01.12.2022 Aufrufe

LegalTech – Zeitschrift für die digitale Rechtsanwendung

Legal Tech ist keine Zukunftsmusik – Interne und externe Abläufe in Kanzleien, Rechtsabteilungen, Notariaten, in der Verwaltung sowie bei Gerichten sind längst betroffen. Die Nutzung von Onlinedatenbanken, das beA, Anwaltssoftware mit automatischer Kontrolle von Fristen, Vertrags- und Wissensmanagement bis zur automatischen Versendung von Vollmachten und Vergütungsvereinbarungen ist bereits Alltag – zahlreiche Haftungs- und berufsrechtliche Fragen sind die Folge. Analyse eingehender Schriftsätze mit automatischer Quellenverlinkung und Klassifikation der Texte sowie deren automatisierte interne Zuweisung wird von vielen Gerichten praktiziert. Auch die Anwaltschaft muss diese Vorgänge und ihre möglichen Fehlerquellen und Limitierungen kennen, um Nachteile für ihre Mandantinnen und Mandanten auszuschließen. Jegliche Formen von Registern – ob Handelsregister oder Grundbuch – können künftig blockchainbasiert abgebildet werden, so dass die Zwischenschritte über Rechtspfleger und Registergerichte entfallen, die Notariate faktisch die Register führen. Online-Beurkundungen und Führung notarieller Akten (NotAktVV) sind weitere, erste Schritte in die Digitalisierung des Notariats Vertragsgeneratoren und automatisiertes Mahnwesen, KI-basierte Beratung von Kunden werden verstärkt in den Unternehmen eingesetzt – erheblicher Beratungsbedarf entsteht in-house und extern – Rechtsabteilungen und Kanzleien müssen über umfassende, auch technische Kenntnisse verfügen. Auch die Rechtsdurchsetzung wird für die Verbraucherinnen und Verbraucher durch neue Angebote erleichtert – eingesandte Bußgeldbescheide werden analysiert, automatisch Einspruch eingelegt, Ersatzansprüche bei Flugverspätungen oder -ausfällen automatisiert geltend gemacht. Die neue praxisorientierte Zeitschrift ist ganz auf diese aktuellen und künftigen Entwicklungen zugeschnitten, in denen Anwendungen und Technologien die Akteure nicht nur unterstützen, sondern durch Automatisierung ganze Arbeitsprozesse übernehmen.

Legal Tech ist keine Zukunftsmusik – Interne und externe Abläufe in Kanzleien, Rechtsabteilungen, Notariaten, in der Verwaltung sowie bei Gerichten sind längst betroffen.

Die Nutzung von Onlinedatenbanken, das beA, Anwaltssoftware mit automatischer Kontrolle von Fristen, Vertrags- und Wissensmanagement bis zur automatischen Versendung von Vollmachten und Vergütungsvereinbarungen ist bereits Alltag – zahlreiche Haftungs- und berufsrechtliche Fragen sind die Folge.
Analyse eingehender Schriftsätze mit automatischer Quellenverlinkung und Klassifikation der Texte sowie deren automatisierte interne Zuweisung wird von vielen Gerichten praktiziert. Auch die Anwaltschaft muss diese Vorgänge und ihre möglichen Fehlerquellen und Limitierungen kennen, um Nachteile für ihre Mandantinnen und Mandanten auszuschließen.
Jegliche Formen von Registern – ob Handelsregister oder Grundbuch – können künftig blockchainbasiert abgebildet werden, so dass die Zwischenschritte über Rechtspfleger und Registergerichte entfallen, die Notariate faktisch die Register führen. Online-Beurkundungen und Führung notarieller Akten (NotAktVV) sind weitere, erste Schritte in die Digitalisierung des Notariats
Vertragsgeneratoren und automatisiertes Mahnwesen, KI-basierte Beratung von Kunden werden verstärkt in den Unternehmen eingesetzt – erheblicher Beratungsbedarf entsteht in-house und extern – Rechtsabteilungen und Kanzleien müssen über umfassende, auch technische Kenntnisse verfügen.
Auch die Rechtsdurchsetzung wird für die Verbraucherinnen und Verbraucher durch neue Angebote erleichtert – eingesandte Bußgeldbescheide werden analysiert, automatisch Einspruch eingelegt, Ersatzansprüche bei Flugverspätungen oder -ausfällen automatisiert geltend gemacht.
Die neue praxisorientierte Zeitschrift ist ganz auf diese aktuellen und künftigen Entwicklungen zugeschnitten, in denen Anwendungen und Technologien die Akteure nicht nur unterstützen, sondern durch Automatisierung ganze Arbeitsprozesse übernehmen.

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ltz.nomos.de<br />

<strong>LegalTech</strong><br />

04 | 2022<br />

01. Jahrgang<br />

Seiten 205<strong>–</strong> 276<br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>digitale</strong> <strong>Rechtsanwendung</strong> [LTZ]<br />

Geschäftsführende<br />

Herausgeber<br />

Dr. Benedikt M. Quarch, M.A.<br />

Prof. Dr. Martin Ebers<br />

Prof. Dr. Michael Gertz<br />

Herausgeberbeirat<br />

Alisha Andert, LL.M.<br />

RiLG Sina Dörr<br />

RA Dr. Dennis Geissler<br />

RA Markus Hartung<br />

Lina Krawietz<br />

RiLG Dr. Christoph Rollberg<br />

Jun.-Prof. Dr. Hannah Ruschemeier<br />

RA Tianyu Yuan<br />

In Zusammenarbeit mit<br />

Legal Tech Verband Deutschland<br />

Robotics & AI Law Society (RAILS)<br />

Aus dem Inhalt<br />

Editorial<br />

Schuh Legal Tech in der juristischen Ausbildung<br />

<strong>–</strong> wo stehen wir und wo wollen wir hin?<br />

Aufsätze<br />

Beurskens So gut wie ein Anwalt? <strong>–</strong> Chancen und<br />

Grenzen der Werbung <strong>für</strong> Legal Tech Angebote<br />

Rocco World Wide AI: Regulatory and Strategy<br />

Developments in the Use of Artificial Intelligence<br />

by States<br />

Quarch/Neumann „Und täglich grüßt<br />

das Murmeltier“: Zum Legal Tech (Sammelklage-)<br />

Inkasso<br />

Tech & Market Insights<br />

Struck/Aßhoff Privacy Tech als Anwendungsfall<br />

<strong>für</strong> Legal Tech Applikationen<br />

Adrian/Dykes/Evert/Heinrich/Keuchen Entwicklung<br />

und Evaluation automatischer Verfahren zur<br />

Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen<br />

Keilhau Interessenvertreter sind das Nadelöhr<br />

der Digitalisierung<br />

Dörr Auf einen Kaffee mit ... Dr. Bernd Scheiff<br />

Rönnecke „Standardization of Artificial Intelligence“<br />

<strong>–</strong> the 4th RAILS-Conference<br />

205<br />

207<br />

212<br />

220<br />

224<br />

233<br />

239<br />

244<br />

247<br />

Falk Das war der Legal Tech Day 2022 250<br />

Digitaler Zugriff:


