PHILOSOPHY Sie sind für Ihre Liebe zur Region bekannt. In welchem Verhältnis stehen Heimat und Weltoffenheit? Genau diese zwei Pole haben am Tegernsee schon immer eine große Rolle gespielt. Das hängt vor allem mit dem Kloster Tegernsee zusammen, das im Mittelalter eines der wichtigsten kulturellen und intellektuellen Zentren in Europa war. Schon damals kamen Menschen von weit her an den Tegernsee und haben sich mit der Bodenständigkeit verbunden, die wir hier auch sehr lieben und schätzen. Als das königliche Haus das Kloster übernommen hat, um eine Sommerresidenz daraus zu machen, blieb dieses Phänomen erhalten. So bin auch ich ein typischer Fall eines Menschen vom Tegernsee. Ich bin hier aufgewachsen, später einige Jahre ins Ausland gegangen, um zu studieren und zu arbeiten, und bin dann wieder in die Heimat zurückgekehrt. Schließt der Trend zur Regionalität globales Denken aus? Wir sind alle international verflochten. Durch Internet, Smartphones oder Social Media können wir gar nicht nur lokal denken. „Think global, act local“ heißt es ja immer so schön. Zu den Megatrends, die zu Veränderungen weltweit treiben, gehören unter anderem auch Gesundheit, Gender Shift, Individualität, Konnektivität, Globalisierung und Urbanisierung. Welchen Einfluss haben diese Faktoren auf das Reisen? Trotz des Wunsches nach Zugehörigkeit und Sicherheit wollen wir in den westlichen Demokratien immer individueller leben und auch wahrgenommen werden. Logischerweise spiegelt sich das dann auch beim Reisen wider. Daher werden beispielsweise Hotels nach meiner Wahrnehmung immer spezifischer für bestimmte Zielgruppen ausgelegt. Auch Mobilität ist ein Megatrend. Ist der Weg das Ziel? Für Camper, Pilger und Radler wie mich: Ja (lacht). Welche Rolle spielt Luxus und wie wird der heutzutage definiert? Auf jeden Fall individuell. Für den einen ist es klassischer Genuss, sich Dinge zu gönnen, die man sich normalerweise nicht leistet, für den anderen ist es, Zeit zu haben oder ein besonderes Erlebnis zu genießen. Die klassische Sicht auf Luxus wie früher gibt es heute nicht mehr. 22 „ICH GLAUBE NICHT MEHR DARAN, DASS ES VIEL SINN ERGIBT, NUR ZUM BADEN AUF DIE MALE DIVEN ZU FLIEGEN“ Viele Produkte und Wirtschaftssegmente haben ihre Epoche und verschwinden dann wieder. Die herkömmlichen Farbfilme sind längst digitalisiert, Telex und Telefax gehören der Vergangenheit an, der Kohlebergbau geht zu Ende und bald hat wohl auch der Verbrennungsmotor ausgedient. Wie muss sich das Gastgewerbe verändern, um in der sich verändernden Welt mitzuhalten? Ich sehe vor allem das Thema Nachhaltigkeit und die Notwendigkeit, eine attraktive Arbeitgebermarke zu entwickeln. Beides hängt auch mit der Sinnfrage zusammen. Nachwuchstalente werden heutzutage endlich ganz anders respektiert als früher. Und ich glaube nicht mehr daran, dass es viel Sinn ergibt, nur zum Baden auf die Malediven zu fliegen. Gäste wie Mitarbeiter müssen einen Sinn sehen in dem, was sie machen. Der weltweite Tourismus soll nach einer australischen Studie für acht Prozent der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich sein. Wie kann die Branche das eindämmen? Da kann ich jetzt nur für unsere Bachmair-Weissach-Betriebe sprechen. Wir stellen in diesem Herbst größtenteils von Gas auf Biomassenkraftwerk um und belegen unsere Dächer mit Photovoltaik-Anlagen, sodass wir spätestens im nächsten Jahr klimaneutral, wenn nicht vielleicht sogar klimapositiv sind. Das sind große Investitionen, die wir aber aus voller Überzeugung tätigen. Stehen Reisen und Urlaub im Kontrast zum Schutz der Umwelt? Streng betrachtet ist es derzeit noch so. Man muss aber dazu sagen, dass unsere schiere Existenz momentan dem Schutz der Umwelt entgegensteht. Es ist hier also die Frage nach der Angemessenheit zu stellen. Ich glaube, wir können und sollen ja nicht aufhören zu existieren und damit auch zu reisen, aber wir werden uns die Ökobilanz unserer Reisen und Urlaube in Zukunft sicherlich sehr viel genauer anschauen. Fürchten Sie Reiserestriktionen für die Zukunft? Nicht für unsere Häuser am Tegernsee. Was die Umstellung auf einen klimafreundlichen Betrieb der Häuser angeht, glaube ich, haben wir zusammen mit einigen unserer Kollegen eine Vorreiterrolle eingenommen. Welche Faktoren sind für Sie persönlich wichtig, wenn Sie selbst Urlaub machen? Ruhe, Natur, mit meiner Familie zusammen sein. Welche Vision haben Sie von Reisen und Urlaub 2035? Ich glaube, dass wir die Klimakrise schneller in den Griff bekommen werden, als wir heute vermuten, weil die technischen Entwicklungen auf dem Gebiet enorm vorankommen. Wir müssen dennoch jetzt extrem nachhaltig handeln, weil wir sonst irreversible Tipping-Points überschreiten. Daher ist es für mich schwierig zu erkennen, wie unser Leben in 13 Jahren aussehen wird. Auf jeden Fall anders! ROLF WESTERMANN, Chefredakteur der ahgz
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