07.12.2022 Aufrufe

Mixology Issue #112 - Twenty Years!

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

6/ 2022 — 20. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] 11,00 € — [A, LUX] 12,00 € — [CH] 12,50 CHF<br />

20 JAHRE MIXOLOGY<br />

BARS IM GESTERN. HEUTE. MORGEN.


AUF EIN GLAS MIT …<br />

»ICH<br />

WOLLTE NIE<br />

ETWAS<br />

ANDERES«<br />

Ohne Hut wäre nicht gut: Thomas Pflanz, wie Berlin<br />

ihn kennt und liebt<br />

16


Thomas Pflanz betreibt<br />

die Hildegard Bar in<br />

Berlin. Seit 40 Jahren<br />

prägt der passionierte<br />

Musiker die Berliner<br />

Barszene. Wir haben ihn<br />

nicht nur auf ein Glas<br />

getroffen, sondern ihn<br />

von A bis Z ausgefragt.<br />

Und das ist wortwörtlich<br />

zu verstehen.<br />

Text & Interview Stefan Adrian<br />

Fotos Birte Filmer<br />

Die Marburger Straße. Nachmittag. Eine<br />

schlummernde Seitenstraße des geschäftigen<br />

Kurfürstendamms. Thomas Pflanz öffnet die<br />

Tür, so wie man ihn kennt: mit einem Lächeln<br />

und einem Hut. Unter diesem Hut stecken<br />

40 Jahre gesammelte Berliner Barerfahrung.<br />

Deshalb treffen wir uns nicht nur »Auf ein<br />

Glas mit …« einer der prägendsten Barfiguren<br />

der Stadt. Wir machen ein ABC. Ein ABC der<br />

Nacht. Zu jedem Buchstaben des Alphabets<br />

gibt es einen Begriff, der sein Schaffen widerspiegelt.<br />

Was meint Thomas Pflanz dazu? »Mal<br />

was anderes. Dann wollen wir mal.«<br />

<strong>Mixology</strong>: Lieber Thomas, lass uns loslegen<br />

mit: A wie Anfänge?<br />

Thomas Pflanz: Ja, wo fängt man an … Mein<br />

Vater war in den 1960ern Leser des amerikanischen<br />

Playboy, einen deutschen gab es noch<br />

nicht. In dem Magazin ging es gar nicht so sehr<br />

um nackte Haut, die damals ohnehin nicht gezeigt<br />

wurde, aber es war voller Cocktails. Er ist<br />

in die wenigen Bars gegangen, wo es Cocktails<br />

gab, was zu jener Zeit Hotelbars in der Nähe<br />

des Kurfürstendamms waren wie das frühere<br />

Hilton bzw. heutige Intercontinental – sehr<br />

amerikanisch mit Rooftop-Bar. Zu Hause habe<br />

ich ihm die Zitronen gepresst. Ich habe diese<br />

knallgelbe Presse sogar noch und setze sie für<br />

eine Schnellpressung ein. Ich habe es nicht<br />

übers Herz gebracht, sie wegzuwerfen.<br />

Was uns direkt zu B bringt: B wie Berlin …<br />

Für mich einfach Heimat. Aus unserem Umfeld<br />

sind viele weggezogen, weil sie dachten, es<br />

könne ja doch was Schlimmes passieren. Die<br />

Mauer war für mich aber kein Grund wegzuziehen,<br />

im Gegenteil, ich musste nicht zum Militär.<br />

Wir haben uns nicht als Deutsche gefühlt,<br />

sondern als Westberliner, gerade die Jugendlichen.<br />

Die Alliierten haben uns ein gutes Leben<br />

beschert. Bei den Franzosen konntest du<br />

wunderbar essen, bei den Amerikanern bist du<br />

mit Basketball und Whiskey in Berührung gekommen,<br />

bei den Engländern haben ein paar<br />

mit Rugby angefangen. Meine Eltern hatten<br />

vor allem französische Freunde, sie haben im<br />

Offizierskasino gegessen und Champagner für<br />

10 Mark getrunken. Die Alliierten hatten die<br />

guten Wassergrundstücke, die Franzosen den<br />

Pavillon Du Lac, wo ich auch Schwimmen<br />

gelernt habe. Dort mixte Hans Schröder aus<br />

dem Rum Trader. Natürlich war ich später<br />

auch auf Demos, ich war auf einer sehr linken<br />

