<br />
bei der Neukanalisation wurden in den<br />
Jahren 1910 und 1911 erbracht. So wurden<br />
im Jahre 1910 in 39 bebauten und<br />
in 11 Neubaustraßen 12.000 m Schmutzwasserkanäle<br />
und 3200 m Regenwasserkanäle<br />
(Zusammen 15.200 m) sowie zuzüglich<br />
8659 Hausanschlüsse angelegt.<br />
Im Jahre 1911 wurden in 44 bebauten<br />
Straßen und in 12 Neubaustraßen<br />
14.130 m Schmutzwasserkanäle und<br />
7.220 m Regenwasserkanäle (zusammen<br />
Toilettenanlage auf der Rosenstraße 1911<br />
vor der Vollkanalisation<br />
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Geschichte<br />
27
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz –<br />
Kanalbau Lüders-Straße, Ecke Hohe Straße<br />
21.330 m) errichtet. Man muss sich das<br />
einmal vorstellen dass mit primitiver Technik<br />
in diesen 2 Jahren 36.530 m Kanäle<br />
erbaut wurden – wie lange würde dieses<br />
heute dauern?<br />
Im Jahre 1910 wurde die Oststadt an die<br />
Schmutzwasserleitung angeschlossen.<br />
Dazu wurde ein Eisenrohr mit 400 mm<br />
Durchmesser als Dücker in die Neiße verlegt<br />
und in den Hauptsammler der Uferstraße<br />
zugeführt. Folgende Straßen der<br />
Kanalbau Christoph-Lüders-Straße<br />
Oststadt wurden damit entsorgt:<br />
Prager Straße, Moyser Weg, Rabenberggelände<br />
und später die Breslauer Straße.<br />
Eine Grundvoraussetzung zum Funktionieren<br />
des Abwassersystems war die Erbauung<br />
des Klärwerkes und dessen Inbetriebnahme<br />
im Jahre 1910.Das Klärwerk<br />
bestand zunächst aus einer Brunnengruppe<br />
bestehend aus 2 Brunnen. Im Jahre<br />
1911 gab es eine wesentliche Erweiterung<br />
wo mit dem Bau von weiteren Brunnen-<br />
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28<br />
Geschichte
Historischer Rückblick<br />
Abwasserentsorgung<br />
Kanalbau Heilige-Grab-Straße<br />
Ausmauerung eines Hauptkanals<br />
gruppen begonnen wurde. Es entstanden<br />
vier weitere Brunnen von je 8 Meter<br />
Durchmesser und 10 Meter tiefe. Diese<br />
Brunnengruppen ließen sich sowohl hintereinander<br />
als auch als in Parallelschaltung<br />
der einzelnen Brunnen betreiben.<br />
Um das Ablassen der Schlammmengen<br />
nach Bedarf vornehmen zu können, führte<br />
man 1911 neue Schlammfelder ein. Die<br />
alten Schlammtrockenfelder wurden mit<br />
einer auf Holzrampen liegenden Gleisanlage<br />
ausgestattet, um das Ausfahren des<br />
Schlammes aus den Trockenfeldern und<br />
den Transport zu den Schlammlagerplätzen<br />
leichter bewerkstelligen zu können.<br />
Die im Berichtjahr 1911 abgelassene<br />
Schlammmenge betrug ca. 1400 m³, die<br />
sich durch die Trocknung auf 820 m³ reduziert<br />
hatte. Im Berichtsjahr erfolgte<br />
zunächst die Abgabe des getrockneten<br />
Schlamms an Interessenten. Da dieser<br />
Schlamm als Dünger bei Landwirten und<br />
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Geschichte<br />
29
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz<br />
Dücker kurz vor deren Versenkung um 1910<br />
Stadtgärtnern gefragt war, wurde dafür<br />
eine Gebühr von einer Mark für 1 m³ gezahlt.<br />
Zur Aufzeichnung der Wasserstände im<br />
Kanal wurde ein selbstregistrierender Pegelschreiber<br />
aufgestellt. Der Kläreffekt war<br />
befriedigend und betrug im Durchschnitt<br />
90 % der ausscheidbaren Schwebestoffe.<br />
Von der Königlichen Untersuchungsanstalt<br />
für Wasserversorgung und Abwasserreinigung<br />
sowie vom städtischen chemischen<br />
Untersuchungsamt wurden Proben im<br />
Vorfluter (Neiße), der Kläranlage zufließenden<br />
Wässer sowie des gereinigten<br />
Wassers vorgenommen und daraus die<br />
chemische Beschaffenheit festgestellt.<br />
Auch die Einwirkung des Abwassers aus<br />
der Kläranlage in die Vorflut (Neiße) wurde<br />
geprüft. Es gab keine Beanstandungen.<br />
