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Zusammenfassung des gesamten Europarechts Buch

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FÜM I

Europarecht

I. Eingrenzung des Europarechts

Definition

Verschiedene Definitionen für den Begriff „Europa“

• geografische Definition → exklusiver Europabegriff (unverrückbare geografische Merkmale)

• kulturell-historische Definition → ebenfalls exklusiver Europabegriff, soweit sie historische Unterschiede

einzementiert und kulturellen Wandel negiert

• politische Definition (Wertegemeinschaft) → inklusiver Europabegriff. Sie öffnet den Europabegriff

für jede soziale Gemeinschaft und jedes Individuum, die sich zu den europäischen Werten

bzw. europäischen „Verfassung“ und ihren Werten bekennen. Dieser Begriff schreitet dynamisch

mit der Fortentwicklung der Gesellschaft voran und ist entsprechend anpassungsfähig.

Europäischer Verfassungsbegriff – Problematik

• Man weiß nicht ob Staatenbund oder Bundesstaat angesteuert wird

• Staatstheorie meint mit Verfassung den zentralen Rechtsbestand einer staatlichen Einheit

• ob als Ziel der EU tatsächlich eine solche staatliche Einheit angestrebt wird, ist umstritten

o daher anstatt „Verfassung“ schlicht „Primärrecht“

• Im geografischen bzw. historischen Europa bestehen jedoch mehrere parallele Integrationsstränge

bzw. zwischenstaatliche Kooperationsmodelle. Sie schaffen einen überstaatlichen

Rechtsband, der einen Anknüpfungspunkt für eine offenere, pol. Eingrenzung des Europabegriffs

bilden könnte (zB Europarat, OSZE, EFTA, NATO).

Recht der Europäischen Union

Eingrenzung – Europarecht

• Europarecht= vom EU-Gesetzgeber erzeugtes Recht

• Europarecht/Unionsrecht/EU-Recht umfasst

o primärrechtliche Rahmen der EU (EUV, AEUV, Protokolle, GRC …),

o das auf dieser Basis von den Unionsorganen erzeugte Sekundärrecht (VO, RL, Beschlüsse

..., aber auch internationale Abkommen der EU (WTO-Abk, EWR-Abk …)

o Die Eingrenzung gilt außerdem unabhängig davon, ob das so erzeugte Recht für alle

MS oder nur für einen Teil gilt (zB „Verstärkte Zusammenarbeit wurde begründet).

Ebenso unerheblich ist es auch, ob neben EU-Staaten auch Nicht-EU-Staaten in den

fraglichen Rechtsbestand miteinbezogen sind, wie dies zB beim die Abschaffung der

Grenzkontrollen betreffenden Schengen-Regime (etwa auch Island, Norwegen, Liechtenstein)

oder bei der (zB die Türkei mit einbeziehenden) Zollunion der Fall ist).

Abgrenzung – Völkerrecht

• VR ist nicht Teil des EU-Rechts

• kann aber Teil davon werden → Einbeziehung in EU-Rechtsordnung erfolgt dabei

o entweder schon aufgrund primärrechtlicher Anordnung (UN-Charta, EMRK …)

• VR steht dann auf einer Stufe mit dem Primärrecht

o oder aber als Folge der Beteiligung der EU an völkerrechtlichen Abkommen

• VR steht dann im sog. Mezzaninrang = zwischen Primär- und Sekundärrecht


FÜM I

Wozu Europarecht?

Utilitaristische Perspektive

Europarecht

• Europa funktioniert, weil bzw solange es nützlich ist – mehrere Nützlichkeitserwägungen:

o EU als Friedensprojekt

• Gemeint ist das Bestreben einer stabilen Friedenssicherung auf dem europäischen

Kontinent nach und seit den 2. WK. Zu Beginn betraf dies D&F, aber

durch EGKS-Vertrag 1951 wurde die damals kriegsrelevante Produktion von

Kohle und Stahl von beiden Staaten abgebeben und an eine unabhängige,

überstaatliche Behörde übertragen. Idee der Stabilisierung der politischen

Verhältnisse fungiert bis heute als Legitimationsfaktor der europäischen Einigungs-

und Erweiterungspolitik

o

o

o

EU für kleinere MS als Machthebel politischen Einflusses

• Europarecht erlaubt wechselseitige Einflussnahme auf EU-interne Angelegenheiten

anderer. Je mehr Bereiche von der Integration erfasst werden und je

weiter die Beschlussfassung vom Einstimmigkeitsprinzip abgelöst ist, desto

größer ist dieser Einfluss.

• EU-extern erhöht gemeinsames Auftreten globales Gewicht der eigenen

Stimme. Die Integration bewirkt hier auch eine Aufwertung der Bedeutung der

Einzelstaaten und besonders kleiner Staaten.

EU als Marktopportunität für Wirtschaftstreibende

• gemeinsamer Binnenmarkt weitet das Handelsvolumen insgesamt aus (vgl.

Adam Smith)

EU als sozialpolitisches Projekt ("soziales Europa")

• EU als Garant eines Europäischen Sozialmodells

• Gewährleistung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts

der EU → sog Kohäsionspolitik

• Nützlichkeit der EU ist dabei ein Gradmesser ihrer (politischen) Legitimität

o dh solange die EU von allen MS als nützlich empfunden wird, hat sie stabile Bestandsaussichten

→ "théorie de la bicyclette" (So, wie ein Fahrrad umfällt, wenn nicht andauernd

auf die Pedale getreten wird, kollabiert auch eine EU, die integrationspolitisch

zum Stillstand kommt - W. Hallstein, erster Kommissionspräsident)

• Antwort auf Polykrise war das Weißbuch zur Zukunft Europas mit 5 Szenarien

o Weiter wie bisher

o Fokus nur auf Binnenmarkt

o Koalition der Willigen

o Konzentration auf große gemeinsame Aufgaben und Rückzug aus kleineren Gebieten

o Generelle Vertiefung der Integration

Praxisperspektive

Das Europarecht ist für die Praxis relevant, weil es innerhalb des nationalen Rechtsgefüges eine zweite,

neben dem staatlichen Recht stehende und dabei völlig autonome Rechtsordnung darstellt. Gleichzeitig

erfasst diese Rechtsordnung so viele Bereiche, dass die Zahl der Rechtsmaterien ohne europarechtliche

Vorgaben bzw. zweite europarechtliche Prüfebene sehr klein geworden ist.


FÜM I

Europarecht

Das ER ist letztlich eine vom VR verschiedene Materie: Das ER fußt zwar auf dem VR, da die Gründungsverträge

der EU internationale Abkommen waren bzw. sind. Sehr rasch hat sich die Materie jedoch

weit über das VR hinausentwickelt und steht heute nach seinen Merkmalen und seiner Funktionsweise,

aber auch bei der Ausgestaltung der Organe dem staatl. Recht weit näher bzw. ist diesem

ähnlicher als dem VR. EU-Recht ist aber weder VR noch staatl. Recht, sondern eine Rechtsordnung

eigener Art (sui generis-Charakter). Dies hat der EuGH schon früh in der Rechtssache van Gend (1963)

klargestellt.

• Van Gand& Loos

o Van gend importiert Chemikalien von D nach NL und es gab eine Stillhalteverpflichtung

bei Zöllen. Van Gend meinte sie wurden regelwidrig erhöht. Kann er sich überhaupt

unmittelbar berufen??

o EWG Vertrag berührt Staaten und Staatsbürger. Es stellt eine neue Rechtsordnung

des Völkerrechts dar und so werden die Staaten (ein wenig) in ihrer Souveränität und

Handlungsfreiheit eingeschränkt und Einzelnen werden item Rechte verliehen

Völkerrecht

Gründungsverträge

Völkerrecht

ER basiert auf völkerrechtlichen Verträgen

Europäische Politik/Gesetzgebung von multilateraler

Diplomatie und Methodik geprägt

• Gasp

• Einstimmigkeitserfordernisse/ Konsensmethode

im Rat

• Sperrminorität

zB Protokolle/ Erklärungen zu EUV/AEUV

Staatenrecht

Ausgestaltung der Organe

Eigene Rechtsmaterie

ER weit über Völkerrecht hinaus entwickelt

Konstitutionalisiserungsprozess → Annäherung

an staatentypische Merkmale

1. Rechtsqualität/ Rechtswirkungen→

„Supranationalität“ statt Souveränität

2. Institutionell/ prozedural→ Gemeinschaftsmethode

Unionsmethode – bezeichnet die Eigenheiten des Europarechts im Bereich der Ausgestaltung seiner

handlungsbefugten Organe und Verfahren – dazu zählen:

• Initiativmonopol der Kommission bei der Gesetzgebung

• Regelfall der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat

• Aufwertung des Parlaments zum Ko-Gesetzgeber (in den meisten Unionsbereichen)

• unmittelbare Vollzugseignung des EU-Rechts (wenn justiziabel)

• vollwertige gerichtliche Kontrolle (EuGH & EuG)

Supranationalität – bezeichnet die besondere Rechtsqualität von Unionsrecht – charakteristisch sind:

• Autonomie des Unionsrechts

o autonomer Geltungsanspruch + eigene Begriffe und Methoden

• unmittelbare Geltung des Unionsrechts

o keine Wahlfreiheit der MS hinsichtlich der Geltung von EU-Recht


FÜM I

Europarecht

• unmittelbare Anwendbarkeit (sog Direktwirkung) des Unionsrechts

o (justiziables) EU-Recht verschafft Einzelnen unmittelbare individuelle Berechtigungen

o jede unmittelbar anwendbare Unionsrechtsnorm bildet dabei eine taugliche Anspruchsgrundlagen

vor nationalen Gerichten

• Vorrang von Unionsrecht vor nationalem Recht

o Konfliktlösungsregel: Unionsrecht (jeder Stufe) geht nationalem Recht (jeder Stufe;

vorbehaltlich eines integrationsfesten Kerns) vor → sog Anwendungsvorrang

o nationales Recht wird dabei nicht vom Unionsrecht derogiert, sondern lediglich von

diesem überlagert (iS eines Vorrangs)

o Rs. Costa / E.N.E.L. (1964)

• Staatshaftung

o Grundsatz, dass die MS gegenüber Einzelnen für Schäden aufgrund von staatlichen

Verstößen gegen Garantien des Unionsrechts haften / subsidiärer Rechtsbehelf (!)

o Rs. Francovich und Bonifaci (1991)


FÜM I

Europarecht

II.

Geschichtlicher Abriss

Anfänge: Zweiter Weltkrieg bis Mitte der 1960er Jahre

Zeittafel

• 2. Sep 1945 → Ende II WK

• 19. September 1946 → Churchill fordert Gründung der Vereinigten Staaten von Europa

• 5. Mai 1949 → Europarat wird gegründet (Sitz Straßburg)

• 1950 → Schuman-Plan ist ein grundlegender politischer Plan für eine Zusammenlegung

der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion nach dem Zweiten Weltkrieg

– wurde vom damaligen franz. Außenminister Schuman gegründet

• 18. April 1951 → Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) – in Kraft 1952

o War ein europäischer Wirtschaftsverband und ein Vorläufer der EG. EGKS verfolgte

das Ziel, den Gründerstaaten (F, Ita, D, BeNeLux) freien Zugang zur Produktion von

Kohle & Stahl zu sichern und zwischen den Gründerstaaten einen gemeinsamen Markt

zu schaffen

• 1./2. Juni 1955 → Konferenz von Messina: Beschluss, den europäischen Einigungsprozess

auf die Wirtschaft als Ganzes auszuweiten.

• 25. März 1957 → Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) & Europäische

Atomgemeinschaft (Euratom) wurden in Rom beschlossen (Römer-

Verträge) – in Kraft jeweils 1958

o

o

o

o

EWG-Vertrag erweiterte das Freiverkehrsmodell des EKGS-Vertrags (Kohle & Stahl)

auf weitere Wirtschaftsbereiche (Warenverkehr allgemein, Dienstleistungen, Personen/Unternehmen

und Kapital)

EWG-Vertrag bildete dabei die wirtschaftliche Grundlegung der EU und wird deshalb

auch als das sog Rückgrat der europäischen Integration bezeichnet

Politisch wurde erst 1992 durch Maastricht ein Fortschritt erzielt

von den Gründungsverträgen (EGKS, EWG und Euratom) besteht heute nur noch der

Euratom-Vertrag; EGKS-Vertrag war auf 50 Jahre befristet; EWG-Vertrag (später EG-

Vertrag) wurde mit Vertrag von Lissabon (2009) aufgehoben und durch AEUV ersetzt

• 20. Juli 1963 → Erste Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und 18 afrikanischen

Ländern in Jaunde

• 18. April 1965 → Fusionsvertrag – in Kraft 1967

o

o

Fusion der Exekutiven der drei Gemeinschaften (EGKS, EWG und Euratom) – Geburtsstunde

der Kommission; ergo: Hohe Behörde (EGKS) und beide Kommissionen (EWG,

EURATOM) zu einer Kommission verschmolzen; Besonderer Ministerrat (EGKS) und

beide Ministerien (EWG, EURATOM) wurden zu einem Ministerrat verschmolzen

Folge – wirtschaftlichere Verwaltung + deutliche Stärkung der (nun geeinten) Organe

im Verhältnis zu den MS


FÜM I

Konsolidierung: Mitte 1960er bis Mitte 1980er Jahre

Zeittafel

Europarecht

• 30. Juni 1965 → Politik des leeren Stuhls

o Verhandlungen über den Übergang vom Einstimmigkeitsprinzip im Rat zu ersten Bereichen

mit Mehrheitsbeschluss scheiterten

o Frankreich (das damals den Vorsitz im Rat hatte) brach die Verhandlungen ab (leerer

Stuhl) und löste eine siebenmonatige Krise der EWG aus

• 29. Jan 1966 → Luxemburger Kompromiss

o Kompromiss iZm Frankreichkrise – auch in Bereichen, wo Mehrheitsbeschlüsse im Rat

formal möglich wären, können in Einzelfällen geltend gemachte vitale Interessen der

MS geschützt werden (in solchen Fällen gilt Konsensmethode)

• Juli 1968 → Abschaffung der Binnenzölle zwischen MS und Einführung des gemeinsamen

Zolltarifs

• 1./2. Dezember 1969 → Gipfel von Den Haag, wo die Staats- und Regierungschefs die

Vertiefung des Europäischen Einigungsprozesses beschließen und damit den Weg für die erste

Erweiterung öffnen

• 22. April 1970 → Eigenmittelvertrag: Vertrag zur schrittweisen Finanzierung der EWG

durch Eigenmittel neben den Beiträgen der Staaten (Zölle, Mehrwertsteueranteil, Bußen), korrespondierend

Erweiterung der Kontrollbefugnisse des Europäischen Parlaments.

• 1. Januar 1973 → erste Erweiterung, Dänemark, Irland und Vereinigtes Königreich

• Juni 1979 → erste Direktwahlen zum Europäischen Parlament

• 1981 → zweite Erweiterung, Griechenland

• 14. Juni 1985 → Schengen-Übereinkommen (Abschaffung der Grenzkontrollen)

• 1. Januar 1986 → dritte Erweiterung, Spanien und Portugal

• Feb 1986 → Einheitliche Europäische Akte – in Kraft 1987

o erste grundlegende Reform der Gründungsverträge; zwei Hauptziele

• Schaffung eines vollwertigen Binnenmarktes und

• Flankierende institutionelle Reformen, die die Verwirklichung dieses Ziels erleichtern

(zB Ausweitung der Mehrheitsbeschlüsse)

Vertiefung und Euphorie: 1989 bis 2004

Zeittafel

• 9. November 1989 → Fall der Berliner Mauer

• 7. Feb 1992 → Vertrag von Maastricht – in Kraft 1993

o Dreisäulenmodell:

• Zusammenfassung der drei Gemeinschaften EWG, EGKS und Euratom (1.

Säule) – ersetzt Römer Verträge

• Institutionalisierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Außenpolitik und

Verteidigung (2. Säule)

• sowie in den Bereichen Polizei und Justiz (3. Säule)

o etablierte auch neue Politiken (GASP; Wirtschafts- und Währungsunion) und erweiterte

die Befugnisse des Parlaments um das sog Mitentscheidungsverfahren (dh ein

vollwertiges Mitspracherecht/Vetorecht in der Gesetzgebung)

• Juni 1993 → Kopenhagener Kriterien der Osterweiterung

• 2. Okt 1997 → Vertrag von Amsterdam – in Kraft 1999

o Kleinere Vertragsreform mit Hauptziel Erhaltung der Handlungsfähigkeit bei Erweiterung


FÜM I

Europarecht

• 16. Feb 2001 → Vertrag von Nizza – in Kraft 2003

o Weitere institutionelle Reformen; Verkündung der Europäischen Charte der Grundrechte

• 2001: Erklärung von Laeken zur Zukunft der Union; Einrichtung des Konvents zur Erarbeitung

einer Eur Verfassung

• 2002: Einführung des Euro-Bargelds in 12 MS

• 1. Mai 2004 → fünfte Erweiterung, Zypern, Tschechien, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen,

Malta, Polen, Slowakei und Slowenien

• 29. Okt 2004 → Entwurf eines Europäischen Verfassungsvertrags

o getragen von verstärkten politischen und akademischen Diskussionen zur Finalität Europas

(insb rund um die Bundesstaatsidee)

o beinhaltete umfangreiche institutionelle und prozedurale Reformen sowie auch einiges

an staatlicher Symbolik (Europahymne, Flagge etc.)

Krisenphase: 2005 bis jüngste Zeit

Zeittafel

• Juni 2005 → Ablehnung des Europäischen Verfassungsentwurfs

o Referenden in F und NL erteilten der (in der Verfassung steckenden) staatlichen Symbolik,

dem quasistaatlichen Machtanspruch sowie der bundesstaatlichen Finalität Europas

nachhaltig Absagen

• 1. Januar 2007 → sechste Erweiterung, Bulgarien und Rumänien

• 13. Dez 2007 → Vertrag von Lissabon – in Kraft 2009

o Vertrag von Lissabon bildete eine um jegliche staatsartige Symbolik bereinigte Version

des (zuvor abgelehnten) Verfassungsvertrags

o setzte zudem umfassende inhaltliche Reformen um – insbesondere wurde die EG beendet

und das Dreisäulenmodell aufgelöst, an dessen Stelle als einziger Rechtskörper

die (heutige) EU trat

• ab 2007 → Finanz- / Wirtschaftskrise (Grexit, moral hazard, Austeritätspolitik)

o überging ab 2009 in eine Schuldenkrise der Euro-Länder (sog Eurokrise)

o konnte über die Finanzvehikel des sog Euro-Rettungsschirms und durch Übertragung

einzelner Kontrollrechte an die EU vorerst abgefedert werden

• 1. Juli 2013 → siebte Erweiterung, Kroatien

• ab 2014/15 → Flüchtlingskrise

o gemeinsame Verteilung der Flüchtlinge scheiterte ebenso wie eine effektive Kontrolle

der Außengrenzen – als Folge wurden zuerst das Dublin-System sowie später (temporär)

auch das Schengen-System außer Kraft gesetzt

o Flüchtlingsdruck nahm Anfang 2016 aufgrund von Rückführungsabkommen und

Grenzschutzkooperationen kontinuierlich ab

• ab 2016/17 → erstmalige Einleitung eines Art 7 EUV Verfahrens gg Polen wegen Gefährdung

der Grundwerte

• Juni 2016 → Brexit

o bevorstehender Austritt Großbritanniens aus der EU (rechtliche Grundlage dafür

wurde erst mit dem Vertrag von Lissabon geschaffen) / findet keine Fristverlängerung

statt, wird GBR ab 30.9.2019 nicht mehr EU-Mitglied sein

• 1. März 2017 → 60-Jahr-Jubiläum der Römer Verträge vor dem Hintergrund gehäufter

Krisenphänomene (sog. Poly-Krise); Weißbuch zur Zukunft Europas als Ansatzpunkt

einer Debatte über die grundlegende Neuausrichtung der weiteren Integration


FÜM I

Europarecht


FÜM I

Europarecht

III. Rechtsquellen

Primärrecht

Umfang

• bildet das Recht der höchsten Stufe

• Primärrecht umfasst zunächst die Grundlagenverträge:

o Vertrag über die Europäische Union (EUV)

o Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)

• weiters zählen zum Primärrecht:

o Charta der Grundrechte (GRC)

o Beitrittsakte (= Verträge über den Beitritt neuer MS bzw auch über den Austritt)

o zahlreiche Protokolle + zwei Anhänge zu den Verträgen

o allgemeine Rechtsgrundsätze

EUV

Grundprinzipien des Organhandelns (Loyalität,

Subsidiarität, begrenzte Einzelermächtigung)

Werte und Ziele+ Schutz

Grundlagen der differenzierten Integration

Verfahren über Vertragsänderung (Primärrechtsänderung)

Beitritt/ Austritt

GASP

AEUV

Führt va die zahlreichen Politiken der EU

und enthält die dafür jeweils einschlägigen

Rechtsetzungsgrundlagen

Unionsbürgerschaft/ Binnenmarkt/ Wettbewerb

Justizielle und polizeiliche Zusammenarbeit

Kompetenzkatalog über Struktur und die

internen gemeinsamen Verfahren der Organe

• Abgesehen von Verträgen gehören ebenfalls gleichrangig die allg. Rechtsgrundsätze, wie sie

sich insbes. aus den gemeinsamen Rechtstraditionen der MS (zB im Bereich der Grundrechte,

aber auch in Rechtssicherheit oder Vertrauensschutz) oder dem VR (etwa Grundsatz des guten

Glaubens, Prinzip des PACTA SUNT SERVANDA, Territorialprinzip, usw.) ergeben.