Herausgeber LTZ · <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>digitale</strong> <strong>Rechtsanwendung</strong> Inhalt<br />

Geschäftsführende<br />

Herausgeber<br />

Dr. Benedikt M. Quarch, M.A.<br />

Prof. Dr. Martin Ebers<br />

Prof. Dr. Michael Gertz<br />

Herausgeberbeirat<br />

Alisha Andert, LL.M.<br />

RiLG Sina Dörr<br />

RA Dr. Dennis Geissler<br />

RA Markus Hartung<br />

Lina Krawietz<br />

RiLG Dr. Christoph Rollberg<br />

Jun.-Prof. Dr. Hannah Ruschemeier<br />

RA Tianyu Yuan<br />

In Zusammenarbeit mit<br />

Legal Tech Verband Deutschland<br />

Robotics & AI Law Society (RAILS)<br />

Inhalt 4/2022<br />

Editorial<br />

Legal Tech in der juristischen Ausbildung <strong>–</strong> wo stehen wir und wo wollen wir hin?<br />

Mathias Schuh ................................................................. 205<br />

Aufsätze<br />

So gut wie ein Anwalt? <strong>–</strong> Chancen und Grenzen der Werbung <strong>für</strong> Legal Tech Angebote<br />

Michael Beurskens .............................................................. 207<br />

World Wide AI: Regulatory and Strategy Developments in the Use of Artificial<br />

Intelligence by States<br />

Salvatore Rocco ................................................................. 212<br />

„Und täglich grüßt das Murmeltier“: Zum Legal Tech (Sammelklage-) Inkasso<br />

Benedikt M. Quarch/Jan Neumann ............................................... 220<br />

Tech & Market Insights<br />

Privacy Tech als Anwendungsfall <strong>für</strong> Legal Tech Applikationen<br />

Matthias Struck/Guido Aßhoff ................................................... 224<br />

Entwicklung und Evaluation automatischer Verfahren zur Anonymisierung von<br />

Gerichtsentscheidungen<br />

Axel Adrian/Nathan Dykes/Stephanie Evert/Philipp Heinrich/Michael Keuchen ....... 233<br />

Interessenvertreter sind das Nadelöhr der Digitalisierung<br />

Valerie Keilhau ................................................................. 239<br />

Auf einen Kaffee mit ... Dr. Bernd Scheiff<br />

Sina Dörr ...................................................................... 244<br />

„Standardization of Artificial Intelligence“ <strong>–</strong> the 4th RAILS-Conference<br />

Susanne Rönnecke .............................................................. 247<br />

Das war der Legal Tech Day 2022<br />

Charlotte Falk .................................................................. 250<br />

Rechtsprechung<br />

Formanforderungen an per beA eingereichte elektronische Dokumente<br />

BAG, Beschluss vom 25.04.2022 <strong>–</strong> 3 AZB 2/22<br />

Katharina Agathe Koslowski ...................................................... 252<br />

Der BGH an der Spitze der Fortentwicklung des Rechts<strong>die</strong>nstleistungsrechts<br />

BGH, Urt. v. 13. Juni 2022 <strong>–</strong> VIa ZR 418/21<br />

Volker Römermann .............................................................. 260<br />

Reading Corner<br />

Charlotte Marie Flory, Grenzen inkasso<strong>die</strong>nstlicher Rechts<strong>die</strong>nstleistungen<br />

Hans-Peter Schwintowski ........................................................ 275<br />

LTZ 4/2022<br />

I


Newsblog by recode.law<br />

Newsblog by recode.law<br />

Best of news from NewLaw Radar<br />

recode.law ist <strong>die</strong> führende junge Initiative in Deutschland,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Digitalisierung der Rechtsbranche in<br />

Deutschland vorantreibt. Im Newsletter “NewLaw Radar”<br />

informiert recode.law alle zwei Wochen über relevante<br />

Entwicklungen im Bereich Legal Tech. Hier finden Sie<br />

eine Auswahl von wichtigen Artikeln (Stand: November<br />

2022). Unter www.recode.law/ltz finden Sie eine Linkliste<br />

zu den Meldungen.<br />

• GmbH in Deutschland erstmals online gegründet!<br />

Am 01.08.2022 um kurz nach Mitternacht hat sich in Deutschland<br />

ein historischer Moment ereignet. Die erste GmbH<br />

konnte online gegründet werden. Über eine Plattform der<br />

Bundesnotarkammer <strong>für</strong> das neue notarielle Online-Verfahren<br />

wurde eine Vorratsgesellschaft des Deutschen Notarvereins<br />

erstmals online gegründet.<br />

Der Präsident der Bundesnotarkammer berichtet in einem<br />

Interview mit LTO über den genauen Ablauf. Bisher können<br />

über <strong>die</strong>se Plattform eine GmbH gegründet und alle Anmeldungen<br />

zum Handels-, Genossenschafts- und Partnerschaftsregister<br />

vorgenommen werden. Hier<strong>für</strong> sind auch wenige technische<br />

Voraussetzungen notwendig. Laptop, Smartphone und<br />

ein geeignetes Ausweisdokument, wie ein Personalausweis mit<br />

eID, werden benötigt und dann kann es auch schon losgehen.<br />

Neben <strong>die</strong>sen wenigen technischen Voraussetzungen sprechen<br />

auch noch <strong>die</strong> geringen Kosten. Eine Beglaubigung kostet<br />

8 EUR und eine Beurkundung mit einem Videokonferenzsystem<br />

25 EUR.<br />

• Virtuelle Hauptversammlungen bleiben<br />

Aktiengesellschaften können künftig dauerhaft von der virtuellen<br />

Hauptversammlung, als zusätzliche Form der Versammlung,<br />

Gebrauch machen. Am 27. Juli ist das entsprechende<br />

Gesetz in Kraft getreten. Die wesentlichen Vorschriften des<br />

Referentenentwurfs wurden umgesetzt. Die Präsenzversammlung<br />

bildet weiterhin <strong>die</strong> Grundform der Hauptversammlung.<br />

Um <strong>die</strong> virtuelle Hauptversammlung durchzuführen, bedarf<br />

es einer Änderung der Gesellschaftssatzung.<br />

Wenn <strong>die</strong> Hauptversammlung virtuell stattfindet, muss laut<br />

Referentenentwurf <strong>die</strong> gesamte Versammlung in Bild und<br />

Ton übertragen werden und <strong>die</strong> zugeschalteten Aktionäre und<br />

