ART & PHILOSOPHY DIE SEELENSUCHERIN Suse Kohler „Penelope“ Öl auf Leinwand, 170 x 140 cm, 2022 94
SUSE KOHLER <strong>MOMENTE</strong> <strong>MAGAZIN</strong> Suse Kohler steht auf der Terrasse vor ihrem Atelier und deutet auf die Tegernseer Hausberge, die sich postkartengleich vor ihr ausbreiten: den Wallberg, den Hirschberg, die Neureuth. Sie nennt es Kraftorte – dazu der See, die klare Luft, die Abendstimmung, wenn der Horizont sich leise dunkelrosa färbt. „Das Schönste“, sagt sie, „ist, hier in meinem Atelier zu sein!“ Das Atelier verteilt sich in einem kleinen Haus, das der Filmkulisse eines Eberhofkrimis entsprungen sein könnte. Man denkt, gleich kommt Ilse Neubauer mit ihrem Schürzenkleid heraus. Stünden da nicht Tische voller Pinseln, ausgequetschter Farbtuben, Malerpaletten – und Gemälde, die dieses buckelige Häuschen wie farbenfrohe Kontrapunkte bewohnen und sich vom kleinen Flur über die steile, gewundene Treppe hinauf ins ehemalige Schlafzimmer und die Kammer ausbreiten. „Ich gehe rüber zu Frau Schlicker“, lautet denn auch Suses geflügelter Satz, wenn sie von ihrem Wohnhaus gegenüber zum Malen herüberkommt. Frau Schlicker war vor vielen Jahren die gute Nachbarsseele und für Suses vier Kinder so etwas wie eine dritte Oma. Als die Kunst in Suse Kohlers Leben mehr und mehr Einzug hielt, beschloss sie, ihr erstes Atelier gegen Frau Schlickers ehemaliges Haus zu tauschen und es als Andenken so zu belassen. „GEMALT“, ERZÄHLT SIE, „HABE ICH SCHON IMMER“ „Gemalt“, erzählt sie, „habe ich schon immer.“ In der Schule, Suse Kohler ist in Oberammergau aufgewachsen, hat sie die Bilder im Kunstunterricht für die halbe Klasse übernommen. Früh war klar, dass sie nach dem Abitur Kunst studieren wollte. Doch der Vater, ein Zahnarzt, riet: „Mach lieber was Gscheits.“ So wurde es Marketing und Kommunikation. Nach dem Studium entschied sie sich für die Film- und Werbebranche: „Eine coole Zeit. Ich habe im Filmhaus München Werbefilme produziert, bin immer der Sonne nachgeflogen – und schon da ging es mir ums Geschichtenerzählen.“ Suse Kohler heiratete den Tegernseer Hotelier Korbinian Kohler, bekam vier Kinder. Ganz bewusst entschied sie sich, deren Großwerden zu begleiten. „Als Quirin, unser Jüngster, groß genug war, war meine Zeit gekommen. Ich wollte selbst etwas auf die Beine stellen.“ Der dringende Wunsch, das Malen endlich von Grund auf zu erlernen, nahm Gestalt an. Werner Maier, ein befreundeter Münchner Maler, unterrichtete Suse Kohler intensiv über ein Jahr. Danach fühlte sie sich bereit für ein Studium bei Markus Lüpertz an der Akademie der Bildenden Künste Kolbermoor – und bekam mit ihrer Mappe einen der 15 begehrten Plätze. Rückblickend sagt sie: „Es waren drei Jahre Kampf – denn Lüpertz steht ja für die freie Malerei, und da kam ich mit meinen Tegernseer Porträts voller Lebenslust daher.“ Zwischen den einzelnen Unterrichtsblöcken entstehen neue Bilder, in denen der Meister streng jeden Pinselstrich bespricht. Suse Kohler erahnt einen Weg, der nicht leicht werden würde: das Konkrete in ihren Porträts würde sich in irgendeiner Weise der Auflösung annähern müssen – obwohl genau dies der Porträtmalerei diametral entgegensteht. Am Ende des Studiums malt Suse Kohler, inspiriert durch eine Reise nach Israel, eine Serie, die den Namen „2019 Jahre Leid ertragen“ trägt – und den Leidensweg Christi zum Thema hat. Ausdrucksstark, authentisch, mit Ausnahme des rot leuchtenden Grabtuches kaum Farbe darin. „Das Jesusbild brachte mir den Ritterschlag“, erinnert Suse Kohler sich: „Das Christus-Porträt hat Lüpertz berührt und danach hat er mir das Go gegeben.