• Erklärungen zu den Verträgen sind nicht Teil des Primärrechts, sondern dienen nur als Auslegungshilfe.

Handelt es sich aber um gemeinsame Erklärungen aller MS, so sind diese (hinsichtlich

der vorgegebenen Auslegung) bindend

Sekundärrecht

Typische Rechtsakte

• Sekundärrecht ist das vom Primärrecht abgeleitete Recht, das also auf Basis primärrechtlicher

Rechtsetzungsermächtigungen erzeugt wurde. Es ist also zunächst internes Gesetzesrecht,

also Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren iSd Art 289 AEUV erzeugt werden:

o Verordnung

o Richtlinie typische Rechtsakte (Art 288 AEUV)

o Beschluss

o Etc.

• Basis der Rechtserzeugung hat eine im Primärrecht enthaltene, spezifische Rechtsetzungsgrundlage

zu sein (zB Art 114 AEUV für die allgemeine Binnenmarktgesetzgebung)


FÜM I

Europarecht

Atypische Rechtsakte

• weitere Rechtsakte, die auf die Institutionen in der Praxis zurückgreifen und deren Rechtswirkungen

(va Drittverbindlichkeiten) sich im Einzelfall unterscheiden.

o Mitteilungen

o Leitlinien atypische Rechtsakte

o etc

Externes Recht + Interinstitutionelle Vereinbarungen

• auch das externe Recht – also völkerrechtliche Verträge – gehört zum Sekundärrecht. Das

Rechtserzeugungsverfahren, also das Verfahren für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge,

richtet sich nach Art. 218 AEUV. Art. 216 AEUV ordnet intern die Verbindlichkeit solcher Abkommen

für die Organe der EU an, was für diese im Wesentlichen eine Umsetzungspflicht bedeutet.

o

Es bedeutet aber auch, dass sie dabei aber auf einer Zwischenstufe zwischen dem (höherrangigen)

Primärrecht und dem (niederrangigen) Sekundärrecht – sog Mezzaninrang

– stehen.

• Schließlich zählen auch interinstitutionelle Vereinbarungen zwischen den Organen (vgl. Art.

295 AEUV), in denen Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen den Organen festgelegt sind,

zum Sekundärrecht

Tertiärrecht

Delegierte Rechtsakte

• Begriff Tertiärrecht meint iW delegierte Rechtsakte iSd Art 290 AEUV

o Delegierte Rechtsetzung erfolgt durch die Kommission; die erlassenen Rechtsakte haben

keinen Gesetzescharakter (sondern eben Verwaltungsrechtscharakter).

o Art. 290 AEUV ermächtigt die Kommission zur Ergänzung oder Änderung bestimmter

nicht wesentlicher Vorschriften eines (in Gesetzesrang stehenden, also höherrangigen)

Basisrechtsakts.

Durchführungsrechtsakte?

• Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV werden zwar gerne zum Tertiärrecht gezählt,

was aber systematisch unrichtig ist – im Rahmen der Durchführung kommt der Kommission

(anders als bei den delegierten Rechtsakten) nämlich kein eigenes Regelungsermessen zu

• Sie ebenfalls zum Tertiärrecht zu zählen verschleiert das wesentliche Merkmal des Tertiärrechts

(nämlich die Befugnis zur Änderung nicht wesentlicher Teile eines Basisrechtsakts) und

erschwert schlicht die Unterscheidung zwischen dem Tertiärrecht und herkömmlichem Verwaltungsvollzugsrecht.

Rechtsvollzug

Allgemeines

• Vollzug meint die Anwendung des Rechts im Einzelfall (individuell-konkret) oder auf eine bestimmte

Gruppe von Sachverhalten (generell-abstrakt). Beschlüsse oder DurchführungsVO bilden

zB das Recht der niedrigsten Stufe innerhalb des unionsrechtlichen Stufenbaus.


FÜM I

Europarecht

Grundsatz der Verfahrensautonomie

• tragender Grundsatz des Unionsrechtsvollzugs ist dabei der Grundsatz der Verfahrensautonomie

der MS

o Rechtsanwendung (Vollzug) fällt dabei grdsl in die ausschließliche Zuständigkeit der

Behörden und Gerichte der MS, ist also von diesen sicherzustellen. Vgl. Art. 19 Abs. 1

EUV und Art. 291 Abs 1 AEUV. Bleibt der mitgliedstaatliche Vollzug hinter dieser Vorgabe

zurück, ist also eine effektive Anwendung der EU-rechtlichen Vorgaben nicht gewährleistet,

greifen als Korrektive zur Verbesserung der Durchsetzung das Äquivalenzund

Effektivitätsprinzip ein.

Ausnahme: Unionsrechtsvollzug

• In einzelnen Materien (bspw im Wettbewerbsrecht nach den Art. 101 bis 109 AEUV) ist der

Vollzug aber der EU selbst (ganz oder teilweise) zugewiesen

• Auch die Durchführungsrechtsetzung iSd Art. 291 AEUV – also die Vorgabe unionsweit einheitlicher

Bedingungen für die Durchführung von EU-Rechtsakten – gehört in den Bereich des Unionsrechtsvollzugs

Stufenbau der Europarechtsordnung

Rangordnung

• ein klassischer Stufenbau der Rechtsordnung lässt sich im europarechtlichen Kontext nur eingeschränkt

illustrieren, wenngleich er für das Verständnis der Europarechtsordnung durchaus

wertvoll sein kann (insb zum Verständnis des Anwendungsvorrangs)

• (undogmatisch verstandener) Stufenbau:

o Primärrecht steht an höchster Stufe (und bildet somit den höchsten Maßstab der Vereinbarkeitsprüfung

für andere Rechtsnormen)

o unter dem Primärrecht steht das allgemeine Sekundärrecht, dazwischen die völkerrechtlichen

Abkommen der Union (Mezzaninrang)

o erst darunter kommt dann nationales Recht (inkl Verfassungsrecht) – dies gibt zu erkennen,

dass Unionsrecht jeder Stufe grdsl nationalem Recht jeder Stufe vorgeht

Solange-Doktrin

• 1974 hat das deutsche BVerfG erstmals den allgemeinen Grundsatz der Vorrangwirkung von

Unionsrecht im Verhältnis zu nationalem Recht in Frage gestellt

• Grund dafür waren nachweisliche Defizite im Bereich des Grundrechtsschutzes auf Unionsebene,

in Folge das BVerfG den Grundsatz des integrationsfesten Kerns entwickelte – Bereiche,

die zum unveräußerlichen Kern der Verfassungsordnung gehören, könne die Vorrangwirkung

des EU-Rechts nicht erfassen

• Ausdruck dieser drohenden Verweigerung des Anwendungsvorrangs für den Fall, dass unveräußerliche

Verfassungsgarantien verletzt würden, ist das Solange I Urteil aus 1974 – "Solange

das Gemeinschaftsrecht keinen ausreichenden Grundrechtsschutz gewährleiste, behalte sich

das BVerfG eine Grundrechtsprüfung gegenüber Rechtsakten der Union vor"

o Dt. BVerfG Solange I (1974)

• auch wenn das deutsche BVerfG dem Unionsrecht praktisch noch nie ausdrücklich die Gefolgschaft

verweigert hat, so verstärkte die (damalige) EWG als Reaktion auf die Drohungen

Deutschlands ihre Bemühungen im Bereich des Grundrechtsschutzes deutlich


FÜM I

Europarecht

• 1986 erklärte das deutsche BVerfG schließlich, dass es die Bemühungen der EWG für so ausreichend

erachte, seine vorbehaltene Nachprüfungskompetenz gegenüber EU-Recht bis auf

weiteres (dh solange die Grundrechtsgarantien auf EU-Ebene ausreichen) nicht auszuüben

o Dt. BVerfG Solange II (1986)

• diese Entwicklungen zeichnen seither mehrere Urteile des deutschen BVerfG nach, in denen

durchgängig eine Verletzung des GG durch Unionsrecht abgelehnt und dem Anwendungsvorrang

Beachtung geschenkt wurde

• selbst im vieldiskutierten Urteil Solange III aus 2015, wo das deutsche BVerfG im Ergebnis das

Unionsrecht unangewendet ließ, wurde dies aus einem behaupteten Gleichklang der unionsrechtlichen

und der deutschen Grundrechtsgebote hergeleitet

o Dt. BVerfG Solange III (2015)

• ausdrücklich anerkannt hat der EuGH einen integrationsfesten Kern im Recht der MS aber bis

heute nicht (auch wenn er sich diesem Prinzip größtenteils angenähert hat)

Integrationsfester Kern

• = kleiner Kernbereich des nationalen Verfassungsrechts (verfassungsrechtliche Baugesetze

+ Grundrechte), in den das Unionsrecht nicht eingreifen darf

• Praxisperspektive – greift dennoch ein Rechtsakt der Union in die Baugesetze des nationalen

Verfassungsrechts (also in den integrationsfesten Kern) ein, so entfaltet der jeweilige Rechtsakt

keinerlei Vorrangwirkung, sondern tritt hinter das nationale Verfassungsrecht zurück


FÜM I

Europarecht

IV. Organe

Allgemeines

Organe der EU (Art. 13 EUV)

• Europäische Parlament (EP) / Europäische Rat / (Minister-)Rat / Europäische Kommission / Gerichtshof

der EU / Europäische Zentralbank (EZB) / Rechnungshof – Abs 1

• weitere Organe – Abs. 4

o Wirtschafts- und Sozialausschuss

o Ausschuss der Regionen

• Organe des Abs 1 haben eigenständige Befugnisse im System der Wahrnehmung der Aufgaben

der EU / Organe des Abs 4 spielen dagegen nur eine Rolle der Unterstützung und Beratung von

Parlament, Rat und Kommission

• Amtsträger eines Organs sind die mit den Organen in den Medien verbundenen Gesichter und

Personen. Dies gilt insbesondere für den Ständigen Ratspräsidenten (Donald Tusk), die Hohe

Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik (Federica Mogherini), den Kommissionspräsidenten

(Jean-Claude Juncker) und den Parlamentspräsidenten (Antonio Tajani).

Grundsätze des organschaftlichen Handelns (Art 13 EUV)

Art 13 Abs 1 EUV

Sämtliche Organe haben Auftrag:

• Gebot der Kohärenz des erzeugten Rechts

o = Abstimmung institutioneller Maßnahmen zur Erreichung der Ziele der EU

• Effizienz der Abläufe und Strukturen der Organe

o insb eine bürgeroffene, ressourcenarme und unabhängige Verwaltung

• Gebot der Kontinuität des erzeugten Rechts

o Organe sollen Rechtssicherheit und den Schutz berechtigten Vertrauens der Rechtsunterworfenen

in begründete Erwartungen gewährleisten

Art 13 Abs 2 EUV

• Grundsatz der Legalität des Organhandelns (= Bindung der Organe an die Gesetze)

o jede Handlung eines Organs muss auf passende Rechtsgrundlage rückführbar sein

o innerhalb der EU übertragenen Kompetenzen (= vertikale Kompetenzverteilung) muss

eine konkrete Rechtsgrundlage gefunden werden

o aus dieser Rechtsgrundlage ergibt sich

• in welchem Umfang und

• mit welchen Mitteln die EU handeln darf und

• welche Organe dazu wie (dh nach welchem Verfahren) berufen sind

o Organhandeln ist demnach nur dann unionsrechtskonform (iSv Legalität), wenn sowohl

die vertikalen als auch die horizontalen Voraussetzungen (siehe sogleich) der Befugnisübertragung

eingehalten werden

• Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts

o die den Organen im Verhältnis zueinander übertragenen Handlungsbefugnisse (= horizontale

Kompetenzverteilung) streben ein Machtgleichgewicht zwischen den Organen

an, dass nicht durch Befugnisüberschreitungen verletzt werden darf

• horizontales Loyalitätsgebot

o bedeutet gegenseitige Unterstützung bei der Erfüllung der Aufgaben und insb

Nichtobstruktion / besteht auch vertikal zwischen EU und MS


FÜM I

Parlament (Art 14 AEUV)

Aufgaben

Europarecht

• Gesetzgebung

o Ausformulierung und Beschlussfassung von EU-Rechtsvorschriften (Gesetzgebung ieS)

• erfolgt im Zusammenwirken mit Rat und Kommission

o Ratifikation (Gesetzgebung iwS) – Entscheidung über die Zustimmung zur Inkraftsetzung

internationaler Abkommen (ebenfalls gemeinsam mit Rat und Kommission)

o Gesetzgebungsartig sind auch andere im Primärrecht verstreute Mitwirkungsbefugnisse

des Parlaments, etwa die Zustimmung zu Erweiterung der Union.

• Aufsicht

o politische Kontrolle der übrigen Organe (va von Kommission) – Europäisches Parlament

(EP)

• wählt Kommissionspräsidenten (auf Vorschlag des Europäischen Rats)

• erteilt Kommission ein Zustimmungsvotum (sonst kann Kommission nicht berufen

werden)

• Parlament hat das Recht zu laufenden Befragung der Mitglieder der Kommission

und zur Anhörung der Mitglieder des Europäischen Rats und des Ministerrats.

• kann Untersuchungsausschüsse einrichten, die insbes. Unionsrechtsverstöße

oder sonstige Missstände in anderen Organen betreffen können.

o Bürger können zudem Petitionen an das EP richten oder sich beim Europäischen Ombudsmann

(= Bürgerbeauftragte) über Missstände in der Verwaltung beschweren

• Haushaltsbefugnisse und EU-Haushalt

o Bei der Festlegung der Eigenmittel hat das Parlament nur ein Anhörungsrecht; im Übrigen

entscheidet der Rat.

o Auf der Ebene der Mittelwerdung ist es voll beteiligt: Der mehrjährige (mind.: 5jährige)

Finanzrahmen der EU wird mit Zustimmung des Parlaments erstellt, bei den einzelnen

Jahreshaushaltsplänen kann es darüber hinaus auch mitgestalten (Mitentscheidungsrecht.

o Kontrolliert die tatsächliche Mittelverwendung und

o erteilt der Kommission jährlich die Entlastung bei ihrer Ausführung des Haushaltsplans.

Das Parlament hat dazu Zugang zu allen nötigen Unterlagen der Kommission.

o EU-Haushalt setzt sich dabei wie folgt zusammen

• Beiträge der MS (~ 69 %)

• Außenzoll (~ 12 %)

• Anteil der EU an der nationalen Mehrwertsteuer (~ 11 %)

• sonstige Einnahmen (zB Geldstrafen der MS) (~ 7 %)

o

o

Eigenmittel-Obergrenze – Einnahmen dürfen einen gewissen Höchstsatz nicht überschreiten

/ tun sie es dennoch, reduzieren sich die Beiträge der MS

EU kann keine Steuern erheben / auch darf sie keine Schulden bzw kein Defizit machen

Fakten

• 751 Vertreter (nach Brexit nur 700)

• Mitglieder werden seit 1979 direkt von den Bürgern der EU gewählt (auf 5 Jahre)

• Anzahl der Mitglieder richtet sich nach der Größe der MS

o Kleinere Staaten proportional überrepräsentiert


FÜM I

Europarecht

• Sitz ist in Straßburg / weitere Arbeitsorte sind Luxemburg und Brüssel

• EP ist als einziges direktdemokratisch legitimierte Organ der Union→ genießt erhöhtes Prestige

• Wahlrecht zum EP ist nur in Grundzügen einheitlich und richtet sich in den Einzelheiten nach

wie vor maßgeblich nach den unterschiedlichen nationale Wahlordnungen

• EP ist nach politischen Fraktionen organisiert. Einzelne Materien werden in themenspezifischen

Ausschüssen vorbereitet, die dann dem Plenum Empfehlungen unterbreiten.

• EP wird vom Parlamentspräsidenten geleitet; unter ihm steht das Präsidium (= Vizepräsident)

o dieser repräsentiert EP nach außen, unterzeichnet aber auch Rechtsakte

o Einzelheiten regelt die Geschäftsordnung des Parlaments.

Beschlussfassung

• Präsenzquorum (= Anwesenheit einer Mindestzahl der Mitglieder) – 1/3 der Mitglieder

o Gültigkeit (Anwesenheit) wird vermutet, sofern nicht die mangelnde Beschlussfähigkeit

vom Präsidenten festgestellt wurde

• Beschlussfassungsquorum ist im Regelfall die einfache Mehrheit

o dh Hälfte der abgegebenen Stimmen (der Anwesenden) + 1

• Sonderquoren (siehe S. 49)

Europäischer Rat (Art 15 EUV)

Allgemeines

• Europäischer Rat ist das jüngste Organ der EU

o erste primärrechtliche Erwähnung fand in der EEA statt

o Vertrag von Maastricht – sukzessive einzelne Aufgaben zugewiesen

o Vertrag von Lissabon – zum Organ der EU aufgewertet und Befugnisse festgelegt

Zusammensetzung

• besteht aus den Staats- und Regierungschefs der MS (nur sie sind stimmberechtigt)

o nicht stimmberechtigt – Kommissionspräsident, Hohe Vertreterin, Ständige Ratspräsident

(Letzterer ist im Regelfall ein ehemaliger Regierungschef; er ist einmal wiederbestellbar).

Er führt den Vorsitz im Europäischen Rat und übernimmt die Sitzungsorganisation,

womit eine gewisse Beherrschung der Themenauswahl und Dauer der Beratungen

verbunden ist.

o Darüber hinaus obliegt ihm die Außenvertretung der EU auf seiner Ebene.

Aufgaben

• setzt politische Impulse für die Union und formuliert Zielvorstellungen und Prioritäten

o wird aber nicht gesetzgeberisch tätig – KEINE direkte Mitwirkung an der Gesetzgebung

• eine Reihe primärrechtlich ausdrücklich zugewiesener Einzelaufgaben

o zB Feststellung einer Verletzung der EU-Grundwerte / Entwicklung der Leitlinien der

GASP / Ernennung der Hohen Vertreterin und der Kommission

Ministerrat / Rat (Art 16 EUV)

Verwechslungsgefahr (!)

• Vielzahl ähnlich benannter Einrichtungen – zB

o Europäische Rat – siehe oben

o Europarat – eigenständige internationale Organisation mit Sitz in Straßburg

o "im Rat vereinigte Vertreter der Mitgliedstaaten" – Kooperation der Regierungsvertreter

außerhalb des EU-Rahmens / rechtliche Grundlage ist allgemeines Völkerrecht


FÜM I

Europarecht

Aufgaben

• Gesetzgebung

o Rat entscheidet zusammen mit EP auf Vorschlag der Kommission (zB ordentliches Gesetzgebungsverfahren,

aber auch Ratifikation internationaler Abkommen)

o hat zudem viele Befugnisse im Rahmen besonderer Gesetzgebungsverfahren, wo ihm

im Regelfall eine stärkere Rolle zukommt als dem EP

• wichtigstes Beispiel – Eigenmittelbeschluss im Haushaltsrecht

• Administrativrechtsetzung

o einzelne direkte Exekutivbefugnisse – zB Befugnis zum Erlass von Durchführungsakten

oder zum Erlass von Sondergenehmigungsrechten im Wettbewerbsrecht

• politische Aufgaben

o allgemeine Koordinierung der politischen Maßnahmen der MS

o Entwicklung der GASP nach den Leitlinien des Europäischen Rats

o Wahrnehmung der Haushaltsbefugnisse (gemeinsam mit EP)

Fakten

• setzt sich aus den Fachministern (oder Staatssekretären) der nationalen Regierungen zusammen

(Sitz in Brüssel)

• Formationen

o Rat tagt in 10 fachspezifischen Formationen (zB Rat Auswärtige Angelegenheiten = Außenminister

/ Ecofin-Rat = Finanzminister)

o einige Sonderformationen

• Rat Allgemeine Angelegenheiten – ebenfalls Außenminister

• Rat der "Euro-Gruppe" – Wirtschafts- und Finanzminister (zur Koordinierung

der Wirtschaftspolitik im Euro-Währungsgebiet vor Sitzungen des Ecofin-Rats)

• Vorsitz

o

o

o

besteht aus aktuellem Vorsitzland, dessen Vorgänger und dessen Nachfolger (= Troika)

• erstellen ein gemeinsames Arbeitsprogramm für die nächsten 18 Monate

Vorsitz rotiert halbjährlich unter den Mitgliedern

• Ausnahme – im Außenministerrat hat immer Hohe Vertreterin den Vorsitz

Sitzungen des Rates werden vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (sog "COREPER")

vorbereitet / die vom COREPER behandelten Punkte werden dabei in 2 Gruppen geteilt

• A-Punkte – keine weitere Debatte im Rat

• B-Punkte – werden noch im Rat debattiert

Beschlussfassung

• Präsenzquorum – immer die einfache Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder

• Beschlussfassungsquorum – je nach Materie unterschiedlich

• Regelquorum der Beschlussfassung ist (seit Lissabon) qualifizierte Mehrheit (= doppelte

Mehrheit) – findet ua im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Anwendung

o daneben gibt es auch die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit (zB Aufforderung

der Kommission zum Tätigwerden) oder auch die Einstimmigkeit (zB bei den meisten

Beschlüssen der GASP, EU-Erweiterung oder in anderen sensiblen Bereichen)

• jedes Mitglied kann sich Stimmrecht von max einem anderen Mitglied übertragen lassen

• Stimmenthaltung gilt (außer bei Einstimmigkeit) als Gegenstimme

• Sitzungen und Abstimmungsergebnisse sind öffentlich


FÜM I

Europarecht

Doppelte Mehrheit

1. JA-Stimmen müssen 55 % der MS (dzt 16 von 28, nach Brexit 15 von 27) erreichen

2. diese MS (die JA gestimmt haben) müssen zudem 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren

• dieses Beschlussfassungsquorum soll dabei verhindern, dass eine hinreichend große Zahl kleiner

MS gegen den Willen der großen MS alleine einen Beschluss fasst

• beachte – wird ein Beschluss ohne Vorschlag der Hohen Vertreterin bzw der Kommission gefasst,

gilt ein erhöhtes Quorum (72 % müssen für JA stimmen)

• Sperrminorität

o liegt bei jeder Kombination im Rat bzw Bevölkerungsgrößen, die zusammen 13 MS o-

der mehr als 35 % (dh 35 % +1) der EU-Bevölkerung repräsentieren

• Sicherungsmechanismus gegen eine Dominanz größerer Staaten

o beachte aber Untergrenze – zumindest 4 MS müssen sich an der Sperrminorität beteiligen

(dh für NEIN stimmen) / ist dies nicht der Fall gilt die qualifizierte Mehrheit selbst

dann als erreicht, wenn JA-Stimmen nicht 65% der Bevölkerung repräsentieren

Ioannina-Kompromiss

• Möglichkeit für eine Anzahl von MS, die zusammen keine Sperrminorität erreichen, eine Beschlussfassung

aufzuschieben und eine Fortsetzung der Verhandlungen zu verlangen

• Mitglieder des Rates im Umfang etwa der halben Sperrminorität (also 55% von 13 MS oder

55% der 35 % +1 repräsentierten Bevölkerung) können erklären, dass sie die Annahme eines

Rechtsakts ablehnen / Rat ist dann verpflichtet, eine zufriedenstellende Lösung zu finden

• Ioannina-Kompromiss gibt den Minderheiten aber kein permanentes Vetorecht, die Regel verzögert

lediglich die Beschlussfassung und soll die Kompromissbildung fördern

• besondere Abwandlung des Ioannina-Kompromisses bei Beschlussfassung in der GASP

o erklärt Mitglied, dass es aus Gründen der nationalen Politik einen Beschluss, der mit

qualifizierter Mehrheit zu fassen ist, ablehnt, erfolgt KEINE Abstimmung

o Hohe Vertreterin muss sich dann um eine für diesen MS annehmbare Lösung bemühen

• gelingt ihr das nicht, kann der Rat als ultima ratio beschließen, dass die Frage

an den Europäischen Rat weitergeleitet wird

• aufgrund der dortigen Einstimmigkeitsregel wird dem betreffenden MS im

Rahmen der GASP also ein vollwertiges Vetorecht eingeräumt

Notbremse-Mechanismus

• 3 Bestimmungen für den Sozialbereich und für das Strafrecht, die ebenfalls zu einer (dem Ioannina-Kompromiss

ähnlichen) Verfahrensverzögerung führen

• Bremsmechanismus kann in Kraft gesetzt werden, wenn im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren

Maßnahmen betreffend den Sozialbereich oder das Strafrecht beschlossen werden

o ein MS kann demnach den Europäischen Rat anrufen, wenn er meint, dass grundlegende

Aspekte seines Sozialsystems oder seiner Strafrechtsordnung bedroht sind

o Verfahren wird dann für max 4 Monate ausgesetzt / Europäische Rat kann dann das

Gesetzgebungsverfahren entweder fortsetzen oder endgültig beenden lassen


FÜM I

Kommission (Art 17 EUV; vgl. Art. 244ff. AEUV)

Allgemeines

• Kommission ist die gegenüber den MS unabhängige Exekutive

Europarecht

• Unabhängigkeit der Kommission hat dabei sowohl Vor- als auch Nachteile

o sie stärkt das Organ, mindert aber gleichzeitig dessen demokratische Legitimität

Aufgaben

• Gesetzgebung

o Der Kommission obliegt alleine der Vorschlag von Entwürfen für neue Rechtsvorschriften

(sog. Initiativmonopol) – Kommission ist das einzige Organ, das den gesetzgebenden

Organen (Rat + Parlament) Gesetzesvorschläge zur Abstimmung vorlegen kann.

o Planung der Gesetzgebungsvorschläge erfolgt im Weg sog Grün- und Weißbücher

• Grünbuch – erstes Brainstorming über Handlungsoptionen in einem Politikbereich

/ bilden die Grundlage für daran anschließende Konsultationen

• Weißbuch – konkrete Handlungsoptionen werden konsolidiert in einem Weißbuch

dargestellt und mit einem Zeitplan verknüpft

• Haushalt (hinsichtlich Planung und Durchführung)

o schlägt Parlament und Rat die Jahreshaushaltspläne vor

o Wirkt an der Feststellung der Schwerpunkte der Mittelverwendung mit

o Führt auch den Haushaltsplan aus und ist dabei dem Parlament verantwortlich

o Die Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Mittelverwendung durch den Rechnungshof

und das Parlament ist politischer Natur. Für Ermittlungen betreffend konkrete Betrugsfälle,

also eine strafrechtlich relevante Mittelfehlverwendung, ist dagegen die Betrugsbekämpfungsbehörde

OLAF (Office européen de lutte antifraude) zuständig.

• Durchsetzung

o Kommission überwacht allgemeine Anwendung/Beachtung des EU-Rechts in den MS

• Kommission als "Hüterin der Verträge"

Hat sie Bedenken, steht ihr zur Klärung der Unionsrechtskonformität das Vertragsverletzungsverfahren

des Art. 258 AEUV zur Verfügung, um dem Unionsrecht zur Durchsetzung

zu verhelfen.

• Vollzug

o Kommission übt in Einzelfällen (zB im Wettbewerbsrecht) eigenständig den Vollzug

des EU-Rechts aus – Ausnahme zum Grundsatz der Verfahrensautonomie

Fakten

• Sitz in Brüssel; Amtszeit der Kommission beträgt 5 Jahre

• Kommission untergliedert sich in etwa 30 materienspezifische Generaldirektionen (GD/DG),

die für unterschiedliche Politikbereiche zuständig sind – zB betreffend Wettbewerb (DG

COMP), Binnenmarkt (DG GROW), Zölle und Steuern (DG TAXUD), usw.

o daneben sind ihr zahlreiche Dienststellen zugeordnet (zB ein Juristischer Dienst, Archiv,

OLAF, Amt für Veröffentlichungen, etc.)

• Kommission ist ein Kollegialorgan mit 28 Kommissaren; eine Verkleinerung der Kommission

auf eine Kopfzahl von 2/3 der MS ist im Primärrecht angelegt (vgl. Art. 17 Abs. 5 EUV), aber

noch nicht erfolgt.

• jedem Kommissar ist dabei die Leitung eines Politikbereichs übertragen / einem Kommissar

können daher mehrere GD zugeordnet sein

• Kommissionspräsident

o Aufgaben – strategische Leitung + interne Organisation der Kommissionsarbeit

o Kommissionspräsident wird vom Europäischen Rat vorgeschlagen und vom EP gewählt


FÜM I

Europarecht

o

Kommissare werden vom Kommissionspräsidenten gewählt und vom EP bestätigt

Beschlussfassung

• Kommission kann nur gemeinsam beschließen – Einzelbeschlüsse von Kommissaren gibt es

nicht

o Prinzip der Gleichberechtigung – auch nur einen bestimmten politischen Bereich betreffende

Beschlüsse werden allen Kommissaren vorgelegt und von diesen gemeinsam

beschlossen

• Beschlussfassung erfolgt laut Vertrag mit einfacher Mehrheit (idR aber meist im Konsens wegen

ihrer GeschäftsO)

o eigentliche Beschlussfassung kann dabei sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen

o Präsenzquorum = einfache Mehrheit

Hohe Vertreterin

• gehört sowohl dem Rat als auch der Kommission an („doppelter Hut")

• Das Amt vereinigt die früher getrennten Ämter des Hohen Vertreters für die GASP und des

Kommissars für Außenbeziehungen. Die Einrichtung des Amtes dient der Verbesserung der

Kohärenz des Außenauftritts der EU auf globaler Ebene.

o Trotzdem nach wie vor viele Überschneidungen mit anderen zur Außenvertretung berufenen

Amtsträgern (zB Ständige Ratspräsident)

• Innerhalb der Kommission

o fungiert Hohe Vertreterin als Vizepräsidentin

o übt Zuständigkeiten im Bereich der Außenbeziehungen aus

o koordiniert Tätigkeiten der anderen mit Außenagenden beauftragten Kommissaren

o leitet den Europäischen Auswärtigen Dienst

• innerhalb des Rats

o sitzt dem Rat Auswärtige Angelegenheiten vor (verfügt aber über kein Stimmrecht)

o leitet die GASP / für Initiativen hat sie ein Vorschlagsrecht (aber kein Initiativmonopol)

o im Fall eines Misstrauensantrags des Parlaments wird die Hohe Vertreterin außerdem

nur von ihren Funktionen innerhalb der Kommission entbunden

Agenturwesen

• Kommission wird von einigen Agenturen und Ämtern unterstützt

o zB für Marken und Designs / Chemikalien / Betrugsbekämpfung (OLAF) / etc

o Agenturen werden per VO im Ermessen des Uniongesetzgebers eingerichtet, dass die

Agentur zur besseren Erfüllung der Aufgaben notwendig erscheint

• man unterscheidet Exekutiv- von Regulierungsagenturen

o Exekutivagenturen – Verwaltungsaufgaben + unterstützen Kommission beim Vollzug

o Regulierungsagenturen – wirken an der Vorbereitung von Regulierungen mit

• Agenturen sind der Kommission zugeordnet – die politische Verantwortung für die Aufgabenerfüllung

bleibt daher stets bei der Kommission

• Den Agenturen dürfen demnach nur klar umgrenzte Ausführungsbefugnisse übertragen werden,

mit denen kein selbstständiges Entscheidungsermessen bei der Aufgabenerfüllung verbunden

ist.

o innerhalb ihrer Befugnisse haben sie aber zT sehr weitreichende organisatorische und

finanzielle Eigenständigkeit. Auch ist es grundsätzlich zulässig, dass Agenturen rechtsverbindliche

Entscheidungen gegenüber Dritten treffen (etwa bei Markenanmeldungen),

soweit diese Aufgabenerfüllung ermessensfrei klar umgrenzt bleibt. Solche


FÜM I

Europarecht

Gerichtshof (Art 19 EUV)

Auslegungsmonopol

Entscheidungen sind von der Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV abgedeckt, können

also vor dem EuG angefochten werden.

• "Gerichtshof der Europäischen Union" – Überbegriff für mehrere Einrichtungen

o Gerichtshof (EuGH), Gericht (EuG) + allfällig eingerichtete Fachgerichte

• alle Einrichtungen haben die Aufgabe der Wahrung des Rechts der EU – ausschließlich sie entscheiden

über die Auslegung und die Gültigkeit des EU-Rechts (= Auslegungsmonopol)

• Auslegungsmonopol ist dabei Ausdruck der Autonomie der Unionsrechtsordnung gegenüber

völker- und nationalem Recht (sog Rechtsordnung sui generis)

Verfahrensautonomie

• Pflicht der MS zur Schaffung der erforderlichen Rechtsbehelfe für die Durchsetzung des Unionsrechts

(= Grundsatz der Verfahrensautonomie der MS)

o Vollzug des EU-Rechts erfolgt demnach grdsl durch nationale Behörden/Gerichte

• weitere Prinzipien der Verfahrensautonomie

o Äquivalenz – Voraussetzungen zur Durchsetzung unionsrechtlicher Ansprüche dürfen

nicht schlechter sein als jene der Ansprüche auf Basis nationalen Rechts

o Effektivität – Anspruchsdurchsetzung muss auch effektiv möglich sein (zB Ausschluss

nicht gerechtfertigter Sperrungen der Anspruchsdurchsetzung)

Dualität des Art 19 EUV

• Art 19 EUV nennt einerseits die Unionsgerichte, andererseits verweist er auf die Bedeutung

der nationalen Gerichte – Unionsrechtsschutz besteht also aus 2 Komponenten

• für jeden unionsrechtlich begründeten Anspruch muss daher entweder aufgrund der einen

oder der anderen Komponente eine gerichtliche Überprüfung möglich sein

o = Grundsatz der Vollständigkeit des Systems der Rechtsbehelfe

Zuständigkeiten

• EuGH – alle Klagen/Verfahren, die keinem anderen Unionsgericht zugewiesen sind

• EuG – nach Art 256 AEUV meisten Direktklagen (Nichtigkeitsklage, Untätigkeitsklage, Schadenersatzklage

gegen die Union selbst, Klagen aufgrund von Schiedsklauseln und Dienstrechtssachen)

o EuG ist auch Rechtsmittelgericht gegenüber eingerichteten Fachgerichten und könnte

in einzelnen Materien (va jenen, für die auch ein Fachgericht eingerichtet wurde) zudem

Vorabentscheidungsverfahren übernehmen, sobald ihm (was bisher nicht erfolgt

ist) eine solche Zuständigkeit durch Änderung der EuGH-Satzung übertragen würde.

• wichtige Ausnahme von dieser Zuständigkeitsverteilung – Art. 51 EuGH-Satzung

o EuGH sind Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen vorbehalten, die mit der Ausübung von

Gesetzgebungsbefugnissen in Zusammenhang stehen oder sonst grundlegenden Charakter

haben. Dies sind va Klagen, die Organe gegeneinander bzw. ein MS gegen Parlament,

Rat oder beide Organe gemeinsam erheben, soweit die zugrunde liegenden

Handlungen nicht rein administrativer Natur sind (zB Beihilfegenehmigungen durch

den Rat, Antidumping oder Durführungsrechtsakte, wo die Zuständigkeit dann im Weg

einer Gegenausnahme doch beim EuG verbleibt).

• Daraus lässt sich schließen, dass EuG vor allem Agenden administrativer Natur behandelt

o Untechnisch lässt sich das EuG daher als Verwaltungsgericht der EU bezeichnen.


FÜM I

Europarecht

• Demgegenüber ist der gewissermaßen das Verfassungsgericht der EU. Die Klage- und Verfahrensarten,

die ihm zugewiesen sind, haben durchwegs grundlegenden Charakter bzw. grundlegende

Bedeutung für die Wahrung der Zuständigkeiten der Union, ihrer Organe oder Der

Autonomie des Unionsrechts. Dazu zählen va die von der Kommission oder MS erhobenen

Vertragsverletzungsklagen (einschließlich Sanktionen), sämtliche Vorabentscheidungen und

sämtliche Rechtsmittel gegen die Urteile des EuG. Diese Rechtsmittel sind auf Rechtfragen

beschränkt, wobei weder die Ausgangsklage noch das Rechtsmittel selbst aufschiebende Wirkung

hat.

o EuGH hat zudem viele Sonder- bzw. Einzelzuständigkeiten, wichtigstes Beispiel –

EuGH kann um ein Gutachten zur Unionsrechtskonformität eines geplanten völkerrechtlichen

Abkommens der EU ersucht werden

o dadurch wird sichergestellt, dass die EU keine Verpflichtungen eingeht, die nach internem

Recht unzulässig sind (in der Praxis häufig genutzt)

Organisation

• EuGH – besteht (derzeit) aus 28 Richtern und 11 Generalanwälten

o Kanzlei/Kanzler verwaltet unter Leitung des Präsidenten die Rechtssachen

o Präsident – ist für die Zuweisung der einlangenden Fälle an die einzelnen Kammern

zuständig + benennt die Berichterstatter (= Richter innerhalb der jeweiligen Kammer,

der den Fall vorbereitet und einen Entscheidungsvorschlag skizziert)

o Generalanwälte unterstützen und beraten die Richter bei der Entscheidungsfindung

• erstellen nicht bindende Gutachten (sog Schlussanträge) / Schlussanträge sind

dabei ausführlicher als die Urteile selbst, da sie auch Alternativen erwägen

• EuG – 1989 errichtet um den EuGH zu entlasten (damals ebenfalls 28 Richter)

o seit 2016 wird Anzahl sukzessive erhöht (bis September 2019 soll es 56 Richter geben)

o Vergrößerung wird damit begründet, dass es aufgrund der großen Zahl an Direktklagen

zu einem Rückstau unerledigter Rs kommt

Richter

• genießen Weisungsfreiheit / Unabhängigkeit / Unversetzbarkeit / Unabsetzbarkeit

• Ernennung erfolgt auf (erneuerbare) 6 Jahre durch die Regierungen der MS im Konsens

o Anforderungen an die Qualifikation der Richter ist eher vage und bewusst flexibel

o seit Vertrag von Lissabon ist jedoch ein eigener Ausschuss vorgesehen, der eine Stellungnahme

zur Eignung der betreffenden Person abgibt

Verfahren

• Fälle werden in Kammern aus 3 oder 5 Richtern bzw (bei besonders wichtigen Fällen) aus 15

Richtern (= große Kammer) behandelt

• EuGH-Satzung normiert aber auch Sonderzusammensetzungen – zB

o EuG – Entscheidungen durch Einzelrichter

o EuGH – Entscheidungen im Plenum (zB bei Amtsenthebungen)

• Präsident weist die Fälle zu und ernennt den Berichterstatter

o befasster Generalanwalt wird vom Ersten Generalanwalt bestimmt

• Rechtssachen werden dabei in 2 Phasen bearbeitet

o 1 Phase (= schriftliches Verfahren) – Einreichung der Schriftsätze der Parteien

• Berichterstatter erstellt dann Erstbericht, aufgrund dessen die Größe der Kammer

entschieden wird und ob eine mündliche Verhandlung nötig ist

o 2 Phase (= mündliche Verhandlung) – besteht aus Vorträgen der Anwälte vor den Richtern

und Generalanwälten + der Möglichkeit der Richter, Fragen zu stellen


FÜM I

Europarecht

Exkurs – WWU, Institutionen und Eurokrise (Art 119 – 144 AEUV)

• als Folge der Eurokrise wurden einige neue Einrichtungen mit Aufgaben im Bereich der WWU

geschaffen / die MS haben dabei wesentliche weitere Kompetenzen an die EU abgegeben

• WWU bedingt eine wechselseitige Abstimmung der MS betreffend der Wirtschafts-, Steuer-

und Budgetpolitiken (insb mit Blick auf eine Begrenzung von Staatsschulden und Defiziten)

o sie wurde im Vertrag von Maastricht verankert und seitdem ausgebaut

o wichtige Bestimmungen der WWU – Art 119 AEUV / Art 140 AEUV / Art 126 AEUV

• innerhalb der WWU sind mehrere Einrichtungen für die Einhaltung dieser Ziele zuständig

o Europäische Rat – politische Leitlinien

o Ministerrat – wirtschaftspolitische Koordinierung

o Minister der Euro-Länder – Koordinierung der für den Euro relevanten Politiken

o Regierungen der MS – Einhaltung der Defizit- und Schuldengrenzen

o Kommission – Überwachung der Einhaltung der WWU-Vorgaben

o EZB – Festlegung preisstabiler Geldpolitik

• zur Bewältigung der Eurokrise wurden weitere Institutionen geschaffen

o Euro-Rettungsschirm = Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM)

• vergibt Kreditlinien für Euro-Staaten in Schwierigkeiten im Tausch gegen die

Einhaltung strenger Auflagen (Gesamtvolumen beträgt rund EUR 700 Mrd)

o EU-Troika (nicht verwechseln mit Troika im Ministerrat) – war eine Kooperation von

EZB, Internationaler Währungsfonds und Europäischer Kommission

• Instrumente der Europäischen Bankenunion

o einheitlicher Aufsichtsmechanismus (SSM) – überträgt der EZB die Beaufsichtigung der

(Groß-) Banken im Euroraum

o einheitlicher Abwicklungsmechanismus (SRM) – geordnete Abwicklung oder Sanierung

notleidender Banken, die aus einem dafür errichteten Fonds finanziert wird

o

Europäisches Finanzaufsichtssystem (ESFS) – Einrichtungen zur allgemeinen Beaufsichtigung

der Finanzmarkttätigkeiten – zB

• Europäischer Ausschuss für Systemrisiken

• Aufsichtsbehörden EBA / ESMA / EIOPA


FÜM I

Europarecht

V. Kompetenzen und Rechtsetzung

Vertikale Kompetenzverteilung

Allgemeines

• Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art 5 Abs 2 EUV)

o Unionsgesetzgeber darf nur dann tätig werden, wenn eine ausdrückliche Ermächtigung

dazu besteht – EU hat demnach keine Kompetenz-Kompetenz

o jedes Handeln der Union hat daher auf eine primärrechtliche Grundlage rückführbar

zu sein / diese finden sich einerseits im vertikalen Kompetenzkatalog (Art 2 ff AEUV)

sowie andererseits in den konkreten Rechtsetzungsgrundlagen je Materie

Kompetenzarten

• ausschließliche Kompetenzen (Art 3 AEUV)

o alleinige Befugnis der Union, gesetzgeberisch tätig zu werden und Rechtsakte zu erlassen

– MS dürfen in diesen Bereichen nicht tätig werden (absolute Sperrwirkung)

o ausschließliche interne Kompetenzen (Art 3 Abs 1 AUEV) – Zollunion, Wettbewerbsregeln,

Währungspolitik, Fischereipolitik, Handelspolitik

o ausschließliche Außenhandlungskompetenzen (Art 3 Abs 2 AEUV) – unter bestimmten

Voraussetzungen (siehe AEUV) ist der EU in gewissen Bereichen auch die ausschließliche