Aktionärinnen müssen eine Widerspruchsmöglichkeit haben.<br />

Die virtuelle Hauptversammlung enthält keine gesetzliche<br />

Begrenzung bezüglich der in ihr zu behandelnden Gegenstände.<br />

• NewLaw Radar #8 - Massenverfahren<br />

Im „NewLaw Radar“-Podcast informieren Euch Moritz und<br />

Carl von Hamburg aus in aller Kürze über <strong>die</strong> wichtigsten<br />

Neuigkeiten der Legal Tech-Welt und teilen interessante<br />

Geschichten aus unserem Verein.<br />

In <strong>die</strong>ser Folge sprechen wir über Massenverfahren. Im ersten<br />

Teil erzählt Euch unser Mitglied Nick, was genau „Massenverfahren“<br />

sind, welche Probleme aus ihnen resultieren und welche<br />

Lösungen vorgeschlagen und diskutiert werden.<br />

Im zweiten Teil gibt uns Dr. Simon Heetkamp einen Einblick<br />

aus der Praxis. Simon ist Richter am Landgericht Köln und<br />

zudem Mitgründer des Forums <strong>digitale</strong> Richterschaft, das<br />

einen Austausch über Digitalisierungsthemen in der Justiz<br />

ermöglichen soll. Viel Spaß beim Zuhören.<br />

• BGH veröffentlicht Tätigkeitsbericht<br />

Die Zahl der eingegangenen Zivilrechtssachen lag im Jahr<br />

2021 bei 6.686. Gegenüber 2020 ist das ein leichter Anstieg um<br />

3,7 %. Die Zahl der Erledigungen ist 2021 gleichfalls leicht<br />

gestiegen <strong>–</strong> um 0,1 % auf 6.277. Sie liegt somit knapp unter der<br />

Zahl der Neueingänge. Die Zahl der Ende 2021 im Zivilrecht<br />

offenen Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden stieg im<br />

Vergleich zum Vorjahr um 13,5 Prozent auf 4.300.<br />

Auch bei den Strafsenaten sind <strong>die</strong> Zahlen höher als im Vorjahr:<br />

Die der Neueingänge belief sich im Jahr 2021 insgesamt<br />

auf 3.705 und lag damit über dem Vorjahresniveau (3.397).<br />

Erledigt wurden 3.552 Verfahren, ein Anstieg um 1 % gegenüber<br />

dem Vorjahr.<br />

Die nach dem 1. Januar 2000 ergangenen Entscheidungen des<br />

Bundesgerichtshofs sind über <strong>die</strong> Internetseite abrufbar. Im<br />

Jahr 2021 wurden annähernd 3.600 Entscheidungen neu auf<br />

der Homepage des Bundesgerichtshofs veröffentlicht. Die Entscheidungsdatenbank<br />

umfasste somit zum Ende des Jahres<br />

2021 rund 69.100 Entscheidungen.<br />

• Reformbedarf bei der Juristenausbildung<br />

Der aktuelle Podcast des Beck-Verlages beschäftigt sich mit<br />

dem Reformbedarf bei der juristischen Ausbildung. Nachdem<br />

wir im letzten NewLaw Radar über <strong>die</strong> Umfrage zur Reform<br />

der juristischen Ausbildung von iurreform berichtet haben<br />

und euch dazu <strong>die</strong> aktuelle Folge des „NewLaw Radar“-Podcast<br />

empfehlen durften, bietet <strong>die</strong>se Podcast-Folge von „beckaktuell“<br />

eine spannende Ergänzung. Zu Gast sind Til-Bußmann-Welsch<br />

von iurreform und Dr. Stephan Lorenz von der<br />

LMU München.<br />

• Wolters Kluwer stellt Future Ready Lawyers Stu<strong>die</strong> 2022<br />

vor<br />

Auch <strong>die</strong>ses Jahr hat der Verlag Wolters Kluwer in einer groß<br />

angelegten Stu<strong>die</strong> unter Juristen und Juristinnen einen Überblick<br />

über <strong>die</strong> Branche erarbeitet und nun seinen aktuellen<br />

Stu<strong>die</strong>nbericht 2022 unter dem Titel „Den Wandel anführen“<br />

veröffentlicht. Schwerpunkt der Stu<strong>die</strong> ist <strong>die</strong> Betrachtung des<br />

<strong>digitale</strong>n Wandels des Berufsstandes und dessen Fortschritt<br />

bei der Einführung <strong>digitale</strong>r Prozesse und Technologien. Laut<br />

der Stu<strong>die</strong> wird der Druck auf Juristen und Juristinnen durch<br />

<strong>die</strong> Umstände des VUCA-Umfeldes immer stärker und eine<br />

Konfrontation mit dem Wandel unausweichlich.<br />

Unverändert kommt <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> zu dem zentralen Ergebnis,<br />

dass Fachleute aus ganz Europa und den USA aufgrund<br />

LTZ 4/2022<br />

III


<strong>LegalTech</strong><br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>digitale</strong> <strong>Rechtsanwendung</strong> [LTZ]<br />

4/2022 | Seiten 205<strong>–</strong>276<br />

Editorial<br />

Legal Tech in der juristischen Ausbildung <strong>–</strong> wo stehen wir und wo wollen wir hin?<br />

Vor nunmehr knapp vier Jahren gründeten wir recode.law. Das<br />

Thema „Legal Tech“ war da noch ein unbekannter, allenfalls<br />

der Kenntnis einer kleinen Gruppe vorbehaltener Begriff. Noch<br />

lange bevor sich Kanzleien in „Hubs“, „Labs“ oder „Divisions“<br />

der Entwicklung widmeten, bevor auch Verbände sowie Ministerien<br />

und Politik das Thema aufgriffen, hörten wir zum ersten<br />

Mal von den Möglichkeiten, Ideen und Visionen, <strong>die</strong> uns in den<br />

kommenden Jahren begleiten sollten und auch weiterhin werden.<br />

Mag <strong>die</strong> ganz große Revolution der Rechtsbranche zwar<br />

noch nicht vonstatten gegangen sein und auch <strong>die</strong> fundamentalen<br />

