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MOMENTE MAGAZIN NO. 7

Genießen Sie eine ganz besondere Lektüre: das MOMENTE MAGAZIN. Ihr Korbinian Kohler

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SUSE KOHLER<br />

<strong>MOMENTE</strong> <strong>MAGAZIN</strong><br />

Suse Kohler steht auf der Terrasse vor ihrem<br />

Atelier und deutet auf die Tegernseer<br />

Hausberge, die sich postkartengleich vor<br />

ihr ausbreiten: den Wallberg, den Hirschberg,<br />

die Neureuth. Sie nennt es Kraftorte<br />

– dazu der See, die klare Luft, die Abendstimmung,<br />

wenn der Horizont sich leise<br />

dunkelrosa färbt. „Das Schönste“, sagt<br />

sie, „ist, hier in meinem Atelier zu sein!“<br />

Das Atelier verteilt sich in einem kleinen<br />

Haus, das der Filmkulisse eines Eberhofkrimis<br />

entsprungen sein könnte. Man<br />

denkt, gleich kommt Ilse Neubauer mit<br />

ihrem Schürzenkleid heraus. Stünden da<br />

nicht Tische voller Pinseln, ausgequetschter<br />

Farbtuben, Malerpaletten – und Gemälde,<br />

die dieses buckelige Häuschen<br />

wie farbenfrohe Kontrapunkte bewohnen<br />

und sich vom kleinen Flur über die steile,<br />

gewundene Treppe hinauf ins ehemalige<br />

Schlafzimmer und die Kammer ausbreiten.<br />

„Ich gehe rüber zu Frau Schlicker“,<br />

lautet denn auch Suses geflügelter Satz,<br />

wenn sie von ihrem Wohnhaus gegenüber<br />

zum Malen herüberkommt. Frau Schlicker<br />

war vor vielen Jahren die gute Nachbarsseele<br />

und für Suses vier Kinder so etwas<br />

wie eine dritte Oma. Als die Kunst in Suse<br />

Kohlers Leben mehr und mehr Einzug<br />

hielt, beschloss sie, ihr erstes Atelier gegen<br />

Frau Schlickers ehemaliges Haus zu<br />

tauschen und es als Andenken so zu belassen.<br />

„GEMALT“,<br />

ERZÄHLT<br />

SIE, „HABE<br />

ICH SCHON<br />

IMMER“<br />

„Gemalt“, erzählt sie, „habe ich schon<br />

immer.“ In der Schule, Suse Kohler ist in<br />

Oberammergau aufgewachsen, hat sie die Bilder im Kunstunterricht für die halbe<br />

Klasse übernommen. Früh war klar, dass sie nach dem Abitur Kunst studieren<br />

wollte. Doch der Vater, ein Zahnarzt, riet: „Mach lieber was Gscheits.“ So wurde<br />

es Marketing und Kommunikation. Nach dem Studium entschied sie sich für die<br />

Film- und Werbebranche: „Eine coole Zeit. Ich habe im Filmhaus München Werbefilme<br />

produziert, bin immer der Sonne nachgeflogen – und schon da ging es<br />

mir ums Geschichtenerzählen.“<br />

Suse Kohler heiratete den Tegernseer Hotelier Korbinian Kohler, bekam vier<br />

Kinder. Ganz bewusst entschied sie sich, deren Großwerden zu begleiten. „Als<br />

Quirin, unser Jüngster, groß genug war, war meine Zeit gekommen. Ich wollte<br />

selbst etwas auf die Beine stellen.“ Der dringende Wunsch, das Malen endlich<br />

von Grund auf zu erlernen, nahm Gestalt an. Werner Maier, ein befreundeter<br />

Münchner Maler, unterrichtete Suse Kohler intensiv über ein Jahr. Danach fühlte<br />

sie sich bereit für ein Studium bei Markus Lüpertz an der Akademie der Bildenden<br />

Künste Kolbermoor – und bekam mit ihrer Mappe einen der 15 begehrten Plätze.<br />

Rückblickend sagt sie: „Es waren drei Jahre Kampf – denn Lüpertz steht ja für<br />

die freie Malerei, und da kam ich mit meinen Tegernseer Porträts voller Lebenslust<br />

daher.“ Zwischen den einzelnen Unterrichtsblöcken entstehen neue Bilder, in<br />

denen der Meister streng jeden Pinselstrich bespricht. Suse Kohler erahnt einen<br />

Weg, der nicht leicht werden würde: das Konkrete in ihren Porträts würde sich<br />

in irgendeiner Weise der Auflösung annähern müssen – obwohl genau dies der<br />

Porträtmalerei diametral entgegensteht.<br />

Am Ende des Studiums malt Suse Kohler, inspiriert durch eine Reise nach<br />

Israel, eine Serie, die den Namen „2019 Jahre Leid ertragen“ trägt – und den Leidensweg<br />