Zuständigkeit zum Abschluss internationaler Abkommen vorbehalten

• geteilte Kompetenzen (Art 4 AEUV)

o zunächst bei den MS liegende Rechtsetzungskompetenz, die durch ein späteres Tätigwerden

der Union beendet wird – nationales Recht der MS wird dabei im entsprechenden

Regelungsumfang unanwendbar (relative Sperrwirkung)

o geteilte Zuständigkeit ist (wie Art 4 Abs 1 AEUV klarstellt) ein Auffangtypus, der immer

dann vorliegt, wenn eine der EU grundsätzlich übertragene Materie nicht ausdrücklich

einer anderen Kompetenzkategorie zugewiesen ist

• weitere Zuständigkeitsarten (Art 5+6 AEUV)

o Unterstützung, Koordinierung oder Ergänzung / Zuständigkeiten der Union treten in

diesen Bereichen aber lediglich neben jene der MS (parallel) – zB OMK

Vertikale Kompetenzverteilung

• Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 2 EUV → Union darf nicht ihre

Zuständigkeitsbereiche selber definieren oder erweitern (keine Kompetenz-Kompetenz)

o Es muss also immer auf eine primärrechtliche Ermächtigung rückführbar sein

o Diese Ermächtigung ist im vertikalen Kompetenzkatalog aufgeführt, der aber nur deklarativ

ist, weil auch die Verträge angeschaut werden müssen bezüglich der einzelnen

Bereiche

Probleme der vertikalen Kompetenzverteilung

• vertikale Kompetenzverteilung neigt zugunsten der Union auszuufern (Invasionseffekt)

o Grund dafür ist einerseits eine tendenziell unionsfreundliche Auslegung durch den

EuGH (vgl implied powers-Doktrin)

o andererseits enthält auch das Unionsrecht selbst offen formulierte Rechtsetzungsgrundlagen,

die dem Unionsgesetzgeber einige Flexibilität erlauben (vgl die subsidiäre

Rechtsetzungskompetenz des Art 352 AEUV)


FÜM I

Europarecht

Kompetenzausübung

Subsidiaritätsprinzip (Art 5 Abs 3 EUV)

• Unionsgesetzgeber darf nur unter der Voraussetzung tätig werden, dass das gemeinsame Handeln

auf EU-Ebene bessere Ergebnisse verspricht als einzelstaatliche Regelungen der MS

o Subsidiarität gilt dabei nur bei Vorhaben, die geteilte Zuständigkeiten betreffen

o Es herrscht eine Pflicht zur Begründung

o Gilt nur bei geteilter Zuständigkeit

Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art 5 Abs 4 EUV)

• Art und Inhalt eines Rechtsakts müssen auf das beschränkt bleiben, was zur Erreichung der

Ziele notwendig ist – Prüfkriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit

o anders als das Subsidiaritätsprinzip gilt das Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber für

alle Kompetenzarten, also auch bei Ausübung der ausschließlichen Kompetenzen

Exkurs – Art 352 AEUV

• Handlungsermächtigung des Art 352 ist nicht an einzelne Politikkapitel des AEUV gebunden,

sondern steht an der Schnittstelle zur vertikalen Kompetenzverteilung

o wo die Rechtsetzungsgrundlagen in den Politikkapiteln zu eng gefasst sind, um eines

der Ziele der Union zu verwirklichen, stellt Art 352 eine diese Politiken sprengende,

ergänzende Handlungsgrundlage bereit

o lediglich in Politikbereichen, für die das Primärrecht Harmonisierungen ausdrücklich

ausschließt, kann diese Grenzen auch nicht durch Art 352 überwunden werden

o Anwendungsbeispiele liegen etwa in der Schaffung vollwertiger Regelungsreimes sui

generis – zB das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE – Societas Europaea)

Exkurs – Prot Nr 2

• Kontrollmechanismus für nationale Parlamente, um gegen Gesetzgebungsvorhaben Beschwerde

und im Anschluss daran ggf Nichtigkeitsklage zu erheben (sog Subsidiaritätsrüge)

o binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Gesetzgebungsentwurfs können die nationalen

Parlamente (in einer begründeten Stellungnahme) darlegen, weshalb dieser

ihrer Meinung nach nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist

o Stellungnahmen sind zu berücksichtigen, eine Bindung des Gesetzgebers besteht aber

nicht – erreicht die Zahl der begründeten Stellungnahmen allerdings 1/3 (gelbe Karte)

bzw 1/2 (orange Karte) aller möglichen Stellungnahmen so hat eine verpflichtende

Überprüfung des Entwurfs durch die Kommission stattzufinden

o dass es keine rote Karte gibt, bringt zum Ausdruck, dass kein Vetorecht besteht, dh

auch eine große Zahl nationaler Parlamente einen Gesetzesentwurf der EU letztlich

nicht verhindern kann

• ungeachtet des fehlenden Vetorechts verleiht Prot Nr 2 aber jedem nationalen Parlament das

Recht, gegen den betreffenden Rechtsakt Nichtigkeitsklage (sog Subsidiaritätsrüge) beim

EuGH zu erheben – Parlamente werden in diesem Fall als privilegierte Kläger behandelt


FÜM I

Europarecht

Rechtsetzungsverfahren

Allgemeines

• Begriff Gesetzgebungsverfahren bezieht sich nur auf die Erzeugung von Sekundärrecht – eine

Definition der Gesetzgebung findet sich dabei in Art 289 Abs 3 AEUV

• Nicht-Gesetzgebung (Abgrenzung):

o (generell-abstrakte oder individuell-konkrete) Verwaltungsrechtsakte

o Primärrechtsänderung (Art 48 EUV)

o Abschluss internationaler Abkommen der EU (Art 218 AEUV)

o Maßnahmen im Rahmen der GASP

• Gesetzgeber ieS – Organtrias (Kommission + Rat + Parlament)

o Akteure der Organtrias haben je nach konkretem Gesetzgebungsverfahren unterschiedlich

weitgehende Kompetenzen – horizontale Kompetenzverteilung

o im Regelfall des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens haben die Akteure beinahe

gleichwertige Mitbestimmungsrechte / die (vergleichsweise weniger häufigen) besonderen

Gesetzgebungsverfahren sehen dazu Abweichungen vor

o beide Legislativrechtsetzungsverfahren sind dabei durch das ausschließliche Initiativmonopol

der Kommission geprägt – homogenes Merkmal der europäischen Legislativrechtsetzung

(nur eine Handvoll punktueller Ausnahmen)

o gemeinsam ist allen Gesetzgebungsakten auch die Pflicht zur Veröffentlichung im

Amtsblatt (ABl.) – Rechtsakte können demnach erst mit Veröffentlichung in Kraft treten

(entweder zu bestimmten Datum oder am 20. Tag nach Veröffentlichung)

Ordentliches Gesetzgebungsverfahren

• ordentliches Gesetzgebungsverfahren (Art 294 AEUV) ist seit Vertrag von Lissabon das Regelverfahren

der Legislativrechtsetzung für die allermeisten Politikbereiche

• Kernmerkmale

o Initiativmonopol der Kommission

o Gleichberechtigung von EP und Rat (beiderseitige Abänderungs- und Vetorechte)

o Beschlussfassungsquoren variieren je nach Verfahrensstadium

o Ablauf

• Vorschlag durch Kommission vorbereitet und Parlament und Rat gemeinsam

vorgelegt

• Erste Lesung: R/ P legen Standpunkte fest, wenn diese übereinstimmen ist es

bereits angenommen

• 2. Lesung: P hat 3 Monate Zeit, zum Ratsstandpunkt Stellung zu beziehen.

Wenn der Standpunkt gebilligt wird oder die Frist verstreicht gilt es als angenommen.

Mit absoluter Mehrheit der Mitglieder kann das P ihn ablehnen.

Wenn P eine abweichende Stellungnahme produziert, kehrt sie zum Rat aber

zuvor bezieht die K noch Stellung. Der Rat hat 3 Monate um zu entschieden.

• Vermittlungsverfahren, wenn der R es nicht billigt. K nimmt an der Vermittlung

teil. Wenn nach 6 Wochen kein gemeinsamer Entwurf vorliegt, gilt der

Rechtsakt als nicht erlassen. Wenn einer vorliegt kommt es zur 3. Lesung.

• 3. Lesung – formale Annahme durch R&P- wenn nicht erfolgt dann nicht erlassen

o Alle Fristen sind verlängerbar um 1 Monat oder 2 Wochen, wenn P/R das beantragen


FÜM I

Europarecht

Besonderes Gesetzgebungsverfahren

• besondere Gesetzgebungsverfahren sind alle sonstigen Verfahren neben dem ordentlichen

Gesetzgebungsverfahren – sie sind nicht der Regelfall der Gesetzgebung, sondern weisen je

nach Rechtsetzungsgrundlage eigene Verfahrensregeln auf

• grob lassen sich die besonderen Gesetzgebungsverfahren in die zwei Gruppen Konsultation

und Zustimmung gliedern:

o Konsultationsverfahren (zB im Asylwesen) – einstimmige Beschlussfassung durch den

Rat (auf Vorschlag der Kommission) nach bloßer Anhörung (eben Konsultation) des

Parlaments – Parlament hat in den Konsultationsverfahren also weder ein Abänderungs-

noch ein Vetorecht gegen die Beschlussfassung

o Zustimmungsverfahren (zB iZm Verfahren nach Art 352 AEUV) – einstimmige Beschlussfassung

durch den Rat (auf Vorschlag der Kommission) nach Zustimmung des

Parlaments – wie im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren hat das Parlament also ein

Vetorecht, jedoch fehlt die Möglichkeit zur inhaltlichen Abänderung

Exkurs – Delegation und Durchführung

• Art 290 (Delegation) und Art 291 (Durchführung) AEUV regeln den Erlass von Rechtsakten mit

allgemeiner Geltung im Nahebereich zum allgemeinen Verwaltungsvollzug – in beiden Fällen

handelt es sich um die Erzeugung von Rechtsakten OHNE Gesetzescharakter

• Delegierte Rechtsakte (Art 290 AEUV)

o Befugnis zum Erlass von Rechtsakten (ohne Gesetzescharakter) mit allgemeiner Geltung,

um die nicht wesentlichen Elemente des Basisrechtsakts zu ergänzen oder zu

ändern – Befugnis kann dabei ausschließlich der Kommission übertragen werden /

eine weitere Sub-Übertragung (zB auf Agenturen) ist unzulässig

o delegierte Rechtsakte erlauben die Festlegung legistischer Details, die Expertise erfordern

/ sie haben zudem den Vorteil einer gewissen Flexibilität, da der entsprechende

Basisrechtsakt rasch an ein dynamisches markt- oder techniknahes Umfeld angepasst

werden kann

• Durchführungsrechtsakte (Art 291 AEUV)

o kommen immer dann zur Anwendung, wenn es in den MS einheitlicher Bedingungen

für den Vollzug von Unionsrecht bedarf – die Kommission ist dabei in vollem Umfang

an den Basisrechtsakt gebunden und hat (hinsichtlich des Basisrechtakts) keinerlei Ergänzungs-

oder Abänderungsmöglichkeiten

o Hauptanwendungsfall von Durchführungsrechtsakten ist dabei der Erlass konkretisierender

Regelungen für den Vollzug in Bereichen, in denen einheitliche Rechtsanwendung

sichergestellt werden muss (zB in technisch komplexen Materien)

Exkurs – Verstärkte Zusammenarbeit (Art 20 EUV)

• Form flexibler Integration im Rahmen der Verträge

o Kern der Verstärkten Zusammenarbeit ist es, den europäischen Integrationsprozess

ausnahmsweise auch auf eine Gruppe von MS beschränken zu können

o Mehrwert einer ausdifferenzierten Verstärkten Zusammenarbeit ist dabei die Schaffung

eines einheitlichen Rechts- und Verfahrensrahmens für die flexible Integration

• Voraussetzungen

o nur in Materien außerhalb der ausschließlichen Zuständigkeiten der Union zulässig

o zumindest neun MS müssen sich daran beteiligen wollen

o muss Integrationsprozess insgesamt stärken und sämtlichen anderen MS zur späteren

Teilnahme offenstehen


FÜM I

Europarecht

• Ziel der Verstärkten Zusammenarbeit ist es, einen zeitlich versetzten Integrationsprozess zu

ermöglichen, zu dem mittelfristig wieder sämtliche MS aufholen können

o ungeachtet der Möglichkeit einer Verstärkten Zusammenarbeit besteht aber weiterhin

eine klare Präferenz für eine gleichförmige Integrationsgeschwindigkeit

Rechtsakttypen

Typische Rechtsakte (Art 288 AEUV)

• die typischen Rechtsakte sind in Art 288 AEUV angeführt

o keine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter

– eine VO kann daher je nach Rechtsgrundlage ein Gesetzgebungsakt

oder zB auch nur ein Ausführungsrechtsakt sein

Verordnung (VO)

• in ihrer Gesamtheit verbindlich

• hat in den MS unmittelbare und allgemeine Geltung (kein Umsetzungsbedarf)

• entgegenstehendes nationales Recht wird mit Inkrafttreten sofort überlagert

Richtlinie (RL)

• nur hinsichtlich der Ziele verbindlich

• MS haben Pflicht zur Umsetzung der RL-Ziele in nationales Recht

• RL tritt sofort mit Erlass in Geltung (iSe Begründung einer Umsetzungspflicht für die MS als

Adressaten) / unmittelbare Wirkung (iSe Durchsetzbarkeit vor den nationalen Gerichten)

kommt ihr aber zunächst nicht zu

• Umsetzung

o Wahl der Mittel zur Umsetzung liegt im Ermessen der MS

o oftmals lassen RL den MS auch Ermessen dahin, einen höheren als den in der RL als

Minimum geforderten Schutzstandard festzulegen (sog Mindestharmonisierung)

o Umsetzungsfrist beträgt idR rund zwei Jahre

• RL-Direktwirkung

o grdsl entfalten RL zunächst keine unmittelbare Wirkung

o ausnahmsweise entfalten sie aber Direktwirkung, wenn es bei der Umsetzung zu Fehlern

kommt (Nichtumsetzung oder Falschumsetzung)

Beschluss

• Unterscheidung zwischen 'mit Adressaten' oder 'ohne Adressaten' / beide sind in ihrer Gesamtheit

verbindlich und haben insoweit unmittelbare Geltung

• Beschluss mit Adressaten

o richtet sich an einen geschlossenen Kreis von Rechtsunterworfenen

o ist nur für diese Rechtsunterworfenen verbindlich (sog individuelle Geltung)

o sind Adressaten Einzelne, besteht kein Umsetzungsbedarf / handelt es sich hingegen

um MS, kann Umsetzungsbedarf gegeben sein

o Beschlüsse mit Adressatenkreis sind mit Inkrafttreten auch unmittelbar von nationalen

Behörden bzw Gerichten anzuwenden

• Beschluss ohne Adressaten

o sog Beschluss sui generis


FÜM I

Europarecht

o

o

o

mangels Adressatenkreis allgemeinverbindlich (sog allgemeine Geltung)

können entweder in Gesetzgebungsverfahren angenommen werden oder auch nur

reine Verwaltungsrechtsakte sein

von großer Bedeutung im Bereich der GASP, im Organisationsrecht der Organe und als

Verfahrensbestandteile

Rechtsmethode Harmonisierung

Allgemeines

• bezeichnet die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der MS (sog Rechtsangleichung)

durch einheitliche (Sekundär-)Rechtsetzung auf EU-Ebene

o diese Vereinheitlichung schafft einen gemeinsamen Rechtsbestand

• Harmonisierung ieS – Gleichschaltung vorbestehenden Rechts in den MS

o zentrale Rechtsetzungsgrundlage für diese Rechtsangleichung ist Art 114 AEUV

• Harmonisierung iwS – Vereinheitlichungen des Rechtsbestands der MS, die nicht bloß vorbestehendes

Recht angleichen, sondern gleich komplett neue Regimes (sui generis) etablieren

o zB das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE – Societas Europaea)

Abweichungen

• Abweichungen des nationalen Rechts nach erfolgter Harmonisierung sind grdsl unzulässig

o wird demnach Sekundärrecht nicht ordnungsgemäß umgesetzt (RL) oder befolgt (VO),

handelt es sich um eine Vertragsverletzung, gegen die im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens

(Art 258 AEUV) vorgegangen werden kann

• Mindestharmonisierung

o die meisten Rechtsakte unternehmen heute eine bloße Mindestharmonisierung, wobei

nur ein Mindestniveau des Schutzes vorgeschrieben wird – Abweichungen nach

oben (iS noch strengerer Schutzstandards) sind dabei sehr wohl zulässig

• Schutzklauseln

o Schutzklauseln in den Rechtsakten selbst (zB in Art 23 der RL 2001/18/EG) erlauben es

den MS, in sensiblen Regelungsbereichen (zB Umwelt, Sicherheit, etc) auch nach Erlass

eines Rechtsakts noch auf Sicherheitsbedenken zu reagieren und die Vorschriften des

Harmonisierungsrechtsakts vorrübergehend auszusetzen

• Nationale Alleingänge (Art 114 AEUV) – zwei Konstellationen:

o Aufrechterhaltung abweichender (nationaler) Regeln nach erfolgter Harmonisierung

• nur hinsichtlich der Schutzgüter des Art 36 AEUV sowie für den (dort nicht genannten)

Umwelt- und Arbeitsumweltschutz zulässig – Abs 4

o

o

Neuschaffung abweichender (nationaler) Regeln nach erfolgter Harmonisierung

• nur hinsichtlich der Schutzgüter Umwelt- und Arbeitsumweltschutz zulässig

• muss zudem die Notwendigkeit der Abweichung 1) auf neue wissenschaftliche

Erkenntnisse stützten und 2) darlegen, warum eine Einführung im Alleingang

nötig ist (zB Dringlichkeit) – Abs 5

Kommission entscheidet hinsichtlich der Zulässigkeit (Notwendigkeit) Nationaler Alleingänge

binnen sechs Monaten (verlängerbar um weitere sechs Monate) – Abs 6


FÜM I

Europarecht

• ist Alleingang gerechtfertigt, so ist idR auch der betroffene Unionsrechtsakt

entsprechend zu überarbeiten – Abs 7 und 8

• ist Alleingang nicht gerechtfertigt, besteht Möglichkeit einer direkten Vertragsverletzungsklage

beim EuGH ohne Einhaltung des Vorverfahrens – Abs 9

Exkurs – Grundrechtsschutz in der EU

Entwicklung

• ursprünglich verfügte die (damalige) EWG über keinen positiven Grundrechtskatalog

o Rs. Ruhrkohlenverkaufsgesellschaften (1960)

• erst etwas später erfolgte eine zögerliche Anerkennung / Ende der 1960er-Jahre legte der

EuGH erstmals die Beachtung der Grundrechte als ungeschriebenen Rechtsgrundsatz fest

o Inkorporation der Grundrechte in den Rechtsbestand der EU = sog acquis

o Rs. Internationale Handelsgesellschaft (1970)

• dieser Schwenk des EuGH ist vor dem Hintergrund eines schwelenden Konflikts mit den nationalen

Verfassungsgerichten (insb mit dem deutschen BVerfG) zu sehen

o siehe Solange-Doktrin (Kapitel 3)

• offen ist aber bis in die jüngste Zeit die Frage eines EU-Beitritts zur EMRK – der EuGH hat dies

aber mittlerweile zweimal dezidiert abgelehnt (uzw bereits 1996 sowie zuletzt 2014)

Grundrechtecharta

• Grundrechtecharta (GRC) wurde vom sog Europäischen Grundrechtekonvent erarbeitet und

im Jahr 2000 vorgestellt – Inkrafttreten aber erst mit dem Vertrag von Lissabon (2009)

• GRC behebt das historische Grundrechtsdefizit der EU nachhaltig

o Grundrechtsbindung der Organe erstreckt sich dabei auf die Bereiche Gesetzgebung,

Durchführungsrechtsakte und unionseigener Vollzug

o eine Bindung der MS an die GRC besteht hingegen nur dort, wo die MS im Anwendungsbereich

des Unionsrechts handeln (es also durchführen bzw anwenden)

• im Verhältnis GRC zur EMRK gilt, dass die EMRK für die GRC einen Minimumstandard bildet –

demnach kann die Auslegung der Rechte der GRC auch über den Standard der EMRK hinausgehen

(aber nicht umgekehrt!)