“ Noch heute, sagt sie mit einem Lachen, säße der berühmte deutsche Maler während der Arbeit auf ihrer Schulter: „Ich kann förmlich hören, wie er während dem Malprozess zu mir spricht.“ Den Porträts ist Suse Kohler treu geblieben. Zunächst in ihrer Serie „Seemänner“, in denen sie berühmte Männer, deren Leben vom Tegernsee geprägt wurde, auf Leinwand bringt: Franz Josef Strauß etwa, Ludwig Thoma, Michael Gorbatschow und Ludwig Erhard. Was alle verbindet und sich auch in künftigen Serien einem Leitmotiv gleich durch ihre Arbeiten zieht, ist der Blick der Protagonisten, die Augen, mit denen sie stets auch zu malen beginnt. Als Spiegel der Seele, die Suse Kohler einfangen will: „Ich möchte etwas erfassen, was man eigentlich nicht sehen kann.“ 2018 wurde ihr Werk „Ludwig Erhard“ erstmals beim gleichnamigen Gipfel am Tegernsee ausgestellt. Seither ist er dessen „Gallionsfigur“ und die Künstlerin gestaltet jährlich den „Freiheitspreis der Medien.“ „Spuren der Macht“: So lautete die Bilderserie der bekannten deutschen Fotografin Herlinde Koelbl, die in den 90er-Jahren Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft porträtierte. Suse Kohler nahm 2021 den Faden auf, präsentierte in ihrer Serie „Machtköpfe“ Deutschlands Kanzler der Nachkriegszeit. Im Fokus stehen, auch hier, die Augen. Die in Acryl gemalten Protagonisten hat sie in Schwarz- Weiß-Grau gemalt – Farben, die, wie sie findet, Männern vorbehalten seien. Der Strich ist hier ein sehr freier, der Farbauftrag eher aufgelöst. Dem Thema Macht, das durchaus unterschiedlich interpretiert werden kann, möchte die Künstlerin eine Leichtigkeit geben – die Augen sollen mit dem Betrachter einen Dialog entfachen. Die Ausstellung wurde Ende Oktober 2021 in der „Lazy.Gallery“ des Münchner Fotografen Simon Lohmeyer eröffnet. Sie beinhaltete noch einen zweiten Teil, den Suse Kohler „Behind“ nannte. Als Hommage an das Jubiläum „100 Jahre Frauen an der Kunstakademie“ waren im hinteren Teil großformatige Bilder von Cindy Sherman, Rosemarie Trockel oder Frieda Kahlo in Öl ausgestellt. Bunt, leuchtend, lebensbejahend und komplett konträr zu den „Machtköpfen“ im vorderen Bereich. Christian Wulff, den Suse Kohler auch porträtiert hat und der zu Gast war, entschied sich spontan, seinen Drink im hinteren Teil zu nehmen. Warum? Ihm sei durch diese Bilder vor Augen geführt worden, erzählt die Künstlerin, dass es die Männer waren, die Frauen lange keine Bühne gaben. Außerdem fand Wulff, Frauen machten das Leben einfach bunter. Während einer intensiven Maleinheit, die in den ersten Jahren überwiegend nachts stattfand, hört Suse Kohler Mozarts Requiem, die Oberammergauer Passion, bei der sie als kleines Mädchen selbst mitgespielt hat – oder, je nach Stimmung, auch fetzige Rockmusik. Sie sagt, man könne es nachher ihrem Strich ablesen. Im Moment entsteht eine neue Serie, die Ende 2022 zu sehen sein wird. Suse Kohler experimentiert gerade mit Untergründen, übermalt, lässt Fragmente an die Oberfläche kommen. Ob sie sich auf diese Weise einer Auflösung, die gleichzeitig auch eine Loslösung sein könnte, nähern wird? „Bei mir wird die Nase jedenfalls nie sieben Zentimeter nach links verrutscht sein“, sagt sie: „Das könnte ich einem Gesicht nicht antun!“ Suse Kohlers Thema, die Auflösung ist Fluch und Segen zugleich. Was bleibt, ist die innige Suche nach dem Menschen hinter dem Menschen. TATJANA SEEL 95