Sprünge in der Zukunft zumindest ungewiss sein, so hatte<br />

uns das Thema doch gepackt. Wir erkannten, dass es <strong>für</strong> uns<br />

und als angehende Juristinnen und Juristen unerlässlich sein<br />

würde, sich mit den Dynamiken, Chancen und Herausforderungen<br />

eines digitalisierten Arbeitsfelds auseinanderzusetzen. Was<br />

fehlte war allerdings ein entsprechendes Angebot an den Universitäten.<br />

Wir mussten uns unser eigenes Angebot zur Weiterbildung<br />

schaffen, das wir selbst gestalten konnten und bei dem<br />

recode.law nicht nur als Anbieter von Wissensaustausch wurde,<br />

sondern vor allem auch Forum <strong>für</strong> tech-begeisterte junge Menschen.<br />

Daneben war es uns aber auch stets ein Anliegen, Legal<br />

Tech als Inhalt und Methode insbesondere in der universitären<br />

Ausbildung von Juristinnen und Juristen voranzubringen. Neben<br />

offenen Ohren sind wir dabei stets auch auf viel Skepsis gestoßen,<br />

können in der Retrospektive jedoch durchaus auch handfeste<br />

Ergebnisse dokumentieren. Das soll Anlass genug sein, im<br />

folgenden Beitrag <strong>die</strong> Entwicklungslinien der juristischen Ausbildung<br />

in Bezug auf Legal Tech nachzuzeichnen und auch einen<br />

Blick in <strong>die</strong> Zukunft zu wagen.<br />

Legal Tech-Bachelor und Master schaffen Schnittstellen-<br />

Experten<br />

Dabei kann man <strong>die</strong> möglichen Formen, in denen Legal Tech als<br />

Lehrinhalt auch in das klassische juristische Studium einfließen<br />

kann, danach systematisieren, wie tief ein Format in <strong>die</strong> Materie<br />

eindringt, wie viele Nachwuchsjuristinnen und -juristen durch<br />

<strong>die</strong> Inhalte erreicht werden können und letztlich wie groß der<br />

Aufwand bei der Entwicklung der Formate ist.<br />

Zunächst bestehen Lehrangebote, <strong>die</strong> einen eigenen Stu<strong>die</strong>ngang<br />

etwa als Graduiertenstu<strong>die</strong>ngang mit isolierten Stu<strong>die</strong>nabschluss<br />

und unabhängig vom Staatsexamen darstellen. Sie<br />

sind <strong>für</strong> <strong>die</strong> Universitäten mit einem erheblichen Aufwand verbunden,<br />

da sie eine, anderen Bachelor- oder Masterstu<strong>die</strong>ngängen<br />

entsprechende, Breite an Lehrveranstaltungen und erbringbaren<br />

Stu<strong>die</strong>nleistungen abbilden müssen. Gleichzeitig können<br />

sie eine tiefe Auseinandersetzung mit der Materie ermöglichen,<br />

<strong>die</strong> ihre Absolventinnen und Absolventen mit der optimalen Eignung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> neuen Berufsfelder (zB Legal Operations Manager,<br />

Legal Engineer) ausstatten, <strong>die</strong> durch Legal Tech in den letzten<br />

Jahren neben und zur Unterstützung der juristischen Tätigkeit<br />

entstanden sind. Diese Lücke scheint also geschlossen zu sein.<br />

Gleichzeitig ist aber klar, dass <strong>die</strong>se Angebote nur an eine im<br />

Vergleich zur Gesamtmenge der Juristinnen und Juristen kleine<br />

Anzahl an Stu<strong>die</strong>renden gerichtet ist. Sie stehen dabei unter<br />

Umständen, so etwa bei einem LL.M.-Stu<strong>die</strong>ngang, auch in Konkurrenz<br />

zu anderen traditionell-dogmatischen Angeboten. Im<br />

Ergebnis bilden sie also völlig neue (und auch dringend benötigte)<br />

Berufsgruppen aus, zielen aber nicht auf <strong>die</strong> Berufsgruppe<br />

ab, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se unterstützen sollen: <strong>die</strong> „Otto-Normal-Juristen“.<br />

Legal Tech geht alle an<br />

Aber warum gilt es gerade <strong>die</strong>se überwiegende Gruppe zu erreichen?<br />

Und warum ist auch <strong>die</strong> Universität bzw. <strong>die</strong> Vorbereitung<br />

auf das erste Staatsexamen der richtige Ort da<strong>für</strong>?<br />

Diesem Ziel geht zunächst <strong>die</strong> Prämisse voraus, dass es trotz<br />

einer zunehmenden Zahl an Menschen, <strong>die</strong> an der Schnittstelle<br />

von Rechtsbranche und Technik tätig sein werden, immer<br />

noch einen hohen Bedarf und damit auch eine zahlenmäßige<br />

Überlegenheit von klassischen Juristinnen und Juristen geben<br />

wird. Gleichzeitig zwingt <strong>die</strong> demographisch bedingte Abnahme<br />

von Nachwuchskräften bei steigender regulatorischer Komplexität<br />

<strong>die</strong> Branche zu mehr Effizienz. Zunächst müssen Prozesse<br />

erkannt werden, <strong>die</strong> digitalisiert werden können. Gleichzeitig<br />

müssen <strong>die</strong> Projekte dann auch richtig priorisiert werden. Da<strong>für</strong><br />

bedarf es eben jener „Fach-Juristen“, <strong>die</strong> ihre eigenen rechtlichen<br />

Prozesse am besten kennen. Sie sind verantwortlich, Digi­<br />

LTZ 4/2022 205


Beurskens · So gut wie ein Anwalt? <strong>–</strong> Chancen und Grenzen der Werbung <strong>für</strong> Legal Tech Angebote Aufsätze<br />

So gut wie ein Anwalt? <strong>–</strong> Chancen und Grenzen der Werbung <strong>für</strong> Legal<br />

Tech Angebote<br />

Prof. Dr. Michael Beurskens, LL.M. (Gewerblicher Rechtsschutz), LL.M (University of Chicago), Attorney at Law (New York)<br />

Womit darf ein Legal Tech Anbieter werben <strong>–</strong> und wann ist <strong>die</strong> Außendarstellung irreführend? Nachdem <strong>die</strong> Rechtsprechung sich bislang auf<br />

<strong>die</strong> Zulässigkeit der Tätigkeit als solche konzentrierte, ist zu erwarten, dass künftig insbesondere <strong>die</strong> Anwaltskammern auf <strong>die</strong> Selbstdarstellung<br />

entsprechender Angebote achten werden. Der Beitrag illustriert <strong>die</strong> insoweit bestehenden Möglichkeiten und Grenzen anhand konkreter<br />