• GRC vermittelt ein modernes Grundrechtsverständnis

o klassische liberale und politische Grundrechte (Grundrechte der ersten Generation)

o soziale Grundrechte (Grundrechte der zweiten Generation)

o kollektive Rechte und Schutz für bestimmte Personengruppen (Grundrechte der dritten

Generation)

Primärrechtsänderung (Art 48 EUV)

Allgemeines

• Primärrechtsänderung = Änderung der Verträge selbst

o dabei gilt der Grundsatz, dass die MS Herren der Verträge sind

• zwei Verfahrensarten

o allgemeines (ordentliches) Änderungsverfahren – Abs 2-5

o vereinfachtes Änderungsverfahren – Abs 6

• Einschränkungen oder Ausdehnungen der Zuständigkeiten der Union haben jedenfalls im ordentlichen

Änderungsverfahren zu erfolgen / im vereinfachten Verfahren werden demnach

nur Präzisierungen der internen Politiken vorgenommen


FÜM I

Europarecht

• in beiden Verfahrensarten liegt das Initiativerecht für die Vornahme einer Vertragsänderung

sowohl bei jedem MS als auch bei Parlament und Kommission

• gemeinsam ist beiden Verfahrensarten auch der Ratifikationsbedarf in den MS – den MS verbleibt

daher ein Zustimmungs- bzw Vetorecht hinsichtlich der Verhandlungsergebnisse

Beitritt (Art 49 EUV)

• jeder europäische Staat, der die Werte der Union achtet, darf einen Beitrittsantrag an den Rat

stellen (Europabegriff wird idZ aber tendenziell weit verstanden)

o Beitrittsvoraussetzungen legt der Europäische Rat als Leitlinien fest / Einzelheiten der

Verträge regeln sodann die Beitrittsakte – letztere sind in den MS gemäß ihren nationalen

Regeln ratifizierungsbedürftig

• Aufnahme in die EU erfolgt durch einstimmigen Ratsbeschluss mit Zustimmung des Parlaments

– die Kommission wird lediglich angehört

Austritt (Art 50 EUV)

• betreffende MS hat dem Europäischen Rat seine Austrittsabsicht mitzuteilen

o Europäische Rat entwirft dann wiederum Leitlinien für die nachfolgenden Austrittsverhandlungen,

die (bestenfalls) mit einem Abkommen zwischen der EU und dem betreffenden

MS beendet werden (sog Austrittsvertrag)

o

o

Austrittsvertrag nimmt dabei die Form eines herkömmlichen völkerrechtlichen Vertrags

der EU (Art 216 AEUV) an – nach erfolgtem Austritt bleibt also gewissermaßen

ein Assoziierungsstatus zur EU bestehen (siehe aktuelle Brexit-Verhandlungen)

sind die Verhandlungen hingegen fruchtlos verstrichen, endet die Mitgliedschaft jeden

falls nach (verlängerbaren) zwei Jahren ab Austrittserklärung – sog hard exit


FÜM I

Europarecht

VI. Verhältnis von EU-Recht und nationalem Recht

Direktwirkung

Allgemeines

• unmittelbare Geltung (iSd Verbindlichkeit des EU-Rechts an sich) und unmittelbare Anwendbarkeit

(iSd Eignung des EU-Rechts zur Durchsetzung eines konkret zu umschreibenden Anspruchs

= Direktwirkung) sind voneinander klar zu trennen

Kriterien

• JUSTIZIABILITÄT – Berechtigung muss in der fraglichen Unionsrechtsnorm

o klar und präzise,

o uneingeschränkt (bzw ohne weitere Bedingungen),

o von keinem weiteren Akt und keinen zusätzlichen Maßnahmen abhängend

o und damit auch ohne weiteres Ermessen ausführender Stellen niedergelegt sein

• ob die Kriterien der Direktwirkung vorliegen, entscheidet letztlich immer der EuGH

o allerdings ist die Direktwirkungseignung der allermeisten Unionsrechtsnormen durch

die jahrzehntelange Rechtsprechung des EuGH heute klar – die Frage der Direktwirkungseignung

stellt sich daher va bei gänzlich neuem Sekundärrecht

Direktwirkung von Primärrecht

• nicht sämtliches Primärrecht ist unmittelbar wirksam / wohl aber haben die wichtigsten Primärrechtsnormen

(va jene des Binnenmarkt- und Wettbewerbsrechts) Direktwirkung

• die Direktwirkung bestimmter Normen des Primärrechts kann in sog horizontalen Durchsetzungsverhältnissen

(dh bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten) gesperrt sein

o wichtigstes Anwendungsbeispiel dieser Anwendungssperre ist der Ausschluss einer

horizontalen Anwendbarkeit der Grundfreiheiten

o allerdings kompensiert der EuGH diese Sperre teilweise durch großzügige Auslegung

des Staatsbegriffs im Rahmen der Grundfreiheiten

o Rs. Angonese (2000)

• darüber hinaus haben die MS (aufgrund der Grundfreiheiten) auch eine Verpflichtung gegen

Binnenmarktsbeschränkungen einzuschreiten, die von Privaten verursacht werden (zB Boykottmaßnahmen,

Straßensperren, Übergriffe auf Warentransporte etc)

o Voraussetzung ist, dass das Einschreiten der MS geboten ist, weil die private Maßnahme

eine bestimmte Qualität überschreitet und nicht selbst schutzwürdig ist

o Verpflichtete der Beseitigung der Beschränkung sind hier die MS (nicht die Privaten),

sodass auch hier keine horizontale Direktwirkung der Grundfreiheiten gegeben ist

o Rs. Schmidberger (2003)

Direktwirkung von Sekundärrecht allgemein

• VO sind immer direktwirkungstauglich

o Direktwirkung von VO unterliegt auch keiner Einschränkung in horizontalen Durchsetzungsverhältnissen

(also zwischen Privaten)

• Direktwirkungseignung von Beschlüssen hängt vom Adressatenkreis ab

o Beschlüsse mit Adressaten sind immer auch unmittelbar anwendbar

o Beschlüsse ohne Adressaten sind grdsl nicht unmittelbar anwendbar / ausnahmsweise

sind sie es schon, wenn sie justiziable Rechte beinhalten (ganz selten)


FÜM I

Europarecht

• völkerrechtliche Abkommen sind (nach Ratifikation) für die EU (und iwF für die MS) ohne weiteren

Umsetzungsakt verbindlich (iSe unmittelbaren Geltung)

o ob jeweiliges Abkommen auch Direktwirkung entfaltet, entscheidet sich hier ebenfalls

nach den Kriterien der Justiziabilität

Direktwirkung von Richtlinien im Besonderen

• im Regelfall kommt RL keine Direktwirkung zu

o demnach treten Richtlinienbestimmungen gegenüber Einzelnen auch grdsl nie unmittelbar

in Erscheinung / Grundlage der Rechtsanwendung gegenüber Einzelnen ist hingegen

das in richtiger Umsetzung der RL erlassene nationale Recht

• kommt es allerdings zu Umsetzungsfehlern, können RL ausnahmsweise auch Direktwirkung

entfalten / Hintergrund ist, dass Einzelnen nicht in RL verbürgte Rechte nur aus dem Grund

entgehen sollen, dass die MS in Bezug auf ihre Umsetzungspflicht versagt haben

o Rs. Ratti (1979)

• RL-Direktwirkung – Voraussetzungen

o Vorliegen eines Umsetzungsfehlers (dh keine Umsetzung bzw Falschumsetzung)

o Ablauf der Umsetzungsfrist

o Justiziabilität (dh fragliche RL muss Einzelnen konkrete Rechte verleihen)

o nur zugunsten Einzelner im vertikalen Verhältnis

• Ausschluss einer horizontalen Direktwirkung von RL

• Rs. Faccini Dori (1994)

• Ausschluss einer invers vertikalen Direktwirkung von RL

• Rs. Kolpinghuis Nijmegen (1987)

• keine Verschärfung strafrechtlicher Verantwortlichkeit durch RL

• Rs. Berlusconi (2005)

• Ausschlusswirkung von RL

o dienen Bestimmungen einer (fehlerhaft umgesetzten) RL bloß dazu, die Anwendung

von entgegenstehendem nationalen Recht auszuschließen, so kann die entsprechende

RL sogar in horizontalen Durchsetzungsverhältnissen Direktwirkung entfalten

o in dieser Konstellation begründet nicht die RL selbst die Verpflichtung, sondern das

(im Lichte der RL bereinigte) nationale Recht

o unzulässig ist aber weiterhin die Substitution (fehlenden) nationalen Rechts durch die

Bestimmungen einer RL im horizontalen Verhältnis

o Rs. Kücükdeveci (2010)

• Vorwirkung von RL

o Erlaubnis bzw Pflicht eines nationalen Gerichts, eine bereits erlassene RL auch schon

vor Ablauf der Umsetzungsfrist direkt in einen Rechtsstreit einfließen zu lassen

o eine tatsächliche Verpflichtung der MS zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf

der Umsetzungsfrist besteht nur dort, wo manifest ist, dass eine geplante Maßnahme

das Ziel der RL frustrieren wird (sog Vereitelungsverbot)

• Vereitelungsverbot umfasst jedoch nur endgültige, irreversible Maßnahmen

(zB umweltschädigende Baumaßnahmen) – Rs. Schwarze Sulm (2016)


FÜM I

Europarecht

o

für alle anderen Fälle betont der EuGH aber in stRsp, dass die Pflicht zur richtlinienkonformen

Auslegung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist einsetzt

Substitute fehlender Direktwirkung

Allgemeines

• die hier besprochenen Substitute fehlender Direktwirkung versuchen denjenigen, die sich va

aufgrund der horizontalen Anwendungssperre staatsgerichteter Normen nicht auf Unionsrecht

berufen können, Alternativen an die Hand zu geben, um einem unionsrechtlich verliehenen

Recht doch noch zur Durchsetzung zu verhelfen (effet utile)

• Grundsätze dieser Substitute sind das Loyalitätsgebot (Art 4 Abs 3 EUV) und das Gebot der

Bereitstellung effektiver Rechtsbehelfe durch die MS (Art 19 Abs 1 EUV)

Weiter Staatsbegriff

• Begriff öffentliche Hand wird im Unionsrecht traditionell weit verstanden – erfasst sind

o sämtliche Träger staatlicher Hoheitsverwaltung (Bund, Länder, etc)

o jede Einrichtung (Unternehmen, Fonds, etc) über die ein Träger der Hoheitsverwaltung

Kontrolle ausübt oder der die öffentliche Hand besondere Rechte verliehen hat

o Maßnahmen Privater, deren Wirkungen sachlich jenen einer staatlichen Maßnahme

gleichkommen (zB flächendeckende Regelungen von Berufsverbänden)

Unionsrechtskonforme Auslegung/Interpretation

• gemeint ist die Verpflichtung jedes nationalen Gerichts, das innerstaatliche Recht so weit wie

möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks unionsrechtlicher Vorgaben auszulegen

o Ergebnis ist dabei nicht die Verdrängung nationaler Normen, sondern das unionsrechtskonform

ausgelegte nationale Recht selbst gelangt zur Anwendung

o Voraussetzung unionsrechtskonformer Interpretation ist, dass die fragliche Norm im

Übrigen (dh bei Fehlen der horizontalen Anwendungssperre) justiziabel wäre

o Rs. Pfeiffer (2004)

• Methoden der unionsrechtskonformen Interpretation gibt das jeweilige nationale Recht vor

o methodische Grenze liegt demnach dort, wo die nationalen Methoden die Grenze der

zulässigen Rechtsauslegung ansetzen (insb keine Auslegung contra legem)

o sachliche Grenze liegt in der Begründung oder Verschärfung strafrechtlicher Verantwortlichkeit

Einzelner / diese Sperre gilt dabei in horizontalen ebenso wie in vertikalen

Durchsetzungskonstellationen – Rs. Berlusconi (2005)

Staatshaftung

• Haftung der MS für Verstöße gegen das Unionsrecht (= allgemeiner Rechtsgrundsatz)

• subsidiärer bzw sekundärer Rechtsbehelf

o lediglich wenn primäre Leistungsdurchsetzung nicht oder nicht mehr möglich ist (also

horizontale Sperrwirkung + keine Möglichkeit unionsrechtskonformer Auslegung), soll

immerhin noch der durch die Frustration des unmittelbaren Anspruchs entstandene

Schaden ausgeglichen werden

• Voraussetzungen – Rs. Francovich und Bonifaci (1991)

o fragliche Norm muss Einzelnen ein konkretes (verletztes) Recht verleihen, dessen Inhalt

schon aufgrund dieser Norm klar bestimmt ist (Justiziabilität)

o Verstoß muss ursächlich (kausal) iSe csqn für den erlittenen Schaden sein

o Verstoß muss hinreichend qualifiziert sein

• hinreichend qualifiziert sind


FÜM I

Europarecht

• völlige Nichtumsetzung einer RL

• Abweichung vom klaren Wortlaut einer RL

• Fortbestand des Verstoßes nach Klarstellung der Rechtslage

• Verkennung gefestigter stRsp des EuGH

• nicht hinreichend qualifiziert sind

• vertretbare (aber falsche) Auslegung der RL bei ihrer Umsetzung

• Verkennung einschlägiger Rsp des EuGH im Einzelfall

• Durchsetzung

o richtet sich nach nationalem Haftungsrecht / beachte aber die Korrektive der Äquivalenz

und Effektivität (siehe unten)

Rechtsfolgen und Durchsetzung im nationalen Recht

Unanwendbarkeit des nationalen Rechts

• Konfliktlösungsregel der Vorrangwirkung

o Nur Unionsrecht kommt zur Anwendung / entgegenstehendes nationales Recht ist dagegen

unangewendet zu lassen

• mögliche Formen der Unanwendbarkeit

o absolute/relative Nichtigkeit

o bloß schwebende Unwirksamkeit

o welcher dieser Rechtsfolgen im Konfliktfall mit Unionsrecht eintritt, entscheidet jede

nationale Rechtsordnung für sich / unionsrechtlich vorgegeben ist lediglich die Nichtanwendung

des fraglichen Rechtsakts gepaart mit der Durchsetzbarkeit der unionsrechtlich

zustehenden Ansprüche

• Faustregel für Österreich

o Konflikte öffentlich-rechtlicher Akte mit Unionsrecht führen zu einer bloß relativen

Nichtigkeit (Aufhebbarkeit) des Rechtsakts

o Konflikte zivilrechtlicher Akte (va Verträge) mit Unionsrecht können hingegen auch zur

absoluten Nichtigkeit führen

Rechtskraftdurchbrechung

• unionsrechtlicher Anwendungsvorrang kann aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit

im Einzelfall hinter die Rechtskraft von (unionsrechtswidrigen) Urteilen und Bescheiden

zurücktreten – jedoch nicht in allen Fällen

• Grundsatz der Rechtskraft (Bestandskraft) wird vom Unionsrecht generell anerkannt

o nationale Behörden und Gerichte sind demnach nur innerhalb enger Grenzen verpflichtet,

einen bestandskräftigen Bescheid oder ein Urteil zurückzunehmen, wenn

sich später deren Unvereinbarkeit mit Unionsrecht herausstellt

o Voraussetzungen – Rs. Kühne & Heitz (2004)

• außerhalb dieser engen Voraussetzungen nach Kühne & Heitz bleibt ein unionsrechtswidriger

nationaler Rechtsakt, wenn er in Rechtskraft erwachsen ist, jedoch bestehen bzw wird seine

Rechtswidrigkeit von der Rechtsordnung hingenommen

• äußere Grenze dieses Respekts liegt jedoch bei eklatanten Rechtswidrigkeiten, wenn also dem

entscheidenden Organ die Unionsrechtswidrigkeit schon zum Entscheidungszeitpunkt (ganz

offensichtlich) hätte auffallen müssen


FÜM I

Europarecht

Direktwirkung und Verfahrensautonomie

• Grundsatz der Verfahrensautonomie der MS (dezentraler Vollzug)

o Bedingungen der Durchsetzung von Unionsrecht dürfen dabei nicht ungünstiger gestaltet

sein als die Durchsetzungswege für ähnliche nationale Ansprüche (Äquivalenz)

o gleichzeitig muss auch eine faktisch wirksame Durchsetzung des Anspruchs gewährleistet

werden (Effektivität)

Direktwirkung und Beibringungsgrundsatz

• öffentlich-rechtliche Verfahren → Prinzip der Amtswegigkeit (Offizialmaxime)

o sog Untersuchungsgrundsatz – Tatsachen und Verdachtsmomente sind vom befassten

Gericht bzw von der befassten Behörde aus Eigenem zu ermitteln

• zivilgerichtliche Verfahren → Antragsprinzip (Dispositionsmaxime)

o sog Beibringungsgrundsatz – Parteien sind die Herren des Verfahrens und legen insb

den Streitgegenstand und den relevanten Kreis an Rechtsnormen selber fest

• Unionsrecht akzeptiert dabei die dem Gericht bzw der Behörde nach dem nationalen Verfahrensrecht

allgemein zugewiesene (aktive oder passive) Rolle

o demnach verlangt das Unionsrecht im Regelfall auch keine Durchbrechung von Dispositions-

und Beibringungsgrundsatz

o Rs. van der Weerd (2007)

Parallelverfahren und Verfahrensaussetzung

• wird der EuGH mit einem Vorabentscheidungsverfahren befasst, so geht das Unionsrecht davon

aus, dass ein nationales Verfahren bis zum Einlangen der Antwort ausgesetzt wird

o generelle Verpflichtung zur Verfahrensaussetzung besteht nicht / eine abschließende

Sachentscheidung bis zum Einlangen der Antwort ist allerdings unzulässig

• bei Vorabentscheidungsverfahren anderer Gerichte oder der Einleitung eins Vertragsverletzungsverfahrens

liegt es nahe, das eigene Verfahren ebenfalls auszusetzen

o generelle Aussetzungspflicht besteht aber wiederum nicht / es besteht aber die Gefahr,

durch die Nichtaussetzung einen Verstoß gegen das Unionsrecht zu begehen

• bei Verfahren zur Prüfung von Verstößen von Unternehmen gegen Kartell- und Missbrauchsverbote

(Art 101 & 102 AUEV) besteht nach stRsp des EuGH eine Aussetzungspflicht für mit

denselben Verstößen befasste nationale Gerichte, wenn die Gefahr besteht, dass es zu widersprüchlichen

Entscheidungen kommt

Durchsetzungswege im Vergleich

• neben der nationalen Gerichtsbarkeit gibt es in gewissen Rechtsbereichen (etwa im Zivilverfahren)

die Möglichkeit, anstatt bzw neben den nationalen Gerichten auch die Kommission mit

einer unionsrechtlichen Frage zu befassen

• Kommission ist dabei dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verpflichtet und hat

daher ihr zur Kenntnis gebrachte Unionsrechtsverletzungen in allen Bereichen des Unionsrechts

nach pflichtgemäßen Ermessen aufzugreifen

• Kommission

o Vorteile – Kostenfreiheit / keinerlei Prozesskostenrisiko

o Nachteile – unklare Erfolgsaussichten / lange Verfahrensdauer / über Abstellung des

Verstoßes hinaus keine weiteren Ansprüche (etwa SE)

• Nationale Gerichte

o Vorteile – volle Kontrolle des Klägers über das Verfahren / breiterer Strauß von Ansprüchen

kann geltend gemacht werden (etwa SE)


FÜM I

Europarecht

o Nachteile – hoher Ressourcenaufwand / Prozesskostenrisiko

• welche Durchsetzungsvariante nun vorteilhafter ist, hängt letztlich immer vom Einzelfall ab

o generell ist aber anzuraten, eine Kommissionbeschwerde zumindest parallel zu einem

nationalen Gerichtsverfahren auch zu versuchen


FÜM I

Europarecht

VII. Unionsrechtsschutz

Überblick

Dualität des Unionsrechtsschutzes (Art 19 Abs 1 EUV)

• Gerichtshof (= EuGH + EuG)

o garantiert die Wahrung des Unionsrecht bei der Auslegung und Anwendung der Verträge

(sog Auslegungsmonopol)

• MS und ihre Gerichte

o gewährleisten wirksamen Individualrechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten

Bereichen mit eigenen Verfahren und Rechtsbehelfen

(Unions-)Gerichte

• EuGH

o erledigt etwa 600-700 Verfahren im Jahr

o durchschnittliche Verfahrensdauer – 15 bis 20 Monate

• EuG

o erledigt etwa 800 Verfahren im Jahr

o durchschnittliche Verfahrensdauer – 24 Monate

o Dopplung der Zahl der Richter am EuG bis 2019

Verfahrensarten (grob)

• Vorabentscheidungsverfahren (Art 267 AEUV)

• Direktklagen (Art 258 ff AEUV)

o Vertragsverletzung / Nichtigkeit / Untätigkeit

o Schadenersatz / Klagen aufgrund von Schiedsklauseln (hier nicht behandelt)

• bindende Gutachten des EuGH über die unionsrechtliche Vereinbarkeit internationaler Abkommen

der EU (Art 218 Abs 11 AEUV)

o erlaubt es, unionsrechtswidrige Bestimmungen in Abkommen rechtzeitig aufzuspüren,

bevor das Abkommen für die EU Bindungswirkung hat

Verfahrensbestimmungen

• Grobrahmen der Verfahrensbestimmungen finden sich in der EuGH-Satzung

o Details führen die beiden VerfO für den EuGH und das EuG aus

Zuständigkeitsverteilung (Art 256 AEUV)

• Vorabentscheidungsverfahren – EuGH (Art. 267 AEUV)

• Direktklagen

o Vertragsverletzung – EuGH

o Nichtigkeit und Untätigkeit – geteilte Zuständigkeit (grdsl aber EuG)

o Schadenersatz und Klagen aufgrund von Schiedsklauseln – EuG

• sämtliche Rechtsmittelverfahren – EuGH

Vertragsverletzung (Art 258-260 AEUV)

Allgemeines

• Verfahren gegen MS wegen Verletzung von Unionsrecht – drei Komponenten

o (1) Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch Kommission (Art 258 AEUV)

oder (2) durch jeden MS (Art 259 AEUV)


FÜM I

Europarecht

o (3) bei Nichtbeseitigung einer gerichtlich festgestellten Vertragsverletzung können in

einem zweiten Verfahren Geldstrafen verhängt werden (Art 260 Abs. 2 2. Absatz

AEUV)

• Ausnahme – Nichtumsetzung von RL (dort gleich im Art-258-Verfahren)

• für Vertragsverletzung ist ausschließlich der EuGH zuständig (= kein Rechtsmittel)

Rechtsschutzziel

• Ziel ist die Feststellung, ob der beklagte MS gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen (einschließlich

des von den Verträgen abgeleiteten Rechts) verstoßen hat

• diese Feststellung ist Anknüpfungspunkt für weitere Rechtsfolgen, die aber in separaten Verfahren

geltend gemacht werden müssen (etwa Geldbußen nach Art 260 AEUV)

Zulässigkeitsvoraussetzungen

1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also EuGH)

o aktivlegitimiert sind dabei ausschließlich die Kommission (Art 258 AEUV) oder MS (Art

259 AEUV) / passivlegitimiert sind nur MS

2. Gegenstand der Klage muss sich gegen eine Maßnahme des betreffenden MS richten

3. vor Klageerhebung muss ein (erfolglos gebliebenes) Vorverfahren durchgeführt worden sein

o im Fall des Art 258 AEUV besteht dieses aus einem Mahnschreiben der Kommission an

den MS und einer (abschlägigen) Gegenäußerung dieses MS

o im Fall des Art 259 AEUV besteht es aus der Befassung der Kommission, die eine begründete