Als Problem erwies sich die Schmutzwasserentsorgung<br />
aus der Aktienbrauerei.<br />
Infolge der Geländeverhältnisse konnten<br />
die Schmutzwässer der Brauerei und<br />
der Gebäude im Weinberggelände dem<br />
Hauptschmutzkanal nicht unmittelbar<br />
zugeleitet werden. Diese Wasser flossen<br />
zunächst in einen 9 m tiefen und 4,5 m<br />
breiten gemauerten Sammelschacht gegenüber<br />
der Brauerei zusammen. Mittels<br />
automatischer Schaltung von zwei E-Motoren<br />
(je 13,5 PS bei 1.500 U/Min), die<br />
mit der Kreiselpumpe (Leistung 15 Liter<br />
pro Sekunde = 5,4 m3/Stunde) gekuppelt<br />
waren, wurde das Schmutzwasser in den<br />
Schmutzwasserkanal der Goethe- bzw.<br />
der Sattigstraße gepumpt und von dort in<br />
die Kläranlage geleitet. In den Berichtsjahren<br />
1914 bis 1927 wurden Neukana-<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
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<br />
<br />
<br />
30<br />
Geschichte
Die Abwasserentsorgung im alten Görlitz –<br />
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Fotos vom Bau der Kläranlage 1910 und 1911.<br />
lisationen mit insgesamt 8.131 Metern<br />
ausgeführt. An diese Kanalisation waren<br />
im Jahre 1917 3.546 Grundstücke angeschlossen<br />
(im Jahre 1914 waren es 2.346<br />
Grundstücke).<br />
Für den Anschluss eines Grundstückes<br />
an die Kanalisation wurden als einmalige<br />
Anschlussgebühr für den Schmutz- und<br />
Regenwasserkanal je 5 % des Gebäudesteuer-Nutzungswertes<br />
erhoben. Die<br />
Kanalnutzungsgebühren betrugen im<br />
Jahre 1927 2,5 % des Gebäudesteuer-<br />
Nutzungswertes (1914 gleich 1 %).<br />
In der Kläranlage wurden 1927 täglich<br />
8.000 m³ Abwässer verarbeitet, 1914 waren<br />
es 7.000 m³. Der Schlammausfall betrug<br />
jährlich etwa 5.000-6.000 m³. Dieser<br />
wurde als Dung abgesetzt.<br />
Im Jahre 1922 errichtete man einen 2.000<br />
m³ fassenden Schlammnachfüllbehälter<br />
zur Schlammaufspeicherung und Nachreife.<br />
Außerdem wurden in den Jahren<br />
32<br />
Geschichte
Historischer Rückblick<br />
Abwasserentsorgung<br />
1922/23 versuchsweise zwei 4.000 m²<br />
große Fischteiche angelegt. Diese Teiche<br />
erhielten einen Frischwasserzufluss<br />
von der Neiße und vom Emscherbrunnen<br />
gereinigtes Abwasser im Verhältnis 1:3.<br />
Durch diese Verfahrensweise erreichte<br />
man eine weitere Reinigung der Abwässer.<br />
Zum Vergleich: Im Jahre 1927 wurden<br />
täglich 8.000 m³ Abwasser gereinigt, so<br />
betrug dies im Jahre <strong>201</strong>6 täglich 21.000<br />
m³. Die Länge der Abwasserkanäle der<br />
Stadt betrugen im Jahre <strong>201</strong>6 = 347 Km.<br />
Wolfgang Stiller Görlitz<br />
Quelle: Buch „Von Brunnen, Zisternen<br />
und Rohrbütten zum Wasserwerk in<br />
Görlitz – 140 Jahre Wasserwerk in Leschwitz“<br />
Autor Wolfgang Stiller<br />
(Im Handel noch erhältlich)<br />
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Geschichte<br />
33
Christian Weises „Comoedie vom König Salomo“ –<br />
Weise<br />
Christian Weise (1642-1708), der bedeutendste<br />
Sohn der Stadt Zittau, war<br />
nicht nur ein hervorragender Pädagoge<br />
und Rektor des hiesigen Gymnasiums,<br />
sondern auch ein bedeutender Schriftsteller.<br />
Weise schrieb seinerzeit Gedichte, Romane,<br />
Lehrbücher und vor allem Theaterstücke.<br />
Es gab die Tradition des Theaterspielens<br />
in den Gymnasien. Christian Weise führte<br />
das Schultheater in Zittau seinerzeit<br />
zur Blüte. Er schrieb die Stücke für die<br />
Aufführungen in Zittau alle selbst. In den<br />
30 Jahren seines Wirkens als Rektor in<br />
Zittau schuf Christian Weise mehr als 50<br />
Theaterstücke und führte die meisten<br />
davon auch mit seinen Schülern auf.<br />
Einige Stücke wurden bereits zu Lebzeiten<br />
Weises gedruckt, viele sind als<br />
handschriftliche Manuskripte im Altbestand<br />