Beispiele.<br />

I.<br />

Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls <strong>für</strong> Bürgerliches<br />

Recht, Deutsches, Europäisches und<br />

Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität<br />

Passau. Er ist dort verantwortlich <strong>für</strong><br />

den Bachelorstu<strong>die</strong>ngang Legal Tech sowie den<br />

Masterstu<strong>die</strong>ngang Rechtsinformatik; zudem<br />

befasst er sich in der Forschung mit der Entwicklung<br />

von Legal Tech Werkzeugen und den<br />

damit zusammenhängenden Rechtsfragen.<br />

Einleitung: Vom Totalverbot zur bloßen<br />

Werbungskontrolle<br />

Die Mehrzahl der bisherigen Verfahren gegen Legal Tech<br />

Anbieter befasste sich mit berufsrechtlichen Vorschriften.<br />

Dabei zeigte sich allerdings, dass nach der Lesart des BGH<br />

jedenfalls <strong>die</strong> Mehrzahl der heute üblichen Geschäftsmodelle<br />

zulässig ist: Vertragsgeneratoren erbringen schon keine Rechts<strong>die</strong>nstleistungen,<br />

1 <strong>die</strong> Inkassobefugnis wird bei Abtretungsmodellen<br />

weit ausgelegt. 2 Zwar ist insbesondere <strong>die</strong> Erlaubnispflicht<br />

nach § 3 RDG eine Marktverhaltensregelung, <strong>die</strong> nach<br />

§§ 3 I, 3a UWG iVm § 8 Abs. 1 UWG durch Mitbewerber, Verbände<br />

sowie <strong>die</strong> Kammern geltend gemacht werden kann 3<br />

und damit scheinbar als scharfes Schwert wirkt. Jedoch sind<br />

<strong>die</strong> Erfolgsaussichten entsprechender Abmahnungen (§ 13<br />

Abs. 1 UWG) oder einstweiliger Verfügungen (§ 12 Abs. 1<br />

UWG) vor dem Hintergrund der unsicheren Rechtslage eher<br />

gering, so dass es vielfach auf langwierige Hauptsacheverfahren<br />

hinauslaufen wird.<br />

Mit der insoweit nur in klaren Fällen relevanten mittelbaren<br />

Prüfung des Berufsrechts ist das Lauterkeitsrecht aber noch<br />

lange nicht ausgezählt. Schon in der ersten Instanz der Smart­<br />

Law-Entscheidung 4 ging es um <strong>die</strong> eher im traditionellen Lauterkeitsrecht<br />

verankerte zentrale Frage, ob in der Darstellung<br />

der Dienste durch ihre Anbieter ggf. eine irreführende<br />

geschäftliche Handlung im Sinne §§ 5, 5a UWG liegt. Die auch<br />

gegen <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezügliche Verurteilung gerichtete Berufung<br />

wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG zurückgenommen,<br />

so dass <strong>die</strong> Frage in den Folgeinstanzen nicht weiter<br />

vertieft wurde. Angesichts der oftmals übertreibenden Darstellung,<br />

aber auch vor dem Hintergrund der Erwartungen der<br />

Rechtssuchenden an eine (Online-)Beratung ist dennoch in<br />

der Darbietung der jeweiligen Angebote besondere Vorsicht<br />

geboten. Dabei wird das deutsche Recht vielfach durch europarechtliche<br />

Vorgaben, namentlich <strong>die</strong> im Verhältnis zu Verbrauchern<br />

anzuwendende vollharmonisierende UGP-Richtlinie<br />

2005/29/EG und <strong>die</strong> gegenüber sonstigen Marktteilnehmern<br />

geltende, nur mindestharmonisierende EU-Werberichtli­<br />

nie 2006/114/EG vorgezeichnet. Im Folgenden werden <strong>die</strong> zentralen<br />

Grenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Werbung umrissen und soweit möglich<br />

anhand von Beispielen illustriert.<br />

II.<br />

Besondere Schranken <strong>für</strong> <strong>die</strong> Werbung durch<br />

Anwältinnen und Anwälte<br />

§ 43b BRAO enthält ein besonderes Sachlichkeitsgebot <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Werbung durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte; <strong>die</strong>se<br />

darf insbesondere nicht auf <strong>die</strong> Erteilung eines Auftrags im<br />

Einzelfall gerichtet sein. Im Lichte von Art. 24 der EU-Dienstleistungs-RL<br />

5 ist insoweit eine umfassende Abwägung aller<br />

Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. 6 Konkretisierend greifen<br />

§§ 6<strong>–</strong>6 BORA. Diese enthalten Vorgaben zu Aussagen zur<br />

Person der Anwältin oder des Anwalts (§ 6 Abs. 1 BORA), zu<br />

Erfolgs- und Umsatzzahlen (§ 6 Abs. 2 S. 1 BORA), zu Mandaten<br />

(§ 6 Abs. 2 S. 2 BORA) oder zur beruflichen Zusammenarbeit<br />

(§ 8 BORA). Teilbereiche der eigenen Tätigkeit oder qualifizierende<br />

Zusätze sind nur zulässig, wenn Kenntnisse hierüber<br />

nachgewiesen werden können (§ 7 Abs. 1 BORA); zudem<br />

darf keine Verwechslung mit Fachanwaltstiteln drohen (§ 7<br />

Abs. 2 BORA). Geregelt wird darüber hinaus <strong>die</strong> Führung von<br />

Kurzbezeichnungen (§ 9 BORA) und der Inhalt von Briefbögen<br />

(§ 10 BORA).<br />

Für Inkasso<strong>die</strong>nstleister und erst recht <strong>für</strong> <strong>die</strong> Anbieter von<br />

Dokumentengeneratoren, <strong>die</strong> überhaupt keine Rechts<strong>die</strong>nstleistung<br />

darstellen, greifen entsprechende Schranken nicht.<br />

Auch Anwältinnen oder Anwälte, <strong>die</strong> entsprechende Tätigkeiten<br />

etwa über eine GmbH anbieten, unterliegen insoweit<br />

nicht den besonderen werberechtlichen Regelungen. Die<br />

damit einhergehende unterschiedliche Behandlung ist hinzunehmen<br />

<strong>–</strong> denn gerade <strong>die</strong> besondere Rolle als Anwältin oder<br />