Stellungnahme zu der vom MS behaupteten Vertragsverletzung abgibt

4. allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften sind einzuhalten

• keine Zulässigkeitsvoraussetzung ist der Nachweis von Rechtsschutzinteresse (iS eines Nachteils

des Klägers durch die beanstandete Maßnahme des beklagten MS)

Begründetheit

• Vertragsverletzungsklage ist inhaltlich begründet, wenn

1. die vom Kläger behaupteten Tatsachen zutreffen,

2. das Verhalten des beklagten MS auch tatsächlich gegen Unionsrecht verstößt und

3. die fragliche Maßnahme dem betreffenden MS auch zuzurechnen ist

Urteil

• Vertragsverletzungsurteil ist ein Feststellungsurteil (mit erga omnes-Wirkung)

o es bewirkt die Pflicht des betreffenden MS zur Beseitigung und weiteren Unterlassung

des festgestellten Verstoßes (aber noch keine Bußen etc)

Geldbußen (Art 260 AEUV)

• Nichtbefolgung der Verpflichtung zur Beseitigung/Unterlassung der festgestellten Vertragsverletzung

kann in einem zweiten Gerichtsverfahren mit Geldbußen sanktioniert werden

o aktivlegitimiert ist dabei ausschließlich die Kommission

o einzige Ausnahme von der Regel, ein separates Verfahren durchzuführen, ist die vollständige

Nichtumsetzung einer RL / Kommission kann dann bereits im Rahmen der

ersten Vertragsverletzungsklage Geldbußen mitbeantragen (Art 260 Abs 3 AEUV)

• Formen von Geldbußen

o Pauschalbeträge (Vergangenheit) – sanktionieren bereits erfolgte Verstöße

o Zwangsgelder (Zukunft) – dienen als Anreiz für MS, den Verstoß rasch zu beenden

o Höhe dieser Strafen beantragt die Kommission im Rahmen der Klage, wobei sie von

einem einheitlichen Sockelbetrag ausgeht und diesen fallbezogen anpasst


FÜM I

Nichtigkeit und Untätigkeit (Art 263 + 265 AEUV)

Allgemeines

Europarecht

• Verfahren gegen ein Unionsorgan wegen Unzufriedenheit mit dessen Verhalten

o dieses Verhalten besteht bei der Nichtigkeitsklage (Art 263 AEUV) im Erlass einer mutmaßlich

rechtswidrigen Handlungsvorschrift

o bei der Untätigkeitsklage (Art 265 AUEV) besteht das Verhalten hingegen im rechtswidrigen

Unterlassen einer solchen Handlungsvorschrift

• für Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen ist grdsl das EuG zuständig / ausgenommen sind Streitigkeiten

hinsichtlich der Legalität der Gesetzgebung (EuGH)

o soweit das EuG zuständig ist, können Rechtsmittel beim EuGH eingelegt werden

Rechtsschutzziel

• Nichtigkeitsklage – Ziel ist die Aufhebung der mutmaßlich rechtswidrigen Handlung eines Unionsorgans

(= Rechtsgestaltungsklage)

o der Erhebung der Nichtigkeitsklage kommt dabei idR keine aufschiebende Wirkung

beim Vollzug des bekämpften Rechtsakts zu

• Untätigkeitsklage – Ziel ist die Feststellung, ob eine Handlungspflicht des beklagten Unionsorgans

besteht (= Feststellungklage)

Zulässigkeitsvoraussetzungen

1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also im Regelfall EuG)

o aktivlegitimiert sind dabei iW sämtliche EU-Organe, die MS sowie Einzelpersonen (zur

Privilegierung siehe unten) / passivlegitimiert sind nur EU-Organe

2. Gegenstand der Klage muss sich gegen (Nichtigkeitsklage) bzw auf (Untätigkeitsklage) eine

rechtlich bindende Handlung des beklagten Organs richten

3. nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) müssen zudem ihr Rechtsschutzinteresse durch die

angefochtene (Nichtigkeit) oder unterlassene (Untätigkeit) Handlung nachweisen

4. Klagefristen

o Nichtigkeitsklage – zwei Monate ab Kenntnis der betreffenden Handlung

o Untätigkeitsklage – zwei Monate ab Aufforderung des zuständigen Organs

5. allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften sind einzuhalten

o bei Untätigkeitsklage gehört zu den in der Klageschrift darzulegenden Tatsachen daher

auch eine Beschreibung der gewünschten Maßnahmen und der infolge der Untätigkeit

des Organs konkret verletzten Handlungspflicht

Begründetheit

• Nichtigkeitsklage ist inhaltlich begründet, wenn einer der in Art 263 AEUV genannten Nichtigkeitsgründe

vorliegt – es sind dies

o Verletzung höherrangigen Unionsrechts

o Unzuständigkeit des handelnden Organs

o Verletzung wesentlicher Formvorschriften

o Ermessensmissbrauch

• Untätigkeitsklage ist inhaltlich begründet, wenn eine Handlungspflicht tatsächlich bestand

o bei nicht privilegierten Klägern (Einzelpersonen) muss die Handlungspflicht konkret

gegenüber dem Kläger bestanden haben (unmittelbare + individuelle Betroffenheit)

Urteil

• Nichtigkeitsurteil ist ein Rechtsgestaltungsurteil (mit erga omnes-Wirkung)

o es hebt den angefochtenen Rechtsakt (idR ex tunc) auf


FÜM I

Europarecht

• Untätigkeitsurteil ist ein Feststellungsurteil

o stellt Handlungspflicht bloß fest / ignoriert das zuständige Organ seine Handlungspflicht

weiterhin, muss neuerlich Untätigkeitsklage erhoben werden (evtl aber SE)

Privilegierte und nicht privilegierte Kläger

• Nichtigkeitsklage – unterscheidet

o vollständig privilegierte Kläger (MS, Rat, Kommission und Parlament) – müssen keinerlei

eigenes Interesse an der aufzuhebenden oder zu erlassenden Handlung haben

o teilprivilegierte Kläger (Rechnungshof, EZB, AdR) – müssen den einfachen Betroffenheitsnachweis

antreten (dh dass sie die Klage zur Ausübung ihrer Rechte erheben)

o nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) – müssen Nachweis über das konkrete

Rechtsschutzinteresse (sog unmittelbare und individuelle Betroffenheit) erbringen

• Untätigkeitsklage – unterscheidet bloß

o privilegierte Kläger (MS + alle EU-Organe gleichermaßen) – müssen keinerlei eigenes

Interesse an der aufzuhebenden oder zu erlassenden Handlung haben

o nicht privilegierte Kläger (Einzelpersonen) – müssen Nachweis über das konkrete

Rechtsschutzinteresse (sog unmittelbare und individuelle Betroffenheit) erbringen

Vorabentscheidungen (Art 267 AEUV)

Allgemeines

• Verfahren über die Auslegung und Gültigkeit von Unionsrecht

o ermöglicht Zusammenwirken von EuGH und nationalen Gerichten bei der Anwendung

des Rechts in den MS

• für Vorabentscheidungen ist ausschließlich der EuGH zuständig (= kein Rechtsmittel)

• Aufgabe des EuGH ist im Vorabentscheidungsverfahren darauf beschränkt, eine für das nationale

Ausgangsverfahren konkret relevante Frage des Unionsrechts zu beantworten

o alle sonstigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits (Verfahrensführung, Sachverhaltsfeststellungen,

etc) verbleiben im Aufgabenbereich der nationalen Gerichte

Rechtsschutzziel

• Ziel ist die Sicherstellung der richtigen Anwendung von Unionsrecht in jedem vor den nationalen

Gerichten behandelten Einzelfall (Individualrechtsschutz)

• es handelt sich dabei um ein Zwischenverfahren des nationalen Gerichtsverfahrens, das eine

konkrete Frage des nationalen Gerichts betreffend die Auslegung und Gültigkeit von Unionsrecht

(aller Stufen) zum Gegenstand hat

Zulässigkeitsvoraussetzungen (= Vorlagebefugnis)

1. Einbringung beim für diese Klageart zuständigen Gericht (also EuGH)

2. Ersuchen muss von einem nationalen Gericht iSd Art 267 AEUV stammen

o EuGH legt dabei den Gerichtsbegriff in stRsp autonom aus und misst die jeweilige Einrichtung

an gerichtstypischen Kriterien

3. Vorlagefrage muss Unionsrecht zum Gegenstand haben

o Fragen zum nationalen Recht, zum Sachverhalt usw sind unzulässig

4. Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH muss erforderlich sein, um den nationalen

Ausgangsrechtsstreit auch entscheiden zu können

5. Mindestinhalt an allgemeinen Formvoraussetzungen für Klageschriften ist einzuhalten

o darüber hinaus besteht Formfreiheit für Vorabentscheidungsersuchen


FÜM I

Europarecht

Begründetheit

• Begriff der Begründetheit meint idZ in welchen Konstellationen eine Vorlage zu Recht (also

begründet) erfolgt, wann also ein Vorlagerecht bzw sogar eine Vorlagepflicht besteht

• unterinstanzliche Gerichte ein Vorlagerecht (keine Verpflichtung!)

o nur in einem Ausnahmefall besteht aber auch für unterinstanzliche Gerichte eine Vorlagepflicht,

uzw wenn sie Zweifel an der Gültigkeit eines Unionsrechtsakts haben

• letztinstanzliche Gerichte haben hingegen eine generelle Vorlagepflicht

o sie haben Fragen der Auslegung oder Gültigkeit von Unionsrecht, die in den von ihnen

behandelten Fällen aufgeworfen werden, dem EuGH vorzulegen

• CILFIT

o

o

von dieser Vorlageverpflichtung letztinstanzlicher Gerichte bestehen nach der sog CIL-

FIT-Doktrin drei Ausnahmen / sie betreffen aber nur den Umgang mit Auslegungszweifeln,

aber niemals Fragen der Gültigkeit (wo immer vorzulegen ist)

Vorlage zu Auslegungsfragen ist demnach nicht erforderlich, wenn

• dieselbe Frage bereits einmal beantwortet wurde (act éclairé II)

• die Rechtsfrage bereits in stRsp des EuGH gelöst ist, auch wenn die Fragen bzw

Sachverhaltsumstände nicht vollkommen identisch sind (act éclairé I)

• der EuGH die Rechtsfrage zwar noch nicht selbst behandelt hat, die richtige

Antwort aber derart offenkundig ist, dass für kein anderes Gericht im Binnenmarkt

oder den EuGH Raum für vernünftigen Zweifel besteht (act clair)

Urteil

• Vorabentscheidungsurteile ähneln sowohl Feststellungsurteilen als auch Zwischenurteilen,

sind aber mit keinen von beiden völlig vergleichbar

o vielmehr sind es verbindliche Gutachten zum Unionsrecht

• Vorabentscheidungen entfalten darüber hinaus auch faktische erga omnes-Wirkung, denn der

EuGH unternimmt dadurch ja eine Auslegung des Unionsrechts

o nationale Behörden und Gerichte haben die Rsp des EuGH in Vorabentscheidungssachen

daher als Stand des Rechts zu beachten

• die in Vorabentscheidungen unternommene Auslegung des Unionsrechts gilt im Regelfall ex

tunc, war also formal betrachtet schon in der Vergangenheit Inhalt der betreffenden Norm

Parteiansprüche im Rahmen der Vorabentscheidung

• Frage, ob die Parteien des nationalen Verfahrens ein Mitspracherecht dahin haben, dass sie

eine Vorlage verlangen (oder verhindern) können

• nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie sind die Partierechte im nationalen Verfahren

grdsl eine Sache des nationalen Verfahrensrechts

o Unionsrecht alleine vermittelt jedenfalls keinen Vorlageanspruch der Parteien

o es verleiht aber zumindest das Recht, eine Vorlage anregen zu dürfen und diese Anregung

vom zuständigen nationalen Gericht prüfen zu lassen

• auch in Österreich besteht kein über diesen unionsrechtlichen Rahmen hinausgehender, individueller

Parteianspruch auf Vorlage / entscheidet sich das Gericht für eine Vorabentscheidung,

ist der Vorlagebeschluss daher im Regelfall unanfechtbar

• eine Verletzung der Vorlagepflicht stellt eine Vertragsverletzung dar

o in Österreich wird die rechtswidrige Nichtvorlage als Verletzung des Rechts auf den

gesetzlichen Richter gewertet, sodass das betreffende Urteil mit einem schwerwiegenden

Rechtsfehler behaftet ist


FÜM I

Europarecht

VIII. Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht

Grundlagen

Allgemeines

• Binnenmarktrecht ist der wichtigste Teil des sog materiellen Europarechts

o materielles Recht = Rechtsnormen, die das Entstehen (und die Beendigung) von Verpflichtungen

und Berechtigungen Einzelner nach Art und Umfang regeln

o formelles Recht = im Grunde Organisationsrecht, das dem materiellen Recht vor- (zB

Rechtsetzung) und nachgelagerte (zB Durchsetzung) Fragen regelt

Definition des Binnenmarkts

• Art 26 AEUV – „Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen,

Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist“

• Teil des Binnenmarktrechts ieS sind also jedenfalls die

o sog Grundfreiheiten (Waren/Arbeitnehmer/Niederlassung/Dienstleistungen/Kapital)

o + personenbezogene Freizügigkeitsregeln (Nichtdiskriminierung/Unionsbürgerschaft)

• Binnenmarktrecht iwS sind hingegen alle auf den internen (!) Markt der EU bezogenen Regeln

für Unternehmen und Private (dh Binnenmarktrecht ieS + sämtliche internen Politiken des

Dritten Teils des AEUV)

• für die von den Binnenmarktregeln erfassten Grundfreiheiten sollen die Binnengrenzen (also

die Hoheitsgrenzen zwischen den MS) im Freiverkehr nicht spürbar sein – es wird also fingiert,

dass es diese Grenzen überhaupt nicht gäbe – dies erfolgt durch

o sog Positivintegration einerseits

• Rechtsangleichung/Harmonisierung der waren-, personen-, unternehmens-,

dienstleistungs- und kapitalverkehrsrelevanten Rechtsvorschriften der MS

durch den EU-Gesetzgeber (Art 114 AEUV)

o sog Negativintegration andererseits

• Ge- und Verbote auf Primärrechtsebene, die die Beseitigung von Freiverkehrshemmnissen

auch dann fordern, wenn noch keine positive Rechtsangleichung

erfolgt ist – zentraler Motor für das Verbot solcher Hemmnisse ist dabei der

EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren

• wird von der Regel abgewichen, sind die Binnengrenzen im Einzelfall also doch spürbar, besteht

Rechtfertigungsbedarf aufseiten des betreffenden MS

• dass eine freiverkehrshemmende/wettbewerbsbeschränkende Regelung unter einen primärrechtlichen

Verbotstatbestand fällt (= Tatbestandsprüfung), bedeutet also noch nicht zwingend,

dass diese Regelung auch endgültig verboten ist!

o MS unterliegen aber einer Rechtfertigungslast (= Rechtfertigungsprüfung)

Gemeinsame Merkmale der Grundfreiheiten

• alle Grundfreiheiten verbieten Diskriminierungen und Beschränkungen gleichermaßen

o Diskriminierung = Ungleichbehandlung zweier im Übrigen gleicher Sachverhalte aus

dem alleinigen Grund der unterschiedlichen Staatsangehörigkeit

• direkte Diskriminierung – Staatsangehörigkeit als Kriterium der Ungleichbehandlung

ist unmittelbar in der Norm genannt

• indirekte Diskriminierung – Norm verwendet andere Kriterien, die zum gleichen

Ergebnis führen, ohne die Staatsangehörigkeit explizit zu nennen


FÜM I

Europarecht

o Beschränkung = jede sonstige Norm der Rechtsordnung, die die Ausübung einer

Grundfreiheit behindert oder weniger attraktiv macht (auch wenn In- und Ausländer

gleichermaßen erfasst sind)

• Anwendung sämtlicher Grundfreiheiten ist subsidiär zur Anwendung spezifischeren Sekundärrechts

(VO, RL, etc) in Ausführung der Grundfreiheiten

• sämtliche Grundfreiheiten erfordern als Voraussetzung ihrer Anwendung einen grenzüberschreitenden

Sachverhalt (sog Zwischenstaatlichkeitsschwelle)

o erschöpft sich ein SV innerhalb eines MS, kann die fragliche Grundfreiheit aus unionsrechtlicher

Sicht nicht zur Anwendung gebracht werden

o es bestehen allerdings mehrere Einschränkungen

• erstens ist Sekundärrecht generell vom Prüferfordernis einer Zwischenstaatlichkeitsschwelle

ausgenommen (nicht aber Primärrecht!)

• zweitens zeigt sich der EuGH in der Praxis betont großzügig bei der Prüfung

der Zwischenstaatlichkeitsschwelle von ihm vorgelegten SV

• drittens kennen einige MS (auch Österreich) ein Verbot der sog Inländerdiskriminierung

/ beruft sich also ein EU-Ausländer auf eine Grundfreiheit, so eröffnet

das österreichische Verfassungsrecht auch Inländern diese Möglichkeit

• gemeinsam ist den Grundfreiheiten außerdem ihr staatsgerichteter Charakter

o Verpflichtete der Grundfreiheiten sind nur MS (beachte aber weiten Staatsbegriff) / in

horizontalen Rechtsstreitigkeiten sind sie daher nicht anwendbar

• zudem erlauben es alle Grundfreiheiten den MS, zusätzlich zur primärrechtlichen Rechtfertigung

einen ungeschriebenen, offenen Katalog an zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses

beizuziehen / Unterschied in der Anwendung beider Rechtfertigungsmöglichkeiten

o so können diskriminierende Maßnahmen der MS nur mit den im Vertrag ausdrücklich

niedergelegten Gründen gerechtfertigt werden

o hingegen stehen zwingende Erfordernisse nur für Beschränkungen zur Verfügung, die

ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gelten

• schließlich sind alle Grundfreiheiten auch unmittelbar anwendbar (Direktwirkung) – Einzelne

können sich daher vor nationalen Gerichten direkt auf ihren Gewährleistungsgehalt berufen

Prüfschema Grundfreiheiten

1. Festlegung der nach dem SV prima facie einschlägigen Norm

2. besteht für diese Norm Sekundärrecht?

o wenn ja, richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahme ausschließlich nach den Detailregelungen

des Sekundärrechts!

3. persönlicher Schutzbereich – wer ist Träger der Grundfreiheit?

o Grundfreiheitenträger sind idR Staatsangehörige bzw juristische Personen eines MS

4. sachlicher Schutzbereich – handelt es sich um eine von der Norm geschützte Tätigkeit?

o Tätigkeit ist geschützt, wenn sie (1) einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist (Zwischenstaatlichkeitsschwelle),

(2) das Verhalten des Grundfreiheitenträgers konkret

geschützt ist und (3) dieses Verhalten unter keine besondere Bereichsausnahme fällt

5. liegt ein Eingriff in den Schutzbereich vor?

o ein Eingriff liegt vor, wenn (1) eine verbotene Maßnahme gegenüber dem Grundfreiheitsträger

gesetzt wurde (also eine Diskriminierung oder Beschränkung hinsichtlich

der geschützten Verhaltensweise) und (2) diese Maßnahme staatlich zurechenbar ist

6. besteht eine Rechtfertigungsmöglichkeit?

1) welcher Katalog an Rechtfertigungsgründen findet Anwendung – nur Primärrecht oder

auch zwingende Erfordernisse?

2) was ist das konkrete Ziel des Eingriffs, also warum wurde Maßnahme vom MS gesetzt?

3) ist dieses Ziel von den vorgefundenen Rechtfertigungsgründen abgedeckt (= zulässig)?


FÜM I

Europarecht

4) wenn ja, ist die konkrete Maßnahme im Hinblick auf das verfolgte Ziel auch verhältnismäßig

– Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit (= gelindestes Mittel)?

