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Zusammenfassung des gesamten Europarechts Buch
Zusammenfassung des gesamten Europarechts Buch
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FÜM I
Europarecht
I. Eingrenzung des Europarechts
Definition
Verschiedene Definitionen für den Begriff „Europa“
• geografische Definition → exklusiver Europabegriff (unverrückbare geografische Merkmale)
• kulturell-historische Definition → ebenfalls exklusiver Europabegriff, soweit sie historische Unterschiede
einzementiert und kulturellen Wandel negiert
• politische Definition (Wertegemeinschaft) → inklusiver Europabegriff. Sie öffnet den Europabegriff
für jede soziale Gemeinschaft und jedes Individuum, die sich zu den europäischen Werten
bzw. europäischen „Verfassung“ und ihren Werten bekennen. Dieser Begriff schreitet dynamisch
mit der Fortentwicklung der Gesellschaft voran und ist entsprechend anpassungsfähig.
Europäischer Verfassungsbegriff – Problematik
• Man weiß nicht ob Staatenbund oder Bundesstaat angesteuert wird
• Staatstheorie meint mit Verfassung den zentralen Rechtsbestand einer staatlichen Einheit
• ob als Ziel der EU tatsächlich eine solche staatliche Einheit angestrebt wird, ist umstritten
o daher anstatt „Verfassung“ schlicht „Primärrecht“
• Im geografischen bzw. historischen Europa bestehen jedoch mehrere parallele Integrationsstränge
bzw. zwischenstaatliche Kooperationsmodelle. Sie schaffen einen überstaatlichen
Rechtsband, der einen Anknüpfungspunkt für eine offenere, pol. Eingrenzung des Europabegriffs
bilden könnte (zB Europarat, OSZE, EFTA, NATO).
Recht der Europäischen Union
Eingrenzung – Europarecht
• Europarecht= vom EU-Gesetzgeber erzeugtes Recht
• Europarecht/Unionsrecht/EU-Recht umfasst
o primärrechtliche Rahmen der EU (EUV, AEUV, Protokolle, GRC …),
o das auf dieser Basis von den Unionsorganen erzeugte Sekundärrecht (VO, RL, Beschlüsse
..., aber auch internationale Abkommen der EU (WTO-Abk, EWR-Abk …)
o Die Eingrenzung gilt außerdem unabhängig davon, ob das so erzeugte Recht für alle
MS oder nur für einen Teil gilt (zB „Verstärkte Zusammenarbeit wurde begründet).
Ebenso unerheblich ist es auch, ob neben EU-Staaten auch Nicht-EU-Staaten in den
fraglichen Rechtsbestand miteinbezogen sind, wie dies zB beim die Abschaffung der
Grenzkontrollen betreffenden Schengen-Regime (etwa auch Island, Norwegen, Liechtenstein)
oder bei der (zB die Türkei mit einbeziehenden) Zollunion der Fall ist).
Abgrenzung – Völkerrecht
• VR ist nicht Teil des EU-Rechts
• kann aber Teil davon werden → Einbeziehung in EU-Rechtsordnung erfolgt dabei
o entweder schon aufgrund primärrechtlicher Anordnung (UN-Charta, EMRK …)
• VR steht dann auf einer Stufe mit dem Primärrecht
o oder aber als Folge der Beteiligung der EU an völkerrechtlichen Abkommen
• VR steht dann im sog. Mezzaninrang = zwischen Primär- und Sekundärrecht
FÜM I
Wozu Europarecht?
Utilitaristische Perspektive
Europarecht
• Europa funktioniert, weil bzw solange es nützlich ist – mehrere Nützlichkeitserwägungen:
o EU als Friedensprojekt
• Gemeint ist das Bestreben einer stabilen Friedenssicherung auf dem europäischen
Kontinent nach und seit den 2. WK. Zu Beginn betraf dies D&F, aber
durch EGKS-Vertrag 1951 wurde die damals kriegsrelevante Produktion von
Kohle und Stahl von beiden Staaten abgebeben und an eine unabhängige,
überstaatliche Behörde übertragen. Idee der Stabilisierung der politischen
Verhältnisse fungiert bis heute als Legitimationsfaktor der europäischen Einigungs-
und Erweiterungspolitik
o
o
o
EU für kleinere MS als Machthebel politischen Einflusses
• Europarecht erlaubt wechselseitige Einflussnahme auf EU-interne Angelegenheiten
anderer. Je mehr Bereiche von der Integration erfasst werden und je
weiter die Beschlussfassung vom Einstimmigkeitsprinzip abgelöst ist, desto
größer ist dieser Einfluss.
• EU-extern erhöht gemeinsames Auftreten globales Gewicht der eigenen
Stimme. Die Integration bewirkt hier auch eine Aufwertung der Bedeutung der
Einzelstaaten und besonders kleiner Staaten.
EU als Marktopportunität für Wirtschaftstreibende
• gemeinsamer Binnenmarkt weitet das Handelsvolumen insgesamt aus (vgl.
Adam Smith)
EU als sozialpolitisches Projekt ("soziales Europa")
• EU als Garant eines Europäischen Sozialmodells
• Gewährleistung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts
der EU → sog Kohäsionspolitik
• Nützlichkeit der EU ist dabei ein Gradmesser ihrer (politischen) Legitimität
o dh solange die EU von allen MS als nützlich empfunden wird, hat sie stabile Bestandsaussichten
→ "théorie de la bicyclette" (So, wie ein Fahrrad umfällt, wenn nicht andauernd
auf die Pedale getreten wird, kollabiert auch eine EU, die integrationspolitisch
zum Stillstand kommt - W. Hallstein, erster Kommissionspräsident)
• Antwort auf Polykrise war das Weißbuch zur Zukunft Europas mit 5 Szenarien
o Weiter wie bisher
o Fokus nur auf Binnenmarkt
o Koalition der Willigen
o Konzentration auf große gemeinsame Aufgaben und Rückzug aus kleineren Gebieten
o Generelle Vertiefung der Integration
Praxisperspektive
Das Europarecht ist für die Praxis relevant, weil es innerhalb des nationalen Rechtsgefüges eine zweite,
neben dem staatlichen Recht stehende und dabei völlig autonome Rechtsordnung darstellt. Gleichzeitig
erfasst diese Rechtsordnung so viele Bereiche, dass die Zahl der Rechtsmaterien ohne europarechtliche
Vorgaben bzw. zweite europarechtliche Prüfebene sehr klein geworden ist.
FÜM I
Europarecht
Das ER ist letztlich eine vom VR verschiedene Materie: Das ER fußt zwar auf dem VR, da die Gründungsverträge
der EU internationale Abkommen waren bzw. sind. Sehr rasch hat sich die Materie jedoch
weit über das VR hinausentwickelt und steht heute nach seinen Merkmalen und seiner Funktionsweise,
aber auch bei der Ausgestaltung der Organe dem staatl. Recht weit näher bzw. ist diesem
ähnlicher als dem VR. EU-Recht ist aber weder VR noch staatl. Recht, sondern eine Rechtsordnung
eigener Art (sui generis-Charakter). Dies hat der EuGH schon früh in der Rechtssache van Gend (1963)
klargestellt.
• Van Gand& Loos
o Van gend importiert Chemikalien von D nach NL und es gab eine Stillhalteverpflichtung
bei Zöllen. Van Gend meinte sie wurden regelwidrig erhöht. Kann er sich überhaupt
unmittelbar berufen??
o EWG Vertrag berührt Staaten und Staatsbürger. Es stellt eine neue Rechtsordnung
des Völkerrechts dar und so werden die Staaten (ein wenig) in ihrer Souveränität und
Handlungsfreiheit eingeschränkt und Einzelnen werden item Rechte verliehen
Völkerrecht
Gründungsverträge
Völkerrecht
ER basiert auf völkerrechtlichen Verträgen
Europäische Politik/Gesetzgebung von multilateraler
Diplomatie und Methodik geprägt
• Gasp
• Einstimmigkeitserfordernisse/ Konsensmethode
im Rat
• Sperrminorität
zB Protokolle/ Erklärungen zu EUV/AEUV
Staatenrecht
Ausgestaltung der Organe
Eigene Rechtsmaterie
ER weit über Völkerrecht hinaus entwickelt
Konstitutionalisiserungsprozess → Annäherung
an staatentypische Merkmale
1. Rechtsqualität/ Rechtswirkungen→
„Supranationalität“ statt Souveränität
2. Institutionell/ prozedural→ Gemeinschaftsmethode
Unionsmethode – bezeichnet die Eigenheiten des Europarechts im Bereich der Ausgestaltung seiner
handlungsbefugten Organe und Verfahren – dazu zählen:
• Initiativmonopol der Kommission bei der Gesetzgebung
• Regelfall der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat
• Aufwertung des Parlaments zum Ko-Gesetzgeber (in den meisten Unionsbereichen)
• unmittelbare Vollzugseignung des EU-Rechts (wenn justiziabel)
• vollwertige gerichtliche Kontrolle (EuGH & EuG)
Supranationalität – bezeichnet die besondere Rechtsqualität von Unionsrecht – charakteristisch sind:
• Autonomie des Unionsrechts
o autonomer Geltungsanspruch + eigene Begriffe und Methoden
• unmittelbare Geltung des Unionsrechts
o keine Wahlfreiheit der MS hinsichtlich der Geltung von EU-Recht
FÜM I
Europarecht
• unmittelbare Anwendbarkeit (sog Direktwirkung) des Unionsrechts
o (justiziables) EU-Recht verschafft Einzelnen unmittelbare individuelle Berechtigungen
o jede unmittelbar anwendbare Unionsrechtsnorm bildet dabei eine taugliche Anspruchsgrundlagen
vor nationalen Gerichten
• Vorrang von Unionsrecht vor nationalem Recht
o Konfliktlösungsregel: Unionsrecht (jeder Stufe) geht nationalem Recht (jeder Stufe;
vorbehaltlich eines integrationsfesten Kerns) vor → sog Anwendungsvorrang
o nationales Recht wird dabei nicht vom Unionsrecht derogiert, sondern lediglich von
diesem überlagert (iS eines Vorrangs)
o Rs. Costa / E.N.E.L. (1964)
• Staatshaftung
o Grundsatz, dass die MS gegenüber Einzelnen für Schäden aufgrund von staatlichen
Verstößen gegen Garantien des Unionsrechts haften / subsidiärer Rechtsbehelf (!)
o Rs. Francovich und Bonifaci (1991)
FÜM I
Europarecht
II.
Geschichtlicher Abriss
Anfänge: Zweiter Weltkrieg bis Mitte der 1960er Jahre
Zeittafel
• 2. Sep 1945 → Ende II WK
• 19. September 1946 → Churchill fordert Gründung der Vereinigten Staaten von Europa
• 5. Mai 1949 → Europarat wird gegründet (Sitz Straßburg)
• 1950 → Schuman-Plan ist ein grundlegender politischer Plan für eine Zusammenlegung
der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg
– wurde vom damaligen franz. Außenminister Schuman gegründet
• 18. April 1951 → Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) – in Kraft 1952
o War ein europäischer Wirtschaftsverband und ein Vorläufer der EG. EGKS verfolgte
das Ziel, den Gründerstaaten (F, Ita, D, BeNeLux) freien Zugang zur Produktion von
Kohle & Stahl zu sichern und zwischen den Gründerstaaten einen gemeinsamen Markt
zu schaffen
• 1./2. Juni 1955 → Konferenz von Messina: Beschluss, den europäischen Einigungsprozess
auf die Wirtschaft als Ganzes auszuweiten.
• 25. März 1957 → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) & Europäische
Atomgemeinschaft (Euratom) wurden in Rom beschlossen (Römer-
Verträge) – in Kraft jeweils 1958
o
o
o
o
EWG-Vertrag erweiterte das Freiverkehrsmodell des EKGS-Vertrags (Kohle & Stahl)
auf weitere Wirtschaftsbereiche (Warenverkehr allgemein, Dienstleistungen, Personen/Unternehmen
und Kapital)
EWG-Vertrag bildete dabei die wirtschaftliche Grundlegung der EU und wird deshalb
auch als das sog Rückgrat der europäischen Integration bezeichnet
Politisch wurde erst 1992 durch Maastricht ein Fortschritt erzielt
von den Gründungsverträgen (EGKS, EWG und Euratom) besteht heute nur noch der
Euratom-Vertrag; EGKS-Vertrag war auf 50 Jahre befristet; EWG-Vertrag (später EG-
Vertrag) wurde mit Vertrag von Lissabon (2009) aufgehoben und durch AEUV ersetzt
• 20. Juli 1963 → Erste Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und 18 afrikanischen
Ländern in Jaunde
• 18. April 1965 → Fusionsvertrag – in Kraft 1967
o
o
Fusion der Exekutiven der drei Gemeinschaften (EGKS, EWG und Euratom) – Geburtsstunde
der Kommission; ergo: Hohe Behörde (EGKS) und beide Kommissionen (EWG,
EURATOM) zu einer Kommission verschmolzen; Besonderer Ministerrat (EGKS) und
beide Ministerien (EWG, EURATOM) wurden zu einem Ministerrat verschmolzen
Folge – wirtschaftlichere Verwaltung + deutliche Stärkung der (nun geeinten) Organe
im Verhältnis zu den MS
FÜM I
Konsolidierung: Mitte 1960er bis Mitte 1980er Jahre
Zeittafel
Europarecht
• 30. Juni 1965 → Politik des leeren Stuhls
o Verhandlungen über den Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat zu ersten Bereichen
mit Mehrheitsbeschluss scheiterten
o Frankreich (das damals den Vorsitz im Rat hatte) brach die Verhandlungen ab (leerer
Stuhl) und löste eine siebenmonatige Krise der EWG aus
• 29. Jan 1966 → Luxemburger Kompromiss
o Kompromiss iZm Frankreichkrise – auch in Bereichen, wo Mehrheitsbeschlüsse im Rat
formal möglich wären, können in Einzelfällen geltend gemachte vitale Interessen der
MS geschützt werden (in solchen Fällen gilt Konsensmethode)
• Juli 1968 → Abschaffung der Binnenzölle zwischen MS und Einführung des gemeinsamen
Zolltarifs
• 1./2. Dezember 1969 → Gipfel von Den Haag, wo die Staats- und Regierungschefs die
Vertiefung des Europäischen Einigungsprozesses beschließen und damit den Weg für die erste
Erweiterung öffnen
• 22. April 1970 → Eigenmittelvertrag: Vertrag zur schrittweisen Finanzierung der EWG
durch Eigenmittel neben den Beiträgen der Staaten (Zölle, Mehrwertsteueranteil, Bußen), korrespondierend
Erweiterung der Kontrollbefugnisse des Europäischen Parlaments.
• 1. Januar 1973 → erste Erweiterung, Dänemark, Irland und Vereinigtes Königreich
• Juni 1979 → erste Direktwahlen zum Europäischen Parlament
• 1981 → zweite Erweiterung, Griechenland
• 14. Juni 1985 → Schengen-Übereinkommen (Abschaffung der Grenzkontrollen)
• 1. Januar 1986 → dritte Erweiterung, Spanien und Portugal
• Feb 1986 → Einheitliche Europäische Akte – in Kraft 1987
o erste grundlegende Reform der Gründungsverträge; zwei Hauptziele
• Schaffung eines vollwertigen Binnenmarktes und
• Flankierende institutionelle Reformen, die die Verwirklichung dieses Ziels erleichtern
(zB Ausweitung der Mehrheitsbeschlüsse)
Vertiefung und Euphorie: 1989 bis 2004
Zeittafel
• 9. November 1989 → Fall der Berliner Mauer
• 7. Feb 1992 → Vertrag von Maastricht – in Kraft 1993
o Dreisäulenmodell:
• Zusammenfassung der drei Gemeinschaften EWG, EGKS und Euratom (1.
Säule) – ersetzt Römer Verträge
• Institutionalisierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik und
Verteidigung (2. Säule)
• sowie in den Bereichen Polizei und Justiz (3. Säule)
o etablierte auch neue Politiken (GASP; Wirtschafts- und Währungsunion) und erweiterte
die Befugnisse des Parlaments um das sog Mitentscheidungsverfahren (dh ein
vollwertiges Mitspracherecht/Vetorecht in der Gesetzgebung)
• Juni 1993 → Kopenhagener Kriterien der Osterweiterung
• 2. Okt 1997 → Vertrag von Amsterdam – in Kraft 1999
o Kleinere Vertragsreform mit Hauptziel Erhaltung der Handlungsfähigkeit bei Erweiterung
FÜM I
Europarecht
• 16. Feb 2001 → Vertrag von Nizza – in Kraft 2003
o Weitere institutionelle Reformen; Verkündung der Europäischen Charte der Grundrechte
• 2001: Erklärung von Laeken zur Zukunft der Union; Einrichtung des Konvents zur Erarbeitung
einer Eur Verfassung
• 2002: Einführung des Euro-Bargelds in 12 MS
• 1. Mai 2004 → fünfte Erweiterung, Zypern, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen,
Malta, Polen, Slowakei und Slowenien
• 29. Okt 2004 → Entwurf eines Europäischen Verfassungsvertrags
o getragen von verstärkten politischen und akademischen Diskussionen zur Finalität Europas
(insb rund um die Bundesstaatsidee)
o beinhaltete umfangreiche institutionelle und prozedurale Reformen sowie auch einiges
an staatlicher Symbolik (Europahymne, Flagge etc.)
Krisenphase: 2005 bis jüngste Zeit
Zeittafel
• Juni 2005 → Ablehnung des Europäischen Verfassungsentwurfs
o Referenden in F und NL erteilten der (in der Verfassung steckenden) staatlichen Symbolik,
dem quasistaatlichen Machtanspruch sowie der bundesstaatlichen Finalität Europas
nachhaltig Absagen
• 1. Januar 2007 → sechste Erweiterung, Bulgarien und Rumänien
• 13. Dez 2007 → Vertrag von Lissabon – in Kraft 2009
o Vertrag von Lissabon bildete eine um jegliche staatsartige Symbolik bereinigte Version
des (zuvor abgelehnten) Verfassungsvertrags
o setzte zudem umfassende inhaltliche Reformen um – insbesondere wurde die EG beendet
und das Dreisäulenmodell aufgelöst, an dessen Stelle als einziger Rechtskörper
die (heutige) EU trat
• ab 2007 → Finanz- / Wirtschaftskrise (Grexit, moral hazard, Austeritätspolitik)
o überging ab 2009 in eine Schuldenkrise der Euro-Länder (sog Eurokrise)
o konnte über die Finanzvehikel des sog Euro-Rettungsschirms und durch Übertragung
einzelner Kontrollrechte an die EU vorerst abgefedert werden
• 1. Juli 2013 → siebte Erweiterung, Kroatien
• ab 2014/15 → Flüchtlingskrise
o gemeinsame Verteilung der Flüchtlinge scheiterte ebenso wie eine effektive Kontrolle
der Außengrenzen – als Folge wurden zuerst das Dublin-System sowie später (temporär)
auch das Schengen-System außer Kraft gesetzt
o Flüchtlingsdruck nahm Anfang 2016 aufgrund von Rückführungsabkommen und
Grenzschutzkooperationen kontinuierlich ab
• ab 2016/17 → erstmalige Einleitung eines Art 7 EUV Verfahrens gg Polen wegen Gefährdung
der Grundwerte
• Juni 2016 → Brexit
o bevorstehender Austritt Großbritanniens aus der EU (rechtliche Grundlage dafür
wurde erst mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen) / findet keine Fristverlängerung
statt, wird GBR ab 30.9.2019 nicht mehr EU-Mitglied sein
• 1. März 2017 → 60-Jahr-Jubiläum der Römer Verträge vor dem Hintergrund gehäufter
Krisenphänomene (sog. Poly-Krise); Weißbuch zur Zukunft Europas als Ansatzpunkt
einer Debatte über die grundlegende Neuausrichtung der weiteren Integration
FÜM I
Europarecht
FÜM I
Europarecht
III. Rechtsquellen
Primärrecht
Umfang
• bildet das Recht der höchsten Stufe
• Primärrecht umfasst zunächst die Grundlagenverträge:
o Vertrag über die Europäische Union (EUV)
o Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)
• weiters zählen zum Primärrecht:
o Charta der Grundrechte (GRC)
o Beitrittsakte (= Verträge über den Beitritt neuer MS bzw auch über den Austritt)
o zahlreiche Protokolle + zwei Anhänge zu den Verträgen
o allgemeine Rechtsgrundsätze
EUV
Grundprinzipien des Organhandelns (Loyalität,
Subsidiarität, begrenzte Einzelermächtigung)
Werte und Ziele+ Schutz
Grundlagen der differenzierten Integration
Verfahren über Vertragsänderung (Primärrechtsänderung)
Beitritt/ Austritt
GASP
AEUV
Führt va die zahlreichen Politiken der EU
und enthält die dafür jeweils einschlägigen
Rechtsetzungsgrundlagen
Unionsbürgerschaft/ Binnenmarkt/ Wettbewerb
Justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit
Kompetenzkatalog über Struktur und die
internen gemeinsamen Verfahren der Organe
• Abgesehen von Verträgen gehören ebenfalls gleichrangig die allg. Rechtsgrundsätze, wie sie
sich insbes. aus den gemeinsamen Rechtstraditionen der MS (zB im Bereich der Grundrechte,
aber auch in Rechtssicherheit oder Vertrauensschutz) oder dem VR (etwa Grundsatz des guten
Glaubens, Prinzip des PACTA SUNT SERVANDA, Territorialprinzip, usw.) ergeben.