Christi zum Thema hat. Ausdrucksstark, authentisch, mit Ausnahme<br />

des rot leuchtenden Grabtuches kaum Farbe darin. „Das Jesusbild brachte mir<br />

den Ritterschlag“, erinnert Suse Kohler sich: „Das Christus-Porträt hat Lüpertz<br />

berührt und danach hat er mir das Go gegeben.“<br />

Noch heute, sagt sie mit einem Lachen,<br />

säße der berühmte deutsche Maler während<br />

der Arbeit auf ihrer Schulter: „Ich kann förmlich<br />

hören, wie er während dem Malprozess zu<br />

mir spricht.“<br />

Den Porträts ist Suse Kohler treu geblieben.<br />

Zunächst in ihrer Serie „Seemänner“,<br />

in denen sie berühmte Männer, deren Leben<br />

vom Tegernsee geprägt wurde, auf Leinwand<br />

bringt: Franz Josef Strauß etwa, Ludwig Thoma,<br />

Michael Gorbatschow und Ludwig Erhard.<br />

Was alle verbindet und sich auch in künftigen<br />

Serien einem Leitmotiv gleich durch ihre Arbeiten<br />

zieht, ist der Blick der Protagonisten,<br />

die Augen, mit denen sie stets auch zu malen<br />

beginnt. Als Spiegel der Seele, die Suse Kohler<br />

einfangen will: „Ich möchte etwas erfassen,<br />

was man eigentlich nicht sehen kann.“ 2018<br />

wurde ihr Werk „Ludwig Erhard“ erstmals<br />

beim gleichnamigen Gipfel am Tegernsee ausgestellt.<br />

Seither ist er dessen „Gallionsfigur“<br />

und die Künstlerin gestaltet jährlich den „Freiheitspreis<br />

der Medien.“<br />

„Spuren der Macht“: So lautete die Bilderserie<br />

der bekannten deutschen Fotografin<br />

Herlinde Koelbl, die in den 90er-Jahren Persönlichkeiten<br />

aus Politik und Wirtschaft porträtierte.<br />

Suse Kohler nahm 2021 den Faden<br />

auf, präsentierte in ihrer Serie „Machtköpfe“<br />

Deutschlands Kanzler der Nachkriegszeit. Im<br />

Fokus stehen, auch hier, die Augen. Die in Acryl<br />

gemalten Protagonisten hat sie in Schwarz-<br />

Weiß-Grau gemalt – Farben, die, wie sie findet,<br />

Männern vorbehalten seien. Der Strich<br />

ist hier ein sehr freier, der Farbauftrag eher aufgelöst. Dem Thema Macht, das<br />

durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann, möchte die Künstlerin eine<br />

Leichtigkeit geben – die Augen sollen mit dem Betrachter einen Dialog entfachen.<br />

Die Ausstellung wurde Ende Oktober 2021 in der „Lazy.Gallery“ des Münchner<br />

Fotografen Simon Lohmeyer eröffnet. Sie beinhaltete noch einen zweiten<br />

Teil, den Suse Kohler „Behind“ nannte. Als Hommage an das Jubiläum „100 Jahre<br />

Frauen an der Kunstakademie“ waren im hinteren Teil großformatige Bilder von<br />

Cindy Sherman, Rosemarie Trockel oder Frieda Kahlo in Öl ausgestellt. Bunt,<br />

leuchtend, lebensbejahend und komplett konträr zu den „Machtköpfen“ im vorderen<br />

Bereich. Christian Wulff, den Suse Kohler auch porträtiert hat und der zu<br />

Gast war, entschied sich spontan, seinen Drink im hinteren Teil zu nehmen. Warum?<br />

Ihm sei durch diese Bilder vor Augen geführt worden, erzählt die Künstlerin,<br />

dass es die Männer waren, die Frauen lange keine Bühne gaben. Außerdem fand<br />

Wulff, Frauen machten das Leben einfach bunter.<br />

Während einer intensiven Maleinheit, die in den ersten Jahren überwiegend<br />

nachts stattfand, hört Suse Kohler Mozarts Requiem, die Oberammergauer Passion,<br />

bei der sie als kleines Mädchen selbst mitgespielt hat – oder, je nach Stimmung,<br />

auch fetzige Rockmusik. Sie sagt, man könne es nachher ihrem Strich<br />

ablesen. Im Moment entsteht eine neue Serie, die Ende 2022 zu sehen sein wird.<br />

Suse Kohler experimentiert gerade mit Untergründen, übermalt, lässt Fragmente<br />

an die Oberfläche kommen. Ob sie sich auf diese Weise einer Auflösung, die<br />

gleichzeitig auch eine Loslösung sein könnte, nähern wird? „Bei mir wird die<br />

Nase jedenfalls nie sieben Zentimeter nach links verrutscht sein“, sagt sie: „Das<br />

könnte ich einem Gesicht nicht antun!“ Suse Kohlers Thema, die Auflösung ist<br />

Fluch und Segen zugleich. Was bleibt, ist die innige Suche nach dem Menschen<br />

hinter dem Menschen.<br />

TATJANA SEEL<br />

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