Schule. Aber als mal der halbe Ku’damm zerkloppt<br />

wurde, war mir das zu viel. Ich kannte<br />

genügend Geschäftsleute, die hart für ihr Geld<br />

arbeiten, die waren für mich nicht das Böse in<br />

der Welt.<br />

Dann ein kleiner Sprung zu C wie Corona …<br />

Fürchterliche Zeit. Ich wollte keine Cocktails<br />

to go anbieten oder Gin & Tonic durch einen<br />

Fensterspalt auf den Gehsteig schieben. Das<br />

war nicht der Grund, weswegen ich so eine<br />

Bar aufgemacht habe. Die Atmosphäre gehört<br />

zu den Getränken dazu, das wollte ich nicht<br />

entkoppeln. Als wir einige Monate geschlossen<br />

hatten, habe ich jeden Samstag einen Menschen<br />

eingeladen: Stammgäste oder Menschen,<br />

die ich interessant fand. Ich habe Drinks gemixt,<br />

wir haben Musik gehört und geredet. Da<br />

sind Lebensgeschichten zutage gekommen, die<br />

bekommt man im normalen Geschäft ja gar<br />

nicht zu hören. Ich habe aber keine Videos gemacht<br />

oder das auf Social Media gestellt. An<br />

so etwas denke ich meistens nicht, oder erst<br />

danach. Es ging mir um den Kontakt. Das hat<br />

mich am Leben gehalten, auch wenn es schon<br />

traurig war, wenn man Samstag 23 Uhr zu zweit<br />

hier saß.<br />

D wie Die Knef …<br />

Wir pflegen hier so etwas wie die Hildegard-Dreifaltigkeit:<br />

Hildegard von Bingen,<br />

Hilde gard Knef und Hildegard Dahlmann.<br />

Letzterer hat das Haus hier gehört und sie hat<br />

einen nach ihr benannten Salon geführt. Ich<br />

wollte die Bar eigentlich anders nennen, aber<br />

der Name war dann eine Hommage an sie.<br />

Hilde gard Knef wiederum hängt mit einem<br />

Autogramm neben der Bar. Ich musste sie<br />

mein Leben lang hören, meine Mutter hat sie<br />

sonntags immer auf Anschlag gespielt, und irgendwann<br />

gefiel es mir auch. Das waren emanzipatorisch<br />

starke Texte, die zu meiner Mutter<br />

gepasst haben. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet,<br />

aber mit Emanzipationskursen brauchte<br />

man ihr nicht kommen. Für sie war klar: Ich<br />

bin datt! Die Knef hat in ihren Texten viel von<br />

Frauen erzählt, die sagen, was sie denken. Die<br />

sagen: Ich bin nicht die Schönste, ich habe<br />

nicht die perfekte Stimme, aber deswegen bin<br />

ich nicht leiser. Das Autogramm habe ich in<br />

den 1980ern bekommen, als sie aus den USA<br />

zurückkam. Ich habe damals im Bar-Restaurant<br />

Carmers gearbeitet, das nach seiner Eröffnung<br />

1984 für einige Jahre der Spot der Reichen<br />

und Schönen war. Wir hatten fünf oder<br />

sechs Drinks, die auf einen Spiegel geschrieben<br />

waren, Gimlet und Mai Tai waren die entscheidenden<br />

Kerndrinks. Es war ein Promiauflauf<br />

ohnegleichen, Günter Netzer hat eine Flasche<br />

Vodka zum Essen bestellt. Meines Wissens war<br />

es auch der erste Laden in Berlin mit Valet Parking.<br />

Die Straße war schmal und die Promis<br />

kamen mit Ferrari und Rolls vorgefahren. Das<br />

war schon eine Ansage. So elitär, wie sich die<br />

Westberliner damals gefühlt haben, das habe<br />

ich nie wieder erlebt. Das war vermutlich auch<br />

eine Verzweiflungstat aus der Angst heraus,<br />

eingesperrt zu sein.<br />

17


❯<br />

☎<br />

✄✂<br />

✁<br />

❏<br />

FÜR IMMER<br />

2<br />

0<br />

0<br />

2<br />

❯<br />

20 JAHRE MIXOLOGY<br />

2<br />

0<br />

2<br />

2<br />

ZWANZIG?<br />

22


ZWANZIG<br />