Anwalt (mit der geworben werden darf) begründet insoweit<br />

einen Reputationsvorsprung.<br />

III.<br />

Zulässigkeit individueller und genereller<br />

vergleichender Aussagen<br />

Vergleicht sich ein Anbieter mit einem oder mehreren konkret<br />

benannten (oder sonst erkennbaren) anderen, greifen <strong>die</strong> voll­<br />

1 BGH NJW 2021, 3125 <strong>–</strong> Vertragsdokumentengerator.<br />

2 BGH NJW 2020, 208 („LexFox I“); BGH NJW 2021, 3046 („LexFox II“); BGH<br />

MMR 2022, 668 („Conny“).<br />

3 BGH NJW 2021, 3125 <strong>–</strong> Vertragsdokumentengerator Rn. 16; GRUR 2021, 758<br />

Rn. 28 <strong>–</strong> Rechtsberatung durch Architektin mwN.<br />

4 LG Köln MMR 2020, 56 (59), Rn. 31 ff.<br />

5 BGH GRUR-RR 2015, 108 Rn. 11.<br />

6 BGH GRUR-RR 2015, 108 Rn. 11.<br />

LTZ 4/2022 207


Aufsätze Rocco · World Wide AI: Regulatory and Strategy Developments in the Use of Artificial Intelligence by States<br />

X. Fazit<br />

Angesichts der insoweit eingreifenden Meinungs- und Kunstfreiheit<br />

(Art. 5 GG) sowie der auch im Interesse der Allgemein­<br />

Auch wenn Legal Tech Angebote berufsrechtlich vielfach<br />

unbedenklich sind, sind bei der Außendarstellung selbstverständlich<br />

Irreführung oder Druckausübung auf <strong>die</strong> aktuellen<br />

heit liegenden Öffnung des Marktes <strong>für</strong> neue Anbieter sollten<br />

hier aber keine übermäßig strengen Anforderungen gestellt<br />

und potenziellen Nutzer zu vermeiden. Es ist zu erwarten,<br />

werden. Insoweit bleibt <strong>die</strong> Entwicklung in <strong>die</strong>sem Bereich<br />

dass <strong>die</strong> entsprechenden Verbote des UWG in §§ 4a, 5 ff. UWG<br />

auch in den kommenden Jahren spannend, wobei zu hoffen<br />

nach dem Scheitern der vermeintlich stärkeren Grundlage in<br />

ist, dass sich in der Rechtsprechung auf den spezifischen<br />

§ 3a UWG iVm § 3 RDG künftig stärkere Bedeutung in Form<br />

Markt der Legal Tech Dienste bezogene Abgrenzungskriterien<br />

von Abmahnungen und Gerichtsstreitigkeiten erlangen werden.<br />

herauskristallisieren.<br />

World Wide AI: Regulatory and Strategy Developments in the Use of<br />

Artificial Intelligence by States<br />

Salvatore Rocco<br />

The increasing use of technology by States is not anymore a recent trend. Computers verify our identity, speed cameras check for infractions,<br />

smartphone apps offer public services, governments use data-driven analyses. However, so far, technology was the “tool” <strong>–</strong> humans were<br />

the “decision-makers”. The rise of Artificial Intelligence in the public sector may change this, and, depending on the extent to which an action<br />

is concretely remitted to a machine, compromise the rules that inform, limit and legitimize the power of States. The goal of the essay is to<br />

explore this current shift of control in the public axis around the world, and review some of the measures that States are adopting <strong>–</strong> or could<br />

adopt <strong>–</strong> to harness this transformation.<br />

I. Are States making good use of AI?<br />

Salvatore Rocco is a Legal Engineer at Loyens<br />

& Loeff, with an Integrated MA in Law<br />

from Bocconi University<br />

The consequences rising from the State use of Artificial Intelligence<br />

(AI) are complex, uncertain, and still a relatively novel<br />

matter of concern. This is demonstrated by the fact that no<br />

policy or regulatory approach to AI <strong>–</strong> let alone to the State use<br />

of AI <strong>–</strong> has yet found unanimity of doctrine or practice. 1 On<br />

the other hand, while the research still brings preliminary conclusions,<br />

the technological and societal change driven by AI<br />

is a tangible force, with (among many others) China, the US<br />

and the European Union (EU) all recognising the value of AI<br />

in the public sector and investing amounts in the billions for<br />

its development. 2 This brings us to the opening question: “are<br />

States making good use of AI?”.<br />

This introductory chapter lays a minimum viable framework<br />

for this research. Specifically, we must first address the notion<br />

of “AI” and what can be considered a “good use” of it in the<br />

first place. Following that, the essay will look at the current<br />

state of play in regulation and strategy developments.<br />

1. On the notion of “Artificial Intelligence”<br />

It proves remarkably hard to make an understanding of AI<br />

that is at once holistic, accurate and practical for legal scholars<br />

and policymakers. Often used as an umbrella term, AI<br />

means indeed many things <strong>–</strong> which explains the misconceptions<br />

and generalisations around its actual features and functioning.<br />

Even more intricate and elusive is concept of “good”<br />

(as in “good use of AI”), which is all the same an essential<br />

coordinate for any theory of Justice and therefore for such a<br />

study on the actions and laws of States.<br />

This introduction cannot evidently exhaust the two subjects,<br />

on which more theoretical readings are recommended. 3 We<br />

should, however, staple several key points, starting with some<br />

clarity on AI.<br />

First, AI is a vox media. 4 It refers to both the technologies<br />

displaying intelligence and to the research field which stu<strong>die</strong>s<br />

and develops such technologies. But also, it often goes beyond<br />

1 B. W. Wirtz, P. F. Langer and C. Fenner, ‘Artificial Intelligence in the Public<br />

Sector <strong>–</strong> a Research Agenda’ (2021) 44:13 IJPA.<br />

2 OECD, ‘Artificial Intelligence in Society’ (2019). See also: Y. K. Dwivedi et<br />

al., ‘Artificial Intelligence (AI): Multidisciplinary perspectives on emerging<br />

challenges, opportunities, and agenda for research, practice and policy’<br />

(2021) 57:101994 IJIM.<br />

3 See, among others: S. Rocco, ‘Thesis on the State use of AI’ (2022); S. J.<br />

Russel & P. Norvig, Artificial Intelligence: A Modern Approach (4th ed.,<br />

Pearson 2021); D. Leslie et al., ‘Artificial intelligence, human rights, democracy,<br />

and the rule of law: a primer’ (2021), Council of Europe & Alan Turin<br />

Institute; M. L. Littman et al., ‘Gathering Strength, Gathering Storms: The<br />

