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Zukunft Forschung 02/2022

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

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RECHTSWISSENSCHAFT<br />

VERENA MURSCHETZ ist seit 2011<br />

Universitätsprofessorin für Strafrecht und<br />

Strafprozessrecht einschließlich des Europäischen<br />

und Internationalen Strafrechts<br />

an der Universität Innsbruck, wo sie sich<br />

2006 habilitierte. Murschetz studierte<br />

Rechtswissenschaften in Innsbruck und<br />

an der University of California at Los<br />

Angeles. Sie ist Mitglied in zahlreichen<br />

nationalen und internationalen Vereinigungen<br />

und setzt sich u. a. als Leiterin<br />

der Kommission 1 der österreichischen<br />

Volksanwaltschaft für den Schutz der<br />

Menschenrechte ein, die auch einen<br />

wissenschaftlichen Schwerpunkt ihrer<br />

Arbeit bilden.<br />

ZUKUNFT: Gehen Sie selbst auch bei allen<br />

Besuchen mit?<br />

MURSCHETZ: Im Schnitt macht die Kommission<br />

ca. vier Besuche im Monat – in<br />

unterschiedlicher Besetzung. Ich selbst<br />

habe bereits alle Arten von Einrichtungen<br />

besucht, bin aber aufgrund meines<br />

wissenschaftlichen Schwerpunkts am<br />

häufigsten in Justizanstalten mitgegangen.<br />

Inzwischen begleite ich die Besuche<br />

seltener, bin aber an jeder Protokollerstellung<br />

beteiligt und trage für jedes Protokoll<br />

auch die Letztverantwortung.<br />

ZUKUNFT: Menschenrechte sind ja auch<br />

Ihr <strong>Forschung</strong>sgegenstand. Ich gehe<br />

davon aus, dass sich Ihre Tätigkeit als<br />

Kommissionsleiterin und als Rechtswissenschaftlerin<br />

gegenseitig befruchten…<br />

MURSCHETZ: Genau. Als Wissenschaftlerin<br />

ist für mich zunächst die theoretische<br />

Beurteilung von Normen und Erkenntnissen<br />

der Rechtsprechung wichtig. Aber<br />

dann in der Praxis zu sehen, inwieweit<br />

diese Normen und gerichtlichen Entscheidungen<br />

umgesetzt werden, welche<br />

Probleme es gibt beziehungsweise aus<br />

welchem Grund rechtliche Vorgaben<br />

eben nicht eingehalten werden, ist natürlich<br />

sehr spannend und bereichernd.<br />

Auch bei der wissenschaftlichen Bearbeitung<br />

oder Erstellung von Reformvorschlägen<br />

hat man natürlich mehr Gewicht,<br />

wenn man die Praxis gut kennt.<br />

Insgesamt befruchtet dieses Praxiswissen<br />

und gesteigerte Problembewusstsein<br />

meine <strong>Forschung</strong>, das heißt Publikationen,<br />

Vorträge, Tagungen etc., ungemein.<br />

Meine Tätigkeit in der Kommission ist<br />

aber nicht nur für meine wissenschaftliche<br />

Arbeit, sondern auch für die Lehre<br />

sehr interessant. Ich habe im Jahr, in<br />

dem ich die Kommissionsleitung übernommen<br />

habe, ein Seminar zum Thema<br />

Strafvollzug und Menschenrechte gestartet.<br />

Wir besuchen im Zuge dessen auch<br />

immer eine Justizanstalt und ich lade relevante<br />

Praktikerinnen und Praktiker in<br />

meine Lehrveranstaltungen ein, die ich<br />

über meine Funktion als Kommissionsleiterin<br />

kennengelernt habe.<br />

„Bei der wissenschaftlichen<br />

Bearbeitung oder Erstellung von<br />

Reformvorschlägen hat man<br />

natürlich mehr Gewicht, wenn<br />

man die Praxis gut kennt.“<br />

ZUKUNFT: Das heißt, das Thema kommt<br />

auch in der Lehre gut an?<br />

MURSCHETZ: Ja, das Seminar ist immer<br />

sehr gut besucht, und durch die Studierenden<br />

werden viele interessante<br />

Themen beleuchtet. Was sie in ihren<br />

Seminararbeiten theoretisch bearbeiten<br />

und beurteilen müssen, können sie dann<br />

eben auch praktisch hinterlegen. Und seit<br />

ich das Seminar – und seit letztem Jahr<br />

auch eine Vorlesung im Straf- und Maßnahmenvollzugsrecht<br />

– anbiete, steigt die<br />

Zahl der Diplomand*innen, die sich in ihren<br />

Arbeiten mit wichtigen Aspekten aus<br />

Straf- und Maßnahmenvollzug beschäftigen,<br />

sehr stark an. Das bringt auch das<br />

in Österreich wissenschaftlich eher stiefmütterlich<br />

behandelte Fach weiter.<br />

ZUKUNFT: Kehren wir noch einmal zurück<br />

zur Kommission. Haben Sie eine besondere<br />

Erfolgsgeschichte zu erzählen?<br />

MURSCHETZ: Sagen wir so: Wir merken,<br />

dass unsere Besuche sehr viel bewirken,<br />

gerade im Sozial- und Gesundheitsbereich.<br />

Insbesondere bei Alten- und<br />

Pflegeheimen stellen wir eine hohe Reflexionsbereitschaft<br />

und Offenheit für<br />

unsere Vorschläge fest. Und unsere Berichte<br />

bieten den Einrichtungen oft auch<br />

eine Argumentationsbasis für von ihnen<br />

selbst gewünschte Verbesserungen zum<br />

Schutz der Menschenrechte. Besonders<br />

freut mich, dass wir uns vor allem im Sozial-<br />

und Gesundheitsbereich, aber auch<br />

im Justizbereich, Respekt verschaffen<br />

konnten, Respekt nicht als gefürchtetes<br />

Kontrollorgan, sondern vielmehr Respekt<br />

als Expert*innenteam.<br />

ZUKUNFT: Können Sie konkrete Beispiele<br />

aus den angeführten Bereichen nennen?<br />

MURSCHETZ: Der österreichische „Nationaler<br />

Präventionsmechanismus“, kurz<br />

NPM, hat zum Beispiel die Abschaffung<br />

der Netzbetten in Psychiatrien, dringend<br />

nötige Aufstockungen von Nachtdiensten<br />

uvm. bewirkt. Es ist durch die Besuche<br />

und Berichte der Kommissionen auch<br />

schon mehrfach zu Schließungen desaströser<br />

Einrichtungen gekommen, wie die<br />

Schließung eines als Frühstückspension<br />

genehmigten Hauses, in dem psychisch<br />

schwerst kranke Menschen ohne Betreuung<br />

durch qualifiziertes Personal lebten.<br />

Der Pflegeskandal in Salzburg zeigt besonders,<br />

wie wichtig die unabhängige<br />

Kontrolle durch den NPM ist. ef<br />

32<br />

zukunft forschung <strong>02</strong>/22<br />

Foto: Andreas Friedle

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