ZWEI JAHRZEHNTE SIND IN DER<br />

ZEITRECHNUNG DER WIEDER ERWACH-<br />

TEN BARKULTUR EINE EWIGKEIT. EIGENTLICH<br />

SIND SIE FAST DIE GANZE EWIGKEIT. FÜR DIE-<br />

SEN JUBILÄUMSTEIL ANLÄSSLICH VON 20 JAH-<br />

REN MIXOLOGY HABEN WIR ZURÜCKGESCHAUT.<br />

AUF DIE MENSCHEN & PLÄTZE, DIE DIE LETZ-<br />

TEN ZWEI JAHRZEHNTE DEUTSCHSPRACHIGER<br />

BARKULTUR MASSGEBLICH GESTALTET HABEN.<br />

AUFGEBAUT AUF DER MEINUNG ZAHLREICHER<br />

FACHLEUTE, WÜRDIGEN WIR DIE WICHTIGSTEN<br />

20 BARS, DIE SEIT 2002 ERÖFFNET HABEN – UND<br />

NOCH EINIGES MEHR.<br />

TEXTE STEFAN ADRIAN, MARKUS ORSCHIEDT<br />

& NILS WRAGE<br />

FÜR IMMER!<br />

23


STADTGESCHICHTEN<br />

&<br />

NEUSTADT<br />

Luzern ist barkulturell eine zweigeteilte Stadt.<br />

Während sie des Nächtens in den Ebenen der<br />

Neustadt à la minute wie gleichzeitig auf individuell<br />

hohem Niveau erprobt zelebriert wird,<br />

geht es auf der anderen Seite der Reuss leiser<br />

zu. Gediegene Formationen traditionsreicher<br />

Hotelbars ticken piano, verlässlich, klassisch –<br />

anders attraktiv.<br />

Text Michaela Bavandi<br />

Foto: Torvioll Jashari für Château Gütsch<br />

50


51


SPIRITUOSE<br />

VERKNAPPUNG<br />

+ VIELFALT<br />

60


Text Roland Graf<br />

Fotos Tim Klöcker & Juliane Reichert (Moldwins)<br />

Wer Armagnac als den »kleinen Cognac«<br />

bezeichnet, bekommt in dessen Heimat<br />

Gascogne eins auf die Baskenmütze. Denn<br />

mit einiger Berechtigung ist dieser flüssige<br />

Anachronismus stolz auf sein Anderssein.<br />

So hat man auch für die Rückeroberung<br />

des Weinbrand-Terrains die Bar im Visier<br />

– mit White Dog wie beim Whisky. Kann die<br />

Übung gelingen?<br />

Vielleicht liegt es ja am Fluch der Schwarzen Eiche, dass der Armagnac<br />

nicht populärer ist. Als der Botaniker Jean Thore Anfang des 19.<br />

Jahrhunderts das Gebiet am Golf der Gascogne bereiste, erzählten ihm<br />

Einheimische, dass es Unglück brächte, die lokale Eiche zu fällen. Das<br />

Pech würde sonst an jedem Möbelstück oder Haus kleben, das mit der<br />

»Chêne Tauzin« (Quercus pyrenaica) gefertigt wird. Und was soll man sagen?<br />

Die meisten Armagnacs reifen ausgerechnet in der Schwarzen Eiche.<br />

Vielleicht stehen deshalb den gut 223 Millionen Flaschen Cognac, die im<br />

Vorjahr in Frankreich erzeugt wurden, lediglich drei Millionen Flaschen<br />

mit Armagnac gegenüber.<br />

Stolz auf die Vielfalt<br />

Man kann dieses Missverhältnis mit Mexiko und seinen Agavenbränden<br />

vergleichen. Wie auch der Mezcal als »kleiner Bruder« des Tequila stellt<br />

nämlich der Armagnac den älteren und deutlich handwerklicher geprägten<br />

Weinbrand dar. Mehr noch: Er ist die älteste urkundlich erwähnte<br />

Spirituose Frankreichs überhaupt! Kardinal Vital du Four schrieb dem<br />

Destillat aus der Gascogne bereits anno 1310 positive Eigenschaften zu –<br />

allerdings ging der Autor in pro conservanda sanitate noch von Rotwein<br />

als Ausgangsmaterial des Brands aus. Heute sind es aber weiße Rebsorten,<br />

die für den Geschmack der Destillate aus der Gascogne sorgen. Zehn<br />

von ihnen sieht die AOC-Bestimmung für den Weinbrand vor, mit 75 %<br />

macht die aus dem Cognac bekannte Ugni-Blanc-Traube den Löwenanteil<br />

der Produktion aus. Die sentimentalen Favoriten der Brenner sind<br />

allerdings zwei andere. Die Folle Blanche, die mit einem Prozent der Anbaufläche<br />