• Erklärungen zu den Verträgen sind nicht Teil des Primärrechts, sondern dienen nur als Auslegungshilfe.
Handelt es sich aber um gemeinsame Erklärungen aller MS, so sind diese (hinsichtlich
der vorgegebenen Auslegung) bindend
Sekundärrecht
Typische Rechtsakte
• Sekundärrecht ist das vom Primärrecht abgeleitete Recht, das also auf Basis primärrechtlicher
Rechtsetzungsermächtigungen erzeugt wurde. Es ist also zunächst internes Gesetzesrecht,
also Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren iSd Art 289 AEUV erzeugt werden:
o Verordnung
o Richtlinie typische Rechtsakte (Art 288 AEUV)
o Beschluss
o Etc.
• Basis der Rechtserzeugung hat eine im Primärrecht enthaltene, spezifische Rechtsetzungsgrundlage
zu sein (zB Art 114 AEUV für die allgemeine Binnenmarktgesetzgebung)
FÜM I
Europarecht
Atypische Rechtsakte
• weitere Rechtsakte, die auf die Institutionen in der Praxis zurückgreifen und deren Rechtswirkungen
(va Drittverbindlichkeiten) sich im Einzelfall unterscheiden.
o Mitteilungen
o Leitlinien atypische Rechtsakte
o etc
Externes Recht + Interinstitutionelle Vereinbarungen
• auch das externe Recht – also völkerrechtliche Verträge – gehört zum Sekundärrecht. Das
Rechtserzeugungsverfahren, also das Verfahren für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge,
richtet sich nach Art. 218 AEUV. Art. 216 AEUV ordnet intern die Verbindlichkeit solcher Abkommen
für die Organe der EU an, was für diese im Wesentlichen eine Umsetzungspflicht bedeutet.
o
Es bedeutet aber auch, dass sie dabei aber auf einer Zwischenstufe zwischen dem (höherrangigen)
Primärrecht und dem (niederrangigen) Sekundärrecht – sog Mezzaninrang
– stehen.
• Schließlich zählen auch interinstitutionelle Vereinbarungen zwischen den Organen (vgl. Art.
295 AEUV), in denen Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen den Organen festgelegt sind,
zum Sekundärrecht
Tertiärrecht
Delegierte Rechtsakte
• Begriff Tertiärrecht meint iW delegierte Rechtsakte iSd Art 290 AEUV
o Delegierte Rechtsetzung erfolgt durch die Kommission; die erlassenen Rechtsakte haben
keinen Gesetzescharakter (sondern eben Verwaltungsrechtscharakter).
o Art. 290 AEUV ermächtigt die Kommission zur Ergänzung oder Änderung bestimmter
nicht wesentlicher Vorschriften eines (in Gesetzesrang stehenden, also höherrangigen)
Basisrechtsakts.
Durchführungsrechtsakte?
• Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV werden zwar gerne zum Tertiärrecht gezählt,
was aber systematisch unrichtig ist – im Rahmen der Durchführung kommt der Kommission
(anders als bei den delegierten Rechtsakten) nämlich kein eigenes Regelungsermessen zu
• Sie ebenfalls zum Tertiärrecht zu zählen verschleiert das wesentliche Merkmal des Tertiärrechts
(nämlich die Befugnis zur Änderung nicht wesentlicher Teile eines Basisrechtsakts) und
erschwert schlicht die Unterscheidung zwischen dem Tertiärrecht und herkömmlichem Verwaltungsvollzugsrecht.
Rechtsvollzug
Allgemeines
• Vollzug meint die Anwendung des Rechts im Einzelfall (individuell-konkret) oder auf eine bestimmte
Gruppe von Sachverhalten (generell-abstrakt). Beschlüsse oder DurchführungsVO bilden
zB das Recht der niedrigsten Stufe innerhalb des unionsrechtlichen Stufenbaus.
FÜM I
Europarecht
Grundsatz der Verfahrensautonomie
• tragender Grundsatz des Unionsrechtsvollzugs ist dabei der Grundsatz der Verfahrensautonomie
der MS
o Rechtsanwendung (Vollzug) fällt dabei grdsl in die ausschließliche Zuständigkeit der
Behörden und Gerichte der MS, ist also von diesen sicherzustellen. Vgl. Art. 19 Abs. 1
EUV und Art. 291 Abs 1 AEUV. Bleibt der mitgliedstaatliche Vollzug hinter dieser Vorgabe
zurück, ist also eine effektive Anwendung der EU-rechtlichen Vorgaben nicht gewährleistet,
greifen als Korrektive zur Verbesserung der Durchsetzung das Äquivalenzund
Effektivitätsprinzip ein.
Ausnahme: Unionsrechtsvollzug
• In einzelnen Materien (bspw im Wettbewerbsrecht nach den Art. 101 bis 109 AEUV) ist der
Vollzug aber der EU selbst (ganz oder teilweise) zugewiesen
• Auch die Durchführungsrechtsetzung iSd Art. 291 AEUV – also die Vorgabe unionsweit einheitlicher
Bedingungen für die Durchführung von EU-Rechtsakten – gehört in den Bereich des Unionsrechtsvollzugs
Stufenbau der Europarechtsordnung
Rangordnung
• ein klassischer Stufenbau der Rechtsordnung lässt sich im europarechtlichen Kontext nur eingeschränkt
illustrieren, wenngleich er für das Verständnis der Europarechtsordnung durchaus
wertvoll sein kann (insb zum Verständnis des Anwendungsvorrangs)
• (undogmatisch verstandener) Stufenbau:
o Primärrecht steht an höchster Stufe (und bildet somit den höchsten Maßstab der Vereinbarkeitsprüfung
für andere Rechtsnormen)
o unter dem Primärrecht steht das allgemeine Sekundärrecht, dazwischen die völkerrechtlichen
Abkommen der Union (Mezzaninrang)
o erst darunter kommt dann nationales Recht (inkl Verfassungsrecht) – dies gibt zu erkennen,
dass Unionsrecht jeder Stufe grdsl nationalem Recht jeder Stufe vorgeht
Solange-Doktrin
• 1974 hat das deutsche BVerfG erstmals den allgemeinen Grundsatz der Vorrangwirkung von
Unionsrecht im Verhältnis zu nationalem Recht in Frage gestellt
• Grund dafür waren nachweisliche Defizite im Bereich des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene,
in Folge das BVerfG den Grundsatz des integrationsfesten Kerns entwickelte – Bereiche,
die zum unveräußerlichen Kern der Verfassungsordnung gehören, könne die Vorrangwirkung
des EU-Rechts nicht erfassen
• Ausdruck dieser drohenden Verweigerung des Anwendungsvorrangs für den Fall, dass unveräußerliche
Verfassungsgarantien verletzt würden, ist das Solange I Urteil aus 1974 – "Solange
das Gemeinschaftsrecht keinen ausreichenden Grundrechtsschutz gewährleiste, behalte sich
das BVerfG eine Grundrechtsprüfung gegenüber Rechtsakten der Union vor"
o Dt. BVerfG Solange I (1974)
• auch wenn das deutsche BVerfG dem Unionsrecht praktisch noch nie ausdrücklich die Gefolgschaft
verweigert hat, so verstärkte die (damalige) EWG als Reaktion auf die Drohungen
Deutschlands ihre Bemühungen im Bereich des Grundrechtsschutzes deutlich
FÜM I
Europarecht
• 1986 erklärte das deutsche BVerfG schließlich, dass es die Bemühungen der EWG für so ausreichend
erachte, seine vorbehaltene Nachprüfungskompetenz gegenüber EU-Recht bis auf
weiteres (dh solange die Grundrechtsgarantien auf EU-Ebene ausreichen) nicht auszuüben
o Dt. BVerfG Solange II (1986)
• diese Entwicklungen zeichnen seither mehrere Urteile des deutschen BVerfG nach, in denen
durchgängig eine Verletzung des GG durch Unionsrecht abgelehnt und dem Anwendungsvorrang
Beachtung geschenkt wurde
• selbst im vieldiskutierten Urteil Solange III aus 2015, wo das deutsche BVerfG im Ergebnis das
Unionsrecht unangewendet ließ, wurde dies aus einem behaupteten Gleichklang der unionsrechtlichen
und der deutschen Grundrechtsgebote hergeleitet
o Dt. BVerfG Solange III (2015)
• ausdrücklich anerkannt hat der EuGH einen integrationsfesten Kern im Recht der MS aber bis
heute nicht (auch wenn er sich diesem Prinzip größtenteils angenähert hat)
Integrationsfester Kern
• = kleiner Kernbereich des nationalen Verfassungsrechts (verfassungsrechtliche Baugesetze
+ Grundrechte), in den das Unionsrecht nicht eingreifen darf
• Praxisperspektive – greift dennoch ein Rechtsakt der Union in die Baugesetze des nationalen
Verfassungsrechts (also in den integrationsfesten Kern) ein, so entfaltet der jeweilige Rechtsakt
keinerlei Vorrangwirkung, sondern tritt hinter das nationale Verfassungsrecht zurück
FÜM I
Europarecht
IV. Organe
Allgemeines
Organe der EU (Art. 13 EUV)
• Europäische Parlament (EP) / Europäische Rat / (Minister-)Rat / Europäische Kommission / Gerichtshof
der EU / Europäische Zentralbank (EZB) / Rechnungshof – Abs 1
• weitere Organe – Abs. 4
o Wirtschafts- und Sozialausschuss
o Ausschuss der Regionen
• Organe des Abs 1 haben eigenständige Befugnisse im System der Wahrnehmung der Aufgaben
der EU / Organe des Abs 4 spielen dagegen nur eine Rolle der Unterstützung und Beratung von
Parlament, Rat und Kommission
• Amtsträger eines Organs sind die mit den Organen in den Medien verbundenen Gesichter und
Personen. Dies gilt insbesondere für den Ständigen Ratspräsidenten (Donald Tusk), die Hohe
Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik (Federica Mogherini), den Kommissionspräsidenten
(Jean-Claude Juncker) und den Parlamentspräsidenten (Antonio Tajani).
Grundsätze des organschaftlichen Handelns (Art 13 EUV)
Art 13 Abs 1 EUV
Sämtliche Organe haben Auftrag:
• Gebot der Kohärenz des erzeugten Rechts
o = Abstimmung institutioneller Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der EU
• Effizienz der Abläufe und Strukturen der Organe
o insb eine bürgeroffene, ressourcenarme und unabhängige Verwaltung
• Gebot der Kontinuität des erzeugten Rechts
o Organe sollen Rechtssicherheit und den Schutz berechtigten Vertrauens der Rechtsunterworfenen
in begründete Erwartungen gewährleisten
Art 13 Abs 2 EUV
• Grundsatz der Legalität des Organhandelns (= Bindung der Organe an die Gesetze)
o jede Handlung eines Organs muss auf passende Rechtsgrundlage rückführbar sein
o innerhalb der EU übertragenen Kompetenzen (= vertikale Kompetenzverteilung) muss
eine konkrete Rechtsgrundlage gefunden werden
o aus dieser Rechtsgrundlage ergibt sich
• in welchem Umfang und
• mit welchen Mitteln die EU handeln darf und
• welche Organe dazu wie (dh nach welchem Verfahren) berufen sind
o Organhandeln ist demnach nur dann unionsrechtskonform (iSv Legalität), wenn sowohl
die vertikalen als auch die horizontalen Voraussetzungen (siehe sogleich) der Befugnisübertragung
eingehalten werden
• Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts
o die den Organen im Verhältnis zueinander übertragenen Handlungsbefugnisse (= horizontale
Kompetenzverteilung) streben ein Machtgleichgewicht zwischen den Organen
an, dass nicht durch Befugnisüberschreitungen verletzt werden darf
• horizontales Loyalitätsgebot
o bedeutet gegenseitige Unterstützung bei der Erfüllung der Aufgaben und insb
Nichtobstruktion / besteht auch vertikal zwischen EU und MS
FÜM I
Parlament (Art 14 AEUV)
Aufgaben
Europarecht
• Gesetzgebung
o Ausformulierung und Beschlussfassung von EU-Rechtsvorschriften (Gesetzgebung ieS)
• erfolgt im Zusammenwirken mit Rat und Kommission
o Ratifikation (Gesetzgebung iwS) – Entscheidung über die Zustimmung zur Inkraftsetzung
internationaler Abkommen (ebenfalls gemeinsam mit Rat und Kommission)
o Gesetzgebungsartig sind auch andere im Primärrecht verstreute Mitwirkungsbefugnisse
des Parlaments, etwa die Zustimmung zu Erweiterung der Union.
• Aufsicht
o politische Kontrolle der übrigen Organe (va von Kommission) – Europäisches Parlament
(EP)
• wählt Kommissionspräsidenten (auf Vorschlag des Europäischen Rats)
• erteilt Kommission ein Zustimmungsvotum (sonst kann Kommission nicht berufen
werden)
• Parlament hat das Recht zu laufenden Befragung der Mitglieder der Kommission
und zur Anhörung der Mitglieder des Europäischen Rats und des Ministerrats.
• kann Untersuchungsausschüsse einrichten, die insbes. Unionsrechtsverstöße
oder sonstige Missstände in anderen Organen betreffen können.
o Bürger können zudem Petitionen an das EP richten oder sich beim Europäischen Ombudsmann
(= Bürgerbeauftragte) über Missstände in der Verwaltung beschweren
• Haushaltsbefugnisse und EU-Haushalt
o Bei der Festlegung der Eigenmittel hat das Parlament nur ein Anhörungsrecht; im Übrigen
entscheidet der Rat.
o Auf der Ebene der Mittelwerdung ist es voll beteiligt: Der mehrjährige (mind.: 5jährige)
Finanzrahmen der EU wird mit Zustimmung des Parlaments erstellt, bei den einzelnen
Jahreshaushaltsplänen kann es darüber hinaus auch mitgestalten (Mitentscheidungsrecht.
o Kontrolliert die tatsächliche Mittelverwendung und
o erteilt der Kommission jährlich die Entlastung bei ihrer Ausführung des Haushaltsplans.
Das Parlament hat dazu Zugang zu allen nötigen Unterlagen der Kommission.
o EU-Haushalt setzt sich dabei wie folgt zusammen
• Beiträge der MS (~ 69 %)
• Außenzoll (~ 12 %)
• Anteil der EU an der nationalen Mehrwertsteuer (~ 11 %)
• sonstige Einnahmen (zB Geldstrafen der MS) (~ 7 %)
o
o
Eigenmittel-Obergrenze – Einnahmen dürfen einen gewissen Höchstsatz nicht überschreiten
/ tun sie es dennoch, reduzieren sich die Beiträge der MS
EU kann keine Steuern erheben / auch darf sie keine Schulden bzw kein Defizit machen
Fakten
• 751 Vertreter (nach Brexit nur 700)
• Mitglieder werden seit 1979 direkt von den Bürgern der EU gewählt (auf 5 Jahre)
• Anzahl der Mitglieder richtet sich nach der Größe der MS
o Kleinere Staaten proportional überrepräsentiert
FÜM I
Europarecht
• Sitz ist in Straßburg / weitere Arbeitsorte sind Luxemburg und Brüssel
• EP ist als einziges direktdemokratisch legitimierte Organ der Union→ genießt erhöhtes Prestige
• Wahlrecht zum EP ist nur in Grundzügen einheitlich und richtet sich in den Einzelheiten nach
wie vor maßgeblich nach den unterschiedlichen nationale Wahlordnungen
• EP ist nach politischen Fraktionen organisiert. Einzelne Materien werden in themenspezifischen
Ausschüssen vorbereitet, die dann dem Plenum Empfehlungen unterbreiten.
• EP wird vom Parlamentspräsidenten geleitet; unter ihm steht das Präsidium (= Vizepräsident)
o dieser repräsentiert EP nach außen, unterzeichnet aber auch Rechtsakte
o Einzelheiten regelt die Geschäftsordnung des Parlaments.
Beschlussfassung
• Präsenzquorum (= Anwesenheit einer Mindestzahl der Mitglieder) – 1/3 der Mitglieder
o Gültigkeit (Anwesenheit) wird vermutet, sofern nicht die mangelnde Beschlussfähigkeit
vom Präsidenten festgestellt wurde
• Beschlussfassungsquorum ist im Regelfall die einfache Mehrheit
o dh Hälfte der abgegebenen Stimmen (der Anwesenden) + 1
• Sonderquoren (siehe S. 49)
Europäischer Rat (Art 15 EUV)
Allgemeines
• Europäischer Rat ist das jüngste Organ der EU
o erste primärrechtliche Erwähnung fand in der EEA statt
o Vertrag von Maastricht – sukzessive einzelne Aufgaben zugewiesen
o Vertrag von Lissabon – zum Organ der EU aufgewertet und Befugnisse festgelegt
Zusammensetzung
• besteht aus den Staats- und Regierungschefs der MS (nur sie sind stimmberechtigt)
o nicht stimmberechtigt – Kommissionspräsident, Hohe Vertreterin, Ständige Ratspräsident
(Letzterer ist im Regelfall ein ehemaliger Regierungschef; er ist einmal wiederbestellbar).
Er führt den Vorsitz im Europäischen Rat und übernimmt die Sitzungsorganisation,
womit eine gewisse Beherrschung der Themenauswahl und Dauer der Beratungen
verbunden ist.
o Darüber hinaus obliegt ihm die Außenvertretung der EU auf seiner Ebene.
Aufgaben
• setzt politische Impulse für die Union und formuliert Zielvorstellungen und Prioritäten
o wird aber nicht gesetzgeberisch tätig – KEINE direkte Mitwirkung an der Gesetzgebung
• eine Reihe primärrechtlich ausdrücklich zugewiesener Einzelaufgaben
o zB Feststellung einer Verletzung der EU-Grundwerte / Entwicklung der Leitlinien der
GASP / Ernennung der Hohen Vertreterin und der Kommission
Ministerrat / Rat (Art 16 EUV)
Verwechslungsgefahr (!)