One Hundred Year Study on Artificial Intelligence (AI100) 2021 Study Panel<br />

Report’ (Stanford University 2021).<br />

212 LTZ 4/2022


Aufsätze Quarch/ Neumann · „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Zum Legal Tech (Sammelklage-) Inkasso<br />

the global setting, but still shows also mixed results and needs<br />

for improvement. Primarily, harmonizing the State use of AI<br />

within a single (European) platform proves a long-term benefit<br />

in order to unlock the highest potential in terms of funding,<br />

research, market benefits, expertise, and social good. On<br />

the other hand, the analysis shows that the European platform<br />

itself is not yet fully ripe for securing a good use of AI, still<br />

lacking in particular a positive law framework that addresses<br />

the open questions left from the new AI Act and harmonizes<br />

them with the other new and existing instruments of strategy<br />

and regulation of this socio-technological system.<br />

Finally, beyond the scope of this essay, several other aspects<br />

of research should be at least mentioned for a future sharper<br />

analysis. Cultural, economic and social factors, in the first<br />

place, have mostly remained an implicit component of this<br />

review of the current state of play. Integrating especially the<br />

non-Western and non-North part of the world may instead<br />

provide new and different insights on the AI adoption by<br />

States and on the qualities needed for it. In addition, countryspecific<br />

comparisons allow to further reflect on the degree<br />

of influence that different political systems may exert on<br />

this matter. And within each country, eventually, the comparative<br />

approach should reach regional and local initiatives as<br />

well, for which different paradigms might apply: as we have<br />

seen, deriving uniform analyses from State-wide policies to be<br />

applied also at smaller levels may otherwise lead to contradictory,<br />

inefficient or wrong conclusions.<br />

„Und täglich grüßt das Murmeltier“: Zum Legal Tech (Sammelklage-)<br />

Inkasso<br />

Benedikt M. Quarch/Jan Neumann<br />

Welche Tätigkeiten von Rechts<strong>die</strong>nstleistern sind von der Inkassoerlaubnis des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG gedeckt, bzw. bei welchen Tätigkeiten<br />

wird sie überschritten? Im November 2019 bestätigte der BGH zunächst mit seiner wegweisenden „LexFox“ Rechtsprechung <strong>die</strong> Zulässigkeit<br />

des Legal Tech Inkasso im Grundsatz. Mit weiteren darauffolgenden BGH-Urteilen und Inkrafttreten des sog. „Legal Tech Gesetzes“ im Oktober<br />

2021 rollte <strong>die</strong> Liberalisierungswelle weiter. Einige Unsicherheiten bestehen dennoch fort. Dieser Beitrag bietet einen Überblick der relevanten<br />

Rechtsprechung und Gesetzgebung, fasst den Status Quo <strong>für</strong> Rechts<strong>die</strong>nstleister zusammen und zeigt vor aktuellem Hintergrund auf, welche<br />

weiteren Schritte <strong>für</strong> echte Rechtssicherheit beim Legal Tech (Sammelklage-) Inkasso noch notwendig sind.<br />

Der Autor Quarch, ist Co-<br />

Gründer und Geschäftsführer<br />

der Düsseldorfer Right-<br />

Now Group und Mitherausgeber<br />

<strong>die</strong>ser <strong>Zeitschrift</strong>;<br />

der Autor Neumann ist<br />

dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.<br />

Es ist eines der bedeutendsten Legal Tech Geschäftsmodelle.<br />

Die gebündelte Geltendmachung einer Vielzahl abgetretener<br />

Ansprüche in Sammelklagen. Moderne Rechts<strong>die</strong>nstleister<br />

(sog. „Legal Techs“) lassen sich eine Vielzahl möglicher<br />

Ansprüche, meist von Verbrauchern gegen Unternehmen,<br />

abtreten und klagen <strong>die</strong>se Forderungen dann gebündelt ein.<br />

Dabei trifft <strong>die</strong> Zedenten kein Prozess- und Anwaltskostenrisiko<br />

wie es bei einer herkömmlichen gerichtlichen Verfolgung<br />

ihrer Ansprüche der Fall wäre. Denn üblicherweise verlangen<br />

Legal Tech Rechts<strong>die</strong>nstleister eine lediglich im Erfolgsfall<br />

geschuldete Provision. Darüber hinaus profitieren <strong>die</strong> Kunden<br />

von Legal Techs insofern, als dass <strong>die</strong> Bündelung ihrer Forderungen<br />

mit einer Vielzahl ähnlich gelagerter Ansprüche anderer<br />

Zedenten eine deutlich stärkere Verhandlungsmacht gegen<br />

den Anspruchsgegner <strong>–</strong> etwa bei Vergleichsverhandlungen <strong>–</strong><br />

schafft als <strong>die</strong>s bei Einzelklagen der Fall wäre. Ihr Geschäftsmodell<br />

stützen <strong>die</strong> Legal Techs in der Regel auf eine Registrierung<br />

als Inkasso<strong>die</strong>nstleister nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG.<br />

Diese Registrierung erlaubt ihnen aufgrund besonderer Sachkunde<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistungen im Bereich Inkasso zu erbringen.<br />

Unter Inkasso<strong>die</strong>nstleistung ist gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1<br />

RDG <strong>die</strong> „Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung<br />

auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn <strong>die</strong> Forderungseinziehung<br />

als eigenständiges Geschäft betrieben wird, einschließlich<br />

der auf <strong>die</strong> Einziehung bezogenen rechtlichen Prüfung<br />

und Beratung“ zu verstehen.<br />

I. Legalität des Legal Tech (Sammelklage-) Inkasso?<br />

Seit Jahren wird vor deutschen Gerichten in unzähligen Verfahren<br />

1 darüber gestritten, ob einzelne Geschäftsmodelle von<br />

Legal Tech Rechts<strong>die</strong>nstleistern RDG-konform sind oder ob<br />

<strong>die</strong> Vereinbarungen (inklusive der Abtretungen) zwischen<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistern und ihren Kunden nach § 134 BGB aufgrund<br />

Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot (unerlaubte<br />

Erbringung außergerichtlicher Rechts<strong>die</strong>nstleistungen) nichtig<br />

sind <strong>–</strong> einige <strong>die</strong>ser Entscheidungen wurden auch schon in<br />

1 U. A. BGH 27.11.2019 <strong>–</strong> VIII ZR 285/18, NJW 2020, 208; BGH 13.7.2021 <strong>–</strong> II<br />

ZR 84/20, openJur 2021, 34108; BGH 13.6.2022 <strong>–</strong> VIa ZR 418/21, openJur 2022,<br />