ähnlich marginal ist wie Jurançon Blanc, la Blanquette, Mauzac<br />

Blanc bzw. Rosé, Clairette de Gascogne, Meslier Saint François oder Plant<br />

61


STECKTES<br />

GLÜCK<br />

1884 / 1895<br />

ROB ROY COCKTAIL<br />

70


COCKTAIL<br />

Warum gibt es<br />

eigentlich so wenig<br />

klassische Mischgetränke<br />

mit Scotch?<br />

Begeben wir uns auf<br />

eine Zeitreise. Zurück<br />

in die 1880er-Jahre,<br />

um vielleicht eine<br />

Antwort zu finden.<br />

Text Armin Zimmermann<br />

Fotos Jule Frommelt<br />

Drink-Design Rose-Manon Baux<br />

Eine Katastrophe sucht Europa heim. Die aus<br />

Nordamerika eingeschleppte Reblaus vernichtet<br />

seit Mitte der 1870er-Jahre einen Großteil<br />

der europäischen Weinreben. Cognac wird<br />

kaum noch produziert, bald werden Wein und<br />

Branntwein praktisch verschwunden sein. In<br />

England reagiert man pragmatisch auf diese<br />

Krise: Man verwendet in den 1880er- und<br />

1890er-Jahren eine britische Alternative. So<br />

wird Scotch zum bevorzugten Getränk der englischen<br />

Mittel- und Oberschicht und verbreitet<br />

sich im gesamten Britischen Empire. Kurzerhand<br />

wird der »Brandy & Soda« in einen<br />

»Scotch & Soda« gewandelt.<br />

Glücklicherweise kommt es nicht gleichzeitig<br />

zu einer Steinlausplage, bei der alle Beton- und<br />

Ziegelsteinbauten vernichtet worden wären.<br />

Doch Petrophaga lorioti, so der wissenschaftliche<br />

Name der Steinlaus, ist wohl damals schon<br />

vom Aussterben bedroht.<br />

Scotch auf dem Weg in den<br />

Olymp<br />

Die Nachfrage an Scotch wächst, Destillerien<br />

werden stark vergrößert oder neu errichtet, die<br />

Produktionsmengen steigen innerhalb von 14<br />

Jahren um 80 Prozent auf über 150 Millionen<br />

Liter pro Jahr, denn auch außerhalb des Empires<br />

erkennt man die Vorzüge des Scotchs. Um<br />

1900 ist der »Scotch Highball« das vielleicht<br />

populärste Getränk in den Vereinigten Staaten.<br />

Scotch ist dort sehr beliebt, und in jeder<br />

guten Bar werden mehrere Marken vorrätig<br />

gehalten. Kurz darauf ist der Boom jedoch vorbei<br />

und es wird mehr Scotch produziert als verkauft.<br />

Scotch ist kein Modegetränk mehr, die<br />

britische Wirtschaft wird von einer Rezession<br />

geplagt und 1908 wird zudem die Spirituosensteuer<br />

um ein Drittel erhöht. Der Inlandsverbrauch<br />

geht weiter zurück. Deshalb werden<br />

Exportmärkte immer wichtiger.<br />

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg ist Scotch<br />

weltweit die führende Spirituosenkategorie,<br />

auch in den USA und dort die erste Wahl für<br />

die Kombination mit Soda. Sein Erfolg hängt<br />

zum einen mit einer erfolgreichen Werbung<br />

zusammen. Aber noch wichtiger ist der enorme<br />

Bestand, der sich in den Lagerhäusern der<br />

Brennereien, vor allem in den schottischen<br />

Highlands, angesammelt hat. Dort liegt ein<br />

unerschöpflicher Vorrat an feinem, gereiftem<br />

Whisky. Er kostet wenig und wird deshalb<br />

auch von Blendern bevorzugt. Keine andere<br />

gereifte Spirituose ist so günstig zu bekommen.<br />

Ein feiner alter Scotch ist in jedem Teil der<br />

Welt zu einem mäßigen Preis stets griffbereit.<br />

Im Gegensatz zu irischem Whiskey wird schottischer<br />

jedoch von den großen Brennereien<br />

