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syndicom magazin Nr. 32

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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8<br />

Dossier<br />

Von künstlicher Intelligenz und<br />

überflüssigen Menschen<br />

Haben früher Maschinen die Körperkraft von<br />

Menschen ersetzt und Arbeitende zu Sicherheits-<br />

und Kontrollpersonal gemacht, steht<br />

heute die Kontrolle selber auf dem Spiel. Was<br />

passiert, wenn Künstliche Intelligenzen alles<br />

alleine steuern?<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Bilder: Siehe Seite 12<br />

Zeus, Athene, Apollon und die anderen Bewohner:innen<br />

des Olymp waren eine streitsüchtige, inzestuöse Party-<br />

Gang. Dabei erschufen sie die Welt. Odin, der alte Germane,<br />

düngte sie mit dem Blut der Trolle, auf einem achtbeinigen<br />

Pferd reitend. Und der grimmige Jahwe, Übervater<br />

von Juden und Christen, ersäufte kurzum (fast) die gesamte<br />

Menschheit, um sich eine bessere zu basteln (1. Buch<br />

Moses).<br />

Das waren noch Götter. Wir haben bloss Algorithmen.<br />

Das Konzept ist uralt. Benannt sind die Algorithmen<br />

nach einem persisch-arabischen Mathematiker des<br />

8. Jahrhunderts. Schon eine einfache Wegbeschreibung<br />

(«da vorne gehst du rechts, dann 100 Meter geradeaus,<br />

schliesslich links») oder ein Menü-Rezept (siehe Seite<br />

Grafiken) sind schlichte Algorithmen, also eindeutige<br />

Vorschriften für die Lösung einer Aufgabe. Irgendwann<br />

hat man das in Computersprache aufgeschrieben und damit<br />

die Maschinen gefüttert.<br />

Der Mensch, ein Anhängsel der Maschine<br />

Richtig gefährlich wurden sie uns erst in den letzten fünfzehn<br />

Jahren, als es gelang, exponentiell wachsende Datenmengen<br />

in immer rasender rechnende Super-Computer<br />

zu packen. Und daraus mit zunehmend komplexeren<br />

Algorithmus-Programmen IT-Werkzeuge zu bauen, die<br />

autonome Roboter programmieren, den Konsum und das<br />

Verhalten von Milliarden Menschen steuern und Wahlen<br />

manipulieren können.<br />

Die Digitalisierung, das wussten wir, ist eine industrielle<br />

Revolution. Das bedeutet, dass sie nicht nur die Wirtschaft,<br />

sondern unser ganzes Leben auf den Kopf stellt.<br />

Angefangen bei der Arbeit. Schon 2013 rechnete eine Studie<br />

der Universität Oxford mit dem Verlust von 47 Prozent<br />

aller Jobs in den USA durch Algorithmen, Roboter und<br />

Künstliche Intelligenz. Vorab im «Tertiär», also ausgerechnet<br />

in jenem Dienstleistungs-Sektor, der das Wachstum<br />

der letzten Jahrzehnte getragen hatte.<br />

Plötzlich zirkulierte das Wort vom «überflüssigen<br />

Menschen». Solche Prognosen sind mit hohen Unsicherheiten<br />

behaftet, und natürlich bestellten die Tech-Konzerne<br />

Gegengutachten. Alles bestens im Kapitalismus?<br />

Das wird sich schnell zeigen. Denn der massenweise Einsatz<br />

der neuen Techniken hat gerade erst begonnen – und<br />

beschleunigt sich derzeit rabiat. Beobachtet man, wie die<br />

Datenkonzerne des Silicon Valley seit März 2022 mehr als<br />

200 000 Stellen vernichtet haben, darf man skeptisch sein.<br />

Bereits heute erfahren Arbeitende die tiefgreifende<br />

Erschütterung der Arbeitswelt durch «algorithmisches<br />

Management», auch «digitaler Taylorismus» genannt. An<br />

den Arbeitsplätzen zieht ein, was zuerst in Callcentern erprobt<br />

wurde: Engste Überwachung der Arbeitsrhythmen<br />

und permanente Kontrolle des persönlichen Verhaltens<br />

(etwa via Tastaturbewegungen, Analyse der Stimme oder<br />

der Augen bewegungen), automatisierte Eingriffe der Maschine<br />

in die Arbeit selbst, undurchsichtige Bewertungssysteme,<br />

sofortige Sanktionen. Also Stress, wachsender<br />

Kontrollverlust und Isolation.<br />

Hier geschieht ein Epochenbruch. Wurde bei früheren<br />

industriellen Revolutionen vorab die physische Kraft der<br />

Arbeitenden durch Maschinenkraft ersetzt, übernehmen<br />

heute algorithmische Systeme zunehmend die ganze Kontrolle.<br />

Die Entscheidung wird an «ADM», automatische<br />

Entscheidungssysteme ausgelagert.<br />

Banal ist daran nichts. Dem Menschen kommt abhanden,<br />

was er seit drei Jahrhunderten unter den Titeln<br />

«Aufklärung», «Wissenschaft» und «Fortschritt» zum Kern<br />

seines Wesens erklärt hat. Der rational denkende und<br />

handelnde Mensch entschied in eigener Regie, götterfrei.<br />

Übernimmt nun aber die Maschine, ist das mehr als eine<br />

«digitale Kränkung», wie es die Philosophie nennt. Tendenziell<br />

wird der Mensch zu einer Funktionalität, zu einem<br />

Anhängsel der Maschine.<br />

Was geschieht da genau? Ein Algorithmus ist ein Programm,<br />

das erst einmal nach dem Prinzip «wenn – dann»<br />

funktioniert. Wird in der Strasse X gebaut, dann sollen die<br />

Ampeln so gestellt werden, dass der Verkehr über die<br />

Stras sen Y und Z geleitet wird. Was sich dann wieder an<br />

etlichen anderen Stellen auswirkt ... Komplex. Ein Computer-Algorithmus<br />

kann das besser und schneller. Allerdings<br />

nur, wenn man ihm vorher den Stadtplan und die<br />

Tausenden von Optionen und deren Konsequenzen einprogrammiert<br />

hat.<br />

Schachcomputer gewinnen gegen Profis, weil man<br />

ihre Algorithmen zuvor mit unzähligen gespielten Partien<br />

gefüttert hat. Automatische Übersetzungssysteme greifen<br />

auf riesige Datenbanken übersetzter Texte zurück, etwa<br />

die Beratungstexte der EU. Algorithmen sind gefrässig. So<br />

werden für die Gesichts erkennungssysteme, die schon für<br />

ein paar Franken zu kaufen sind, regelmässig alle Bilder<br />

von Facebook, TikTok, Instagram etc. illegal abgesaugt.<br />

Dafür setzen die Konzerne ganze Heere von Klickproletariern<br />

zu miesen Bedingungen ein.<br />

KI in den<br />

Callcentern<br />

bringt Stress,<br />

Kontrollverlust<br />

und<br />

Isolation

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