Zukunft Forschung 02/2022
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
FUNDGRUBE VERGANGENHEIT<br />
EIN GEFÜGIGER FORSCHER<br />
Vor 100 Jahren wurde Bruno Sander zum Professor für Mineralogie und Petrographie bestellt. Seine<br />
Berufung war umstritten, für die Universität aber ein Glücksfall, gilt er doch als Pionier der Gefügekunde.<br />
Als Bruno Sander am 1. Oktober 1922<br />
zum Professor der Mineralogie<br />
und Petrographie an der Universität<br />
Innsbruck ernannt wurde, war seiner<br />
Berufung ein intensiver Briefwechsel vorausgegangen.<br />
Sander sei zwar, schrieb<br />
etwa der Wiener Mineralogie-Ordinarius<br />
Friedrich Becke, ein hochgeschätzter Geologe,<br />
seine Beschäftigung mit dem eigentlichen<br />
Fach aber nur rudimentär. „Einem<br />
solchen Mann die Professur für Mineralogie<br />
und Petrographie zu übertragen, halte<br />
ich für unmöglich“, schlussfolgerte Becke.<br />
Dennoch, in Innsbruck hielt man an Sander<br />
fest, der daher am 23. November 1922<br />
seine Antrittsvorlesung halten konnte.<br />
„Sander dachte sehr fraktal“, sagt Bernhard<br />
Fügenschuh, Professor für Strukturgeologie<br />
an der Universität Innsbruck:<br />
„Er verfolgte unter anderem die Frage, ob<br />
sich die Symmetrie von Kristallen in der<br />
Symmetrie von Gesteinen und schließlich<br />
von Gebirgen abbildet.“ Sanders Interesse<br />
galt der kristallografischen Vorzugsorientierung<br />
– der Textur, wie es heute heißt.<br />
Er untersuchte die Lage und Orientierung<br />
von Kristallen bzw. deren Achsen im Gestein<br />
und stellte die Frage nach dem Zusammenhang.<br />
Sein Arbeitsgerät war – unter<br />
anderem – ein mit einem Mikroskop<br />
verbundener Universaldrehtisch, mit dem<br />
er Gesteinsdünnschliffe charakterisierte.<br />
„Sander bestimmte für jeden einzelnen<br />
Kristall die Orientierung. Eine mühevolle<br />
Arbeit“, weiß Fügenschuh. Vor allem, da<br />
Sander dies, farblich hinterlegt, auf Papier<br />
übertrug. Die derart entstandenen „Farbmosaike“<br />
(siehe Abb. rechts) veranschaulichten<br />
etwa die Dominanz bestimmter<br />
kristallografischer Orientierungen im<br />
untersuchten Gestein gegenüber anderen<br />
Kristallen. Sander gab dieser Methode den<br />
Namen Achsenverteilungsanalyse (AVA).<br />
„Dieser Ansatz war genial und hat heute<br />
noch Bestand“, sagt Fügenschuh. Vor allem,<br />
da Sander das kristallografische Denken,<br />
das auf den einzelnen Kristall abzielt,<br />
mit Hilfe der AVA auf die benachbarten<br />
Kristalle ausdehnte.<br />
BRUNO SANDER (1884 – 1979)<br />
studierte an der Universität Innsbruck,<br />
promovierte 1907 im Fach Geologie und<br />
habilitierte sich 1912. Ab 1913 war er an<br />
der Geologischen Reichsanstalt (später<br />
Staatsanstalt) tätig, 1922 erfolgte die Berufung<br />
zum Professor für Mineralogie und<br />
Petrographie in Innsbruck. Sander wurde<br />
national und international mit Preisen,<br />
Ehrendoktoraten und -mitgliedschaften<br />
ausgezeichnet. Mit dem Sanderit trägt ein<br />
Mineral, mit dem Bruno-Sander-Haus ein<br />
Innsbrucker Universitätsgebäude und im<br />
ostantarktischen Viktorialand der Sanderpass<br />
seinen Namen. Unter Anton Santer<br />
war Sander auch als Schriftsteller tätig. Er<br />
gehörte zur Brenner-Gruppe und veröffentlichte<br />
in den Zeitschriften Der Brenner,<br />
Wort im Gebirge und Seefelder Zeitung.<br />
Das Porträt Sanders stammt von Wilfried<br />
Kirschl (1930 – 2010) und entstand 1965<br />
anlässlich der Ehrenringvergabe durch die<br />
Stadt Innsbruck an Bruno Sander.<br />
Sanders wissenschaftliche Tätigkeit begann<br />
mit geologischen Kartierungsarbeiten,<br />
so erstellte er Kartenblätter für Modena<br />
und Brixen. Die geologische Feldarbeit<br />
und die damit verbundene Analyse der<br />
äußeren und inneren Gestaltung geologischer<br />
Körper führte zum Konzept der Gefügekunde,<br />
das Sander weltweit bekannt<br />
machte. Seine aus den Dünnschliff-Untersuchungen<br />
abgeleitete Erkenntnis, dass<br />
die Gefügesymmetrie die grundlegende<br />
Eigenschaft natürlich deformierter Gesteine<br />
ist, darf als Sanders wichtigster Beitrag<br />
zur Strukturgeologie angesehen werden.<br />
Dünnschliffe fürs Gebirge<br />
Sein Arbeitsgebiet im Gelände war das<br />
Tauernfenster: eine Region in Tirol, Salzburg<br />
und Kärnten, im Westen scharf abgegrenzt<br />
durch das Wipptal, mit klaren,<br />
ost-west-verlaufenden Grenzen bis zur<br />
Line Schladming – Mauterndorf im Osten.<br />
„Innerhalb des Tauernfensters gibt es eine<br />
Struktur mit Zentralgneiskernen wie dem<br />
Zillertaler-, Tuxer- und Ahornkern. Das<br />
waren Symmetriefragen, die Sander beschäftigten“,<br />
sagt Fügenschuh. Im großen<br />
Gebirgsmaßstab suchte Sander jene Symmetrien,<br />
die er in Dünnschliffen von Tauern-Gesteinen<br />
gefunden hatte. Im Zuge<br />
dessen beschäftigte er sich auch mit den<br />
Faltenachsen im Gebirge und definierte, so<br />
Fügenschuh, „eine B-Achsen-Kinematik“.<br />
Wisse man, wie Faltenachsen im Gebirge<br />
verlaufen, wisse man auch, wie der Schub<br />
darauf, nämlich normal, gewirkt habe.<br />
„Das hat sich als teilrichtig herausgestellt.<br />
Es trifft auf niedermetamorphe Gebirgsbereiche<br />
zu. Im Kernbereich von Gebirgen<br />
verlaufen Bewegung aber oft parallel zu<br />
den Faltenachsen“, erklärt Fügenschuh.<br />
33 Jahre nach seiner Berufung emeritierte<br />
Sander – als Begründer einer weltweit<br />
renommierten „Innsbrucker mineralogisch-geologischen<br />
Schule“ und als Verfasser<br />
internationaler Standardwerke wie<br />
„Gefügekunde der Gesteine“ oder seine<br />
„Einführung in die Gefügekunde der geologischen<br />
Körper“. <br />
ah<br />
Foto: <strong>Forschung</strong>sinstitut Brenner-Archiv / Johannes Plattner; Institut für Mineralogie und Petrographie / Bernhard Fügenschuh<br />
zukunft forschung <strong>02</strong>/22 7