der Christian-Weise-Bibliothek<br />
Zittau erhalten, einige sind verloren gegangen.<br />
In Zittau wurde unter Weises Leitung an<br />
drei Tagen hintereinander Schultheater<br />
gespielt.<br />
Am ersten Tag wurde ein biblisches Drama<br />
aufgeführt, am zweiten Tag gab es<br />
ein historisches Stück und zum Abschluss<br />
folgte ein Lustspiel. In die Aufführungen<br />
der Stücke waren alle Schüler des Gymnasiums<br />
einbezogen, vom Jüngsten, bis<br />
zum Ältesten. Daher haben die Stücke<br />
bis zu 60 oder 80 Mitwirkende und dauerten<br />
zwischen vier und sechs Stunden.<br />
Da es damals im Gymnasium nur männliche<br />
Schüler gab, mussten auch die<br />
weiblichen Rollen, ohne die es ein gutes<br />
Theaterstück natürlich nicht gab,<br />
von den Jungen gespielt werden. Das<br />
hat dann sicher immer wieder für Heiterkeit<br />
gesorgt und die lange Spieldauer<br />
erträglich gemacht.<br />
Die ersten Herbstaufführungen fanden<br />
vom 23. bis 25. Oktober 1685, von<br />
Dienstag bis Donnerstag, statt.<br />
Am ersten Tag wurde das biblische Stück<br />
vom „Allerseits Unvergleichlichen König<br />
Salomon“ aufgeführt. Am zweiten Tag<br />
folgte das historische Schauspiel „Die<br />
boßhaffte und verstockte Prinzessin Ulvilda<br />
aus Dennemarck“. Den Abschluss<br />
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34<br />
Geschichte
anlässlich der Bucherstausgabe - 334 Jahre nach der<br />
Christian Aufführung des StückesWeise<br />
bietet in barocker Ausführlichkeit einen<br />
ersten Überblick über die drei Schauspiele<br />
des Jahres. Danach werden die<br />
einzelnen Schauspiele vorgestellt. Einer<br />
Inhaltsangabe des jeweiligen Stückes<br />
folgt die Liste der handelnden Personen.<br />
Christian Weise - Comoedie vom König Salomo,<br />
Handschrift, Titelseite<br />
am dritten Tag bildete das Stück vom<br />
„Träumenden Bauer in Niederland“ nebst<br />
einem musikalischen Zwischenspiel „Von<br />
der Unbeweglichen Fürsten-Liebe“.<br />
Als Einladung zu den Aufführungen verfasste<br />
Christian Weise ein achtseitiges<br />
gedrucktes Programm. Das Titelblatt<br />
Während die Stücke des zweiten und<br />
dritten Tages schon lange veröffentlicht<br />
wurden, gehörte der „König Salomo“ zu<br />
den zahlreichen Werken Weises, welche<br />
nur als handschriftliches Manuskript<br />
vorliegen und noch nie veröffentlicht<br />
wurden.<br />
Das änderte sich erst in jüngster Zeit.<br />
Zu verdanken ist diese Veröffentlichung<br />
den beiden Philologinnen Frau Dr. Imelda<br />
Rohrbacher und Frau Magister Michaela<br />
Neidl aus Wien. Im Rahmen des<br />
Forschungsprojektes „König, Weiser,<br />
Liebhaber und Skeptiker – Rezeption<br />
Salomos“ am Institut für Bibelwissenschaft<br />
des Alten Testamentes an der Katholischen<br />
Privat-Universität Linz haben<br />
sie sich u. a. intensiv mit Weises „König<br />
Salomo“ beschäftigt.<br />
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Geschichte<br />
35
Christian Weises „Comoedie vom König Salomo“ –<br />
Weise<br />
Dazu hat Frau Dr. Rohrbacher eine<br />
umfassende Einleitung in Weises<br />
Stück geschrieben, sowie einen<br />
kommentierten Handlungsverlauf<br />
zusammengestellt. Frau Neidl verfasste<br />
den editorischen Vorbericht<br />
und berichtet über die Transkription.<br />
Erschienen ist das Werk in der Schriftenreihe<br />
„Zeitsprünge - Forschungen<br />
zur Frühen Neuzeit“ im Vittorio Klostermann<br />
Verlag in Frankfurt am Main<br />
im Herbst <strong>201</strong>9, also 334 Jahre nach<br />
der Erstaufführung des Stückes.<br />
Christian Weise - Einladungsschrift Schultheater<br />
Oktober 1685<br />
Worum geht es nun in dem biblischen<br />
Stück der „Comoedie vom König<br />
Salomo“?<br />
König Salomo lebte im 10. Jahrhundert<br />
v. Chr. und herrschte über das<br />