• Vielzahl ähnlich benannter Einrichtungen – zB
o Europäische Rat – siehe oben
o Europarat – eigenständige internationale Organisation mit Sitz in Straßburg
o "im Rat vereinigte Vertreter der Mitgliedstaaten" – Kooperation der Regierungsvertreter
außerhalb des EU-Rahmens / rechtliche Grundlage ist allgemeines Völkerrecht
FÜM I
Europarecht
Aufgaben
• Gesetzgebung
o Rat entscheidet zusammen mit EP auf Vorschlag der Kommission (zB ordentliches Gesetzgebungsverfahren,
aber auch Ratifikation internationaler Abkommen)
o hat zudem viele Befugnisse im Rahmen besonderer Gesetzgebungsverfahren, wo ihm
im Regelfall eine stärkere Rolle zukommt als dem EP
• wichtigstes Beispiel – Eigenmittelbeschluss im Haushaltsrecht
• Administrativrechtsetzung
o einzelne direkte Exekutivbefugnisse – zB Befugnis zum Erlass von Durchführungsakten
oder zum Erlass von Sondergenehmigungsrechten im Wettbewerbsrecht
• politische Aufgaben
o allgemeine Koordinierung der politischen Maßnahmen der MS
o Entwicklung der GASP nach den Leitlinien des Europäischen Rats
o Wahrnehmung der Haushaltsbefugnisse (gemeinsam mit EP)
Fakten
• setzt sich aus den Fachministern (oder Staatssekretären) der nationalen Regierungen zusammen
(Sitz in Brüssel)
• Formationen
o Rat tagt in 10 fachspezifischen Formationen (zB Rat Auswärtige Angelegenheiten = Außenminister
/ Ecofin-Rat = Finanzminister)
o einige Sonderformationen
• Rat Allgemeine Angelegenheiten – ebenfalls Außenminister
• Rat der "Euro-Gruppe" – Wirtschafts- und Finanzminister (zur Koordinierung
der Wirtschaftspolitik im Euro-Währungsgebiet vor Sitzungen des Ecofin-Rats)
• Vorsitz
o
o
o
besteht aus aktuellem Vorsitzland, dessen Vorgänger und dessen Nachfolger (= Troika)
• erstellen ein gemeinsames Arbeitsprogramm für die nächsten 18 Monate
Vorsitz rotiert halbjährlich unter den Mitgliedern
• Ausnahme – im Außenministerrat hat immer Hohe Vertreterin den Vorsitz
Sitzungen des Rates werden vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (sog "COREPER")
vorbereitet / die vom COREPER behandelten Punkte werden dabei in 2 Gruppen geteilt
• A-Punkte – keine weitere Debatte im Rat
• B-Punkte – werden noch im Rat debattiert
Beschlussfassung
• Präsenzquorum – immer die einfache Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder
• Beschlussfassungsquorum – je nach Materie unterschiedlich
• Regelquorum der Beschlussfassung ist (seit Lissabon) qualifizierte Mehrheit (= doppelte
Mehrheit) – findet ua im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Anwendung
o daneben gibt es auch die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit (zB Aufforderung
der Kommission zum Tätigwerden) oder auch die Einstimmigkeit (zB bei den meisten
Beschlüssen der GASP, EU-Erweiterung oder in anderen sensiblen Bereichen)
• jedes Mitglied kann sich Stimmrecht von max einem anderen Mitglied übertragen lassen
• Stimmenthaltung gilt (außer bei Einstimmigkeit) als Gegenstimme
• Sitzungen und Abstimmungsergebnisse sind öffentlich
FÜM I
Europarecht
Doppelte Mehrheit
1. JA-Stimmen müssen 55 % der MS (dzt 16 von 28, nach Brexit 15 von 27) erreichen
2. diese MS (die JA gestimmt haben) müssen zudem 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren
• dieses Beschlussfassungsquorum soll dabei verhindern, dass eine hinreichend große Zahl kleiner
MS gegen den Willen der großen MS alleine einen Beschluss fasst
• beachte – wird ein Beschluss ohne Vorschlag der Hohen Vertreterin bzw der Kommission gefasst,
gilt ein erhöhtes Quorum (72 % müssen für JA stimmen)
• Sperrminorität
o liegt bei jeder Kombination im Rat bzw Bevölkerungsgrößen, die zusammen 13 MS o-
der mehr als 35 % (dh 35 % +1) der EU-Bevölkerung repräsentieren
• Sicherungsmechanismus gegen eine Dominanz größerer Staaten
o beachte aber Untergrenze – zumindest 4 MS müssen sich an der Sperrminorität beteiligen
(dh für NEIN stimmen) / ist dies nicht der Fall gilt die qualifizierte Mehrheit selbst
dann als erreicht, wenn JA-Stimmen nicht 65% der Bevölkerung repräsentieren
Ioannina-Kompromiss
• Möglichkeit für eine Anzahl von MS, die zusammen keine Sperrminorität erreichen, eine Beschlussfassung
aufzuschieben und eine Fortsetzung der Verhandlungen zu verlangen
• Mitglieder des Rates im Umfang etwa der halben Sperrminorität (also 55% von 13 MS oder
55% der 35 % +1 repräsentierten Bevölkerung) können erklären, dass sie die Annahme eines
Rechtsakts ablehnen / Rat ist dann verpflichtet, eine zufriedenstellende Lösung zu finden
• Ioannina-Kompromiss gibt den Minderheiten aber kein permanentes Vetorecht, die Regel verzögert
lediglich die Beschlussfassung und soll die Kompromissbildung fördern
• besondere Abwandlung des Ioannina-Kompromisses bei Beschlussfassung in der GASP
o erklärt Mitglied, dass es aus Gründen der nationalen Politik einen Beschluss, der mit
qualifizierter Mehrheit zu fassen ist, ablehnt, erfolgt KEINE Abstimmung
o Hohe Vertreterin muss sich dann um eine für diesen MS annehmbare Lösung bemühen
• gelingt ihr das nicht, kann der Rat als ultima ratio beschließen, dass die Frage
an den Europäischen Rat weitergeleitet wird
• aufgrund der dortigen Einstimmigkeitsregel wird dem betreffenden MS im
Rahmen der GASP also ein vollwertiges Vetorecht eingeräumt
Notbremse-Mechanismus
• 3 Bestimmungen für den Sozialbereich und für das Strafrecht, die ebenfalls zu einer (dem Ioannina-Kompromiss
ähnlichen) Verfahrensverzögerung führen
• Bremsmechanismus kann in Kraft gesetzt werden, wenn im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren
Maßnahmen betreffend den Sozialbereich oder das Strafrecht beschlossen werden
o ein MS kann demnach den Europäischen Rat anrufen, wenn er meint, dass grundlegende
Aspekte seines Sozialsystems oder seiner Strafrechtsordnung bedroht sind
o Verfahren wird dann für max 4 Monate ausgesetzt / Europäische Rat kann dann das
Gesetzgebungsverfahren entweder fortsetzen oder endgültig beenden lassen
FÜM I
Kommission (Art 17 EUV; vgl. Art. 244ff. AEUV)
Allgemeines
• Kommission ist die gegenüber den MS unabhängige Exekutive
Europarecht
• Unabhängigkeit der Kommission hat dabei sowohl Vor- als auch Nachteile
o sie stärkt das Organ, mindert aber gleichzeitig dessen demokratische Legitimität
Aufgaben
• Gesetzgebung
o Der Kommission obliegt alleine der Vorschlag von Entwürfen für neue Rechtsvorschriften
(sog. Initiativmonopol) – Kommission ist das einzige Organ, das den gesetzgebenden
Organen (Rat + Parlament) Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorlegen kann.
o Planung der Gesetzgebungsvorschläge erfolgt im Weg sog Grün- und Weißbücher
• Grünbuch – erstes Brainstorming über Handlungsoptionen in einem Politikbereich
/ bilden die Grundlage für daran anschließende Konsultationen
• Weißbuch – konkrete Handlungsoptionen werden konsolidiert in einem Weißbuch
dargestellt und mit einem Zeitplan verknüpft
• Haushalt (hinsichtlich Planung und Durchführung)
o schlägt Parlament und Rat die Jahreshaushaltspläne vor
o Wirkt an der Feststellung der Schwerpunkte der Mittelverwendung mit
o Führt auch den Haushaltsplan aus und ist dabei dem Parlament verantwortlich
o Die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Mittelverwendung durch den Rechnungshof
und das Parlament ist politischer Natur. Für Ermittlungen betreffend konkrete Betrugsfälle,
also eine strafrechtlich relevante Mittelfehlverwendung, ist dagegen die Betrugsbekämpfungsbehörde
OLAF (Office européen de lutte antifraude) zuständig.
• Durchsetzung
o Kommission überwacht allgemeine Anwendung/Beachtung des EU-Rechts in den MS
• Kommission als "Hüterin der Verträge"
Hat sie Bedenken, steht ihr zur Klärung der Unionsrechtskonformität das Vertragsverletzungsverfahren
des Art. 258 AEUV zur Verfügung, um dem Unionsrecht zur Durchsetzung
zu verhelfen.
• Vollzug
o Kommission übt in Einzelfällen (zB im Wettbewerbsrecht) eigenständig den Vollzug
des EU-Rechts aus – Ausnahme zum Grundsatz der Verfahrensautonomie
Fakten
• Sitz in Brüssel; Amtszeit der Kommission beträgt 5 Jahre
• Kommission untergliedert sich in etwa 30 materienspezifische Generaldirektionen (GD/DG),
die für unterschiedliche Politikbereiche zuständig sind – zB betreffend Wettbewerb (DG
COMP), Binnenmarkt (DG GROW), Zölle und Steuern (DG TAXUD), usw.
o daneben sind ihr zahlreiche Dienststellen zugeordnet (zB ein Juristischer Dienst, Archiv,
OLAF, Amt für Veröffentlichungen, etc.)
• Kommission ist ein Kollegialorgan mit 28 Kommissaren; eine Verkleinerung der Kommission
auf eine Kopfzahl von 2/3 der MS ist im Primärrecht angelegt (vgl. Art. 17 Abs. 5 EUV), aber
noch nicht erfolgt.
• jedem Kommissar ist dabei die Leitung eines Politikbereichs übertragen / einem Kommissar
können daher mehrere GD zugeordnet sein
• Kommissionspräsident
o Aufgaben – strategische Leitung + interne Organisation der Kommissionsarbeit
o Kommissionspräsident wird vom Europäischen Rat vorgeschlagen und vom EP gewählt
FÜM I
Europarecht
o
Kommissare werden vom Kommissionspräsidenten gewählt und vom EP bestätigt
Beschlussfassung
• Kommission kann nur gemeinsam beschließen – Einzelbeschlüsse von Kommissaren gibt es
nicht
o Prinzip der Gleichberechtigung – auch nur einen bestimmten politischen Bereich betreffende
Beschlüsse werden allen Kommissaren vorgelegt und von diesen gemeinsam
beschlossen
• Beschlussfassung erfolgt laut Vertrag mit einfacher Mehrheit (idR aber meist im Konsens wegen
ihrer GeschäftsO)
o eigentliche Beschlussfassung kann dabei sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen
o Präsenzquorum = einfache Mehrheit
Hohe Vertreterin
• gehört sowohl dem Rat als auch der Kommission an („doppelter Hut")
• Das Amt vereinigt die früher getrennten Ämter des Hohen Vertreters für die GASP und des
Kommissars für Außenbeziehungen. Die Einrichtung des Amtes dient der Verbesserung der
Kohärenz des Außenauftritts der EU auf globaler Ebene.
o Trotzdem nach wie vor viele Überschneidungen mit anderen zur Außenvertretung berufenen
Amtsträgern (zB Ständige Ratspräsident)
• Innerhalb der Kommission
o fungiert Hohe Vertreterin als Vizepräsidentin
o übt Zuständigkeiten im Bereich der Außenbeziehungen aus
o koordiniert Tätigkeiten der anderen mit Außenagenden beauftragten Kommissaren
o leitet den Europäischen Auswärtigen Dienst
• innerhalb des Rats
o sitzt dem Rat Auswärtige Angelegenheiten vor (verfügt aber über kein Stimmrecht)
o leitet die GASP / für Initiativen hat sie ein Vorschlagsrecht (aber kein Initiativmonopol)
o im Fall eines Misstrauensantrags des Parlaments wird die Hohe Vertreterin außerdem
nur von ihren Funktionen innerhalb der Kommission entbunden
Agenturwesen
• Kommission wird von einigen Agenturen und Ämtern unterstützt
o zB für Marken und Designs / Chemikalien / Betrugsbekämpfung (OLAF) / etc
o Agenturen werden per VO im Ermessen des Uniongesetzgebers eingerichtet, dass die
Agentur zur besseren Erfüllung der Aufgaben notwendig erscheint
• man unterscheidet Exekutiv- von Regulierungsagenturen
o Exekutivagenturen – Verwaltungsaufgaben + unterstützen Kommission beim Vollzug
o Regulierungsagenturen – wirken an der Vorbereitung von Regulierungen mit
• Agenturen sind der Kommission zugeordnet – die politische Verantwortung für die Aufgabenerfüllung
bleibt daher stets bei der Kommission
• Den Agenturen dürfen demnach nur klar umgrenzte Ausführungsbefugnisse übertragen werden,
mit denen kein selbstständiges Entscheidungsermessen bei der Aufgabenerfüllung verbunden
ist.
o innerhalb ihrer Befugnisse haben sie aber zT sehr weitreichende organisatorische und
finanzielle Eigenständigkeit. Auch ist es grundsätzlich zulässig, dass Agenturen rechtsverbindliche
Entscheidungen gegenüber Dritten treffen (etwa bei Markenanmeldungen),
soweit diese Aufgabenerfüllung ermessensfrei klar umgrenzt bleibt. Solche
FÜM I
Europarecht
Gerichtshof (Art 19 EUV)
Auslegungsmonopol
Entscheidungen sind von der Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV abgedeckt, können
also vor dem EuG angefochten werden.
• "Gerichtshof der Europäischen Union" – Überbegriff für mehrere Einrichtungen
o Gerichtshof (EuGH), Gericht (EuG) + allfällig eingerichtete Fachgerichte
• alle Einrichtungen haben die Aufgabe der Wahrung des Rechts der EU – ausschließlich sie entscheiden
über die Auslegung und die Gültigkeit des EU-Rechts (= Auslegungsmonopol)
• Auslegungsmonopol ist dabei Ausdruck der Autonomie der Unionsrechtsordnung gegenüber
völker- und nationalem Recht (sog Rechtsordnung sui generis)
Verfahrensautonomie
• Pflicht der MS zur Schaffung der erforderlichen Rechtsbehelfe für die Durchsetzung des Unionsrechts
(= Grundsatz der Verfahrensautonomie der MS)
o Vollzug des EU-Rechts erfolgt demnach grdsl durch nationale Behörden/Gerichte
• weitere Prinzipien der Verfahrensautonomie
o Äquivalenz – Voraussetzungen zur Durchsetzung unionsrechtlicher Ansprüche dürfen
nicht schlechter sein als jene der Ansprüche auf Basis nationalen Rechts
o Effektivität – Anspruchsdurchsetzung muss auch effektiv möglich sein (zB Ausschluss
nicht gerechtfertigter Sperrungen der Anspruchsdurchsetzung)
Dualität des Art 19 EUV
• Art 19 EUV nennt einerseits die Unionsgerichte, andererseits verweist er auf die Bedeutung
der nationalen Gerichte – Unionsrechtsschutz besteht also aus 2 Komponenten
• für jeden unionsrechtlich begründeten Anspruch muss daher entweder aufgrund der einen
oder der anderen Komponente eine gerichtliche Überprüfung möglich sein
o = Grundsatz der Vollständigkeit des Systems der Rechtsbehelfe
Zuständigkeiten
• EuGH – alle Klagen/Verfahren, die keinem anderen Unionsgericht zugewiesen sind
• EuG – nach Art 256 AEUV meisten Direktklagen (Nichtigkeitsklage, Untätigkeitsklage, Schadenersatzklage
gegen die Union selbst, Klagen aufgrund von Schiedsklauseln und Dienstrechtssachen)
o EuG ist auch Rechtsmittelgericht gegenüber eingerichteten Fachgerichten und könnte
in einzelnen Materien (va jenen, für die auch ein Fachgericht eingerichtet wurde) zudem
Vorabentscheidungsverfahren übernehmen, sobald ihm (was bisher nicht erfolgt
ist) eine solche Zuständigkeit durch Änderung der EuGH-Satzung übertragen würde.
• wichtige Ausnahme von dieser Zuständigkeitsverteilung – Art. 51 EuGH-Satzung
o EuGH sind Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen vorbehalten, die mit der Ausübung von
Gesetzgebungsbefugnissen in Zusammenhang stehen oder sonst grundlegenden Charakter
haben. Dies sind va Klagen, die Organe gegeneinander bzw. ein MS gegen Parlament,
Rat oder beide Organe gemeinsam erheben, soweit die zugrunde liegenden
Handlungen nicht rein administrativer Natur sind (zB Beihilfegenehmigungen durch
den Rat, Antidumping oder Durführungsrechtsakte, wo die Zuständigkeit dann im Weg
einer Gegenausnahme doch beim EuG verbleibt).
• Daraus lässt sich schließen, dass EuG vor allem Agenden administrativer Natur behandelt
o Untechnisch lässt sich das EuG daher als Verwaltungsgericht der EU bezeichnen.
FÜM I
Europarecht
• Demgegenüber ist der gewissermaßen das Verfassungsgericht der EU. Die Klage- und Verfahrensarten,
die ihm zugewiesen sind, haben durchwegs grundlegenden Charakter bzw. grundlegende
Bedeutung für die Wahrung der Zuständigkeiten der Union, ihrer Organe oder Der
Autonomie des Unionsrechts. Dazu zählen va die von der Kommission oder MS erhobenen
Vertragsverletzungsklagen (einschließlich Sanktionen), sämtliche Vorabentscheidungen und
sämtliche Rechtsmittel gegen die Urteile des EuG. Diese Rechtsmittel sind auf Rechtfragen
beschränkt, wobei weder die Ausgangsklage noch das Rechtsmittel selbst aufschiebende Wirkung
hat.
o EuGH hat zudem viele Sonder- bzw. Einzelzuständigkeiten, wichtigstes Beispiel –
EuGH kann um ein Gutachten zur Unionsrechtskonformität eines geplanten völkerrechtlichen
Abkommens der EU ersucht werden
o dadurch wird sichergestellt, dass die EU keine Verpflichtungen eingeht, die nach internem
Recht unzulässig sind (in der Praxis häufig genutzt)
Organisation
• EuGH – besteht (derzeit) aus 28 Richtern und 11 Generalanwälten
o Kanzlei/Kanzler verwaltet unter Leitung des Präsidenten die Rechtssachen
o Präsident – ist für die Zuweisung der einlangenden Fälle an die einzelnen Kammern
zuständig + benennt die Berichterstatter (= Richter innerhalb der jeweiligen Kammer,
der den Fall vorbereitet und einen Entscheidungsvorschlag skizziert)
o Generalanwälte unterstützen und beraten die Richter bei der Entscheidungsfindung
• erstellen nicht bindende Gutachten (sog Schlussanträge) / Schlussanträge sind
dabei ausführlicher als die Urteile selbst, da sie auch Alternativen erwägen
• EuG – 1989 errichtet um den EuGH zu entlasten (damals ebenfalls 28 Richter)
o seit 2016 wird Anzahl sukzessive erhöht (bis September 2019 soll es 56 Richter geben)
o Vergrößerung wird damit begründet, dass es aufgrund der großen Zahl an Direktklagen
zu einem Rückstau unerledigter Rs kommt
Richter
• genießen Weisungsfreiheit / Unabhängigkeit / Unversetzbarkeit / Unabsetzbarkeit
• Ernennung erfolgt auf (erneuerbare) 6 Jahre durch die Regierungen der MS im Konsens
o Anforderungen an die Qualifikation der Richter ist eher vage und bewusst flexibel
o seit Vertrag von Lissabon ist jedoch ein eigener Ausschuss vorgesehen, der eine Stellungnahme
zur Eignung der betreffenden Person abgibt
Verfahren
• Fälle werden in Kammern aus 3 oder 5 Richtern bzw (bei besonders wichtigen Fällen) aus 15
Richtern (= große Kammer) behandelt
• EuGH-Satzung normiert aber auch Sonderzusammensetzungen – zB
o EuG – Entscheidungen durch Einzelrichter
o EuGH – Entscheidungen im Plenum (zB bei Amtsenthebungen)
• Präsident weist die Fälle zu und ernennt den Berichterstatter
o befasster Generalanwalt wird vom Ersten Generalanwalt bestimmt
• Rechtssachen werden dabei in 2 Phasen bearbeitet
o 1 Phase (= schriftliches Verfahren) – Einreichung der Schriftsätze der Parteien
• Berichterstatter erstellt dann Erstbericht, aufgrund dessen die Größe der Kammer
entschieden wird und ob eine mündliche Verhandlung nötig ist
o 2 Phase (= mündliche Verhandlung) – besteht aus Vorträgen der Anwälte vor den Richtern
und Generalanwälten + der Möglichkeit der Richter, Fragen zu stellen
FÜM I
Europarecht
Exkurs – WWU, Institutionen und Eurokrise (Art 119 – 144 AEUV)
• als Folge der Eurokrise wurden einige neue Einrichtungen mit Aufgaben im Bereich der WWU
geschaffen / die MS haben dabei wesentliche weitere Kompetenzen an die EU abgegeben
• WWU bedingt eine wechselseitige Abstimmung der MS betreffend der Wirtschafts-, Steuer-
und Budgetpolitiken (insb mit Blick auf eine Begrenzung von Staatsschulden und Defiziten)
o sie wurde im Vertrag von Maastricht verankert und seitdem ausgebaut
o wichtige Bestimmungen der WWU – Art 119 AEUV / Art 140 AEUV / Art 126 AEUV
• innerhalb der WWU sind mehrere Einrichtungen für die Einhaltung dieser Ziele zuständig
o Europäische Rat – politische Leitlinien
o Ministerrat – wirtschaftspolitische Koordinierung
o Minister der Euro-Länder – Koordinierung der für den Euro relevanten Politiken
o Regierungen der MS – Einhaltung der Defizit- und Schuldengrenzen
o Kommission – Überwachung der Einhaltung der WWU-Vorgaben
o EZB – Festlegung preisstabiler Geldpolitik
• zur Bewältigung der Eurokrise wurden weitere Institutionen geschaffen
o Euro-Rettungsschirm = Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM)