Gemeinsame Merkmale der Wettbewerbsnormen

• gleich den Grundfreiheiten sind die primärrechtlichen Verbote des Wettbewerbsrechts subsidiär

gegenüber spezifischerem Sekundärrecht

• wie auch bei den Grundfreiheiten erfordert die Anwendung sämtlicher Wettbewerbsnormen

einen grenzüberschreitenden Sachverhalt (Zwischenstaatlichkeitsschwelle)

• Verpflichteten sind je nach Wettbewerbsnorm unterschiedlich

o überwiegend sind es Unternehmen, teils auch Private

• alle Normen des Wettbewerbsrechts sind, wie auch die Grundfreiheiten, mit Rechtfertigungsmöglichkeiten

kombiniert (Art 101 bis 109 AEUV)

• schließlich sind, ebenfalls gleich den Grundfreiheiten, alle Verbote des Wettbewerbsrechts unmittelbar

anwendbar (Direktwirkung)

o bei den Kartell- und Missbrauchsverboten gilt dies schon für die jeweiligen Tatbestände,

für das Beihilfeverbot nur hinsichtlich des Durchführungsverbots

Warenverkehr (Art 34 AEUV)

Allgemeines

• EU hat ein einheitliches Zollgebiet mit gemeinsamen Außenzöllen (Art 28 AEUV)

o Zölle sowie Abgaben gleicher Wirkung zwischen den MS (also innerhalb des Binnenmarkts)

sind demnach verboten (Art 30 AEUV)

• Art 34 AEUV (!) normiert darüber hinaus auch ein Verbot aller sonstigen Einfuhrbeschränkungen

(zB mengenmäßig) und Hemmnisse gleicher Wirkung durch die MS

Persönlicher Schutzbereich

• Schutz gegen Warenverkehrshemmnisse iSd Art 34 AEUV genießen

o aus einem MS stammende Waren sowie

o in einem MS (rechtmäßig) in den Verkehr gebrachte Waren

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Einfuhr/Bezug von Waren aus einem anderen MS

• Ware iSv Art 34 AEUV ist dabei jeder Gegenstand mit Geldwert, der die Eignung aufweist, Gegenstand

von Handelsgeschäften (dh marktfähig) zu sein

o Warenbegriff erfasst auch unkörperliche Gegenstände (zB Strom oder Gas)

o IP-Rechte (also Patente, Marken, etc) hängen dagegen am betreffenden Gegenstand

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Warenverbringung

• keine Bereichsausnahme

o zu beachten ist aber, dass der AEUV eine Anzahl speziellerer Normen (zB für Waren im

Bereich der Landwirtschaft und Fischerei) enthält, die Art 34 AEUV vorgehen

Eingriff

• potenziell warenverkehrsbeschränkende Maßnahme muss staatlich, dh einem Hoheitsträger,

zuzurechnen sein / handeln dagegen Private, so ist zu prüfen, ob dieses Handeln in den Nahebereich

des Staates gebracht werden kann (siehe weiter Staatsbegriff)

• Kern der Eingriffsprüfung ist aber die Definition, was nach Art 34 AEUV letztlich als warenverkehrsbeschränkende

Maßnahme gilt – nach dem Wortlaut verboten sind jedenfalls

o mengenmäßige Beschränkungen

o die gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr oder Durchfuhr


FÜM I

Europarecht

o Totalimportverbote sowie totale Verwendungs- und Nutzungsbeschränkungen

• darüber hinaus erstreckt sich das Verbot aber auch auf alle Maßnahmen (= Diskriminierungen

und Beschränkungen) mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen / hinsichtlich

dieser Maßnahmen gleicher Wirkung gibt es grundlegende EuGH-Judikatur, die diesen (tendenziell

weiten) Begriff im Laufe der Zeit einzugrenzen versuchte

• Rs. Cassis de Dijon (1979) – etablierte drei wichtige Grundsätze, die für den Warenverkehr

(sowie für die Binnenmarktlogik insgesamt) bis heute prägend sind:

1. Anwendbarkeit des Art 34 AEUV auf unterschiedslose Beschränkungen – Hemmnisse

aller Art müssen nur hingenommen werden, wenn sie notwendig sind

2. Ursprungslandprinzip – Waren sollen grdsl in derselben Form, wie sie sich im Ursprungsland

rechtmäßig am Markt befinden, in allen MS zirkulieren dürfen

• jeder Zwang zur Änderung der Ware (Etikettierung, Form, usw) aus dem alleinigen

Grund des Überschreitens der Binnengrenzen verletzt dieses Prinzip

3. Möglichkeit der Rechtfertigung von Beschränkungen mit sog zwingenden Erfordernissen

des Allgemeininteresses, die über die primärrechtlich ausdrücklich vorgesehenen

Ausnahmen hinausgehen können

• Rs. Keck und Mithouard (1993) – Verkaufsmodalitäten, also Regelungen darüber, wer was

wann und wie verkaufen darf, sind ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Art 34 AEUV

ausgenommen, wenn sie für ausländische Waren auch im Rahmen einer Feinprüfung keine

Nachteile bergen (sie also rechtlich wie tatsächlich unterschiedslos betreffen)

• Rs. DocMorris (2003) – Beispiel für Verkaufsmodalitäten, die in- und ausländische Produkte in

unterschiedlicher Weise berühren (Ausschluss des Vertriebswegs über das Internet)

Rechtfertigung

• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen

o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 36 AEUV – zB öffentliche

Ordnung und Sicherheit, Umweltschutz (Tiere und Pflanzen), nationales Kulturgut, etc

(siehe vollständig Art 36 AEUV)

o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses – zB Verbraucherschutz,

Lauterkeit des Handelsverkehrs, allgemeiner Umweltschutz, etc

• stets unzulässig sind aber budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe

(zB Stärkung der heimischen Produktion)

• Verfügbarkeit

o Rechtfertigungsgründe des Art 36 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse

hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen

• Verhältnismäßigkeit

o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung

dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,

erforderlicher und angemessener Weise verfolgt

Freizügigkeit der Unionsbürger und Arbeitnehmer

Allgemeines

• Begriff Freizügigkeit meint die Freiheit von Personen, sich im Gebiet der EU zu bewegen und

aufzuhalten (synonym freier Personenverkehr)

• Freizügigkeit umfasst dabei iW drei selbständige, aber eng miteinander verbundene Regimes:

o allgemeines Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV)

o Aufenthaltsrecht der Unionsbürger (Art 21 AEUV)

o freier Verkehr von Arbeitnehmern (Art 45 AEUV)

o alle genannten Normen haben unmittelbare Wirkung (Direktwirkung)


FÜM I

Europarecht

Allgemeines Diskriminierungsverbot (Art 18 AEUV)

• allgemeines Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit

o AEUV enthält daneben auch zahlreiche spezifischere Diskriminierungsverbote, gegenüber

welchen Art 18 AEUV demnach nur subsidiäre Anwendung findet

Persönlicher Schutzbereich

• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich Unternehmen

o Staatsangehörigkeit von Unternehmen – Gründungstheorie (Ort der Gründung) oder

Sitztheorie (Sitz der Hauptverwaltung)

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Abwehr einer Schlechterstellung aus dem alleinigen Grund der

EU-ausländischen Staatsangehörigkeit des Berechtigten

o keine Bereichsausnahme

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = knüpft am Staatsangehörigkeitskriterium an, was automatisch

den notwendigen, grenzüberschreitenden Bezug herstellt

Eingriff und Rechtfertigung

• Verbot greift gegenüber der Ungleichbehandlung von im Übrigen gleichen Sachverhalten aus

dem alleinigen Grund der Staatsangehörigkeit des Berechtigten

o Art 18 AEUV ist daher ein reines Diskriminierungs- und kein Beschränkungsverbot

• Frage der (diskriminierungsrelevanten) Gleichbehandlung erfordert eine Sachlichkeitsprüfung

o gesonderte Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung erübrigt sich daher, inhaltlich

entspricht die Sachlichkeitsprüfung aber der Rechtfertigungsprüfung

• Sachlichkeitsprüfung – sachliche Ungleichbehandlungen sind nicht diskriminierend

o eine unterschiedliche Behandlung kann daher stets gerechtfertigt sein, wenn sie auf

objektiven (von der Staatsangehörigkeit unabhängigen) Erwägungen beruht und in einem

angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck steht

Unionsbürgerschaft (Art 21 AEUV)

• Unionsbürgerschaft ist in mehreren Artikeln geregelt, wobei sich in Art 21 Abs 1 AEUV va die

eingangs erwähnte Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit wiederfindet

Persönlicher Schutzbereich

• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS (also Unionsbürger), einschließlich gleichgestellter

Personen – dazu zählen auch Unternehmen (außer bei höchstpersönlichen Rechten)

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Bewegung und Aufenthalt in einem anderen MS

o keine Bereichsausnahme

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = Freizügigkeitsrecht muss vom Unionsbürger tatsächlich ausgeübt

worden sein (inkl Probleme bei der Rückkehr nach einem Auslandsaufenthalt)

Eingriff I – Aufenthalt (UnionsbürgerRL)

• ein Eingriff liegt erstens dann vor, wenn der Aufenthalt verweigert wird

o die Bedingungen des Aufenthalts von Unionsbürgern sind dabei in der UnionsbürgerRL

geregelt (= Sekundärrecht = lex specialis)

• UnionsbürgerRL unterwirft das Aufenthaltsrecht Erfordernissen der Selbsterhaltungsfähigkeit

o selbständige oder unselbständige Tätigkeit (oder sonst)


FÜM I

Europarecht

o Nachweis von Existenzmitteln und Krankenversicherung

o + Verwurzelung

• weitere Vorgaben der UnionsbürgerRL:

o Unionsbürger und deren Familienangehörige haben für einen Zeitraum von bis zu drei

Monaten ein freies Aufenthaltsrecht in jedem anderen MS (Art 6)

o ein Recht auf Aufenthalt von über drei Monaten besteht dagegen nur, wenn es sich

um Arbeitnehmer oder Selbständige bzw dessen Familienangehörige handelt oder

wenn ausreichend Existenzmittel und eine KV nachgewiesen werden können (Art 7)

o nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren (sog Verwurzelung) wird

dem Berechtigten und seinen Familienangehörigen ein Recht auf Daueraufenthalt

(einschließlich Zugang zu Sozialleistungen) verliehen (Art 16)

• für bestimmte Personengruppen (zB Pensionisten oder Berufsinvalide) gelten

dabei erleichterte Daueraufenthaltsregeln

o ab zehn Jahren Daueraufenthalt sowie bei Minderjährigen gilt zudem ein verstärkter

Ausweisungsschutz (nur noch Gründe der öffentlichen Sicherheit bzw Kindeswohl)

Eingriff II – Gleichbehandlung

• ein Eingriff liegt zweitens auch dann vor, wenn es während des Aufenthalts zu einer Schlechterstellung

gegenüber eigenen Staatsangehörigen kommt (sog Gleichbehandlungsgebot)

o hinsichtlich dieser Gleichbehandlungspflicht bestehen aber Einschränkungen

• so hat der EuGH seine anfänglich sehr großzügige Rsp zur Gleichbehandlung in Bezug auf den

Zugang zu Sozialleistungen sukzessive eingeengt

o demnach ist es den MS erlaubt, diesen Zugang vom Erfordernis einer gewissen Bindung

an die MS bzw Verwurzelung in den MS abhängig zu machen

o diese Bindung bzw Verwurzelung läuft dabei iW parallel mit den Voraussetzungen der

UnionsbürgerRL beim Aufenthaltsrecht (Selbsterhaltungsfähigkeit etc)

• Rs. Dano (2014)

Rechtfertigung

• Tatbestandsprüfung erfordert (wie auch bei Art 18 AEUV) eine Sachlichkeitsprüfung

o potenzieller Eingriff in die Freizügigkeit der Unionsbürger kann daher stets gerechtfertigt

sein, wenn er auf objektiven Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis

zu einem legitimen Zweck steht

o gesonderte Rechtfertigungs- und Verhältnismäßigkeitsprüfung erübrigt sich daher, inhaltlich

entspricht die Sachlichkeitsprüfung aber der Rechtfertigungsprüfung

Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV)

Allgemeines

• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen

o (hinsichtlich des Aufenthaltsrechts) die UnionsbürgerRL

o (hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen) die KoordinierungsVO

o (ganz allgemein) die FreizügigkeitsVO

Persönlicher Schutzbereich

• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich gleichgestellter Personen (also

va Familienangehörige, zT aber auch gleichgestellte sonstige Drittstaatsangehörige)

• die Norm berechtigt dabei sowohl natürliche Personen als Arbeitnehmer als auch juristische

Personen (Unternehmen etc) als Arbeitgeber

o beachte Übergangsarrangements (siehe S. 174)


FÜM I

Europarecht

• Arbeitnehmerbegriff umfasst dabei iW weisungsgebundene Tätigkeiten gegen Entgelt (dh zB

auch Kurzzeitbeschäftigungen oder vergütete Berufsausbildungsverhältnisse)

o nicht unter den Arbeitnehmerbegriff fallen hingegen Studenten, erstmals Arbeitssuchende

oder Personen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Aufnahme und Ausübung unselbständiger (!) Beschäftigung

o im Einzelnen umfasst dies den Zugang zum Beruf (zB Bewerbung) / alle Arten von Berufsausübungsregeln

(zB Steuerregeln) / sowie Gleichbehandlung beim Zugang zu arbeitsbezogenen

finanziellen Leistungen bzw Vergünstigungen

• Verpflichtete sind die MS / einbezogen sind aber auch flächendeckende (private) Regelungen

der Beschäftigungsbedingungen, die staatlichen Regelungen gleichzuhalten sind

o zudem treffen Art 45 AEUV verwandte Verbote auch Private – uzw jene der Entgeltsowie

der Minderheitendiskriminierung in Beschäftigung und Beruf

• Bereichsausnahme besteht für hoheitliche Tätigkeiten (Abs 4)

o Zugang zu Tätigkeiten, die zwangsläufig mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden

sind, kann daher eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = idR Beschäftigung in einem anderen MS / aber auch Berufsausbildung

in einem anderen MS kann bereits einen grenzüberschreitenden Bezug begründen

Eingriff

• liegt sowohl bei offenen (zB steuerliche Schlechterstellung ausländischer Einkünfte) als auch

bei versteckten (zB Bindung von Beihilfen an Wohnsitz im Inland) Diskriminierungen vor

o Rs. Clean Car (1998)

• darüber hinaus greifen auch sonstige Beschränkungen (dh alle Bestimmungen, die die Ausübung

der Arbeitnehmerfreizügigkeit behindern oder weniger attraktiv machen, auch wenn

In- und Ausländer gleichermaßen erfasst sind) in Art 45 AEUV ein

o Rs. de Groot (2002)

• allerdings umfasst Art 45 AEUV wohl nur ein gemäßigtes Beschränkungsverbot

o in ihren Auswirkungen In- und Ausländer faktisch völlig gleich betreffende Regulierungsvorschriften

(sog neutrale Ausübungsmodalitäten) sind nämlich nicht erfasst

o EuGH verneint zudem die Beschränkungseignung bei ganz ungewissen Auswirkungen

einer Regelung auf die Attraktivität der Ausübung dieser Freiheit (Kausalitätsgrenze)

• Rs. Graf (2002)

Rechtfertigung

• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen

o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 45 (Abs 3) AEUV – öffentliche

Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)

o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses

• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der

heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich

• Verfügbarkeit

o Rechtfertigungsgründe des Art 45 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse

hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen

• Verhältnismäßigkeit

o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung

dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,

erforderlicher und angemessener Weise verfolgt


FÜM I

Europarecht

FreizügigkeitsVO

• legt grundlegende Details zur Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit fest

• FreizügigkeitsVO untersagt dabei insb

o besondere Verfahren für die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer

o Einschränkungen in Bezug auf die Veröffentlichung von Stellenangeboten

o Diskriminierungen betreffend die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen

• wichtig – an diese Vorgaben ist nicht nur die öffentliche Hand gebunden, sondern aufgrund

Art 7 Abs 4 FreizügigkeitsVO auch private Arbeitgeber

KoordinierungsVO

• regelt die Koordinierung der (nationalen) Systeme der sozialen Sicherheit

• Grundregel – für Arbeitnehmer ist der MS der Beschäftigung zuständig / für Staatsangehörige

ohne Beschäftigung ist dagegen der MS des Wohnsitzes zuständig

• sachlicher Anwendungsbereich

o umfasst Detailregelungen für den Zugang zu beitragsabhängigen Sozialversicherungsleistungen

/ auch schließt sie bestimmte beitragsunabhängige Leistungen mit ein

• persönlicher Anwendungsbereich

o schließt (heute) sämtliche Versicherte der nationale Sozialversicherungssystem ein

Niederlassung (Art 49 AEUV)

Allgemeines

• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen

o UnionsbürgerRL / KoordinierungsVO / BerufsqualifikationsRL / DienstleistungsRL

o alle diese Rechtsakte sind dabei Ausführungsnormen zu mehreren Grundfreiheiten

Persönlicher Schutzbereich

• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich gleichgestellter Personen

o einbezogen sind sowohl natürliche als auch juristische Personen

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Aufnahme und Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit

o geschützt sind daher sowohl die erst angestrebte (Gründung, Sitzverlegung, etc) als

auch die schon errichtete (Unternehmensführung, etc) Niederlassung

o Niederlassungsbegriff – jede permanente Präsenz vor Ort mit fixer Einrichtung

• also gerade keine Dienstleistungen

o Unternehmensbegriff – jede eine wirtschaftliche Tätigkeit (= Anbieten von Gütern bzw

Dienstleistungen auf einem Markt) ausübende Einheit

• darunter fallen auch Selbständige (zB Ärzte, Rechtsanwälte, etc)

• Gewinnabsicht ist unerheblich, solange die Tätigkeit grdsl entgeltlich ist

• Bereichsausnahme besteht für hoheitliche Tätigkeiten (Art 51 AEUV)

o Zugang zu Tätigkeiten, die zwangsläufig mit der Ausübung von Hoheitsgewalt verbunden

sind, kann daher eigenen Staatsangehörigen vorbehalten werden

• Rs. Kommission / Österreich (2011)

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Niederlassung eines Unternehmens

o Gründung/Verlegung einer Hauptniederlassung

o Gründung/Verlegung von sekundären Niederlassungen (zB Zweigniederlassungen)

o Beschränkungen anlässlich der Rückkehr nach ausgeübter Niederlassung im Ausland


FÜM I

Europarecht

Eingriff

• liegt sowohl bei offenen (zB Inländervorbehalt für bestimmte Berufe) als auch bei versteckten

(zB Nichtanerkennung ausländischer Qualifikationen) Diskriminierungen vor

• über Diskriminierungen hinaus ist jedoch zu differenzieren – Niederlassungsfreiheit gewährleistet

nämlich kein umfassendes Herkunftslandprinzip

o stattdessen modifiziertes Ziellandprinzip, das über reine Diskriminierungen hinaus nur

bestimmte spezifische Behinderungen verbietet (gemäßigtes Beschränkungsverbot)

o erfasst werden demnach nur solche Maßnahmen, die sich auf den Marktzugang von

Ausländern auswirken können, obwohl sie an sich neutral formuliert sind (siehe S. 185)

• auch Wegzugsbeschränkungen des Heimatstaats können vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit

erfasst sein / differenziert zu betrachten ist jedoch die Möglichkeit einer

grenzüberschreitenden Sitzverlegung von Gesellschaften (siehe S. 187)

• keine Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind dagegen allgemeine Qualifikationsanforderungen

für bestimmte Tätigkeiten sowie neutrale Berufsausübungsregeln

o Rs. Pesla (2009)

• gleich den anderen Grundfreiheiten greift zudem auch im Rahmen der Niederlassungsfreiheit

eine Kausalitätsgrenze – nur ganz ungewisse Auswirkungen einer Regelung auf die Attraktivität

der Ausübung dieser Freiheit verbleiben außerhalb des Anwendungsbereichs des Art 49 AEUV

Rechtfertigung

• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen

o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 52 (Abs 1) AEUV – öffentliche

Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)

o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses

• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der

heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich

• Verfügbarkeit

o Rechtfertigungsgründe des Art 52 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse

hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen

• Verhältnismäßigkeit

o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung

dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,

erforderlicher und angemessener Weise verfolgt

BerufsqualifikationsRL

• harmonisiert Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen bei reglementierten Berufen

o Grundprinzip – gegenseitige Anerkennung ausländischer Ausbildung/Berufserfahrung

• zwei Regelungsregimes (siehe S. 190)

o allgemeine Anerkennungsregel (für die allermeisten Berufsgruppen)

o automatische Anerkennungsregel (für sieben spezifische Berufsgruppen)

Dienstleistungen (Art 56 AEUV)

Allgemeines

• Dienstleistungsfreiheit = Auffangfreiheit

o Abgrenzungskriterium (Niederlassung)

• fehlende Permanenz der Präsenz + Fehlen fixer Einrichtungen im Zielland

o Abgrenzungskriterium (Arbeitnehmerfreizügigkeit)

• Weisungsungebundenheit des Dienstleistungserbringers + keine Eingliederung

in die betriebliche Organisation eines Dritten (Arbeitgeber)


FÜM I

Europarecht

• stark sekundärrechtlich geprägt / zu den wichtigsten einschlägigen Detailregelungen zählen

o BerufsqualifikationsRL / DienstleistungsRL / EntsendeRL

Persönlicher Schutzbereich

• Berechtigte sind nur Staatsangehörige der MS, einschließlich juristischer Personen

o geschützt ist sowohl Erbringer als auch Empfänger der Dienstleistung

• wichtig – gleichgestellte Personen sind nicht berechtigt / drittstaatsangehörige Familienangehörige

eines EU-Bürgers können sich demnach nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen!