nicht in Flaschen abgefüllt. Deshalb zeichnet<br />

sich irischer Whisky dadurch aus, dass man<br />

durch die Flaschenabfüllung eine Garantie des<br />

Herstellers für dessen Qualität hat. Der beste<br />

und anerkannteste Scotch hingegen ist ein Verschnitt,<br />

manchmal mit Produkten aus zwanzig<br />

Brennereien, von einem Blender stammend.<br />

Das ist jedoch nicht unbedingt ein Nachteil<br />

für den Scotch. Charles Mahoney aus dem<br />

berühmten Hoffman House stellt fest, was<br />

auch heute noch gültig ist: »Es ist das ausgefallene<br />

Etikett und das gewinnende Äußere der<br />

Flasche, das die Öffentlichkeit glauben lässt,<br />

sie bekäme einen hochwertigen Artikel, aber<br />

in neun von zehn Fällen ist das nicht der Fall.<br />

Daher ist es nicht ratsam, die Kistenware mehr<br />

als möglich zu forcieren, denn damit schadet<br />

man nur dem Geschäft. All dies bezieht sich besonders<br />

auf importierte Waren wie schottischen<br />

und irischen Whisky, bei denen die Gewinne so<br />

gering und reduziert sind, dass jeder, der nur<br />

diese Klasse von Waren verkaufen würde, nur<br />

eine Woche im Geschäft bestehen würde.«<br />

Als das Brennen von Malt<br />

verboten wurde<br />

1914. Der Erste Weltkrieg. Die britische Regierung<br />

verbietet die Destillation von Malt Whisky,<br />

um den Verbrauch von Gerste zu reduzieren.<br />

Whisky, der jünger als drei Jahre ist, darf<br />

nicht mehr verkauft werden. 1918 kommt ein<br />

weiteres Hemmnis hinzu: Die Zölle werden<br />

verdoppelt und die Ausfuhr von Scotch für ein<br />

Jahr verboten. Der nächste Rückschlag erfolgt<br />

bald: 1920 werden die USA mit dem Beginn der<br />

Prohibition offiziell »trocken«. Die Zukunft<br />

der Scotch-Industrie sieht düster aus. Aber es<br />

finden sich immer Mittel und Wege, um Angebot<br />

und Nachfrage zueinander zu bringen. Die<br />

Amerikaner wollen weiterhin Scotch trinken,<br />

und Schottland exportiert immer größere Mengen<br />

in benachbarte Länder wie die Bahamas,<br />

Kanada und Mexiko. Dort gibt es Geschäftsleute,<br />

die die Ware in die USA schmuggeln. Ein<br />

lohnendes Geschäft.<br />

Die Prohibition endet 1933. Scotch ist das<br />

Getränk der Wahl in den USA. Die bestehenden<br />

Vertriebswege werden legalisiert und aus<br />

Schmugglern werden Vertriebshändler. Die<br />

Geschäfte laufen gut und bis zum Ausbruch<br />

des Zweiten Weltkrieges sind die USA (wieder)<br />

der wichtigste Exportmarkt für schottischen<br />

Whisky. Auch nach dem Krieg ist Scotch beliebt.<br />

Bis in die 1960er-Jahre ist er deshalb chronisch<br />

knapp. Um die Nachfrage zu befriedigen,<br />

werden viele Brennereien vergrößert, lange<br />

stillgelegte Anlagen wieder in Betrieb genommen,<br />

neue Brennereien errichtet. Innerhalb<br />

von zehn Jahren verdoppelt sich die Kapazität.<br />

Die Lagerbestände unter Zollverschluss vergrößern<br />

sich von 2,2 Millionen Litern im Jahr 1965<br />

auf 4,5 Milliarden Liter im Jahr 1975.<br />

71


84<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM


Text & Leitung des Tastings<br />

Maria Gorbatschova<br />

DER SELTENE<br />

Illustration: Editienne<br />

Blanc de Noirs bleibt das<br />

nischige Spezialgebiet des<br />

Champagners. Die Schaumweine<br />

aus ausschließlich roten<br />

Rebsorten gelten als schwer<br />

zu verarbeiten, bringen aber<br />