• vergibt Kreditlinien für Euro-Staaten in Schwierigkeiten im Tausch gegen die
Einhaltung strenger Auflagen (Gesamtvolumen beträgt rund EUR 700 Mrd)
o EU-Troika (nicht verwechseln mit Troika im Ministerrat) – war eine Kooperation von
EZB, Internationaler Währungsfonds und Europäischer Kommission
• Instrumente der Europäischen Bankenunion
o einheitlicher Aufsichtsmechanismus (SSM) – überträgt der EZB die Beaufsichtigung der
(Groß-) Banken im Euroraum
o einheitlicher Abwicklungsmechanismus (SRM) – geordnete Abwicklung oder Sanierung
notleidender Banken, die aus einem dafür errichteten Fonds finanziert wird
o
Europäisches Finanzaufsichtssystem (ESFS) – Einrichtungen zur allgemeinen Beaufsichtigung
der Finanzmarkttätigkeiten – zB
• Europäischer Ausschuss für Systemrisiken
• Aufsichtsbehörden EBA / ESMA / EIOPA
FÜM I
Europarecht
V. Kompetenzen und Rechtsetzung
Vertikale Kompetenzverteilung
Allgemeines
• Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art 5 Abs 2 EUV)
o Unionsgesetzgeber darf nur dann tätig werden, wenn eine ausdrückliche Ermächtigung
dazu besteht – EU hat demnach keine Kompetenz-Kompetenz
o jedes Handeln der Union hat daher auf eine primärrechtliche Grundlage rückführbar
zu sein / diese finden sich einerseits im vertikalen Kompetenzkatalog (Art 2 ff AEUV)
sowie andererseits in den konkreten Rechtsetzungsgrundlagen je Materie
Kompetenzarten
• ausschließliche Kompetenzen (Art 3 AEUV)
o alleinige Befugnis der Union, gesetzgeberisch tätig zu werden und Rechtsakte zu erlassen
– MS dürfen in diesen Bereichen nicht tätig werden (absolute Sperrwirkung)
o ausschließliche interne Kompetenzen (Art 3 Abs 1 AUEV) – Zollunion, Wettbewerbsregeln,
Währungspolitik, Fischereipolitik, Handelspolitik
o ausschließliche Außenhandlungskompetenzen (Art 3 Abs 2 AEUV) – unter bestimmten
Voraussetzungen (siehe AEUV) ist der EU in gewissen Bereichen auch die ausschließliche
Zuständigkeit zum Abschluss internationaler Abkommen vorbehalten
• geteilte Kompetenzen (Art 4 AEUV)
o zunächst bei den MS liegende Rechtsetzungskompetenz, die durch ein späteres Tätigwerden
der Union beendet wird – nationales Recht der MS wird dabei im entsprechenden
Regelungsumfang unanwendbar (relative Sperrwirkung)
o geteilte Zuständigkeit ist (wie Art 4 Abs 1 AEUV klarstellt) ein Auffangtypus, der immer
dann vorliegt, wenn eine der EU grundsätzlich übertragene Materie nicht ausdrücklich
einer anderen Kompetenzkategorie zugewiesen ist
• weitere Zuständigkeitsarten (Art 5+6 AEUV)
o Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung / Zuständigkeiten der Union treten in
diesen Bereichen aber lediglich neben jene der MS (parallel) – zB OMK
Vertikale Kompetenzverteilung
• Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 2 EUV → Union darf nicht ihre
Zuständigkeitsbereiche selber definieren oder erweitern (keine Kompetenz-Kompetenz)
o Es muss also immer auf eine primärrechtliche Ermächtigung rückführbar sein
o Diese Ermächtigung ist im vertikalen Kompetenzkatalog aufgeführt, der aber nur deklarativ
ist, weil auch die Verträge angeschaut werden müssen bezüglich der einzelnen
Bereiche
Probleme der vertikalen Kompetenzverteilung
• vertikale Kompetenzverteilung neigt zugunsten der Union auszuufern (Invasionseffekt)
o Grund dafür ist einerseits eine tendenziell unionsfreundliche Auslegung durch den
EuGH (vgl implied powers-Doktrin)
o andererseits enthält auch das Unionsrecht selbst offen formulierte Rechtsetzungsgrundlagen,
die dem Unionsgesetzgeber einige Flexibilität erlauben (vgl die subsidiäre
Rechtsetzungskompetenz des Art 352 AEUV)
FÜM I
Europarecht
Kompetenzausübung
Subsidiaritätsprinzip (Art 5 Abs 3 EUV)
• Unionsgesetzgeber darf nur unter der Voraussetzung tätig werden, dass das gemeinsame Handeln
auf EU-Ebene bessere Ergebnisse verspricht als einzelstaatliche Regelungen der MS
o Subsidiarität gilt dabei nur bei Vorhaben, die geteilte Zuständigkeiten betreffen
o Es herrscht eine Pflicht zur Begründung
o Gilt nur bei geteilter Zuständigkeit
Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art 5 Abs 4 EUV)
• Art und Inhalt eines Rechtsakts müssen auf das beschränkt bleiben, was zur Erreichung der
Ziele notwendig ist – Prüfkriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit
o anders als das Subsidiaritätsprinzip gilt das Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber für
alle Kompetenzarten, also auch bei Ausübung der ausschließlichen Kompetenzen
Exkurs – Art 352 AEUV
• Handlungsermächtigung des Art 352 ist nicht an einzelne Politikkapitel des AEUV gebunden,
sondern steht an der Schnittstelle zur vertikalen Kompetenzverteilung
o wo die Rechtsetzungsgrundlagen in den Politikkapiteln zu eng gefasst sind, um eines
der Ziele der Union zu verwirklichen, stellt Art 352 eine diese Politiken sprengende,
ergänzende Handlungsgrundlage bereit
o lediglich in Politikbereichen, für die das Primärrecht Harmonisierungen ausdrücklich
ausschließt, kann diese Grenzen auch nicht durch Art 352 überwunden werden
o Anwendungsbeispiele liegen etwa in der Schaffung vollwertiger Regelungsreimes sui
generis – zB das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE – Societas Europaea)
Exkurs – Prot Nr 2
• Kontrollmechanismus für nationale Parlamente, um gegen Gesetzgebungsvorhaben Beschwerde
und im Anschluss daran ggf Nichtigkeitsklage zu erheben (sog Subsidiaritätsrüge)
o binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Gesetzgebungsentwurfs können die nationalen
Parlamente (in einer begründeten Stellungnahme) darlegen, weshalb dieser
ihrer Meinung nach nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist
o Stellungnahmen sind zu berücksichtigen, eine Bindung des Gesetzgebers besteht aber
nicht – erreicht die Zahl der begründeten Stellungnahmen allerdings 1/3 (gelbe Karte)
bzw 1/2 (orange Karte) aller möglichen Stellungnahmen so hat eine verpflichtende
Überprüfung des Entwurfs durch die Kommission stattzufinden
o dass es keine rote Karte gibt, bringt zum Ausdruck, dass kein Vetorecht besteht, dh
auch eine große Zahl nationaler Parlamente einen Gesetzesentwurf der EU letztlich
nicht verhindern kann
• ungeachtet des fehlenden Vetorechts verleiht Prot Nr 2 aber jedem nationalen Parlament das
Recht, gegen den betreffenden Rechtsakt Nichtigkeitsklage (sog Subsidiaritätsrüge) beim
EuGH zu erheben – Parlamente werden in diesem Fall als privilegierte Kläger behandelt
FÜM I
Europarecht
Rechtsetzungsverfahren
Allgemeines
• Begriff Gesetzgebungsverfahren bezieht sich nur auf die Erzeugung von Sekundärrecht – eine
Definition der Gesetzgebung findet sich dabei in Art 289 Abs 3 AEUV
• Nicht-Gesetzgebung (Abgrenzung):
o (generell-abstrakte oder individuell-konkrete) Verwaltungsrechtsakte
o Primärrechtsänderung (Art 48 EUV)
o Abschluss internationaler Abkommen der EU (Art 218 AEUV)
o Maßnahmen im Rahmen der GASP
• Gesetzgeber ieS – Organtrias (Kommission + Rat + Parlament)
o Akteure der Organtrias haben je nach konkretem Gesetzgebungsverfahren unterschiedlich
weitgehende Kompetenzen – horizontale Kompetenzverteilung
o im Regelfall des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens haben die Akteure beinahe
gleichwertige Mitbestimmungsrechte / die (vergleichsweise weniger häufigen) besonderen
Gesetzgebungsverfahren sehen dazu Abweichungen vor
o beide Legislativrechtsetzungsverfahren sind dabei durch das ausschließliche Initiativmonopol
der Kommission geprägt – homogenes Merkmal der europäischen Legislativrechtsetzung
(nur eine Handvoll punktueller Ausnahmen)
o gemeinsam ist allen Gesetzgebungsakten auch die Pflicht zur Veröffentlichung im
Amtsblatt (ABl.) – Rechtsakte können demnach erst mit Veröffentlichung in Kraft treten
(entweder zu bestimmten Datum oder am 20. Tag nach Veröffentlichung)
Ordentliches Gesetzgebungsverfahren
• ordentliches Gesetzgebungsverfahren (Art 294 AEUV) ist seit Vertrag von Lissabon das Regelverfahren
der Legislativrechtsetzung für die allermeisten Politikbereiche
• Kernmerkmale
o Initiativmonopol der Kommission
o Gleichberechtigung von EP und Rat (beiderseitige Abänderungs- und Vetorechte)
o Beschlussfassungsquoren variieren je nach Verfahrensstadium
o Ablauf
• Vorschlag durch Kommission vorbereitet und Parlament und Rat gemeinsam
vorgelegt
• Erste Lesung: R/ P legen Standpunkte fest, wenn diese übereinstimmen ist es
bereits angenommen
• 2. Lesung: P hat 3 Monate Zeit, zum Ratsstandpunkt Stellung zu beziehen.
Wenn der Standpunkt gebilligt wird oder die Frist verstreicht gilt es als angenommen.
Mit absoluter Mehrheit der Mitglieder kann das P ihn ablehnen.
Wenn P eine abweichende Stellungnahme produziert, kehrt sie zum Rat aber
zuvor bezieht die K noch Stellung. Der Rat hat 3 Monate um zu entschieden.
• Vermittlungsverfahren, wenn der R es nicht billigt. K nimmt an der Vermittlung
teil. Wenn nach 6 Wochen kein gemeinsamer Entwurf vorliegt, gilt der
Rechtsakt als nicht erlassen. Wenn einer vorliegt kommt es zur 3. Lesung.
• 3. Lesung – formale Annahme durch R&P- wenn nicht erfolgt dann nicht erlassen
o Alle Fristen sind verlängerbar um 1 Monat oder 2 Wochen, wenn P/R das beantragen
FÜM I
Europarecht
Besonderes Gesetzgebungsverfahren
• besondere Gesetzgebungsverfahren sind alle sonstigen Verfahren neben dem ordentlichen
Gesetzgebungsverfahren – sie sind nicht der Regelfall der Gesetzgebung, sondern weisen je
nach Rechtsetzungsgrundlage eigene Verfahrensregeln auf
• grob lassen sich die besonderen Gesetzgebungsverfahren in die zwei Gruppen Konsultation
und Zustimmung gliedern:
o Konsultationsverfahren (zB im Asylwesen) – einstimmige Beschlussfassung durch den
Rat (auf Vorschlag der Kommission) nach bloßer Anhörung (eben Konsultation) des
Parlaments – Parlament hat in den Konsultationsverfahren also weder ein Abänderungs-
noch ein Vetorecht gegen die Beschlussfassung
o Zustimmungsverfahren (zB iZm Verfahren nach Art 352 AEUV) – einstimmige Beschlussfassung
durch den Rat (auf Vorschlag der Kommission) nach Zustimmung des
Parlaments – wie im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hat das Parlament also ein
Vetorecht, jedoch fehlt die Möglichkeit zur inhaltlichen Abänderung
Exkurs – Delegation und Durchführung
• Art 290 (Delegation) und Art 291 (Durchführung) AEUV regeln den Erlass von Rechtsakten mit
allgemeiner Geltung im Nahebereich zum allgemeinen Verwaltungsvollzug – in beiden Fällen
handelt es sich um die Erzeugung von Rechtsakten OHNE Gesetzescharakter
• Delegierte Rechtsakte (Art 290 AEUV)
o Befugnis zum Erlass von Rechtsakten (ohne Gesetzescharakter) mit allgemeiner Geltung,
um die nicht wesentlichen Elemente des Basisrechtsakts zu ergänzen oder zu
ändern – Befugnis kann dabei ausschließlich der Kommission übertragen werden /
eine weitere Sub-Übertragung (zB auf Agenturen) ist unzulässig
o delegierte Rechtsakte erlauben die Festlegung legistischer Details, die Expertise erfordern
/ sie haben zudem den Vorteil einer gewissen Flexibilität, da der entsprechende
Basisrechtsakt rasch an ein dynamisches markt- oder techniknahes Umfeld angepasst
werden kann
• Durchführungsrechtsakte (Art 291 AEUV)
o kommen immer dann zur Anwendung, wenn es in den MS einheitlicher Bedingungen
für den Vollzug von Unionsrecht bedarf – die Kommission ist dabei in vollem Umfang
an den Basisrechtsakt gebunden und hat (hinsichtlich des Basisrechtakts) keinerlei Ergänzungs-
oder Abänderungsmöglichkeiten
o Hauptanwendungsfall von Durchführungsrechtsakten ist dabei der Erlass konkretisierender
Regelungen für den Vollzug in Bereichen, in denen einheitliche Rechtsanwendung
sichergestellt werden muss (zB in technisch komplexen Materien)
Exkurs – Verstärkte Zusammenarbeit (Art 20 EUV)
• Form flexibler Integration im Rahmen der Verträge
o Kern der Verstärkten Zusammenarbeit ist es, den europäischen Integrationsprozess
ausnahmsweise auch auf eine Gruppe von MS beschränken zu können
o Mehrwert einer ausdifferenzierten Verstärkten Zusammenarbeit ist dabei die Schaffung
eines einheitlichen Rechts- und Verfahrensrahmens für die flexible Integration
• Voraussetzungen
o nur in Materien außerhalb der ausschließlichen Zuständigkeiten der Union zulässig
o zumindest neun MS müssen sich daran beteiligen wollen
o muss Integrationsprozess insgesamt stärken und sämtlichen anderen MS zur späteren
Teilnahme offenstehen
FÜM I
Europarecht
• Ziel der Verstärkten Zusammenarbeit ist es, einen zeitlich versetzten Integrationsprozess zu
ermöglichen, zu dem mittelfristig wieder sämtliche MS aufholen können
o ungeachtet der Möglichkeit einer Verstärkten Zusammenarbeit besteht aber weiterhin
eine klare Präferenz für eine gleichförmige Integrationsgeschwindigkeit
Rechtsakttypen
Typische Rechtsakte (Art 288 AEUV)
• die typischen Rechtsakte sind in Art 288 AEUV angeführt
o keine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter
– eine VO kann daher je nach Rechtsgrundlage ein Gesetzgebungsakt
oder zB auch nur ein Ausführungsrechtsakt sein
Verordnung (VO)
• in ihrer Gesamtheit verbindlich
• hat in den MS unmittelbare und allgemeine Geltung (kein Umsetzungsbedarf)
• entgegenstehendes nationales Recht wird mit Inkrafttreten sofort überlagert
Richtlinie (RL)
• nur hinsichtlich der Ziele verbindlich
• MS haben Pflicht zur Umsetzung der RL-Ziele in nationales Recht
• RL tritt sofort mit Erlass in Geltung (iSe Begründung einer Umsetzungspflicht für die MS als
Adressaten) / unmittelbare Wirkung (iSe Durchsetzbarkeit vor den nationalen Gerichten)
kommt ihr aber zunächst nicht zu
• Umsetzung
o Wahl der Mittel zur Umsetzung liegt im Ermessen der MS
o oftmals lassen RL den MS auch Ermessen dahin, einen höheren als den in der RL als
Minimum geforderten Schutzstandard festzulegen (sog Mindestharmonisierung)
o Umsetzungsfrist beträgt idR rund zwei Jahre
• RL-Direktwirkung
o grdsl entfalten RL zunächst keine unmittelbare Wirkung
o ausnahmsweise entfalten sie aber Direktwirkung, wenn es bei der Umsetzung zu Fehlern
kommt (Nichtumsetzung oder Falschumsetzung)
Beschluss
• Unterscheidung zwischen 'mit Adressaten' oder 'ohne Adressaten' / beide sind in ihrer Gesamtheit
verbindlich und haben insoweit unmittelbare Geltung
• Beschluss mit Adressaten
o richtet sich an einen geschlossenen Kreis von Rechtsunterworfenen
o ist nur für diese Rechtsunterworfenen verbindlich (sog individuelle Geltung)
o sind Adressaten Einzelne, besteht kein Umsetzungsbedarf / handelt es sich hingegen
um MS, kann Umsetzungsbedarf gegeben sein
o Beschlüsse mit Adressatenkreis sind mit Inkrafttreten auch unmittelbar von nationalen
Behörden bzw Gerichten anzuwenden
• Beschluss ohne Adressaten
o sog Beschluss sui generis
FÜM I
Europarecht
o
o
o
mangels Adressatenkreis allgemeinverbindlich (sog allgemeine Geltung)
können entweder in Gesetzgebungsverfahren angenommen werden oder auch nur
reine Verwaltungsrechtsakte sein
von großer Bedeutung im Bereich der GASP, im Organisationsrecht der Organe und als
Verfahrensbestandteile
Rechtsmethode Harmonisierung
Allgemeines
• bezeichnet die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der MS (sog Rechtsangleichung)
durch einheitliche (Sekundär-)Rechtsetzung auf EU-Ebene
o diese Vereinheitlichung schafft einen gemeinsamen Rechtsbestand
• Harmonisierung ieS – Gleichschaltung vorbestehenden Rechts in den MS
o zentrale Rechtsetzungsgrundlage für diese Rechtsangleichung ist Art 114 AEUV
• Harmonisierung iwS – Vereinheitlichungen des Rechtsbestands der MS, die nicht bloß vorbestehendes
Recht angleichen, sondern gleich komplett neue Regimes (sui generis) etablieren
o zB das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE – Societas Europaea)
Abweichungen
• Abweichungen des nationalen Rechts nach erfolgter Harmonisierung sind grdsl unzulässig
o wird demnach Sekundärrecht nicht ordnungsgemäß umgesetzt (RL) oder befolgt (VO),
handelt es sich um eine Vertragsverletzung, gegen die im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens
(Art 258 AEUV) vorgegangen werden kann
• Mindestharmonisierung
o die meisten Rechtsakte unternehmen heute eine bloße Mindestharmonisierung, wobei
nur ein Mindestniveau des Schutzes vorgeschrieben wird – Abweichungen nach
oben (iS noch strengerer Schutzstandards) sind dabei sehr wohl zulässig
• Schutzklauseln
o Schutzklauseln in den Rechtsakten selbst (zB in Art 23 der RL 2001/18/EG) erlauben es
den MS, in sensiblen Regelungsbereichen (zB Umwelt, Sicherheit, etc) auch nach Erlass
eines Rechtsakts noch auf Sicherheitsbedenken zu reagieren und die Vorschriften des
Harmonisierungsrechtsakts vorrübergehend auszusetzen
• Nationale Alleingänge (Art 114 AEUV) – zwei Konstellationen:
o Aufrechterhaltung abweichender (nationaler) Regeln nach erfolgter Harmonisierung
• nur hinsichtlich der Schutzgüter des Art 36 AEUV sowie für den (dort nicht genannten)
Umwelt- und Arbeitsumweltschutz zulässig – Abs 4
o
o
Neuschaffung abweichender (nationaler) Regeln nach erfolgter Harmonisierung
• nur hinsichtlich der Schutzgüter Umwelt- und Arbeitsumweltschutz zulässig
• muss zudem die Notwendigkeit der Abweichung 1) auf neue wissenschaftliche
Erkenntnisse stützten und 2) darlegen, warum eine Einführung im Alleingang
nötig ist (zB Dringlichkeit) – Abs 5
Kommission entscheidet hinsichtlich der Zulässigkeit (Notwendigkeit) Nationaler Alleingänge
binnen sechs Monaten (verlängerbar um weitere sechs Monate) – Abs 6
FÜM I
Europarecht
• ist Alleingang gerechtfertigt, so ist idR auch der betroffene Unionsrechtsakt
entsprechend zu überarbeiten – Abs 7 und 8
• ist Alleingang nicht gerechtfertigt, besteht Möglichkeit einer direkten Vertragsverletzungsklage
beim EuGH ohne Einhaltung des Vorverfahrens – Abs 9
Exkurs – Grundrechtsschutz in der EU
Entwicklung
• ursprünglich verfügte die (damalige) EWG über keinen positiven Grundrechtskatalog
o Rs. Ruhrkohlenverkaufsgesellschaften (1960)
• erst etwas später erfolgte eine zögerliche Anerkennung / Ende der 1960er-Jahre legte der
EuGH erstmals die Beachtung der Grundrechte als ungeschriebenen Rechtsgrundsatz fest
o Inkorporation der Grundrechte in den Rechtsbestand der EU = sog acquis
o Rs. Internationale Handelsgesellschaft (1970)
• dieser Schwenk des EuGH ist vor dem Hintergrund eines schwelenden Konflikts mit den nationalen
Verfassungsgerichten (insb mit dem deutschen BVerfG) zu sehen
o siehe Solange-Doktrin (Kapitel 3)
• offen ist aber bis in die jüngste Zeit die Frage eines EU-Beitritts zur EMRK – der EuGH hat dies
aber mittlerweile zweimal dezidiert abgelehnt (uzw bereits 1996 sowie zuletzt 2014)
Grundrechtecharta
• Grundrechtecharta (GRC) wurde vom sog Europäischen Grundrechtekonvent erarbeitet und
im Jahr 2000 vorgestellt – Inkrafttreten aber erst mit dem Vertrag von Lissabon (2009)
• GRC behebt das historische Grundrechtsdefizit der EU nachhaltig
o Grundrechtsbindung der Organe erstreckt sich dabei auf die Bereiche Gesetzgebung,
Durchführungsrechtsakte und unionseigener Vollzug
o eine Bindung der MS an die GRC besteht hingegen nur dort, wo die MS im Anwendungsbereich
des Unionsrechts handeln (es also durchführen bzw anwenden)
• im Verhältnis GRC zur EMRK gilt, dass die EMRK für die GRC einen Minimumstandard bildet –
demnach kann die Auslegung der Rechte der GRC auch über den Standard der EMRK hinausgehen
(aber nicht umgekehrt!)
