01.12.2022 Aufrufe

syndicom magazin Nr. 32

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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Dossier<br />

Gewerkschaft gegen Konzerne:<br />

Lernen und mutig handeln<br />

11<br />

Bekommen die Gewerkschaften nicht schnell<br />

einen Fuss in die algorithmische Revolution,<br />

sieht es schlecht aus für unsere sozialen<br />

Errungenschaften.<br />

Text: Oliver Fahrni<br />

Vielleicht ist es noch nicht zu spät. Die Revolution um die<br />

Künstliche Intelligenz (KI) hat gerade erst begonnen. Nur<br />

rast sie bereits. Der Umsatz mit lernenden Algorithmen,<br />

neuronalen Netzen und algorithmischem Management<br />

schnellte 2021 um mehr als 40 Prozent nach oben. Die<br />

Zahl der KI-Patente verdoppelt sich alle 15 Monate – 2021<br />

wurden 30 Mal so viele angemeldet wie 2015. Sieben der<br />

weltweit zehn grössten Konzerne machen heute ihr Geld<br />

im IT-Business.<br />

Bekommen die Organisationen der Arbeitenden nicht<br />

sehr schnell einen Fuss in diese Revolution, dürfte es um<br />

viele soziale und gesellschaftliche Errungenschaften bald<br />

geschehen sein. Big Data, Algorithmen und KI könnten<br />

starke Werkzeuge sein, um etwa die Verschwendung von<br />

Ressourcen und Energie einzudämmen, Transparenz in<br />

Ökonomie und Finanzströme zu bringen, Seuchen zu bekämpfen<br />

oder bessere, qualifizierende Arbeit zu fördern.<br />

Hybride Intelligenz aus Simulation und<br />

menschlichem Erfahrungswissen<br />

In der Technology Review hat der Wissenschaftsautor<br />

Niels Boeing ein solch hilfreiches Tool beschrieben, den<br />

«Zwilling»: Der Stahlkocher Tata, ein globaler Konzern,<br />

baute mit KI ein genaues Abbild seiner Produktion und<br />

spielte darin die Stahlproduktion im Computer eins zu<br />

eins durch. Resultat: Zahlreiche verbesserte Vorgänge,<br />

weniger Energiekosten – und die Erkenntnis, dass automatisierte<br />

Systeme ohne das Erfahrungswissen der Arbeitenden<br />

oft falsch entscheiden. Jetzt spricht man bei Tata<br />

von «Hybrider Intelligenz», dem Zusammenspiel von<br />

Mensch und Maschine.<br />

Das macht aus Tata noch keinen sozialen Konzern,<br />

und die kapitalistische Realität ist brutal. Die neuen Techniken<br />

werden vorab eingesetzt, um die Arbeitenden und<br />

die Gesellschaft in engste biometrische Kontrolle zu<br />

schnüren, das Verhalten und den Konsum von Milliarden<br />

zu steuern. Fast alle handelsüblichen Algorithmen diskriminieren<br />

Frauen, Farbige, Minoritäten – so verschärfen<br />

sie Chancenungleichheiten.<br />

Erstaunlich viele Gewerkschafter:innen sind sich dieser<br />

Gefahren bewusst, wie eine europaweite Studie der<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung ermittelt hat. Doch die konkreten<br />

Angriffspunkte der Organisationen zur Zähmung der<br />

KI-Welt sind vielfach noch unklar.<br />

Das liegt erstens daran, dass niemand genau weiss, wo<br />

welche Techniken eingesetzt werden. Eklatantes Beispiel<br />

sind die automatisierten, algorithmischen Beurteilungen<br />

im Personalmanagement. Einzelne Pharma-Konzerne<br />

und Grossbanken räumen ein, bei Einstellungen und<br />

Leistungskontrolle KI zu benützen. Aus den hohen Verkaufszahlen<br />

von vorgefertigten algorithmischen Personalprogrammen<br />

aber muss man schliessen, dass sehr viele<br />

Unternehmen sie verwenden.<br />

Da hilft nur Transparenz. Also die obligatorische Offenlegung.<br />

Zuerst muss die Transparenz in die GAV eingeschrieben<br />

werden. Neben anderen Regeln, die darauf zielen,<br />

die Datensouveränität der Arbeitenden zu schützen,<br />

respektive zu erzwingen. Hier müssen die Gewerkschaften<br />

ein zweites Handicap überwinden: Künstliche Intelligenz<br />

ist ein umfangreiches, technisches und daher<br />

schwierig zu meisterndes Fachgebiet.<br />

Also hilft nur ein Bündnis mit spezialisierten Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft. Zahlreiche Forscher:innen<br />

und Spitzenleute haben der Industrie in den letzten Jahren<br />

den Rücken gekehrt und sind in diesen NGO aktiv.<br />

<strong>syndicom</strong> macht heute einen ersten Schritt durch ein gemeinsames<br />

Projekt mit der Organisation AlgorithmWatch<br />

(siehe Seite 12). So oder so kommen die Gewerkschaften<br />

um eine Bildungsanstrengung nicht herum. Ein erhellender<br />

Anfang könnten Algorithmus-Ateliers sein: Gewerkschafter:innen<br />

schreiben selber Code. Gemäss der alten<br />

Bauernregel: Nur wer selber eine Furche gezogen hat,<br />

weiss, wie die Kartoffel wirklich schmeckt.

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