06.12.2022 Aufrufe

Zukunft Forschung 02/2022

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

Das Forschungsmagazin der Universität Innsbruck

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

RECHTSWISSENSCHAFT<br />

MENSCHENRECHTE<br />

IN ÖSTERREICH SCHÜTZEN<br />

Verena Murschetz beobachtet seit sieben Jahren, wie es um die Einhaltung von Menschenrechten in<br />

Justizanstalten, Polizeianhaltezentren und anderen Orten des Freiheitsentzugs in Tirol und Vorarlberg<br />

steht. Im Interview gibt Murschetz, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität<br />

Innsbruck, Einblick in ihre Tätigkeit und erzählt, wie diese in <strong>Forschung</strong> und Lehre einfließt.<br />

Seit dem Jahre 2012 wird in Österreich<br />

das OPCAT, eine Ergänzung<br />

zum Anti-Folter-Übereinkommen der<br />

Vereinten Nationen, umgesetzt: Expert*innen-Kommissionen<br />

auf regionaler und Bundesebene<br />

machten seither durchschnittlich<br />

450 Besuche pro Jahr in Einrichtungen des<br />

Freiheitsentzugs. Im Zuge dieser Kontrollmaßnahmen<br />

wurden in bis zu 80 Prozent<br />

der Fälle Defizite festgestellt. Die Juristin<br />

Verena Murschetz leitet die Kommission für<br />

Tirol und Vorarlberg. Im Folgenden spricht<br />

sie über Menschenrechtsschutz in Praxis,<br />

<strong>Forschung</strong> und Lehre.<br />

ZUKUNFT: Was ist OPCAT und wie wird<br />

es umgesetzt?<br />

VERENA MURSCHETZ: Als fakultatives<br />

Zusatzprotokoll zum Antifolter-Abkommen<br />

trägt OPCAT den Staaten, die es<br />

ratifizieren, auf, einen sogenannten Nationalen<br />

Präventionsmechanismus einzurichten.<br />

Darunter ist ein zusätzlicher<br />

Kontrollmechanismus zu verstehen, der<br />

durch Kontrollbesuche präventiv vor<br />

Menschenrechtsverletzungen schützen<br />

soll. In Österreich involviert dieser<br />

die Volksanwaltschaft und sechs Länderkommissionen<br />

sowie eine Bundeskommission.<br />

Diese haben die Aufgabe,<br />

unangekündigte Besuche in Einrichtungen,<br />

welche die Freiheit entziehen oder<br />

auch nur potenziell entziehen können,<br />

zu machen und darüber zu berichten. In<br />

Österreich sind wir vergleichsweise gut<br />

aufgestellt und können daher nicht nur<br />

die klassischen Orte des Freiheitsentzugs<br />

wie Justizanstalten, Polizeianhaltung und<br />

Psychiatrien, sondern auch Alten- und<br />

Pflegeheime, Einrichtungen für Kinder<br />

und Jugendliche und für Menschen mit<br />

Behinderungen besuchen.<br />

ZUKUNFT: Sie sind seit 2015 Leiterin der<br />

Kommission 1 für Tirol und Vorarlberg.<br />

Was machen Sie und Ihre Kommission<br />

ganz konkret?<br />

MURSCHETZ: Als Kommissionsleiterin<br />

entscheide ich zunächst, welche Einrichtungen<br />

wir prüfen und in welcher<br />

Expert*innen-Zusammensetzung. Wir<br />

gehen dann unangekündigt in die Institutionen,<br />

führen Gespräche mit den<br />

Insass*innen, Klient*innen oder Bewohner*innen,<br />

aber auch mit dem Personal<br />

und der Leitung. Wir protokollieren<br />

alle Gespräche und treffen dann zu bestimmten<br />

Themen wie zum Beispiel zu<br />

freiheitsbeschränkenden Maßnahmen<br />

Feststellungen und eine menschenrechtliche<br />

Beurteilung. Das heißt, wir erklären<br />

im Protokoll und auch in einem abschließenden<br />

Gespräch vor Ort, warum etwas<br />

menschenrechtlich zu beanstanden ist<br />

und formulieren konkrete Empfehlungen<br />

bzw. Verbesserungsvorschläge. Das<br />

Protokoll über den Besuch erhält dann<br />

die Volksanwaltschaft und kommuniziert<br />

die Beanstandungen und Empfehlungen<br />

an das zuständige Ministerium<br />

bzw. die Landesregierung sowie die zuständigen<br />

Trägerinstitutionen.<br />

ZUKUNFT: Kommt es im Zuge solcher Besuche<br />

auch manchmal zu Anzeigen?<br />

MURSCHETZ: Ja, wenn ein Problem so<br />

schwerwiegend ist, dass es strafrechtlich<br />

relevant ist, wie z. B. jüngst der<br />

Pflegeskandal in Salzburg. Das ist nicht<br />

so häufig, kommt aber vor. Aber es ist<br />

nicht unsere Aufgabe, nachträglich zu<br />

prüfen, ob ein Verschulden vorliegt,<br />

zum Beispiel, wenn ein Suizid während<br />

eines Freiheitsentzugs stattgefunden hat.<br />

Unser Ziel ist es, strukturelle Probleme<br />

aufzudecken und konkrete Empfehlungen<br />

zur Beseitigung der festgestellten<br />

Defizite vorzuschlagen.<br />

ZUKUNFT: Ist es in der Alltagspraxis nicht<br />

schwierig, rechtliche von strukturellen<br />

oder sozialen Problemen abzugrenzen?<br />

MURSCHETZ: In meiner Kommission<br />

sind verschiedene Expert*innen vertreten.<br />

Wir haben zwei Jurist*innen, eine<br />

davon ist auch Sozialpädagogin, einen<br />

Psychiater, einen diplomierten Gesundheits-<br />

und Krankenpfleger, eine Fachsozialbetreuerin<br />

für Altenarbeit, eine<br />

Psychologin und einen Experten für Behindertenrecht.<br />

Die Zusammensetzung<br />

und Stärke der Kommission richten sich<br />

„Wir merken, dass unsere Besuche sehr viel bewirken, gerade im<br />

Sozial- und Gesundheitsbereich. Insbesondere bei Alten- und<br />

Pflegeheimen stellen wir eine hohe Reflexionsbereitschaft und<br />

Offenheit für unsere Vorschläge fest.“<br />

nach der Einrichtung und den konkreten<br />

Schwerpunkten, die wir prüfen. In<br />

einem gemeinsamen Protokoll hält jedes<br />

Kommissionsmitglied seine Wahrnehmungen<br />

fest und bewertet diese aus<br />

seiner Expertise. Rein rechtlich gesehen<br />

gibt es für die jeweiligen Einrichtungen<br />

verschiedene, aber klare Vorgaben, z. B.<br />

das Strafvollzugsgesetz für Justizanstalten,<br />

das Heimaufenthaltsgesetz, das<br />

Unterbringungsgesetz oder die Behindertenrechtskonvention.<br />

Insofern ist die<br />

Einschätzung nicht so schwer.<br />

zukunft forschung <strong>02</strong>/22 31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!