Lehrbuch des Estnischen und Finnischen

auch bei der Verwendung der Zahlen, die mit Ausnahme des Tibetischen
immer einen sogenannten Klassifikator verlangen, der ungefähr mit dem
deutschen Wort „Stück“ verglichen werden kann, also etwa im Ausdruck
„zwei Stück Brot“ - und in jeder dieser Sprachen gibt es mehrere Dutzend
solcher Klassifikatoren. Trotzdem unterscheiden sich das Chinesische mit
allen seinen Varianten und das benachbarte Vietnamesische trotz der fast
identischen Denkweise vor allem wegen des völlig anderen Wortschatzes
voneinander wie der Tag von der Nacht - und das letztere wiederum auf
die gleiche Weise vom Thailändischen und dieses wiederum vom
Birmanischen oder Burmesischen, obwohl sie alle miteinander verwandt
sein sollen. Auch dort stellt sich die Frage, wie lange eine allfällige
Entwicklung von einer sino-tibetischen Urmutter bis zu den heutigen
Sprachen gedauert haben könnte. Heute ist man zwar so weit gekommen,
dass das Tibetische und Birmanische oder Burmesische eine eigene
Familie bilden, aber auch diese beiden unterscheiden sich voneinander
wie der Tag von der Nacht. Am verblüffendsten und auch
widersprüchlichsten ist jedoch dies: Obwohl das Chinesische mit allen
seinen Varianten und das Japanische und Koreanische zu fast hundert
Prozent die gleiche Denkweise haben, ist noch niemand auf die Idee
gekommen, diese drei als Sprachschwestern zu bezeichnen. Das wäre
auch deshalb umso erstaunlicher, als es heute allgemein als sicher gilt,
dass Japanisch und Koreanisch trotz ihrer grammatikalischen
Ähnlichkeiten nicht von der gleichen Ursprache abstammen.
Warum trotz fehlender klarer Beweise immer noch davon geredet und
geschrieben wird, dass es eine indogermanische oder indoeuropäische
Ursprache gegeben hat, liegt auch in der Geschichte des 19. Jahrhunderts
begründet. Es ist sicher kein Zufall, dass etwa in der Mitte dieses
Jahrhunderts, als neben den verbesserten Kenntnissen über die
asiatischen Sprachen dieser „Familie“ auch die Evolutionstheorie aufkam,
diese gleich zusammen verknüpft wurden und zugleich eine
systematische Bibelkritik einsetzte und bald immer weitere Kreise zog.
Plötzlich galt es nicht mehr als sicher und glaubwürdig, was zuvor fast
2‘000 Jahre lang geglaubt worden war und nicht hatte kritisiert werden
dürfen, obwohl die meisten Leute dieses „alte Buch“ nicht wirklich gekannt
hatten. Könnte es aber nicht sein, dass die Geschichte vom Turmbau zu
Babel sich halt doch so wie beschrieben ereignet hat? Auch das lässt sich
nicht klar beweisen, aber es gibt wenigstens Hinweise darauf, und nach
meiner Meinung sind die indogermanischen oder indoeuropäischen sowie
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