• GRC vermittelt ein modernes Grundrechtsverständnis
o klassische liberale und politische Grundrechte (Grundrechte der ersten Generation)
o soziale Grundrechte (Grundrechte der zweiten Generation)
o kollektive Rechte und Schutz für bestimmte Personengruppen (Grundrechte der dritten
Generation)
Primärrechtsänderung (Art 48 EUV)
Allgemeines
• Primärrechtsänderung = Änderung der Verträge selbst
o dabei gilt der Grundsatz, dass die MS Herren der Verträge sind
• zwei Verfahrensarten
o allgemeines (ordentliches) Änderungsverfahren – Abs 2-5
o vereinfachtes Änderungsverfahren – Abs 6
• Einschränkungen oder Ausdehnungen der Zuständigkeiten der Union haben jedenfalls im ordentlichen
Änderungsverfahren zu erfolgen / im vereinfachten Verfahren werden demnach
nur Präzisierungen der internen Politiken vorgenommen
FÜM I
Europarecht
• in beiden Verfahrensarten liegt das Initiativerecht für die Vornahme einer Vertragsänderung
sowohl bei jedem MS als auch bei Parlament und Kommission
• gemeinsam ist beiden Verfahrensarten auch der Ratifikationsbedarf in den MS – den MS verbleibt
daher ein Zustimmungs- bzw Vetorecht hinsichtlich der Verhandlungsergebnisse
Beitritt (Art 49 EUV)
• jeder europäische Staat, der die Werte der Union achtet, darf einen Beitrittsantrag an den Rat
stellen (Europabegriff wird idZ aber tendenziell weit verstanden)
o Beitrittsvoraussetzungen legt der Europäische Rat als Leitlinien fest / Einzelheiten der
Verträge regeln sodann die Beitrittsakte – letztere sind in den MS gemäß ihren nationalen
Regeln ratifizierungsbedürftig
• Aufnahme in die EU erfolgt durch einstimmigen Ratsbeschluss mit Zustimmung des Parlaments
– die Kommission wird lediglich angehört
Austritt (Art 50 EUV)
• betreffende MS hat dem Europäischen Rat seine Austrittsabsicht mitzuteilen
o Europäische Rat entwirft dann wiederum Leitlinien für die nachfolgenden Austrittsverhandlungen,
die (bestenfalls) mit einem Abkommen zwischen der EU und dem betreffenden
MS beendet werden (sog Austrittsvertrag)
o
o
Austrittsvertrag nimmt dabei die Form eines herkömmlichen völkerrechtlichen Vertrags
der EU (Art 216 AEUV) an – nach erfolgtem Austritt bleibt also gewissermaßen
ein Assoziierungsstatus zur EU bestehen (siehe aktuelle Brexit-Verhandlungen)
sind die Verhandlungen hingegen fruchtlos verstrichen, endet die Mitgliedschaft jeden
falls nach (verlängerbaren) zwei Jahren ab Austrittserklärung – sog hard exit
FÜM I
Europarecht
VI. Verhältnis von EU-Recht und nationalem Recht
Direktwirkung
Allgemeines
• unmittelbare Geltung (iSd Verbindlichkeit des EU-Rechts an sich) und unmittelbare Anwendbarkeit
(iSd Eignung des EU-Rechts zur Durchsetzung eines konkret zu umschreibenden Anspruchs
= Direktwirkung) sind voneinander klar zu trennen
Kriterien
• JUSTIZIABILITÄT – Berechtigung muss in der fraglichen Unionsrechtsnorm
o klar und präzise,
o uneingeschränkt (bzw ohne weitere Bedingungen),
o von keinem weiteren Akt und keinen zusätzlichen Maßnahmen abhängend
o und damit auch ohne weiteres Ermessen ausführender Stellen niedergelegt sein
• ob die Kriterien der Direktwirkung vorliegen, entscheidet letztlich immer der EuGH
o allerdings ist die Direktwirkungseignung der allermeisten Unionsrechtsnormen durch
die jahrzehntelange Rechtsprechung des EuGH heute klar – die Frage der Direktwirkungseignung
stellt sich daher va bei gänzlich neuem Sekundärrecht
Direktwirkung von Primärrecht
• nicht sämtliches Primärrecht ist unmittelbar wirksam / wohl aber haben die wichtigsten Primärrechtsnormen
(va jene des Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts) Direktwirkung
• die Direktwirkung bestimmter Normen des Primärrechts kann in sog horizontalen Durchsetzungsverhältnissen
(dh bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten) gesperrt sein
o wichtigstes Anwendungsbeispiel dieser Anwendungssperre ist der Ausschluss einer
horizontalen Anwendbarkeit der Grundfreiheiten
o allerdings kompensiert der EuGH diese Sperre teilweise durch großzügige Auslegung
des Staatsbegriffs im Rahmen der Grundfreiheiten
o Rs. Angonese (2000)
• darüber hinaus haben die MS (aufgrund der Grundfreiheiten) auch eine Verpflichtung gegen
Binnenmarktsbeschränkungen einzuschreiten, die von Privaten verursacht werden (zB Boykottmaßnahmen,
Straßensperren, Übergriffe auf Warentransporte etc)
o Voraussetzung ist, dass das Einschreiten der MS geboten ist, weil die private Maßnahme
eine bestimmte Qualität überschreitet und nicht selbst schutzwürdig ist
o Verpflichtete der Beseitigung der Beschränkung sind hier die MS (nicht die Privaten),
sodass auch hier keine horizontale Direktwirkung der Grundfreiheiten gegeben ist
o Rs. Schmidberger (2003)
Direktwirkung von Sekundärrecht allgemein
• VO sind immer direktwirkungstauglich
o Direktwirkung von VO unterliegt auch keiner Einschränkung in horizontalen Durchsetzungsverhältnissen
(also zwischen Privaten)
• Direktwirkungseignung von Beschlüssen hängt vom Adressatenkreis ab
o Beschlüsse mit Adressaten sind immer auch unmittelbar anwendbar
o Beschlüsse ohne Adressaten sind grdsl nicht unmittelbar anwendbar / ausnahmsweise
sind sie es schon, wenn sie justiziable Rechte beinhalten (ganz selten)
FÜM I
Europarecht
• völkerrechtliche Abkommen sind (nach Ratifikation) für die EU (und iwF für die MS) ohne weiteren
Umsetzungsakt verbindlich (iSe unmittelbaren Geltung)
o ob jeweiliges Abkommen auch Direktwirkung entfaltet, entscheidet sich hier ebenfalls
nach den Kriterien der Justiziabilität
Direktwirkung von Richtlinien im Besonderen
• im Regelfall kommt RL keine Direktwirkung zu
o demnach treten Richtlinienbestimmungen gegenüber Einzelnen auch grdsl nie unmittelbar
in Erscheinung / Grundlage der Rechtsanwendung gegenüber Einzelnen ist hingegen
das in richtiger Umsetzung der RL erlassene nationale Recht
• kommt es allerdings zu Umsetzungsfehlern, können RL ausnahmsweise auch Direktwirkung
entfalten / Hintergrund ist, dass Einzelnen nicht in RL verbürgte Rechte nur aus dem Grund
entgehen sollen, dass die MS in Bezug auf ihre Umsetzungspflicht versagt haben
o Rs. Ratti (1979)
• RL-Direktwirkung – Voraussetzungen
o Vorliegen eines Umsetzungsfehlers (dh keine Umsetzung bzw Falschumsetzung)
o Ablauf der Umsetzungsfrist
o Justiziabilität (dh fragliche RL muss Einzelnen konkrete Rechte verleihen)
o nur zugunsten Einzelner im vertikalen Verhältnis
• Ausschluss einer horizontalen Direktwirkung von RL
• Rs. Faccini Dori (1994)
• Ausschluss einer invers vertikalen Direktwirkung von RL
• Rs. Kolpinghuis Nijmegen (1987)
• keine Verschärfung strafrechtlicher Verantwortlichkeit durch RL
• Rs. Berlusconi (2005)
• Ausschlusswirkung von RL
o dienen Bestimmungen einer (fehlerhaft umgesetzten) RL bloß dazu, die Anwendung
von entgegenstehendem nationalen Recht auszuschließen, so kann die entsprechende
RL sogar in horizontalen Durchsetzungsverhältnissen Direktwirkung entfalten
o in dieser Konstellation begründet nicht die RL selbst die Verpflichtung, sondern das
(im Lichte der RL bereinigte) nationale Recht
o unzulässig ist aber weiterhin die Substitution (fehlenden) nationalen Rechts durch die
Bestimmungen einer RL im horizontalen Verhältnis
o Rs. Kücükdeveci (2010)
• Vorwirkung von RL
o Erlaubnis bzw Pflicht eines nationalen Gerichts, eine bereits erlassene RL auch schon
vor Ablauf der Umsetzungsfrist direkt in einen Rechtsstreit einfließen zu lassen
o eine tatsächliche Verpflichtung der MS zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf
der Umsetzungsfrist besteht nur dort, wo manifest ist, dass eine geplante Maßnahme
das Ziel der RL frustrieren wird (sog Vereitelungsverbot)
• Vereitelungsverbot umfasst jedoch nur endgültige, irreversible Maßnahmen
(zB umweltschädigende Baumaßnahmen) – Rs. Schwarze Sulm (2016)
FÜM I
Europarecht
o
für alle anderen Fälle betont der EuGH aber in stRsp, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen
Auslegung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist einsetzt
Substitute fehlender Direktwirkung
Allgemeines
• die hier besprochenen Substitute fehlender Direktwirkung versuchen denjenigen, die sich va
aufgrund der horizontalen Anwendungssperre staatsgerichteter Normen nicht auf Unionsrecht
berufen können, Alternativen an die Hand zu geben, um einem unionsrechtlich verliehenen
Recht doch noch zur Durchsetzung zu verhelfen (effet utile)
• Grundsätze dieser Substitute sind das Loyalitätsgebot (Art 4 Abs 3 EUV) und das Gebot der
Bereitstellung effektiver Rechtsbehelfe durch die MS (Art 19 Abs 1 EUV)
Weiter Staatsbegriff
• Begriff öffentliche Hand wird im Unionsrecht traditionell weit verstanden – erfasst sind
o sämtliche Träger staatlicher Hoheitsverwaltung (Bund, Länder, etc)
o jede Einrichtung (Unternehmen, Fonds, etc) über die ein Träger der Hoheitsverwaltung
Kontrolle ausübt oder der die öffentliche Hand besondere Rechte verliehen hat
o Maßnahmen Privater, deren Wirkungen sachlich jenen einer staatlichen Maßnahme
gleichkommen (zB flächendeckende Regelungen von Berufsverbänden)
Unionsrechtskonforme Auslegung/Interpretation
• gemeint ist die Verpflichtung jedes nationalen Gerichts, das innerstaatliche Recht so weit wie
möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks unionsrechtlicher Vorgaben auszulegen
o Ergebnis ist dabei nicht die Verdrängung nationaler Normen, sondern das unionsrechtskonform
ausgelegte nationale Recht selbst gelangt zur Anwendung
o Voraussetzung unionsrechtskonformer Interpretation ist, dass die fragliche Norm im
Übrigen (dh bei Fehlen der horizontalen Anwendungssperre) justiziabel wäre
o Rs. Pfeiffer (2004)
• Methoden der unionsrechtskonformen Interpretation gibt das jeweilige nationale Recht vor
o methodische Grenze liegt demnach dort, wo die nationalen Methoden die Grenze der
zulässigen Rechtsauslegung ansetzen (insb keine Auslegung contra legem)
o sachliche Grenze liegt in der Begründung oder Verschärfung strafrechtlicher Verantwortlichkeit
Einzelner / diese Sperre gilt dabei in horizontalen ebenso wie in vertikalen
Durchsetzungskonstellationen – Rs. Berlusconi (2005)
Staatshaftung
• Haftung der MS für Verstöße gegen das Unionsrecht (= allgemeiner Rechtsgrundsatz)
• subsidiärer bzw sekundärer Rechtsbehelf
o lediglich wenn primäre Leistungsdurchsetzung nicht oder nicht mehr möglich ist (also
horizontale Sperrwirkung + keine Möglichkeit unionsrechtskonformer Auslegung), soll
immerhin noch der durch die Frustration des unmittelbaren Anspruchs entstandene
Schaden ausgeglichen werden
• Voraussetzungen – Rs. Francovich und Bonifaci (1991)
o fragliche Norm muss Einzelnen ein konkretes (verletztes) Recht verleihen, dessen Inhalt
schon aufgrund dieser Norm klar bestimmt ist (Justiziabilität)
o Verstoß muss ursächlich (kausal) iSe csqn für den erlittenen Schaden sein
o Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein
• hinreichend qualifiziert sind
FÜM I
Europarecht
• völlige Nichtumsetzung einer RL
• Abweichung vom klaren Wortlaut einer RL
• Fortbestand des Verstoßes nach Klarstellung der Rechtslage
• Verkennung gefestigter stRsp des EuGH
• nicht hinreichend qualifiziert sind
• vertretbare (aber falsche) Auslegung der RL bei ihrer Umsetzung
• Verkennung einschlägiger Rsp des EuGH im Einzelfall
• Durchsetzung
o richtet sich nach nationalem Haftungsrecht / beachte aber die Korrektive der Äquivalenz
und Effektivität (siehe unten)
Rechtsfolgen und Durchsetzung im nationalen Recht
Unanwendbarkeit des nationalen Rechts
• Konfliktlösungsregel der Vorrangwirkung
o Nur Unionsrecht kommt zur Anwendung / entgegenstehendes nationales Recht ist dagegen
unangewendet zu lassen
• mögliche Formen der Unanwendbarkeit
o absolute/relative Nichtigkeit
o bloß schwebende Unwirksamkeit
o welcher dieser Rechtsfolgen im Konfliktfall mit Unionsrecht eintritt, entscheidet jede
nationale Rechtsordnung für sich / unionsrechtlich vorgegeben ist lediglich die Nichtanwendung
des fraglichen Rechtsakts gepaart mit der Durchsetzbarkeit der unionsrechtlich
zustehenden Ansprüche
• Faustregel für Österreich
o Konflikte öffentlich-rechtlicher Akte mit Unionsrecht führen zu einer bloß relativen
Nichtigkeit (Aufhebbarkeit) des Rechtsakts
o Konflikte zivilrechtlicher Akte (va Verträge) mit Unionsrecht können hingegen auch zur
absoluten Nichtigkeit führen
Rechtskraftdurchbrechung
• unionsrechtlicher Anwendungsvorrang kann aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit
im Einzelfall hinter die Rechtskraft von (unionsrechtswidrigen) Urteilen und Bescheiden
zurücktreten – jedoch nicht in allen Fällen
• Grundsatz der Rechtskraft (Bestandskraft) wird vom Unionsrecht generell anerkannt
o nationale Behörden und Gerichte sind demnach nur innerhalb enger Grenzen verpflichtet,
einen bestandskräftigen Bescheid oder ein Urteil zurückzunehmen, wenn
sich später deren Unvereinbarkeit mit Unionsrecht herausstellt
o Voraussetzungen – Rs. Kühne & Heitz (2004)
• außerhalb dieser engen Voraussetzungen nach Kühne & Heitz bleibt ein unionsrechtswidriger
nationaler Rechtsakt, wenn er in Rechtskraft erwachsen ist, jedoch bestehen bzw wird seine
Rechtswidrigkeit von der Rechtsordnung hingenommen
• äußere Grenze dieses Respekts liegt jedoch bei eklatanten Rechtswidrigkeiten, wenn also dem
entscheidenden Organ die Unionsrechtswidrigkeit schon zum Entscheidungszeitpunkt (ganz
offensichtlich) hätte auffallen müssen
FÜM I
Europarecht
Direktwirkung und Verfahrensautonomie
• Grundsatz der Verfahrensautonomie der MS (dezentraler Vollzug)
o Bedingungen der Durchsetzung von Unionsrecht dürfen dabei nicht ungünstiger gestaltet
sein als die Durchsetzungswege für ähnliche nationale Ansprüche (Äquivalenz)
o gleichzeitig muss auch eine faktisch wirksame Durchsetzung des Anspruchs gewährleistet
werden (Effektivität)
Direktwirkung und Beibringungsgrundsatz
• öffentlich-rechtliche Verfahren → Prinzip der Amtswegigkeit (Offizialmaxime)
o sog Untersuchungsgrundsatz – Tatsachen und Verdachtsmomente sind vom befassten
Gericht bzw von der befassten Behörde aus Eigenem zu ermitteln
• zivilgerichtliche Verfahren → Antragsprinzip (Dispositionsmaxime)
o sog Beibringungsgrundsatz – Parteien sind die Herren des Verfahrens und legen insb
den Streitgegenstand und den relevanten Kreis an Rechtsnormen selber fest
• Unionsrecht akzeptiert dabei die dem Gericht bzw der Behörde nach dem nationalen Verfahrensrecht
allgemein zugewiesene (aktive oder passive) Rolle
o demnach verlangt das Unionsrecht im Regelfall auch keine Durchbrechung von Dispositions-
und Beibringungsgrundsatz
o Rs. van der Weerd (2007)
Parallelverfahren und Verfahrensaussetzung
• wird der EuGH mit einem Vorabentscheidungsverfahren befasst, so geht das Unionsrecht davon
aus, dass ein nationales Verfahren bis zum Einlangen der Antwort ausgesetzt wird
o generelle Verpflichtung zur Verfahrensaussetzung besteht nicht / eine abschließende
Sachentscheidung bis zum Einlangen der Antwort ist allerdings unzulässig
• bei Vorabentscheidungsverfahren anderer Gerichte oder der Einleitung eins Vertragsverletzungsverfahrens
liegt es nahe, das eigene Verfahren ebenfalls auszusetzen
o generelle Aussetzungspflicht besteht aber wiederum nicht / es besteht aber die Gefahr,
durch die Nichtaussetzung einen Verstoß gegen das Unionsrecht zu begehen
• bei Verfahren zur Prüfung von Verstößen von Unternehmen gegen Kartell- und Missbrauchsverbote
(Art 101 & 102 AUEV) besteht nach stRsp des EuGH eine Aussetzungspflicht für mit
denselben Verstößen befasste nationale Gerichte, wenn die Gefahr besteht, dass es zu widersprüchlichen
Entscheidungen kommt
Durchsetzungswege im Vergleich
• neben der nationalen Gerichtsbarkeit gibt es in gewissen Rechtsbereichen (etwa im Zivilverfahren)
die Möglichkeit, anstatt bzw neben den nationalen Gerichten auch die Kommission mit
einer unionsrechtlichen Frage zu befassen
• Kommission ist dabei dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet und hat
daher ihr zur Kenntnis gebrachte Unionsrechtsverletzungen in allen Bereichen des Unionsrechts
nach pflichtgemäßen Ermessen aufzugreifen
• Kommission
o Vorteile – Kostenfreiheit / keinerlei Prozesskostenrisiko
o Nachteile – unklare Erfolgsaussichten / lange Verfahrensdauer / über Abstellung des
Verstoßes hinaus keine weiteren Ansprüche (etwa SE)
• Nationale Gerichte
o Vorteile – volle Kontrolle des Klägers über das Verfahren / breiterer Strauß von Ansprüchen
kann geltend gemacht werden (etwa SE)
FÜM I
Europarecht
o Nachteile – hoher Ressourcenaufwand / Prozesskostenrisiko
• welche Durchsetzungsvariante nun vorteilhafter ist, hängt letztlich immer vom Einzelfall ab
o generell ist aber anzuraten, eine Kommissionbeschwerde zumindest parallel zu einem
nationalen Gerichtsverfahren auch zu versuchen
FÜM I
Europarecht
VII. Unionsrechtsschutz
Überblick
Dualität des Unionsrechtsschutzes (Art 19 Abs 1 EUV)
• Gerichtshof (= EuGH + EuG)
o garantiert die Wahrung des Unionsrecht bei der Auslegung und Anwendung der Verträge
(sog Auslegungsmonopol)
• MS und ihre Gerichte
o gewährleisten wirksamen Individualrechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten
Bereichen mit eigenen Verfahren und Rechtsbehelfen
(Unions-)Gerichte
• EuGH
o erledigt etwa 600-700 Verfahren im Jahr
o durchschnittliche Verfahrensdauer – 15 bis 20 Monate
• EuG
o erledigt etwa 800 Verfahren im Jahr
o durchschnittliche Verfahrensdauer – 24 Monate
o Dopplung der Zahl der Richter am EuG bis 2019
Verfahrensarten (grob)
• Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV)
• Direktklagen (Art 258 ff AEUV)
o Vertragsverletzung / Nichtigkeit / Untätigkeit
o Schadenersatz / Klagen aufgrund von Schiedsklauseln (hier nicht behandelt)
• bindende Gutachten des EuGH über die unionsrechtliche Vereinbarkeit internationaler Abkommen
der EU (Art 218 Abs 11 AEUV)
o erlaubt es, unionsrechtswidrige Bestimmungen in Abkommen rechtzeitig aufzuspüren,
bevor das Abkommen für die EU Bindungswirkung hat
Verfahrensbestimmungen
• Grobrahmen der Verfahrensbestimmungen finden sich in der EuGH-Satzung
o Details führen die beiden VerfO für den EuGH und das EuG aus
Zuständigkeitsverteilung (Art 256 AEUV)
• Vorabentscheidungsverfahren – EuGH (Art. 267 AEUV)
• Direktklagen
o Vertragsverletzung – EuGH
o Nichtigkeit und Untätigkeit – geteilte Zuständigkeit (grdsl aber EuG)
o Schadenersatz und Klagen aufgrund von Schiedsklauseln – EuG
• sämtliche Rechtsmittelverfahren – EuGH
Vertragsverletzung (Art 258-260 AEUV)
Allgemeines
• Verfahren gegen MS wegen Verletzung von Unionsrecht – drei Komponenten
o (1) Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch Kommission (Art 258 AEUV)
oder (2) durch jeden MS (Art 259 AEUV)
FÜM I
Europarecht