vereinigte Königreich Israel. Nach<br />
Saul und seinem Vater David ist Salomo<br />
der dritte König Israels gewesen.<br />
Er soll auch der Erbauer des ersten<br />
jüdischen Tempels in Jerusalem gewesen<br />
sein. Salomo verzichtete auf<br />
die weitere Vergrößerung seines Reiches<br />
und pflegte stattdessen friedli-<br />
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36<br />
Geschichte
anlässlich der Bucherstausgabe - 334 Jahre nach der<br />
Christian Aufführung des StückesWeise<br />
che Beziehungen zu den Nachbarn. Er<br />
öffnete sein Reich gegenüber anderen<br />
Kulturen und Religionen. König Salomo<br />
starb im Jahr 932 v. Chr.<br />
Bekannt ist heute noch der Begriff eines<br />
„salomonischen Urteils“, der auf eine<br />
überaus weise Entscheidung Salomos<br />
im Streit zweier Frauen um ein Kind zurückgeht.<br />
Die Königin von Saba ist nur durch die<br />
Bibel überliefert. Sie soll zu Zeiten Salomos<br />
gelebt haben und zu ihm und seinem<br />
Hof nach Jerusalem gereist sein.<br />
Diese biblische Geschichte griff Christian<br />
Weise für sein Schauspiel auf.<br />
Weises Salomo steht im Spannungsfeld<br />
seiner vier Frauen. Sie entstammen<br />
nicht nur verschiedenen Völkern, sondern<br />
haben auch unterschiedliche Religionen.<br />
Jede seiner Frauen, angetrieben<br />
durch die jeweiligen Verbündeten,<br />
will den König beeinflussen und auf ihre<br />
Seite ziehen. Ein politisches Ränkespiel<br />
also.<br />
Natürlich kommt auch das salomonische<br />
Urteil bei Weise vor.<br />
Worin besteht nun die Bedeutung von<br />
Christian Weises „Comoedie vom König<br />
Salomo“?<br />
Weise hat mit seinem König Salomo ein<br />
zeitloses Stück geschaffen. Die von ihm<br />
behandelten Themen, wie Korruption,<br />
Feminismus, Glaubenskrieg und Rassismus,<br />
beschäftigen uns bis heute.<br />
Das Stück zeichnet sich durch eine große<br />
Volksnähe aus. Weise hat die zeitgenössische<br />
Lebenswelt einbezogen, die<br />
Figuren sprechen eine natürliche Umgangssprache.<br />
Gelehrtensprache und<br />
Fachbegriffe hat er vermieden.<br />
Es ist eine ausgewogene Komödie, die<br />
ohne großen Wortschwall auskommt<br />
und frei von krassen Übertreibungen<br />
ist. Religiöse Einschüchterung oder<br />
bedingungslose Bekehrung findet bei<br />
Christian Weise nicht statt. Seinen protestantischen<br />
Glauben setzt er mit viel<br />
Feingefühl und durchaus differenziert<br />
ein.<br />
Durch die Narrenfiguren in seinem Stück<br />
übt Weise Sozialkritik an den höfischen<br />
und gesellschaftlichen Missständen seiner<br />
Zeit.<br />
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Geschichte<br />
37
Christian Weises „Comoedie vom König Salomo“<br />
Weise<br />
Von seiner Aktualität hat es bis<br />
heute nichts verloren.<br />
Somit ist Christian Weises „Comoedie<br />
vom König Salomo“ eine<br />
großartige Wiederentdeckung eines<br />
zu Unrecht fast vergessenen<br />
Theaterstückes aus der Barockzeit.<br />
Am 29. <strong>April</strong> <strong>2020</strong>, 18.30 Uhr<br />
findet eine Buchvorstellung von<br />
Christian Weises „Comoedie vom<br />
König Salomo“ im Altbestand der<br />
Christian-Weise-Bibliothek Zittau<br />
statt.<br />
Frau Dr. Rohrbacher aus Wien<br />
wird ausführlich über König Salomo,<br />
die Königin von Saba und<br />
Christian Weises entsprechendes<br />
Schultheaterstück berichten.<br />
Christian Weise - Comoedie vom König Salomo -<br />
Buchausgabe <strong>201</strong>9<br />
Uwe Kahl<br />
Christian-Weise-Bibliothek Zittau<br />
Wissenschaftlicher und Heimatgeschichtlicher<br />
Altbestand<br />
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38<br />
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Redaktionsschluss: 20. <strong>April</strong> <strong>2020</strong><br />
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