gleichsam hochinteressante,<br />

komplexe Ergebnisse hervor.<br />

Zudem erlauben sie einen Blick<br />

auf das Geschehen bei kleinen<br />

Firmen, da kaum eins der<br />

großen Häuser einen Blanc de<br />

Noirs im Bereich Non-Vintage<br />

anbietet. Das Taste Forum<br />

wirft einen Blick auf den Stand<br />

der Dinge bei Blanc de Noirs<br />

ohne Jahrgang.<br />

Spätestens seit dem 9. Jahrhundert werden in<br />

der Champagne Weine angebaut. Das, was wir<br />

heute unter Champagner verstehen, ist allerdings<br />

recht neu. Perlage war etwas, das Winzer<br />

zunächst zu vermeiden versuchten. Die zum<br />

Transport verwendeten Fässer konnten sie eh<br />

nicht halten und altertümliche Glasflaschen<br />

brachte sie häufig zum Explodieren.<br />

Die in Umlauf gelangten Flaschen mit Mousseux<br />

(so der frühere Begriff für schäumende<br />

Weine) trafen allerdings den Geschmack der<br />

Käufer und erzeugten eine steigende Nachfrage.<br />

Die Perlage musste nun nur noch mit<br />

den richtigen Hilfsmitteln wie stabilen Glasflaschen<br />

und fest sitzenden Korken gebändigt<br />

werden. Das Know-how dafür fand man<br />

jenseits Frankreichs. Die berühmte Méthode<br />

champenoise (heute auch Méthode traditionelle<br />

genannt) stammt ursprünglich nachweislich<br />

aus England. Sie wurde schon 1662 von Arzt<br />

und Wissenschaftler Christopher Merret in<br />

der Royal Society of London präsentiert, mindestens<br />

30 Jahre bevor sie zum ersten Mal in<br />

der Champagne zur Anwendung kam.<br />

Bei der älteren méthode ancestrale, die in<br />

Schriften aus Südfrankreich schon 1531 erwähnt<br />

wird, wird unfertig vergorener Wein<br />

in Flaschen gefüllt und das bei fortlaufender<br />

Fermentation entstehende CO2 vom Korken<br />

gehalten. Das Ergebnis kennen wir heute als<br />

Pét-Nat, bis zu 2,5-fach atmosphärischer Druck<br />

kann sich so in der Flasche entwickeln.<br />

Die Méthode champenoise ist wesentlich aufwendiger.<br />

In der ersten Gärung stellt man einen<br />

stillen Wein her. Dieser wird für eine zweite<br />

Fermentation mit einem Gemisch aus Wein,<br />

Zucker und Hefe, dem Liqueur de tirage, in<br />

Flaschen gefüllt und fest verschlossen. Die Hefen<br />

konsumieren Zucker und wandeln ihn in<br />

Alkohol um, als Nebenprodukt entsteht Kohlenstoffdioxid.<br />

Im Anschluss werden sie durch<br />

regelmäßiges Drehen der Flasche im Flaschenhals<br />

gesammelt und schließlich degorgiert. In<br />

der Zeit, in der Champagner auf der Hefe liegt,<br />

entwickelt er seine Aromatik und typischerweise<br />

5- bis 6-fachen atmosphärischen Druck.<br />

Dafür ist eine Zugabe von 20 – 24 g Zucker im<br />

Liqueur de tirage nötig.<br />

Dosage vs. Tirage<br />

Wenn wir von Dosage sprechen, meinen wir<br />

aber nicht diese erste Zuckerzugabe, die die<br />

Flaschengärung anstößt. Die Dosage, auch<br />

Liqueur d’expedition genannt, ist eine Mischung<br />

aus (Reserve-)Wein und Zucker, mit der<br />

nach dem Degorgieren die Flasche aufgefüllt<br />

wird. Die Dosage bewirkt im Idealfall eher das,<br />

was ein Dash Sirup in einem gut balancierten<br />

Cocktail vollbringt: mehr Komplexität, Harmonie<br />

und Tiefe, dazu ein besseres Mundgefühl.<br />

Heutzutage wird der meiste Champagner als<br />

85

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!