o (3) bei Nichtbeseitigung einer gerichtlich festgestellten Vertragsverletzung können in
einem zweiten Verfahren Geldstrafen verhängt werden (Art 260 Abs. 2 2. Absatz
AEUV)
• Ausnahme – Nichtumsetzung von RL (dort gleich im Art-258-Verfahren)
• für Vertragsverletzung ist ausschließlich der EuGH zuständig (= kein Rechtsmittel)
Rechtsschutzziel
• Ziel ist die Feststellung, ob der beklagte MS gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen (einschließlich
des von den Verträgen abgeleiteten Rechts) verstoßen hat
• diese Feststellung ist Anknüpfungspunkt für weitere Rechtsfolgen, die aber in separaten Verfahren
geltend gemacht werden müssen (etwa Geldbußen nach Art 260 AEUV)
Zulässigkeitsvoraussetzungen
1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also EuGH)
o aktivlegitimiert sind dabei ausschließlich die Kommission (Art 258 AEUV) oder MS (Art
259 AEUV) / passivlegitimiert sind nur MS
2. Gegenstand der Klage muss sich gegen eine Maßnahme des betreffenden MS richten
3. vor Klageerhebung muss ein (erfolglos gebliebenes) Vorverfahren durchgeführt worden sein
o im Fall des Art 258 AEUV besteht dieses aus einem Mahnschreiben der Kommission an
den MS und einer (abschlägigen) Gegenäußerung dieses MS
o im Fall des Art 259 AEUV besteht es aus der Befassung der Kommission, die eine begründete
Stellungnahme zu der vom MS behaupteten Vertragsverletzung abgibt
4. allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften sind einzuhalten
• keine Zulässigkeitsvoraussetzung ist der Nachweis von Rechtsschutzinteresse (iS eines Nachteils
des Klägers durch die beanstandete Maßnahme des beklagten MS)
Begründetheit
• Vertragsverletzungsklage ist inhaltlich begründet, wenn
1. die vom Kläger behaupteten Tatsachen zutreffen,
2. das Verhalten des beklagten MS auch tatsächlich gegen Unionsrecht verstößt und
3. die fragliche Maßnahme dem betreffenden MS auch zuzurechnen ist
Urteil
• Vertragsverletzungsurteil ist ein Feststellungsurteil (mit erga omnes-Wirkung)
o es bewirkt die Pflicht des betreffenden MS zur Beseitigung und weiteren Unterlassung
des festgestellten Verstoßes (aber noch keine Bußen etc)
Geldbußen (Art 260 AEUV)
• Nichtbefolgung der Verpflichtung zur Beseitigung/Unterlassung der festgestellten Vertragsverletzung
kann in einem zweiten Gerichtsverfahren mit Geldbußen sanktioniert werden
o aktivlegitimiert ist dabei ausschließlich die Kommission
o einzige Ausnahme von der Regel, ein separates Verfahren durchzuführen, ist die vollständige
Nichtumsetzung einer RL / Kommission kann dann bereits im Rahmen der
ersten Vertragsverletzungsklage Geldbußen mitbeantragen (Art 260 Abs 3 AEUV)
• Formen von Geldbußen
o Pauschalbeträge (Vergangenheit) – sanktionieren bereits erfolgte Verstöße
o Zwangsgelder (Zukunft) – dienen als Anreiz für MS, den Verstoß rasch zu beenden
o Höhe dieser Strafen beantragt die Kommission im Rahmen der Klage, wobei sie von
einem einheitlichen Sockelbetrag ausgeht und diesen fallbezogen anpasst
FÜM I
Nichtigkeit und Untätigkeit (Art 263 + 265 AEUV)
Allgemeines
Europarecht
• Verfahren gegen ein Unionsorgan wegen Unzufriedenheit mit dessen Verhalten
o dieses Verhalten besteht bei der Nichtigkeitsklage (Art 263 AEUV) im Erlass einer mutmaßlich
rechtswidrigen Handlungsvorschrift
o bei der Untätigkeitsklage (Art 265 AUEV) besteht das Verhalten hingegen im rechtswidrigen
Unterlassen einer solchen Handlungsvorschrift
• für Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen ist grdsl das EuG zuständig / ausgenommen sind Streitigkeiten
hinsichtlich der Legalität der Gesetzgebung (EuGH)
o soweit das EuG zuständig ist, können Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden
Rechtsschutzziel
• Nichtigkeitsklage – Ziel ist die Aufhebung der mutmaßlich rechtswidrigen Handlung eines Unionsorgans
(= Rechtsgestaltungsklage)
o der Erhebung der Nichtigkeitsklage kommt dabei idR keine aufschiebende Wirkung
beim Vollzug des bekämpften Rechtsakts zu
• Untätigkeitsklage – Ziel ist die Feststellung, ob eine Handlungspflicht des beklagten Unionsorgans
besteht (= Feststellungklage)
Zulässigkeitsvoraussetzungen
1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also im Regelfall EuG)
o aktivlegitimiert sind dabei iW sämtliche EU-Organe, die MS sowie Einzelpersonen (zur
Privilegierung siehe unten) / passivlegitimiert sind nur EU-Organe
2. Gegenstand der Klage muss sich gegen (Nichtigkeitsklage) bzw auf (Untätigkeitsklage) eine
rechtlich bindende Handlung des beklagten Organs richten
3. nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) müssen zudem ihr Rechtsschutzinteresse durch die
angefochtene (Nichtigkeit) oder unterlassene (Untätigkeit) Handlung nachweisen
4. Klagefristen
o Nichtigkeitsklage – zwei Monate ab Kenntnis der betreffenden Handlung
o Untätigkeitsklage – zwei Monate ab Aufforderung des zuständigen Organs
5. allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften sind einzuhalten
o bei Untätigkeitsklage gehört zu den in der Klageschrift darzulegenden Tatsachen daher
auch eine Beschreibung der gewünschten Maßnahmen und der infolge der Untätigkeit
des Organs konkret verletzten Handlungspflicht
Begründetheit
• Nichtigkeitsklage ist inhaltlich begründet, wenn einer der in Art 263 AEUV genannten Nichtigkeitsgründe
vorliegt – es sind dies
o Verletzung höherrangigen Unionsrechts
o Unzuständigkeit des handelnden Organs
o Verletzung wesentlicher Formvorschriften
o Ermessensmissbrauch
• Untätigkeitsklage ist inhaltlich begründet, wenn eine Handlungspflicht tatsächlich bestand
o bei nicht privilegierten Klägern (Einzelpersonen) muss die Handlungspflicht konkret
gegenüber dem Kläger bestanden haben (unmittelbare + individuelle Betroffenheit)
Urteil
• Nichtigkeitsurteil ist ein Rechtsgestaltungsurteil (mit erga omnes-Wirkung)
o es hebt den angefochtenen Rechtsakt (idR ex tunc) auf
FÜM I
Europarecht
• Untätigkeitsurteil ist ein Feststellungsurteil
o stellt Handlungspflicht bloß fest / ignoriert das zuständige Organ seine Handlungspflicht
weiterhin, muss neuerlich Untätigkeitsklage erhoben werden (evtl aber SE)
Privilegierte und nicht privilegierte Kläger
• Nichtigkeitsklage – unterscheidet
o vollständig privilegierte Kläger (MS, Rat, Kommission und Parlament) – müssen keinerlei
eigenes Interesse an der aufzuhebenden oder zu erlassenden Handlung haben
o teilprivilegierte Kläger (Rechnungshof, EZB, AdR) – müssen den einfachen Betroffenheitsnachweis
antreten (dh dass sie die Klage zur Ausübung ihrer Rechte erheben)
o nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) – müssen Nachweis über das konkrete
Rechtsschutzinteresse (sog unmittelbare und individuelle Betroffenheit) erbringen
• Untätigkeitsklage – unterscheidet bloß
o privilegierte Kläger (MS + alle EU-Organe gleichermaßen) – müssen keinerlei eigenes
Interesse an der aufzuhebenden oder zu erlassenden Handlung haben
o nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) – müssen Nachweis über das konkrete
Rechtsschutzinteresse (sog unmittelbare und individuelle Betroffenheit) erbringen
Vorabentscheidungen (Art 267 AEUV)
Allgemeines
• Verfahren über die Auslegung und Gültigkeit von Unionsrecht
o ermöglicht Zusammenwirken von EuGH und nationalen Gerichten bei der Anwendung
des Rechts in den MS
• für Vorabentscheidungen ist ausschließlich der EuGH zuständig (= kein Rechtsmittel)
• Aufgabe des EuGH ist im Vorabentscheidungsverfahren darauf beschränkt, eine für das nationale
Ausgangsverfahren konkret relevante Frage des Unionsrechts zu beantworten
o alle sonstigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits (Verfahrensführung, Sachverhaltsfeststellungen,
etc) verbleiben im Aufgabenbereich der nationalen Gerichte
Rechtsschutzziel
• Ziel ist die Sicherstellung der richtigen Anwendung von Unionsrecht in jedem vor den nationalen
Gerichten behandelten Einzelfall (Individualrechtsschutz)
• es handelt sich dabei um ein Zwischenverfahren des nationalen Gerichtsverfahrens, das eine
konkrete Frage des nationalen Gerichts betreffend die Auslegung und Gültigkeit von Unionsrecht
(aller Stufen) zum Gegenstand hat
Zulässigkeitsvoraussetzungen (= Vorlagebefugnis)
1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also EuGH)
2. Ersuchen muss von einem nationalen Gericht iSd Art 267 AEUV stammen
o EuGH legt dabei den Gerichtsbegriff in stRsp autonom aus und misst die jeweilige Einrichtung
an gerichtstypischen Kriterien
3. Vorlagefrage muss Unionsrecht zum Gegenstand haben
o Fragen zum nationalen Recht, zum Sachverhalt usw sind unzulässig
4. Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH muss erforderlich sein, um den nationalen
Ausgangsrechtsstreit auch entscheiden zu können
5. Mindestinhalt an allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften ist einzuhalten
o darüber hinaus besteht Formfreiheit für Vorabentscheidungsersuchen
FÜM I
Europarecht
Begründetheit
• Begriff der Begründetheit meint idZ in welchen Konstellationen eine Vorlage zu Recht (also
begründet) erfolgt, wann also ein Vorlagerecht bzw sogar eine Vorlagepflicht besteht
• unterinstanzliche Gerichte ein Vorlagerecht (keine Verpflichtung!)
o nur in einem Ausnahmefall besteht aber auch für unterinstanzliche Gerichte eine Vorlagepflicht,
uzw wenn sie Zweifel an der Gültigkeit eines Unionsrechtsakts haben
• letztinstanzliche Gerichte haben hingegen eine generelle Vorlagepflicht
o sie haben Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht, die in den von ihnen
behandelten Fällen aufgeworfen werden, dem EuGH vorzulegen
• CILFIT
o
o
von dieser Vorlageverpflichtung letztinstanzlicher Gerichte bestehen nach der sog CIL-
FIT-Doktrin drei Ausnahmen / sie betreffen aber nur den Umgang mit Auslegungszweifeln,
aber niemals Fragen der Gültigkeit (wo immer vorzulegen ist)
Vorlage zu Auslegungsfragen ist demnach nicht erforderlich, wenn
• dieselbe Frage bereits einmal beantwortet wurde (act éclairé II)
• die Rechtsfrage bereits in stRsp des EuGH gelöst ist, auch wenn die Fragen bzw
Sachverhaltsumstände nicht vollkommen identisch sind (act éclairé I)
• der EuGH die Rechtsfrage zwar noch nicht selbst behandelt hat, die richtige
Antwort aber derart offenkundig ist, dass für kein anderes Gericht im Binnenmarkt
oder den EuGH Raum für vernünftigen Zweifel besteht (act clair)
Urteil
• Vorabentscheidungsurteile ähneln sowohl Feststellungsurteilen als auch Zwischenurteilen,
sind aber mit keinen von beiden völlig vergleichbar
o vielmehr sind es verbindliche Gutachten zum Unionsrecht
• Vorabentscheidungen entfalten darüber hinaus auch faktische erga omnes-Wirkung, denn der
EuGH unternimmt dadurch ja eine Auslegung des Unionsrechts
o nationale Behörden und Gerichte haben die Rsp des EuGH in Vorabentscheidungssachen
daher als Stand des Rechts zu beachten
• die in Vorabentscheidungen unternommene Auslegung des Unionsrechts gilt im Regelfall ex
tunc, war also formal betrachtet schon in der Vergangenheit Inhalt der betreffenden Norm
Parteiansprüche im Rahmen der Vorabentscheidung
• Frage, ob die Parteien des nationalen Verfahrens ein Mitspracherecht dahin haben, dass sie
eine Vorlage verlangen (oder verhindern) können
• nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sind die Partierechte im nationalen Verfahren
grdsl eine Sache des nationalen Verfahrensrechts
o Unionsrecht alleine vermittelt jedenfalls keinen Vorlageanspruch der Parteien
o es verleiht aber zumindest das Recht, eine Vorlage anregen zu dürfen und diese Anregung
vom zuständigen nationalen Gericht prüfen zu lassen
• auch in Österreich besteht kein über diesen unionsrechtlichen Rahmen hinausgehender, individueller
Parteianspruch auf Vorlage / entscheidet sich das Gericht für eine Vorabentscheidung,
ist der Vorlagebeschluss daher im Regelfall unanfechtbar
• eine Verletzung der Vorlagepflicht stellt eine Vertragsverletzung dar
o in Österreich wird die rechtswidrige Nichtvorlage als Verletzung des Rechts auf den
gesetzlichen Richter gewertet, sodass das betreffende Urteil mit einem schwerwiegenden
Rechtsfehler behaftet ist
FÜM I
Europarecht
VIII. Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht
Grundlagen
Allgemeines
• Binnenmarktrecht ist der wichtigste Teil des sog materiellen Europarechts
o materielles Recht = Rechtsnormen, die das Entstehen (und die Beendigung) von Verpflichtungen
und Berechtigungen Einzelner nach Art und Umfang regeln
o formelles Recht = im Grunde Organisationsrecht, das dem materiellen Recht vor- (zB
Rechtsetzung) und nachgelagerte (zB Durchsetzung) Fragen regelt
Definition des Binnenmarkts
• Art 26 AEUV – „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen,
Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist“
• Teil des Binnenmarktrechts ieS sind also jedenfalls die
o sog Grundfreiheiten (Waren/Arbeitnehmer/Niederlassung/Dienstleistungen/Kapital)
o + personenbezogene Freizügigkeitsregeln (Nichtdiskriminierung/Unionsbürgerschaft)
• Binnenmarktrecht iwS sind hingegen alle auf den internen (!) Markt der EU bezogenen Regeln
für Unternehmen und Private (dh Binnenmarktrecht ieS + sämtliche internen Politiken des
Dritten Teils des AEUV)
• für die von den Binnenmarktregeln erfassten Grundfreiheiten sollen die Binnengrenzen (also
die Hoheitsgrenzen zwischen den MS) im Freiverkehr nicht spürbar sein – es wird also fingiert,
dass es diese Grenzen überhaupt nicht gäbe – dies erfolgt durch
o sog Positivintegration einerseits
• Rechtsangleichung/Harmonisierung der waren-, personen-, unternehmens-,
dienstleistungs- und kapitalverkehrsrelevanten Rechtsvorschriften der MS
durch den EU-Gesetzgeber (Art 114 AEUV)
o sog Negativintegration andererseits
• Ge- und Verbote auf Primärrechtsebene, die die Beseitigung von Freiverkehrshemmnissen
auch dann fordern, wenn noch keine positive Rechtsangleichung
erfolgt ist – zentraler Motor für das Verbot solcher Hemmnisse ist dabei der
EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren
• wird von der Regel abgewichen, sind die Binnengrenzen im Einzelfall also doch spürbar, besteht
Rechtfertigungsbedarf aufseiten des betreffenden MS
• dass eine freiverkehrshemmende/wettbewerbsbeschränkende Regelung unter einen primärrechtlichen
Verbotstatbestand fällt (= Tatbestandsprüfung), bedeutet also noch nicht zwingend,
dass diese Regelung auch endgültig verboten ist!
o MS unterliegen aber einer Rechtfertigungslast (= Rechtfertigungsprüfung)
Gemeinsame Merkmale der Grundfreiheiten
• alle Grundfreiheiten verbieten Diskriminierungen und Beschränkungen gleichermaßen
o Diskriminierung = Ungleichbehandlung zweier im Übrigen gleicher Sachverhalte aus
dem alleinigen Grund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit
• direkte Diskriminierung – Staatsangehörigkeit als Kriterium der Ungleichbehandlung
ist unmittelbar in der Norm genannt
• indirekte Diskriminierung – Norm verwendet andere Kriterien, die zum gleichen
Ergebnis führen, ohne die Staatsangehörigkeit explizit zu nennen
FÜM I
Europarecht
o Beschränkung = jede sonstige Norm der Rechtsordnung, die die Ausübung einer
Grundfreiheit behindert oder weniger attraktiv macht (auch wenn In- und Ausländer
gleichermaßen erfasst sind)
• Anwendung sämtlicher Grundfreiheiten ist subsidiär zur Anwendung spezifischeren Sekundärrechts
(VO, RL, etc) in Ausführung der Grundfreiheiten
• sämtliche Grundfreiheiten erfordern als Voraussetzung ihrer Anwendung einen grenzüberschreitenden
Sachverhalt (sog Zwischenstaatlichkeitsschwelle)
o erschöpft sich ein SV innerhalb eines MS, kann die fragliche Grundfreiheit aus unionsrechtlicher
Sicht nicht zur Anwendung gebracht werden
o es bestehen allerdings mehrere Einschränkungen
• erstens ist Sekundärrecht generell vom Prüferfordernis einer Zwischenstaatlichkeitsschwelle
ausgenommen (nicht aber Primärrecht!)
• zweitens zeigt sich der EuGH in der Praxis betont großzügig bei der Prüfung
der Zwischenstaatlichkeitsschwelle von ihm vorgelegten SV
• drittens kennen einige MS (auch Österreich) ein Verbot der sog Inländerdiskriminierung
/ beruft sich also ein EU-Ausländer auf eine Grundfreiheit, so eröffnet
das österreichische Verfassungsrecht auch Inländern diese Möglichkeit
• gemeinsam ist den Grundfreiheiten außerdem ihr staatsgerichteter Charakter
o Verpflichtete der Grundfreiheiten sind nur MS (beachte aber weiten Staatsbegriff) / in
horizontalen Rechtsstreitigkeiten sind sie daher nicht anwendbar
• zudem erlauben es alle Grundfreiheiten den MS, zusätzlich zur primärrechtlichen Rechtfertigung
einen ungeschriebenen, offenen Katalog an zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses
beizuziehen / Unterschied in der Anwendung beider Rechtfertigungsmöglichkeiten
o so können diskriminierende Maßnahmen der MS nur mit den im Vertrag ausdrücklich
niedergelegten Gründen gerechtfertigt werden
o hingegen stehen zwingende Erfordernisse nur für Beschränkungen zur Verfügung, die
ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gelten
• schließlich sind alle Grundfreiheiten auch unmittelbar anwendbar (Direktwirkung) – Einzelne
können sich daher vor nationalen Gerichten direkt auf ihren Gewährleistungsgehalt berufen
Prüfschema Grundfreiheiten
1. Festlegung der nach dem SV prima facie einschlägigen Norm
2. besteht für diese Norm Sekundärrecht?
o wenn ja, richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahme ausschließlich nach den Detailregelungen
des Sekundärrechts!
3. persönlicher Schutzbereich – wer ist Träger der Grundfreiheit?
o Grundfreiheitenträger sind idR Staatsangehörige bzw juristische Personen eines MS
4. sachlicher Schutzbereich – handelt es sich um eine von der Norm geschützte Tätigkeit?
o Tätigkeit ist geschützt, wenn sie (1) einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist (Zwischenstaatlichkeitsschwelle),
(2) das Verhalten des Grundfreiheitenträgers konkret
geschützt ist und (3) dieses Verhalten unter keine besondere Bereichsausnahme fällt
5. liegt ein Eingriff in den Schutzbereich vor?
o ein Eingriff liegt vor, wenn (1) eine verbotene Maßnahme gegenüber dem Grundfreiheitsträger
gesetzt wurde (also eine Diskriminierung oder Beschränkung hinsichtlich
der geschützten Verhaltensweise) und (2) diese Maßnahme staatlich zurechenbar ist
6. besteht eine Rechtfertigungsmöglichkeit?
1) welcher Katalog an Rechtfertigungsgründen findet Anwendung – nur Primärrecht oder
auch zwingende Erfordernisse?
2) was ist das konkrete Ziel des Eingriffs, also warum wurde Maßnahme vom MS gesetzt?
3) ist dieses Ziel von den vorgefundenen Rechtfertigungsgründen abgedeckt (= zulässig)?
FÜM I
Europarecht
4) wenn ja, ist die konkrete Maßnahme im Hinblick auf das verfolgte Ziel auch verhältnismäßig
– Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit (= gelindestes Mittel)?