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = Anbieten oder Empfang einer Dienstleistung, einschließlich der

Anbahnung eines Dienstleistungsverhältnisses (zB durch Werbung)

o Dienstleistungsbegriff – vorrübergehende Tätigkeiten gegen Entgelt

• Bereichsausnahmen bestehen für

o hoheitliche Tätigkeiten

o Verkehrsdienstleistungen

o Kapitalverkehrsdienste

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle – gegeben bei

o aktiver Dienstleistungserbringung / passivem Dienstleistungsempfang über Grenze

o gemeinsamer Grenzüberschreitung von Empfänger und Erbringer (zB Reiseführer)

o Korrespondenzdienstleistungen (zB Internet/Telefon)

o auf das Ausland bezogene Dienstleistungen im Inland (zB Broker)

Eingriff

• liegt sowohl bei offenen (zB Inländervorbehalt für die Müllabfuhr) als auch bei versteckten (zB

Erfordernis der Niederlassung des Müllentsorgers im Inland) Diskriminierungen vor

• darüber hinaus erfasst die Dienstleistungsfreiheit auch alle sonstigen Beschränkungen, die geeignet

sind, die Ausübung grenzüberschreitender Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar,

tatsächlich oder potenziell zu behindern (volles Beschränkungsverbot)

o Rs. Säger (1991)

• gleich den anderen Grundfreiheiten greift zudem auch im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit

eine Kausalitätsgrenze – nur ganz ungewisse Auswirkungen einer Regelung auf die Attraktivität

der Ausübung dieser Freiheit verbleiben außerhalb des Anwendungsbereichs des Art 56 AEUV

Rechtfertigung

• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen

o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 62 iVm 52 AEUV – öffentliche

Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (abschließend)

o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses

• budgetäre und volkswirtschaftliche Rechtfertigungsgründe (zB Stärkung der

heimischen Produktion) sind dabei, wie stets, untauglich

• Verfügbarkeit

o Rechtfertigungsgründe des Art 62 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse

hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen

• Verhältnismäßigkeit

o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung

dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,

erforderlicher und angemessener Weise verfolgt


FÜM I

Europarecht

o

im Fall, dass im Herkunftsland bereits eine Kontrolle hinsichtlich bestimmter Ziele erfolgt

ist, kann die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur dann gelingen, wenn

• im Inland entweder anders gelagerte (legitime) Ziele verfolgt werden

• oder (bei Übereinstimmung der Ziele) dargetan wird, warum die Kontrolle im

Herkunftsstaat zur Zielverfolgung nicht ausreichend ist

DienstleistungsRL

• deckt ein breites Spektrum an Dienstleistungsarten ab

o bestimmte sensible Dienstleistungen sind jedoch ganz bzw teilweise ausgenommen

o DienstleistungsRL postuliert dabei ein abgeschwächtes Herkunftslandprinzip – es erfolgt

also grdsl eine Anerkennung ausländischer Dienstleistungen

o dennoch, und hierin liegt die Abschwächung, dürfen die MS weiterhin Genehmigungen

und inhaltliche Anforderungen an DL in ihrem Hoheitsgebiet stellen (siehe S. 194)

EntsendeRL

• regelt das Mitbringen bzw die Verwendung eigenen Personals

o EntsendeRL erlaubt dabei die Entsendung von Arbeitnehmern in andere MS zur Erbringung

von Dienstleistungen für einen begrenzten Zeitraum (max zwei Jahre)

o für diesen Zeitraum werden Arbeitnehmer nach dem Ursprungslandprinzip behandelt

• allerdings schreibt die EntsendeRL auch während dieser Zeit die Beachtung

einzelner Mindestregeln des Ziellandes vor (sog Arbeitsortprinzip)

• Beispiele – Mindestentgeltsätze / bezahlter Mindestjahresurlaub / Höchstarbeitszeiten

und Mindestruhezeiten / Sicherheit / Gesundheitsschutz / etc

Kapitalverkehr und Zahlungsverkehr (Art 63 AEUV)

Allgemeines

• Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Überbegriff freier Kapitalverkehr)

o Zahlungsverkehr ist dabei weniger eine eigene Grundfreiheit als gewissermaßen eine

logische Folge der anderen Grundfreiheiten

Persönlicher Schutzbereich

• Besonderheit – Art 63 AEUV erfasst auch Kapital- und Zahlungsverkehr mit Drittstaaten

o Berechtigte sind demnach Staatsangehörigen der MS + Drittstaatsangehörige

Sachlicher Schutzbereich

• geschützte Verhaltensweise = alle rechtsgeschäftlichen und tatsächlichen Vorgänge für die

Übertragung bzw den Erwerb von Kapitalvermögen und Geldzahlungen

o Kapitalverkehrsbegriff – Verfügung über Geld oder Sachkapital (va Übertragung oder

Erwerb von Anlagevermögen, Geldanlagen, Investitionen udgl)

o Zahlungsverkehrsbegriff – Geldzahlungen aller Art (mit Bargeld oder Überweisung und

unabhängig vom zugrundeliegenden Rechtsgrund der Zahlung)

• Bereichsausnahme besteht für

o Einschränkungen im Kapital- und Zahlungsverkehr mit Drittländern bei Direktinvestitionen

/ Niederlassung / Finanzdienstleistungen / Zulassung von Wertpapieren, wenn

diese Einschränkung bereits vor der Liberalisierung des Kapitalverkehrs (1994) bestand

(und soweit nicht spezifisches Sekundärrecht erlassen wurde)

• Zwischenstaatlichkeitsschwelle = grenzüberschreitende Kapital- oder Zahlungsvorgänge


FÜM I

Europarecht

Eingriff

• liegt sowohl bei offenen (zB Verbot des Erwerbs von Freizeitwohnungen durch Ausländer) als

auch bei versteckten (zB Gewährung von Förderungen im Wohnbau nur für im Inland aufgenommene

Darlehen) Diskriminierungen vor

• darüber hinaus erfasst die Dienstleistungsfreiheit auch alle sonstigen Beschränkungen, die geeignet

sind, den Kapital- und Zahlungsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell

zu behindern (volles Beschränkungsverbot)

o Rs. Elf-Aquitaine (2002) – „golden shares“

• im Schrifttum wird zudem diskutiert, ob im Rahmen des Art 63 AEUV auch eine Ausnahme

völlig neutraler Kapitalverkehrsvorschriften Platz greifen sollte (vgl Keck-Rsp)

o EuGH hat eine derartige Herausnahme reiner Marktverhaltensvorschriften aber bislang

nicht formuliert und sie ist seiner Rsp auch nicht implizit zu entnehmen

Rechtfertigung

• zwei Kategorien an Rechtfertigungsgründen

o primärrechtlich limitierten Rechtfertigungsgründe des Art 65 Abs 1 AEUV (sehr reduziert)

– MS ist es demnach lediglich erlaubt

• Steuerpflichtige je nach Ort des Wohnsitzes unterschiedlich zu behandeln

• sowie (verhältnismäßige) administrative Maßnahmen der Steuerkontrolle und

der Finanzaufsicht beizubehalten

o offener Katalog an zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses

• vgl va den Bereich grundverkehrsrechtlicher Genehmigungen (siehe S. 199)

• Verfügbarkeit

o Rechtfertigungsgründe des Art 65 AEUV stehen stets zur Verfügung / zwingende Erfordernisse

hingegen nur bei nicht (nach hM direkt) diskriminierenden Maßnahmen

• Verhältnismäßigkeit

o von entscheidender Bedeutung ist schließlich auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung

dahin, ob die konkret gesetzte Maßnahme das an sich legitime Ziel auch in geeigneter,

erforderlicher und angemessener Weise verfolgt

Wettbewerbsrecht (Art 101 – 109 AUEV)

Allgemeines

• Wettbewerbskapitel formal betrachtet nicht Teil des Binnenmarktkapitels

o faktisch besteht aber ein enger Zusammenhang

• Ziel des Wettbewerbsrechts – Errichtung eines einheitlichen Markts mit homogenen Bedingungen

für grenzüberschreitend tätige Unternehmen

o dabei soll sichergestellt werden, dass Unternehmen ausschließlich auf Basis der Qualität

ihrer Leistung miteinander in Konkurrenz treten (sog Leistungswettbewerb)

• Wettbewerbsrecht (ieS) – Kartelle (Art 101 AEUV) / Missbrauch marktbeherrschender Stellung

(Art 102 AEUV) / Fusionskontrolle (FusionskontrollVO) / staatliche Beihilfen (Art 107 AEUV)

• nicht Gegenstand des Wettbewerbskapitels sind sämtliche Normen des Lauterkeitsrechts sowie

die Immaterialgüterrechte (Wettbewerbsrecht iwS)

o beide genannten Bereiche gehören zum Binnenmarktrecht

Charakteristika der Wettbewerbsnormen

• Wettbewerbsrecht umfasst in erster Linie unternehmensgerichtete Bestimmungen – Kartellverbot

/ Marktmissbrauchsverbot / Fusionskontrolle

o enthält allerdings auch staatengerichtete Bestimmungen – zB Beihilfeverbot

• Unternehmensbegriff ist ident mit jenem der Grundfreiheiten


FÜM I

Europarecht

o Unternehmen iSd Unionsrechts ist demnach jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende

Einheit, unabhängig von der Rechtsform

• darunter fallen auch Selbständige (zB Ärzte, Rechtsanwälte, etc)

o Gewinnabsicht ist unerheblich, solange die Tätigkeit entgeltlich ist

• auch der soziale Charakter der erbrachten Leistung ist grdsl unerheblich

• Kriterium der Marktmacht

o beim Missbrauchsverbot sowie im Rahmen der Fusionskontrolle ist Marktmacht (bzw

deren Verstärkung) schon Tatbestandsvoraussetzung

o beim Kartellverbot und im Rahmen des Beihilfeverbots spielen die Größe und Art des

relevanten Markts eine Rolle für die sog Spürbarkeit sowie für die Frage der Rechtfertigungsfähigkeit

des Verhaltens – erforderlich ist daher eine Marktabgrenzung

• Nachfragesubstituierbarkeit + Angebotssubstituierbarkeit

• sämtliche wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen haben Direktwirkung

o wichtig – im Bereich des Beihilfeverbots besitzt nur das sog Durchführungsverbot des

Art 108 Abs 3 AEUV Direktwirkung, nicht aber der Grundtatbestand

o zudem ist im Wettbewerbsrecht die horizontale Direktwirkung nicht ausgeschlossen,

sondern sogar der Normalfall (weil ja an Private gerichtet)

• primäre Vollzugskompetenz liegt im Wettbewerbsrecht (anders als bei den Grundfreiheiten)

bei der Kommission / sie kooperiert dabei sehr wohl mit nationalen Wettbewerbsbehörden

und Gerichten, allerdings nach einer genau vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung

Kartelle (Art 101 AEUV)

Allgemeines

• Grundstruktur des Art 101 AEUV

o Abs 1 (Tatbestand) – grundsätzliches Verbot von Kartellen

o Abs 2 (Rechtsfolgen) – Nichtigkeit sämtlicher Rechtsakte, die unter Abs 1 fallen

o Abs 3 (Rechtfertigung) – sog Freistellung vom Verbot bei Vorliegen besonderer Gründe

• Freistellung greift dabei de lege, dh ohne dass die Kommission das Vorliegen der Rechtfertigung

vorab prüfen oder bestätigen müsste / ob die Rechtfertigungsründe letztlich zutreffen,

müssen die beteiligten Unternehmen daher selbst einschätzen (sog Selbstveranlagung)

Tatbestand (Abs 1)

• Tatbestand des Art 101 AEUV erfasst (1) Formen der Koordinierung des Marktverhaltens von

Unternehmen, die (2) einen Zwischenstaatsbezug aufweisen und auch (3) zu einer Wettbewerbsbeschränkung

führen

• (1) kartellrelevante Verhaltenskoordination

o Vereinbarung – liegt dann vor, wenn Unternehmen den gemeinsamen Willen zum Ausdruck

bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten

• Bindungswille ist nicht erforderlich (faktische Verbindlichkeit genügt)

• ausdrückliche Zustimmung ist nicht erforderlich (konkludente genügt)

o jedes sonstige abgestimmte Verhalten zwischen Unternehmen, das dem sog Selbständigkeitspostulat

entgegensteht – potenziell kartellrechtsrelevant sind also alle Formen

von Koordinierungen durch eine unverbindliche Zusammenarbeit von Unternehmen

o nicht verboten ist dagegen faktisch (zufälliges) Parallelverhalten von Unternehmen am

Markt, dem also keine Abstimmung zugrunde liegt

• (2) Zwischenstaatsbezug

o Art 101 AEUV erfordert eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels / es

müssen Unternehmen aus mehreren MS beteiligt oder (sonst) zumindest ein wesentlicher

Teil des Binnenmarkts von der Absprache erfasst sein


FÜM I

Europarecht

o allerdings wird der Zwischenstaatsbezug in der Praxis tendenziell weit ausgelegt – die

bloße Gefahr der Beeinträchtigung genügt

• (3) Wettbewerbsbeschränkung

o = jede Beschränkung der individuellen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eines Unternehmens

am Markt / hätte sich der Wettbewerb ohne Koordinierung also anders entwickelt,

liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor

o Beispiele (!) – Preiskartelle / Konditionenkartelle / Marktaufteilungsverträge / etc

o bestimmte Vereinbarungen sind dabei von vornherein verboten (sog Kernbeschränkungen)

– va Preis-, Absatz-, Produktions- oder Gebietsbeschränkungen

• daneben erfasst Art 101 AEUV auch sog bezweckte sowie auch bloß bewirkte

Wettbewerbsbeschränkungen (siehe S. 206)

Durchsetzung und Rechtsfolgen (Abs 2)

• Verstöße gegen das Kartellverbot prüfen

o (prioritär) die Kommission im direkten Vollzug

o (wenn die Kommission nicht selbst einschreitet) die nationalen Wettbewerbsbehörden

im dezentralen Vollzug (sog öffentliche Kartellrechtsdurchsetzung)

o zur Behandlung von auf das Kartellverbot gestützte Klagen und Einwendungen auch

die nationalen Gerichte (sog private Kartellrechtsdurchsetzung)

• Rechtsfolgen – absolute Nichtigkeit der kartellrechtlichen Verpflichtungen ex tunc

o dh Entfall der (zB in einem kartellrechtswidrigen Vertrag) niedergelegten Verpflichtungen

+ Rückabwicklung bereits ausgetauschter Leistungen

o im Rahmen der Kartellaufsicht der Kommission drohen überdies hohe Geldbußen (bis

zu 10 % des letzten Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens)

• im Rahmen des privaten Vollzugs zudem Schadenersatz

Rechtfertigung und Freistellung (Abs 3)

• vom Kartellverbot freigestellt sind (dem Kartelltatbestand unterliegende) Vereinbarungen,

o die zu einer Verbesserung der Warenerzeugung führen (sog Effizienzgewinne) +

o an der die Verbraucher auch beteiligt werden (sog Verbrauchergewinne)

• jeweilige Vereinbarung darf aber (ungeachtet der Effizienz- und Verbrauchergewinne) keine

Totalausschaltung des Wettbewerbs bewirken und darf auch sonst nicht über das hinausgehen,

was zur Effizienzsteigerung notwendig ist = Verhältnismäßigkeitsprüfung (!)

Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Art 102 AEUV)

Tatbestand

• Tatbestand des Art 102 AEUV erfasst (2) den Missbrauch (1) einer marktbeherrschenden Stellung

im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben eines oder mehrerer Unternehmen,

der (3) zwischenstaatlich handelsbeeinträchtigende Wirkungen hat

• (1) Marktbeherrschung

o ist gegeben, wenn ein Unternehmen in der Lage ist, die Aufrechterhaltung wirksamen

Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern (dh wenn seine Größe ihm die

Möglichkeit zu sog marktunabhängigem Verhalten verleiht)

o zentraler Indikator ist dabei ein hoher Marktanteil, idR also Anteile ab 50 %

• letztlich entscheidend ist aber immer eine Gesamtbetrachtung aller Faktoren

• (2) Marktmachtmissbrauch

o Begriff des Marktmachtmissbrauchs ist objektiv, also von der tatsächlichen Intention

des Marktbeherrschers unabhängig


FÜM I

Europarecht

o Behinderungsmissbräuche = unsachliche Mitbewerberbehinderung (S. 208)

o Ausbeutungsmissbräuche = Ausbeutung der eigenen Arbeitnehmer/Partner (S.209)

• (3) Zwischenstaatsbezug

o siehe Kartellrecht

Durchsetzung und Rechtsfolgen

• siehe Kartellrecht

Fusionskontrolle (FusionskontrollVO)

Allgemeines

• Fusionskontrolle bezweckt die Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Marktstruktur durch

vorsorgliche Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen

o FusionskontrollVO = materielle und verfahrensrechtliche Grundlage

Zusammenschlusstatbestand

• Gegenstand der Fusionskontrolle ist die Pflicht, bestimmte Zusammenschlussvorhaben von

Unternehmen vorab bei der Kommission zur Genehmigung anzumelden

o Fusionsbegriff – dauerhafte Veränderung der Kontrolle eines Unternehmens

• anzumelden ist aber nicht jeder Kontrollerwerb, sondern nur Fusionen von unionsweiter Bedeutung

– dh ab bestimmten Größe der beteiligten Unternehmen (sog Aufgriffsschwellen)

o diese Schwellenwertregelungen knüpfen dabei (1) an der absoluten Größe des Zusammenschlusses

oder (2) an dessen Auswirkungen in mehreren MS an

o unterhalb dieser Schwellenwerte sind ggf die nationalen Wettbewerbsbehörden auf

Basis der nationalen Fusionskontrollbestimmungen zuständig

Untersagungskriterien

• zwei unterschiedliche Gesichtspunkte / wird durch den geplanten Zusammenschluss

o Dominanztest – eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt?

o SIEC-Test – der wirksame Wettbewerb erheblich behindert?

• insgesamt ausschlaggebend ist zumeist der SIEC-Test, da er (über die reine Marktbeherrschung

hinaus) auch die wettbewerbsbeschränkenden Effekte des Zusammenschlusses prüft

Verfahren und Vollzugsverbot

• für Zusammenschlüsse von unionsweiter Bedeutung gilt Anmeldepflicht bei der Kommission

o Kommissionsverfahren selbst ist zweistufig – Vorprüfung + evtl Hauptprüfung

• bis zur Erteilung der Genehmigung für den Zusammenschluss gilt ein Vollzugsverbot

o dem Vollzugsverbot entgegenstehende Rechtsgeschäfte sind schwebend unwirksam

und müssen uU rückgängig gemacht werden (sog Entflechtung)

Staatliche Beihilfen (Art 107 AEUV)

Allgemeines

• Zweck ist die Verhinderung staatlicher Eingriffe in den Leistungswettbewerb durch Bevorzugung

einzelner Unternehmen mittels wirtschaftlich werthaltiger öffentlicher Vorteile für diese

o wichtigste staatengerichtete Vorschrift des Wettbewerbskapitels

Beihilfetatbestand

• Tatbestand des Art 107 AUEV erfasst (1) wirtschaftliche Begünstigungen (2) staatlichen Ursprungs

(Veranlassung und Finanzierung), die an Unternehmen und (3) mit bestimmbaren Begünstigtenkreis

(also selektiv) gewährt werden und die (4) zu einer spürbaren (also nicht bloß


FÜM I

Europarecht

geringfügigen) Verfälschung des Wettbewerbs und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen

Handels führen oder führen können – kumulative Voraussetzungen (!)

• (1) wirtschaftliche Begünstigung

o Formfreiheit des Begünstigtenbegriffs – erfasst ist jede wirtschaftliche Vergünstigung,

also jedweder geldwerte Vorteil (zB Direktförderungen, günstige Kredite, etc)

o zugleich bestimmt sich das Vorliegen einer Begünstigung rein nach den faktischen Wirkungen

der Maßnahme, also objektiv / dagegen bleibt die Intention der Maßnahme

auf der Ebene der Tatbestandsprüfung völlig außer Betracht

• (2) Staatlichkeit

o bedeutet, dass sowohl die Maßnahme selbst (Veranlassung) als auch ihre Finanzierung

der öffentlichen Hand (und nicht etwa Privaten) zurechenbar sein müssen

• dabei gilt der allgemein weite Staatsbegriff des Unionsrechts

• (3) Selektivität

o bedeutet, dass der Empfängerkreis des wirtschaftlichen Vorteils klar bestimmbar ist

• Rsp legt dieses Element aber weit aus, sodass letztlich nur Vorteile, die allen

Unternehmen in einem MS unterschiedslos gewährt werden, klar herausfallen

• (4) Spürbarkeit

o bereits die potenzielle Eignung der Beeinträchtigung des Wettbewerbs ist ausreichend

und (neben dem aktuellen) auch der bloß potenzielle Wettbewerb geschützt

• die Zwischenstaatsbeeinträchtigung fehlt demnach nur bei ganz kleinräumigen

Auswirkungen (zB rein lokalem Einzugsgebiet)

Genehmigungstatbestände

• drei Gruppen von Genehmigungstatbeständen (Rechtfertigungsgründen) für Beihilfen

o Voraussetzung ist, wie stets, die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs

• Art 107 Abs 3 AEUV – zB Regionalförderung / Strukturförderung / Kulturförderung / etc

• Art 106 Abs 2 AEUV – besonderer Rechtfertigungsgrund für Beihilfen in der Daseinsvorsorge

• Art 107 Abs 2 AEUV – geringe praktische Bedeutung

Verfahren und Durchführungsverbot

• öffentliche Vollzug des Beihilferechts liegt primär bei der Kommission (Monopolstellung)

o flankierende Kontrollzuständigkeit nationaler Behörden ist absolute Ausnahme

• Anmeldepflicht für beihilfetatbestandsmäßige Maßnahmen vor ihrer Durchführung

o Kommissionsverfahren selbst ist zweistufig – Vorprüfung + evtl Hauptprüfung

o Kommission prüft das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen und erteilt ggf eine Genehmigung

für die beihilfetatbestandsmäßige Maßnahme / ohne bzw vor Genehmigung

darf die Beihilfe nicht gewährt werden - Durchführungsverbot (Art 108 Abs 3)

o wurde unvereinbare Beihilfe entgegen dem Durchführungsverbot bereits vorab gewährt,

kann die Kommission deren Rückforderung anordnen

• darüberhinausgehende Sanktionen (zB Geldbußen) gibt es nicht

• Kontrolle bestehender Beihilfen – bereits genehmigte Beihilfen können von der Kommission

auch neuerlich überprüft und ggf untersagt werden

• Durchführungsverbot – unmittelbare Wirkung (Direktwirkung)

o Einzelne können sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar darauf berufen, um

beihilfeverdächtige Maßnahmen von den nationalen Gerichten überprüfen zu lassen

o stellt nationale Gericht fest, dass Maßnahme unter das Verbot fällt, sind die zur Durchführung

gesetzten Maßnahmen absolut/relativ nichtig oder schwebend unwirksam

• Gericht kann dem Beihilfeempfänger entsprechend die Rückzahlung (Beseitigung,

Unterlassung) der erhaltenen Vorteile auftragen

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