Das Stützpunktsystem im paralympischen Leistungssport

86 Darstellung und Interpretation der empirischen Ergebnisse
also ich habe jetzt ein WG-Zimmer
20 Minuten vom OSP entfernt zu
Fuß und das Training, was halt sonst
irgendwie außerhalb, also mit Skiroller
oder so stattfindet, ist von den
Trainern organisiert, das heißt, wir
fahren alle zusammen mit einem Bus
zum Training und entweder treffen
wir uns am Olympiastützpunkt oder
die sammeln uns halt teilweise sogar
vor der Haustür ein. Das ist wirklich
super geregelt.“ (AT12_Ski nordisch)
Gleichzeitig wird deutlich, dass diejenigen,
denen es nicht möglich ist, in unmittelbarer
Nähe des Stützpunktes zu wohnen, einen
größeren Zeitaufwand betreiben müssen, um
die Trainingsstätte zu erreichen:
„Ich kann natürlich aufgrund der
Schule nicht jeden Tag nach [Stützpunktstandort]
fahren, das ist einfach
zeittechnisch gar nicht möglich. […]
Also von hier bis nach [Stützpunktstandort]
sind es genau 50 Kilometer,
es ist aber immer eine sehr stark
befahrene Strecke und je nachdem
wie man welchen Tag halt eben bekommt,
ist es halt einfach auch Feierabendverkehr
und ich fahre schon
eine Stunde vorher los. Einfach auch
weil ich mir dann auch während des
Autofahrens keinen Stress machen
möchte, weil ich denke, ich komme
zu spät, dann kann ich einfach entspannt
fahren und ohne Druck und
in der Regel passt es dann noch immer
so gerade, dass ich noch pünktlich
komme, aber das ist dann auch
kein Problem, weil wir sind nicht die
pünktlichste Gruppe, sage ich mal.“
(AT13_Leichtathletik)
Zu betonen ist, dass nicht alle Befragten in
der Lage sind, in ihrer aktuellen Lebensphase ihr
Leben allein nach dem Leistungssport auszurichten,
wie es oben in einem Zitat ausgedrückt
wurde. Vor allem ältere Athletinnen und Athleten,
die voll ins Berufsleben eingebunden und
daraus folgend gezwungen sind, ihren Bewe-
gungsradius auf Aufenthaltsorte außerhalb des
Stützpunktes auszuweiten, sprechen von für sie
anstrengenden Wegezeiten:
„Es ist halt die Schwierigkeit, ob man
mit einem Beruf eingebunden ist. […]
Wenn ich zweimal am Tag trainiere
und wenn ich freigestellt bin, wie ein
[Name eines erfolgreichen Paralympics-Kader-mitglied],
der sagt: ‚Ein Jahr
vor Tokyo bin ich voll Athlet.‘ […] dann
kann man in Ruhe trainieren, essen und
dann kann man […] sich in den Räumlichkeiten
vom OSP nochmal auszuruhen
zwei/drei Stunden, und danach
hat man die zweite Einheit und fährt
dann nach Hause. Aber wenn man statt
Pause nochmal ins Büro muss und da
einfach nur rumhockt und überhaupt
nicht regenerieren kann, weil man
dann im Kopf belastet ist und die Beine
nicht einmal entlastet sind, weil man
permanent in einer Sitzposition ist, das
ist dann schon noch ein Unterschied.“
(AT3_Leichtathletik)
„Ich bin eine Zeit lang jetzt noch Ende
letzten Jahres nach [Stützpunktstandort]
gefahren, habe mich aber dann
umentschieden, weil das auch mit ein
Grund war, warum ich nach Rio aufgehört
habe, weil einfach die körperliche
Belastung zu hoch gewesen ist. Da war
ich dreimal in [Stützpunktstandort],
montags, mittwochs, freitags. Und da
ist es halt einfach so, […] ich bin direkt
aus der Arbeit raus, hab mich ins Auto
gesetzt, bin nach [Nahme des Stützpunkts]
gefahren und war abends um
12 Uhr wieder Zuhause. Und hab dann
auch gemerkt, dass das einfach mit
meinem fortgeschrittenen Alter (lacht)
nicht mehr umsetzbar ist, das halt zu
leisten. Und jetzt ist es so, ich sage:
‚Alles klar, hast dein Training, danach
bist du schnell Zuhause, kannst noch
kurz was essen, kannst dann ins Bett.‘
Und das ist halt schon deutlich besser
und auch für meinen Körper besser zu
leisten.“ (AT21_Sitzvolleyball)
Analyse des Stützpunktsystems zur Förderung des paralympi schen Spitzen- und Nachwuchs leistungssports in Deutschland