Gemeinsame Merkmale der Wettbewerbsnormen
• gleich den Grundfreiheiten sind die primärrechtlichen Verbote des Wettbewerbsrechts subsidiär
gegenüber spezifischerem Sekundärrecht
• wie auch bei den Grundfreiheiten erfordert die Anwendung sämtlicher Wettbewerbsnormen
einen grenzüberschreitenden Sachverhalt (Zwischenstaatlichkeitsschwelle)
• Verpflichteten sind je nach Wettbewerbsnorm unterschiedlich
o überwiegend sind es Unternehmen, teils auch Private
• alle Normen des Wettbewerbsrechts sind, wie auch die Grundfreiheiten, mit Rechtfertigungsmöglichkeiten
kombiniert (Art 101 bis 109 AEUV)
• schließlich sind, ebenfalls gleich den Grundfreiheiten, alle Verbote des Wettbewerbsrechts unmittelbar
anwendbar (Direktwirkung)
o bei den Kartell- und Missbrauchsverboten gilt dies schon für die jeweiligen Tatbestände,
für das Beihilfeverbot nur hinsichtlich des Durchführungsverbots
Warenverkehr (Art 34 AEUV)
Allgemeines
• EU hat ein einheitliches Zollgebiet mit gemeinsamen Außenzöllen (Art 28 AEUV)
o Zölle sowie Abgaben gleicher Wirkung zwischen den MS (also innerhalb des Binnenmarkts)
sind demnach verboten (Art 30 AEUV)
• Art 34 AEUV (!) normiert darüber hinaus auch ein Verbot aller sonstigen Einfuhrbeschränkungen
(zB mengenmäßig) und Hemmnisse gleicher Wirkung durch die MS
Persönlicher Schutzbereich
• Schutz gegen Warenverkehrshemmnisse iSd Art 34 AEUV genießen
o aus einem MS stammende Waren sowie
o in einem MS (rechtmäßig) in den Verkehr gebrachte Waren
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Einfuhr/Bezug von Waren aus einem anderen MS
• Ware iSv Art 34 AEUV ist dabei jeder Gegenstand mit Geldwert, der die Eignung aufweist, Gegenstand
von Handelsgeschäften (dh marktfähig) zu sein
o Warenbegriff erfasst auch unkörperliche Gegenstände (zB Strom oder Gas)
o IP-Rechte (also Patente, Marken, etc) hängen dagegen am betreffenden Gegenstand
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Warenverbringung
• keine Bereichsausnahme
o zu beachten ist aber, dass der AEUV eine Anzahl speziellerer Normen (zB für Waren im
Bereich der Landwirtschaft und Fischerei) enthält, die Art 34 AEUV vorgehen
Eingriff
• potenziell warenverkehrsbeschränkende Maßnahme muss staatlich, dh einem Hoheitsträger,
zuzurechnen sein / handeln dagegen Private, so ist zu prüfen, ob dieses Handeln in den Nahebereich
des Staates gebracht werden kann (siehe weiter Staatsbegriff)
• Kern der Eingriffsprüfung ist aber die Definition, was nach Art 34 AEUV letztlich als warenverkehrsbeschränkende
Maßnahme gilt – nach dem Wortlaut verboten sind jedenfalls
o mengenmäßige Beschränkungen
o die gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr oder Durchfuhr
FÜM I
Europarecht
o Totalimportverbote sowie totale Verwendungs- und Nutzungsbeschränkungen
• darüber hinaus erstreckt sich das Verbot aber auch auf alle Maßnahmen (= Diskriminierungen
und Beschränkungen) mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen / hinsichtlich
dieser Maßnahmen gleicher Wirkung gibt es grundlegende EuGH-Judikatur, die diesen (tendenziell
weiten) Begriff im Laufe der Zeit einzugrenzen versuchte
• Rs. Cassis de Dijon (1979) – etablierte drei wichtige Grundsätze, die für den Warenverkehr
(sowie für die Binnenmarktlogik insgesamt) bis heute prägend sind:
1. Anwendbarkeit des Art 34 AEUV auf unterschiedslose Beschränkungen – Hemmnisse
aller Art müssen nur hingenommen werden, wenn sie notwendig sind
2. Ursprungslandprinzip – Waren sollen grdsl in derselben Form, wie sie sich im Ursprungsland
rechtmäßig am Markt befinden, in allen MS zirkulieren dürfen
• jeder Zwang zur Änderung der Ware (Etikettierung, Form, usw) aus dem alleinigen
Grund des Überschreitens der Binnengrenzen verletzt dieses Prinzip
3. Möglichkeit der Rechtfertigung von Beschränkungen mit sog zwingenden Erfordernissen
des Allgemeininteresses, die über die primärrechtlich ausdrücklich vorgesehenen
Ausnahmen hinausgehen können
• Rs. Keck und Mithouard (1993) – Verkaufsmodalitäten, also Regelungen darüber, wer was
wann und wie verkaufen darf, sind ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Art 34 AEUV
ausgenommen, wenn sie für ausländische Waren auch im Rahmen einer Feinprüfung keine
Nachteile bergen (sie also rechtlich wie tatsächlich unterschiedslos betreffen)
• Rs. DocMorris (2003) – Beispiel für Verkaufsmodalitäten, die in- und ausländische Produkte in
unterschiedlicher Weise berühren (Ausschluss des Vertriebswegs über das Internet)
Rechtfertigung
• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen
o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 36 AEUV – zB öffentliche
Ordnung und Sicherheit, Umweltschutz (Tiere und Pflanzen), nationales Kulturgut, etc
(siehe vollständig Art 36 AEUV)
o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses – zB Verbraucherschutz,
Lauterkeit des Handelsverkehrs, allgemeiner Umweltschutz, etc
• stets unzulässig sind aber budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe
(zB Stärkung der heimischen Produktion)
• Verfügbarkeit
o Rechtfertigungsgründe des Art 36 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse
hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen
• Verhältnismäßigkeit
o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung
dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,
erforderlicher und angemessener Weise verfolgt
Freizügigkeit der Unionsbürger und Arbeitnehmer
Allgemeines
• Begriff Freizügigkeit meint die Freiheit von Personen, sich im Gebiet der EU zu bewegen und
aufzuhalten (synonym freier Personenverkehr)
• Freizügigkeit umfasst dabei iW drei selbständige, aber eng miteinander verbundene Regimes:
o allgemeines Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV)
o Aufenthaltsrecht der Unionsbürger (Art 21 AEUV)
o freier Verkehr von Arbeitnehmern (Art 45 AEUV)
o alle genannten Normen haben unmittelbare Wirkung (Direktwirkung)
FÜM I
Europarecht
Allgemeines Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV)
• allgemeines Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit
o AEUV enthält daneben auch zahlreiche spezifischere Diskriminierungsverbote, gegenüber
welchen Art 18 AEUV demnach nur subsidiäre Anwendung findet
Persönlicher Schutzbereich
• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich Unternehmen
o Staatsangehörigkeit von Unternehmen – Gründungstheorie (Ort der Gründung) oder
Sitztheorie (Sitz der Hauptverwaltung)
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Abwehr einer Schlechterstellung aus dem alleinigen Grund der
EU-ausländischen Staatsangehörigkeit des Berechtigten
o keine Bereichsausnahme
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = knüpft am Staatsangehörigkeitskriterium an, was automatisch
den notwendigen, grenzüberschreitenden Bezug herstellt
Eingriff und Rechtfertigung
• Verbot greift gegenüber der Ungleichbehandlung von im Übrigen gleichen Sachverhalten aus
dem alleinigen Grund der Staatsangehörigkeit des Berechtigten
o Art 18 AEUV ist daher ein reines Diskriminierungs- und kein Beschränkungsverbot
• Frage der (diskriminierungsrelevanten) Gleichbehandlung erfordert eine Sachlichkeitsprüfung
o gesonderte Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung erübrigt sich daher, inhaltlich
entspricht die Sachlichkeitsprüfung aber der Rechtfertigungsprüfung
• Sachlichkeitsprüfung – sachliche Ungleichbehandlungen sind nicht diskriminierend
o eine unterschiedliche Behandlung kann daher stets gerechtfertigt sein, wenn sie auf
objektiven (von der Staatsangehörigkeit unabhängigen) Erwägungen beruht und in einem
angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck steht
Unionsbürgerschaft (Art 21 AEUV)
• Unionsbürgerschaft ist in mehreren Artikeln geregelt, wobei sich in Art 21 Abs 1 AEUV va die
eingangs erwähnte Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit wiederfindet
Persönlicher Schutzbereich
• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS (also Unionsbürger), einschließlich gleichgestellter
Personen – dazu zählen auch Unternehmen (außer bei höchstpersönlichen Rechten)
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Bewegung und Aufenthalt in einem anderen MS
o keine Bereichsausnahme
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = Freizügigkeitsrecht muss vom Unionsbürger tatsächlich ausgeübt
worden sein (inkl Probleme bei der Rückkehr nach einem Auslandsaufenthalt)
Eingriff I – Aufenthalt (UnionsbürgerRL)
• ein Eingriff liegt erstens dann vor, wenn der Aufenthalt verweigert wird
o die Bedingungen des Aufenthalts von Unionsbürgern sind dabei in der UnionsbürgerRL
geregelt (= Sekundärrecht = lex specialis)
• UnionsbürgerRL unterwirft das Aufenthaltsrecht Erfordernissen der Selbsterhaltungsfähigkeit
o selbständige oder unselbständige Tätigkeit (oder sonst)
FÜM I
Europarecht
o Nachweis von Existenzmitteln und Krankenversicherung
o + Verwurzelung
• weitere Vorgaben der UnionsbürgerRL:
o Unionsbürger und deren Familienangehörige haben für einen Zeitraum von bis zu drei
Monaten ein freies Aufenthaltsrecht in jedem anderen MS (Art 6)
o ein Recht auf Aufenthalt von über drei Monaten besteht dagegen nur, wenn es sich
um Arbeitnehmer oder Selbständige bzw dessen Familienangehörige handelt oder
wenn ausreichend Existenzmittel und eine KV nachgewiesen werden können (Art 7)
o nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren (sog Verwurzelung) wird
dem Berechtigten und seinen Familienangehörigen ein Recht auf Daueraufenthalt
(einschließlich Zugang zu Sozialleistungen) verliehen (Art 16)
• für bestimmte Personengruppen (zB Pensionisten oder Berufsinvalide) gelten
dabei erleichterte Daueraufenthaltsregeln
o ab zehn Jahren Daueraufenthalt sowie bei Minderjährigen gilt zudem ein verstärkter
Ausweisungsschutz (nur noch Gründe der öffentlichen Sicherheit bzw Kindeswohl)
Eingriff II – Gleichbehandlung
• ein Eingriff liegt zweitens auch dann vor, wenn es während des Aufenthalts zu einer Schlechterstellung
gegenüber eigenen Staatsangehörigen kommt (sog Gleichbehandlungsgebot)
o hinsichtlich dieser Gleichbehandlungspflicht bestehen aber Einschränkungen
• so hat der EuGH seine anfänglich sehr großzügige Rsp zur Gleichbehandlung in Bezug auf den
Zugang zu Sozialleistungen sukzessive eingeengt
o demnach ist es den MS erlaubt, diesen Zugang vom Erfordernis einer gewissen Bindung
an die MS bzw Verwurzelung in den MS abhängig zu machen
o diese Bindung bzw Verwurzelung läuft dabei iW parallel mit den Voraussetzungen der
UnionsbürgerRL beim Aufenthaltsrecht (Selbsterhaltungsfähigkeit etc)
• Rs. Dano (2014)
Rechtfertigung
• Tatbestandsprüfung erfordert (wie auch bei Art 18 AEUV) eine Sachlichkeitsprüfung
o potenzieller Eingriff in die Freizügigkeit der Unionsbürger kann daher stets gerechtfertigt
sein, wenn er auf objektiven Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis
zu einem legitimen Zweck steht
o gesonderte Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung erübrigt sich daher, inhaltlich
entspricht die Sachlichkeitsprüfung aber der Rechtfertigungsprüfung
Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV)
Allgemeines
• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen
o (hinsichtlich des Aufenthaltsrechts) die UnionsbürgerRL
o (hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen) die KoordinierungsVO
o (ganz allgemein) die FreizügigkeitsVO
Persönlicher Schutzbereich
• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich gleichgestellter Personen (also
va Familienangehörige, zT aber auch gleichgestellte sonstige Drittstaatsangehörige)
• die Norm berechtigt dabei sowohl natürliche Personen als Arbeitnehmer als auch juristische
Personen (Unternehmen etc) als Arbeitgeber
o beachte Übergangsarrangements (siehe S. 174)
FÜM I
Europarecht
• Arbeitnehmerbegriff umfasst dabei iW weisungsgebundene Tätigkeiten gegen Entgelt (dh zB
auch Kurzzeitbeschäftigungen oder vergütete Berufsausbildungsverhältnisse)
o nicht unter den Arbeitnehmerbegriff fallen hingegen Studenten, erstmals Arbeitssuchende
oder Personen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Aufnahme und Ausübung unselbständiger (!) Beschäftigung
o im Einzelnen umfasst dies den Zugang zum Beruf (zB Bewerbung) / alle Arten von Berufsausübungsregeln
(zB Steuerregeln) / sowie Gleichbehandlung beim Zugang zu arbeitsbezogenen
finanziellen Leistungen bzw Vergünstigungen
• Verpflichtete sind die MS / einbezogen sind aber auch flächendeckende (private) Regelungen
der Beschäftigungsbedingungen, die staatlichen Regelungen gleichzuhalten sind
o zudem treffen Art 45 AEUV verwandte Verbote auch Private – uzw jene der Entgeltsowie
der Minderheitendiskriminierung in Beschäftigung und Beruf
• Bereichsausnahme besteht für hoheitliche Tätigkeiten (Abs 4)
o Zugang zu Tätigkeiten, die zwangsläufig mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden
sind, kann daher eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = idR Beschäftigung in einem anderen MS / aber auch Berufsausbildung
in einem anderen MS kann bereits einen grenzüberschreitenden Bezug begründen
Eingriff
• liegt sowohl bei offenen (zB steuerliche Schlechterstellung ausländischer Einkünfte) als auch
bei versteckten (zB Bindung von Beihilfen an Wohnsitz im Inland) Diskriminierungen vor
o Rs. Clean Car (1998)
• darüber hinaus greifen auch sonstige Beschränkungen (dh alle Bestimmungen, die die Ausübung
der Arbeitnehmerfreizügigkeit behindern oder weniger attraktiv machen, auch wenn
In- und Ausländer gleichermaßen erfasst sind) in Art 45 AEUV ein
o Rs. de Groot (2002)
• allerdings umfasst Art 45 AEUV wohl nur ein gemäßigtes Beschränkungsverbot
o in ihren Auswirkungen In- und Ausländer faktisch völlig gleich betreffende Regulierungsvorschriften
(sog neutrale Ausübungsmodalitäten) sind nämlich nicht erfasst
o EuGH verneint zudem die Beschränkungseignung bei ganz ungewissen Auswirkungen
einer Regelung auf die Attraktivität der Ausübung dieser Freiheit (Kausalitätsgrenze)
• Rs. Graf (2002)
Rechtfertigung
• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen
o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 45 (Abs 3) AEUV – öffentliche
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)
o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses
• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der
heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich
• Verfügbarkeit
o Rechtfertigungsgründe des Art 45 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse
hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen
• Verhältnismäßigkeit
o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung
dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,
erforderlicher und angemessener Weise verfolgt
FÜM I
Europarecht
FreizügigkeitsVO
• legt grundlegende Details zur Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit fest
• FreizügigkeitsVO untersagt dabei insb
o besondere Verfahren für die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer
o Einschränkungen in Bezug auf die Veröffentlichung von Stellenangeboten
o Diskriminierungen betreffend die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen
• wichtig – an diese Vorgaben ist nicht nur die öffentliche Hand gebunden, sondern aufgrund
Art 7 Abs 4 FreizügigkeitsVO auch private Arbeitgeber
KoordinierungsVO
• regelt die Koordinierung der (nationalen) Systeme der sozialen Sicherheit
• Grundregel – für Arbeitnehmer ist der MS der Beschäftigung zuständig / für Staatsangehörige
ohne Beschäftigung ist dagegen der MS des Wohnsitzes zuständig
• sachlicher Anwendungsbereich
o umfasst Detailregelungen für den Zugang zu beitragsabhängigen Sozialversicherungsleistungen
/ auch schließt sie bestimmte beitragsunabhängige Leistungen mit ein
• persönlicher Anwendungsbereich
o schließt (heute) sämtliche Versicherte der nationale Sozialversicherungssystem ein
Niederlassung (Art 49 AEUV)
Allgemeines
• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen
o UnionsbürgerRL / KoordinierungsVO / BerufsqualifikationsRL / DienstleistungsRL
o alle diese Rechtsakte sind dabei Ausführungsnormen zu mehreren Grundfreiheiten
Persönlicher Schutzbereich
• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich gleichgestellter Personen
o einbezogen sind sowohl natürliche als auch juristische Personen
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Aufnahme und Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit
o geschützt sind daher sowohl die erst angestrebte (Gründung, Sitzverlegung, etc) als
auch die schon errichtete (Unternehmensführung, etc) Niederlassung
o Niederlassungsbegriff – jede permanente Präsenz vor Ort mit fixer Einrichtung
• also gerade keine Dienstleistungen
o Unternehmensbegriff – jede eine wirtschaftliche Tätigkeit (= Anbieten von Gütern bzw
Dienstleistungen auf einem Markt) ausübende Einheit
• darunter fallen auch Selbständige (zB Ärzte, Rechtsanwälte, etc)
• Gewinnabsicht ist unerheblich, solange die Tätigkeit grdsl entgeltlich ist
• Bereichsausnahme besteht für hoheitliche Tätigkeiten (Art 51 AEUV)
o Zugang zu Tätigkeiten, die zwangsläufig mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden
sind, kann daher eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden
• Rs. Kommission / Österreich (2011)
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Niederlassung eines Unternehmens
o Gründung/Verlegung einer Hauptniederlassung
o Gründung/Verlegung von sekundären Niederlassungen (zB Zweigniederlassungen)
o Beschränkungen anlässlich der Rückkehr nach ausgeübter Niederlassung im Ausland
FÜM I
Europarecht
Eingriff
• liegt sowohl bei offenen (zB Inländervorbehalt für bestimmte Berufe) als auch bei versteckten
(zB Nichtanerkennung ausländischer Qualifikationen) Diskriminierungen vor
• über Diskriminierungen hinaus ist jedoch zu differenzieren – Niederlassungsfreiheit gewährleistet
nämlich kein umfassendes Herkunftslandprinzip
o stattdessen modifiziertes Ziellandprinzip, das über reine Diskriminierungen hinaus nur
bestimmte spezifische Behinderungen verbietet (gemäßigtes Beschränkungsverbot)
o erfasst werden demnach nur solche Maßnahmen, die sich auf den Marktzugang von
Ausländern auswirken können, obwohl sie an sich neutral formuliert sind (siehe S. 185)
• auch Wegzugsbeschränkungen des Heimatstaats können vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit
erfasst sein / differenziert zu betrachten ist jedoch die Möglichkeit einer
grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Gesellschaften (siehe S. 187)
• keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind dagegen allgemeine Qualifikationsanforderungen
für bestimmte Tätigkeiten sowie neutrale Berufsausübungsregeln
o Rs. Pesla (2009)
• gleich den anderen Grundfreiheiten greift zudem auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit
eine Kausalitätsgrenze – nur ganz ungewisse Auswirkungen einer Regelung auf die Attraktivität
der Ausübung dieser Freiheit verbleiben außerhalb des Anwendungsbereichs des Art 49 AEUV
Rechtfertigung
• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen
o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 52 (Abs 1) AEUV – öffentliche
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)
o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses
• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der
heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich
• Verfügbarkeit
o Rechtfertigungsgründe des Art 52 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse
hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen
• Verhältnismäßigkeit
o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung
dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,
erforderlicher und angemessener Weise verfolgt
BerufsqualifikationsRL
• harmonisiert Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen bei reglementierten Berufen
o Grundprinzip – gegenseitige Anerkennung ausländischer Ausbildung/Berufserfahrung
• zwei Regelungsregimes (siehe S. 190)
o allgemeine Anerkennungsregel (für die allermeisten Berufsgruppen)
o automatische Anerkennungsregel (für sieben spezifische Berufsgruppen)
Dienstleistungen (Art 56 AEUV)
Allgemeines
• Dienstleistungsfreiheit = Auffangfreiheit
o Abgrenzungskriterium (Niederlassung)
• fehlende Permanenz der Präsenz + Fehlen fixer Einrichtungen im Zielland
o Abgrenzungskriterium (Arbeitnehmerfreizügigkeit)
• Weisungsungebundenheit des Dienstleistungserbringers + keine Eingliederung
in die betriebliche Organisation eines Dritten (Arbeitgeber)
FÜM I
Europarecht
• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen
o BerufsqualifikationsRL / DienstleistungsRL / EntsendeRL
Persönlicher Schutzbereich
• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich juristischer Personen
o geschützt ist sowohl Erbringer als auch Empfänger der Dienstleistung
• wichtig – gleichgestellte Personen sind nicht berechtigt / drittstaatsangehörige Familienangehörige
eines EU-Bürgers können sich demnach nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen!
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = Anbieten oder Empfang einer Dienstleistung, einschließlich der
Anbahnung eines Dienstleistungsverhältnisses (zB durch Werbung)
o Dienstleistungsbegriff – vorrübergehende Tätigkeiten gegen Entgelt
• Bereichsausnahmen bestehen für
o hoheitliche Tätigkeiten
o Verkehrsdienstleistungen
o Kapitalverkehrsdienste
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle – gegeben bei
o aktiver Dienstleistungserbringung / passivem Dienstleistungsempfang über Grenze
o gemeinsamer Grenzüberschreitung von Empfänger und Erbringer (zB Reiseführer)
o Korrespondenzdienstleistungen (zB Internet/Telefon)
o auf das Ausland bezogene Dienstleistungen im Inland (zB Broker)
Eingriff
• liegt sowohl bei offenen (zB Inländervorbehalt für die Müllabfuhr) als auch bei versteckten (zB
Erfordernis der Niederlassung des Müllentsorgers im Inland) Diskriminierungen vor
• darüber hinaus erfasst die Dienstleistungsfreiheit auch alle sonstigen Beschränkungen, die geeignet
sind, die Ausübung grenzüberschreitender Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar,
tatsächlich oder potenziell zu behindern (volles Beschränkungsverbot)
o Rs. Säger (1991)
• gleich den anderen Grundfreiheiten greift zudem auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit
eine Kausalitätsgrenze – nur ganz ungewisse Auswirkungen einer Regelung auf die Attraktivität
der Ausübung dieser Freiheit verbleiben außerhalb des Anwendungsbereichs des Art 56 AEUV
Rechtfertigung
• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen
o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 62 iVm 52 AEUV – öffentliche
Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)
o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses
• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der
heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich
• Verfügbarkeit
o Rechtfertigungsgründe des Art 62 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse
hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen
• Verhältnismäßigkeit
o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung
dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,
erforderlicher und angemessener Weise verfolgt
FÜM I
Europarecht
o
im Fall, dass im Herkunftsland bereits eine Kontrolle hinsichtlich bestimmter Ziele erfolgt
ist, kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur dann gelingen, wenn
• im Inland entweder anders gelagerte (legitime) Ziele verfolgt werden
• oder (bei Übereinstimmung der Ziele) dargetan wird, warum die Kontrolle im
Herkunftsstaat zur Zielverfolgung nicht ausreichend ist
DienstleistungsRL
• deckt ein breites Spektrum an Dienstleistungsarten ab
o bestimmte sensible Dienstleistungen sind jedoch ganz bzw teilweise ausgenommen
o DienstleistungsRL postuliert dabei ein abgeschwächtes Herkunftslandprinzip – es erfolgt
also grdsl eine Anerkennung ausländischer Dienstleistungen
o dennoch, und hierin liegt die Abschwächung, dürfen die MS weiterhin Genehmigungen
und inhaltliche Anforderungen an DL in ihrem Hoheitsgebiet stellen (siehe S. 194)
EntsendeRL
• regelt das Mitbringen bzw die Verwendung eigenen Personals
o EntsendeRL erlaubt dabei die Entsendung von Arbeitnehmern in andere MS zur Erbringung
von Dienstleistungen für einen begrenzten Zeitraum (max zwei Jahre)
o für diesen Zeitraum werden Arbeitnehmer nach dem Ursprungslandprinzip behandelt
• allerdings schreibt die EntsendeRL auch während dieser Zeit die Beachtung
einzelner Mindestregeln des Ziellandes vor (sog Arbeitsortprinzip)
• Beispiele – Mindestentgeltsätze / bezahlter Mindestjahresurlaub / Höchstarbeitszeiten
und Mindestruhezeiten / Sicherheit / Gesundheitsschutz / etc
Kapitalverkehr und Zahlungsverkehr (Art 63 AEUV)
Allgemeines
• Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Überbegriff freier Kapitalverkehr)
o Zahlungsverkehr ist dabei weniger eine eigene Grundfreiheit als gewissermaßen eine
logische Folge der anderen Grundfreiheiten
Persönlicher Schutzbereich
• Besonderheit – Art 63 AEUV erfasst auch Kapital- und Zahlungsverkehr mit Drittstaaten
o Berechtigte sind demnach Staatsangehörigen der MS + Drittstaatsangehörige
Sachlicher Schutzbereich
• geschützte Verhaltensweise = alle rechtsgeschäftlichen und tatsächlichen Vorgänge für die
Übertragung bzw den Erwerb von Kapitalvermögen und Geldzahlungen
o Kapitalverkehrsbegriff – Verfügung über Geld oder Sachkapital (va Übertragung oder
Erwerb von Anlagevermögen, Geldanlagen, Investitionen udgl)
o Zahlungsverkehrsbegriff – Geldzahlungen aller Art (mit Bargeld oder Überweisung und
unabhängig vom zugrundeliegenden Rechtsgrund der Zahlung)
• Bereichsausnahme besteht für
o Einschränkungen im Kapital- und Zahlungsverkehr mit Drittländern bei Direktinvestitionen
/ Niederlassung / Finanzdienstleistungen / Zulassung von Wertpapieren, wenn
diese Einschränkung bereits vor der Liberalisierung des Kapitalverkehrs (1994) bestand
(und soweit nicht spezifisches Sekundärrecht erlassen wurde)
• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Kapital- oder Zahlungsvorgänge
FÜM I
Europarecht
Eingriff
• liegt sowohl bei offenen (zB Verbot des Erwerbs von Freizeitwohnungen durch Ausländer) als
auch bei versteckten (zB Gewährung von Förderungen im Wohnbau nur für im Inland aufgenommene
Darlehen) Diskriminierungen vor
• darüber hinaus erfasst die Dienstleistungsfreiheit auch alle sonstigen Beschränkungen, die geeignet
sind, den Kapital- und Zahlungsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell
zu behindern (volles Beschränkungsverbot)
o Rs. Elf-Aquitaine (2002) – „golden shares“
• im Schrifttum wird zudem diskutiert, ob im Rahmen des Art 63 AEUV auch eine Ausnahme
völlig neutraler Kapitalverkehrsvorschriften Platz greifen sollte (vgl Keck-Rsp)
o EuGH hat eine derartige Herausnahme reiner Marktverhaltensvorschriften aber bislang
nicht formuliert und sie ist seiner Rsp auch nicht implizit zu entnehmen
Rechtfertigung
• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen
o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 65 Abs 1 AEUV (sehr reduziert)
– MS ist es demnach lediglich erlaubt
• Steuerpflichtige je nach Ort des Wohnsitzes unterschiedlich zu behandeln
• sowie (verhältnismäßige) administrative Maßnahmen der Steuerkontrolle und
der Finanzaufsicht beizubehalten
o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses
• vgl va den Bereich grundverkehrsrechtlicher Genehmigungen (siehe S. 199)
• Verfügbarkeit
o Rechtfertigungsgründe des Art 65 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse
hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen
• Verhältnismäßigkeit
o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung
dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,
erforderlicher und angemessener Weise verfolgt
Wettbewerbsrecht (Art 101 – 109 AUEV)
Allgemeines
• Wettbewerbskapitel formal betrachtet nicht Teil des Binnenmarktkapitels
o faktisch besteht aber ein enger Zusammenhang
• Ziel des Wettbewerbsrechts – Errichtung eines einheitlichen Markts mit homogenen Bedingungen
für grenzüberschreitend tätige Unternehmen
o dabei soll sichergestellt werden, dass Unternehmen ausschließlich auf Basis der Qualität
ihrer Leistung miteinander in Konkurrenz treten (sog Leistungswettbewerb)
• Wettbewerbsrecht (ieS) – Kartelle (Art 101 AEUV) / Missbrauch marktbeherrschender Stellung
(Art 102 AEUV) / Fusionskontrolle (FusionskontrollVO) / staatliche Beihilfen (Art 107 AEUV)
• nicht Gegenstand des Wettbewerbskapitels sind sämtliche Normen des Lauterkeitsrechts sowie
die Immaterialgüterrechte (Wettbewerbsrecht iwS)
o beide genannten Bereiche gehören zum Binnenmarktrecht
Charakteristika der Wettbewerbsnormen
• Wettbewerbsrecht umfasst in erster Linie unternehmensgerichtete Bestimmungen – Kartellverbot
/ Marktmissbrauchsverbot / Fusionskontrolle
o enthält allerdings auch staatengerichtete Bestimmungen – zB Beihilfeverbot
• Unternehmensbegriff ist ident mit jenem der Grundfreiheiten
FÜM I
Europarecht
o Unternehmen iSd Unionsrechts ist demnach jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende
Einheit, unabhängig von der Rechtsform
• darunter fallen auch Selbständige (zB Ärzte, Rechtsanwälte, etc)
o Gewinnabsicht ist unerheblich, solange die Tätigkeit entgeltlich ist
• auch der soziale Charakter der erbrachten Leistung ist grdsl unerheblich
• Kriterium der Marktmacht
o beim Missbrauchsverbot sowie im Rahmen der Fusionskontrolle ist Marktmacht (bzw
deren Verstärkung) schon Tatbestandsvoraussetzung
o beim Kartellverbot und im Rahmen des Beihilfeverbots spielen die Größe und Art des
relevanten Markts eine Rolle für die sog Spürbarkeit sowie für die Frage der Rechtfertigungsfähigkeit
des Verhaltens – erforderlich ist daher eine Marktabgrenzung
• Nachfragesubstituierbarkeit + Angebotssubstituierbarkeit
• sämtliche wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen haben Direktwirkung
o wichtig – im Bereich des Beihilfeverbots besitzt nur das sog Durchführungsverbot des
Art 108 Abs 3 AEUV Direktwirkung, nicht aber der Grundtatbestand
o zudem ist im Wettbewerbsrecht die horizontale Direktwirkung nicht ausgeschlossen,
sondern sogar der Normalfall (weil ja an Private gerichtet)
• primäre Vollzugskompetenz liegt im Wettbewerbsrecht (anders als bei den Grundfreiheiten)
bei der Kommission / sie kooperiert dabei sehr wohl mit nationalen Wettbewerbsbehörden
und Gerichten, allerdings nach einer genau vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung
Kartelle (Art 101 AEUV)
Allgemeines
• Grundstruktur des Art 101 AEUV
o Abs 1 (Tatbestand) – grundsätzliches Verbot von Kartellen
o Abs 2 (Rechtsfolgen) – Nichtigkeit sämtlicher Rechtsakte, die unter Abs 1 fallen
o Abs 3 (Rechtfertigung) – sog Freistellung vom Verbot bei Vorliegen besonderer Gründe
• Freistellung greift dabei de lege, dh ohne dass die Kommission das Vorliegen der Rechtfertigung
vorab prüfen oder bestätigen müsste / ob die Rechtfertigungsründe letztlich zutreffen,
müssen die beteiligten Unternehmen daher selbst einschätzen (sog Selbstveranlagung)
Tatbestand (Abs 1)
• Tatbestand des Art 101 AEUV erfasst (1) Formen der Koordinierung des Marktverhaltens von
Unternehmen, die (2) einen Zwischenstaatsbezug aufweisen und auch (3) zu einer Wettbewerbsbeschränkung
führen
• (1) kartellrelevante Verhaltenskoordination
o Vereinbarung – liegt dann vor, wenn Unternehmen den gemeinsamen Willen zum Ausdruck
bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten
• Bindungswille ist nicht erforderlich (faktische Verbindlichkeit genügt)
• ausdrückliche Zustimmung ist nicht erforderlich (konkludente genügt)
o jedes sonstige abgestimmte Verhalten zwischen Unternehmen, das dem sog Selbständigkeitspostulat
entgegensteht – potenziell kartellrechtsrelevant sind also alle Formen
von Koordinierungen durch eine unverbindliche Zusammenarbeit von Unternehmen
o nicht verboten ist dagegen faktisch (zufälliges) Parallelverhalten von Unternehmen am
Markt, dem also keine Abstimmung zugrunde liegt
• (2) Zwischenstaatsbezug
o Art 101 AEUV erfordert eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels / es
müssen Unternehmen aus mehreren MS beteiligt oder (sonst) zumindest ein wesentlicher
Teil des Binnenmarkts von der Absprache erfasst sein
FÜM I
Europarecht
o allerdings wird der Zwischenstaatsbezug in der Praxis tendenziell weit ausgelegt – die
bloße Gefahr der Beeinträchtigung genügt
• (3) Wettbewerbsbeschränkung
o = jede Beschränkung der individuellen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eines Unternehmens
am Markt / hätte sich der Wettbewerb ohne Koordinierung also anders entwickelt,
liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor
o Beispiele (!) – Preiskartelle / Konditionenkartelle / Marktaufteilungsverträge / etc
o bestimmte Vereinbarungen sind dabei von vornherein verboten (sog Kernbeschränkungen)
– va Preis-, Absatz-, Produktions- oder Gebietsbeschränkungen
• daneben erfasst Art 101 AEUV auch sog bezweckte sowie auch bloß bewirkte
Wettbewerbsbeschränkungen (siehe S. 206)
Durchsetzung und Rechtsfolgen (Abs 2)
• Verstöße gegen das Kartellverbot prüfen
o (prioritär) die Kommission im direkten Vollzug
o (wenn die Kommission nicht selbst einschreitet) die nationalen Wettbewerbsbehörden
im dezentralen Vollzug (sog öffentliche Kartellrechtsdurchsetzung)
o zur Behandlung von auf das Kartellverbot gestützte Klagen und Einwendungen auch
die nationalen Gerichte (sog private Kartellrechtsdurchsetzung)
• Rechtsfolgen – absolute Nichtigkeit der kartellrechtlichen Verpflichtungen ex tunc
o dh Entfall der (zB in einem kartellrechtswidrigen Vertrag) niedergelegten Verpflichtungen
+ Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen
o im Rahmen der Kartellaufsicht der Kommission drohen überdies hohe Geldbußen (bis
zu 10 % des letzten Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens)
• im Rahmen des privaten Vollzugs zudem Schadenersatz
Rechtfertigung und Freistellung (Abs 3)
• vom Kartellverbot freigestellt sind (dem Kartelltatbestand unterliegende) Vereinbarungen,
o die zu einer Verbesserung der Warenerzeugung führen (sog Effizienzgewinne) +
o an der die Verbraucher auch beteiligt werden (sog Verbrauchergewinne)
• jeweilige Vereinbarung darf aber (ungeachtet der Effizienz- und Verbrauchergewinne) keine
Totalausschaltung des Wettbewerbs bewirken und darf auch sonst nicht über das hinausgehen,
was zur Effizienzsteigerung notwendig ist = Verhältnismäßigkeitsprüfung (!)
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art 102 AEUV)
Tatbestand
• Tatbestand des Art 102 AEUV erfasst (2) den Missbrauch (1) einer marktbeherrschenden Stellung
im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben eines oder mehrerer Unternehmen,
der (3) zwischenstaatlich handelsbeeinträchtigende Wirkungen hat
• (1) Marktbeherrschung
o ist gegeben, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Aufrechterhaltung wirksamen
Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern (dh wenn seine Größe ihm die
Möglichkeit zu sog marktunabhängigem Verhalten verleiht)
o zentraler Indikator ist dabei ein hoher Marktanteil, idR also Anteile ab 50 %
• letztlich entscheidend ist aber immer eine Gesamtbetrachtung aller Faktoren
• (2) Marktmachtmissbrauch
o Begriff des Marktmachtmissbrauchs ist objektiv, also von der tatsächlichen Intention
des Marktbeherrschers unabhängig
FÜM I
Europarecht
o Behinderungsmissbräuche = unsachliche Mitbewerberbehinderung (S. 208)
o Ausbeutungsmissbräuche = Ausbeutung der eigenen Arbeitnehmer/Partner (S.209)
• (3) Zwischenstaatsbezug
o siehe Kartellrecht
Durchsetzung und Rechtsfolgen
• siehe Kartellrecht
Fusionskontrolle (FusionskontrollVO)
Allgemeines
• Fusionskontrolle bezweckt die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Marktstruktur durch
vorsorgliche Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen
o FusionskontrollVO = materielle und verfahrensrechtliche Grundlage
Zusammenschlusstatbestand
• Gegenstand der Fusionskontrolle ist die Pflicht, bestimmte Zusammenschlussvorhaben von
Unternehmen vorab bei der Kommission zur Genehmigung anzumelden
o Fusionsbegriff – dauerhafte Veränderung der Kontrolle eines Unternehmens
• anzumelden ist aber nicht jeder Kontrollerwerb, sondern nur Fusionen von unionsweiter Bedeutung
– dh ab bestimmten Größe der beteiligten Unternehmen (sog Aufgriffsschwellen)
o diese Schwellenwertregelungen knüpfen dabei (1) an der absoluten Größe des Zusammenschlusses
oder (2) an dessen Auswirkungen in mehreren MS an
o unterhalb dieser Schwellenwerte sind ggf die nationalen Wettbewerbsbehörden auf
Basis der nationalen Fusionskontrollbestimmungen zuständig
Untersagungskriterien
• zwei unterschiedliche Gesichtspunkte / wird durch den geplanten Zusammenschluss
o Dominanztest – eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt?
o SIEC-Test – der wirksame Wettbewerb erheblich behindert?
• insgesamt ausschlaggebend ist zumeist der SIEC-Test, da er (über die reine Marktbeherrschung
hinaus) auch die wettbewerbsbeschränkenden Effekte des Zusammenschlusses prüft
Verfahren und Vollzugsverbot
• für Zusammenschlüsse von unionsweiter Bedeutung gilt Anmeldepflicht bei der Kommission
o Kommissionsverfahren selbst ist zweistufig – Vorprüfung + evtl Hauptprüfung
• bis zur Erteilung der Genehmigung für den Zusammenschluss gilt ein Vollzugsverbot
o dem Vollzugsverbot entgegenstehende Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam
und müssen uU rückgängig gemacht werden (sog Entflechtung)
Staatliche Beihilfen (Art 107 AEUV)
Allgemeines
• Zweck ist die Verhinderung staatlicher Eingriffe in den Leistungswettbewerb durch Bevorzugung
einzelner Unternehmen mittels wirtschaftlich werthaltiger öffentlicher Vorteile für diese
o wichtigste staatengerichtete Vorschrift des Wettbewerbskapitels
Beihilfetatbestand
• Tatbestand des Art 107 AUEV erfasst (1) wirtschaftliche Begünstigungen (2) staatlichen Ursprungs
(Veranlassung und Finanzierung), die an Unternehmen und (3) mit bestimmbaren Begünstigtenkreis
(also selektiv) gewährt werden und die (4) zu einer spürbaren (also nicht bloß
FÜM I
Europarecht
geringfügigen) Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen
Handels führen oder führen können – kumulative Voraussetzungen (!)
• (1) wirtschaftliche Begünstigung
o Formfreiheit des Begünstigtenbegriffs – erfasst ist jede wirtschaftliche Vergünstigung,
also jedweder geldwerte Vorteil (zB Direktförderungen, günstige Kredite, etc)
o zugleich bestimmt sich das Vorliegen einer Begünstigung rein nach den faktischen Wirkungen
der Maßnahme, also objektiv / dagegen bleibt die Intention der Maßnahme
auf der Ebene der Tatbestandsprüfung völlig außer Betracht
• (2) Staatlichkeit
o bedeutet, dass sowohl die Maßnahme selbst (Veranlassung) als auch ihre Finanzierung
der öffentlichen Hand (und nicht etwa Privaten) zurechenbar sein müssen
• dabei gilt der allgemein weite Staatsbegriff des Unionsrechts
• (3) Selektivität
o bedeutet, dass der Empfängerkreis des wirtschaftlichen Vorteils klar bestimmbar ist
• Rsp legt dieses Element aber weit aus, sodass letztlich nur Vorteile, die allen
Unternehmen in einem MS unterschiedslos gewährt werden, klar herausfallen
• (4) Spürbarkeit
o bereits die potenzielle Eignung der Beeinträchtigung des Wettbewerbs ist ausreichend
und (neben dem aktuellen) auch der bloß potenzielle Wettbewerb geschützt
• die Zwischenstaatsbeeinträchtigung fehlt demnach nur bei ganz kleinräumigen
Auswirkungen (zB rein lokalem Einzugsgebiet)
Genehmigungstatbestände
• drei Gruppen von Genehmigungstatbeständen (Rechtfertigungsgründen) für Beihilfen
o Voraussetzung ist, wie stets, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs
• Art 107 Abs 3 AEUV – zB Regionalförderung / Strukturförderung / Kulturförderung / etc
• Art 106 Abs 2 AEUV – besonderer Rechtfertigungsgrund für Beihilfen in der Daseinsvorsorge
• Art 107 Abs 2 AEUV – geringe praktische Bedeutung
Verfahren und Durchführungsverbot
• öffentliche Vollzug des Beihilferechts liegt primär bei der Kommission (Monopolstellung)
o flankierende Kontrollzuständigkeit nationaler Behörden ist absolute Ausnahme
• Anmeldepflicht für beihilfetatbestandsmäßige Maßnahmen vor ihrer Durchführung
o Kommissionsverfahren selbst ist zweistufig – Vorprüfung + evtl Hauptprüfung
o Kommission prüft das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen und erteilt ggf eine Genehmigung
für die beihilfetatbestandsmäßige Maßnahme / ohne bzw vor Genehmigung
darf die Beihilfe nicht gewährt werden - Durchführungsverbot (Art 108 Abs 3)
o wurde unvereinbare Beihilfe entgegen dem Durchführungsverbot bereits vorab gewährt,
kann die Kommission deren Rückforderung anordnen
• darüberhinausgehende Sanktionen (zB Geldbußen) gibt es nicht
• Kontrolle bestehender Beihilfen – bereits genehmigte Beihilfen können von der Kommission
auch neuerlich überprüft und ggf untersagt werden
• Durchführungsverbot – unmittelbare Wirkung (Direktwirkung)
o Einzelne können sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar darauf berufen, um
beihilfeverdächtige Maßnahmen von den nationalen Gerichten überprüfen zu lassen
o stellt nationale Gericht fest, dass Maßnahme unter das Verbot fällt, sind die zur Durchführung
gesetzten Maßnahmen absolut/relativ nichtig oder schwebend unwirksam
• Gericht kann dem Beihilfeempfänger entsprechend die Rückzahlung (Beseitigung,
Unterlassung) der erhaltenen Vorteile auftragen