15357; OLG Schleswig 11.1.2022 <strong>–</strong> 7 U 130/21, BeckRS 2022, 385; LG Stuttgart<br />

28.4.2022 <strong>–</strong> 30 O 17/18, BeckRS 2022, 10278; OLG Braunschweig 7.10.2021 <strong>–</strong><br />

8 U 40/21, BeckRS 2021, 29486; LG Braunschweig 30.4.2020 <strong>–</strong> 11 O 3092/19,<br />

BeckRS 2020, 7267.<br />

220 LTZ 4/2022


Tech & Market Insights Struck/Aßhoff · Privacy Tech als Anwendungsfall <strong>für</strong> Legal Tech Applikationen<br />

Tech & Market Insights<br />

Privacy Tech als Anwendungsfall <strong>für</strong> Legal Tech Applikationen<br />

Technologiegestütztes Datenschutzmanagement <strong>–</strong> neue Anwendungsfälle<br />

treiben <strong>die</strong> Digitalisierung und Integration voran<br />

Matthias Struck/Guido Aßhoff<br />

Legal Tech ist in aller Munde. In der juristischen Diskussion stehen Themen wie Smart Contracts, der Einsatz von Blockchains sowie der Einsatz<br />

von Künstlicher Intelligenz im Vordergrund. Datenschutzberatung nutzt bereits seit geraumer Zeit technische Applikationen zu diversen<br />

Zwecken, beispielsweise zur Dokumentation von Datenschutzanforderungen. Dieser Beitrag möchte einen Überblick über das relevante Feld<br />

des Privacy Tech als quasi Unterfall von Legal Tech geben.<br />

I. Einführung<br />

1. Ausgangssituation<br />

Der Autor Guido Aßhoff, LL.M. ist<br />

Rechtsanwalt sowie Fachanwalt <strong>für</strong><br />

gewerblichen Rechtsschutz & Fachanwalt<br />

<strong>für</strong> IT-Recht in der Kanzlei<br />

Aßhoff.Legal in Frechen. Matthias<br />

Struck arbeitet als Unternehmer freiberuflich<br />

in den Beratungsthemen Datenschutz,<br />

Cyber Security & Digitalisierung<br />

und ist assoziierter Partner der RST<br />

Informationssicherheit GmbH in Essen.<br />

Der Begriff Privacy Tech wird in der Praxis in der Regel <strong>für</strong><br />

zwei Bereiche komplementär verwendet.<br />

Einerseits werden als Privacy Tech technische Anwendungen<br />

(Tools) bezeichnet, <strong>die</strong> Organisationen bei der Einhaltung<br />

datenschutzrechtlicher Pflichten mit automatisierten Lösungen<br />

und Workflows unterstützen. 1<br />

Andererseits definiert Privacy Tech einen neuen Markt der<br />

Technologie- und Datenindustrie, der durch den Bedarf an og<br />

Technologien zwischen 2016 und 2017 geschaffen wurde. 2<br />

Privacy Tech besteht aus der Wortkombination Privacy, was<br />

<strong>für</strong> Datenschutz bzw. den Schutz der Privatsphäre steht, und<br />

„Tech“ <strong>für</strong> Technologie. Startups, <strong>die</strong> darauf abzielen, Märkte<br />

oder Teilmärkte durch Technologie zu be<strong>die</strong>nen oder disruptiv<br />

zu revolutionieren, werden als „Techs“ bezeichnet. 3 Dabei<br />

ist der Begriff Tech im Rahmen der Disruption von Geschäftsmodellen<br />

durchaus gebräuchlich. Bekannte Formen stellen<br />

Fin Tech/Insure Tech (Finanzwirtschaft), Agri Tech (Agrarwirtschaft)<br />

Prop Tech (Immobilienwirtschaft) oder Legal Tech<br />

(Legal) dar.<br />

Mit der „Tech“-Revolution ist nicht unbedingt und ausschließlich<br />

der Einsatz von Technologie gemeint, denn alle Branchen<br />

und Märkte haben bereits auf <strong>die</strong> eine oder andere Weise<br />

Technologie eingesetzt. Primär geht es um neue Technologien,<br />

<strong>die</strong> in Art und Umfang <strong>die</strong> Abläufe im Vergleich zu traditionellen<br />

Wegen <strong>–</strong> sei es digital oder analog <strong>–</strong> signifikant erleichtern,<br />

optimieren oder sogar neu definieren mit dem Ziel,<br />

Kosten zu senken, Gewinne zu steigern und bessere Arbeitsergebnisse<br />

in der <strong>digitale</strong>n Welt zu erreichen. 4<br />

2. Hintergrund<br />

Datenschutzrechtliche Compliance gewinnt mit strengen<br />

Datenschutzgesetzen weltweit zunehmend an Bedeutung. 5<br />

Weiterhin wird <strong>die</strong> Erfüllung der datenschutzrechtlichen<br />

Anforderungen aufgrund zunehmender globaler Datenübermittlungen,<br />

der <strong>digitale</strong>n Transformation mit Nutzung datenintensiver<br />

Geschäftsmodelle sowie der stetig steigenden Technologisierung<br />

immer relevanter, komplexer und auch technischer.<br />

Datenschutzverstöße und der damit verbundene Sanktionsdruck<br />

durch Aufsichtsbehörden nehmen zu. Die Zahl der Millionen-Bußgelder,<br />

<strong>die</strong> seit 2020 infolge von DSGVO-Verstößen<br />

ausgesprochen wurden, ist mit 43 so hoch wie nie. 6 Datenschutz<br />

ist eng mit der Digitalisierung verknüpft, da grundlegende<br />

Prinzipien des Datenschutzes zB Privacy by Design,<br />

Datenminimierung, Speicherbegrenzung sowie <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit<br />

der Verarbeitung personenbezogener Daten beachtet<br />

werden müssen.<br />

Vor <strong>die</strong>sem Hintergrund steigt der Bedarf an <strong>digitale</strong>n<br />

und automatisierten Lösungen zum Management und zur<br />

Umsetzung von Datenschutz in den Unternehmen, um<br />

<strong>die</strong> umfangreichen Dokumentations-, Nachweis- und Rechenschaftspflichten<br />

systematisch in der Praxis zu unterstützen und<br />

zu erfüllen. Neben der Compliance sind es auch das Bewusstsein<br />

und <strong>die</strong> geschärften Erwartungen der Verbraucher, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> Nachfrage und das Wachstum des Marktes antreiben. Privacy<br />

Tech Lösungen tragen zur Implementierung eines geeigneten<br />

und wirksamen Datenschutzmanagementsystems bei,<br />

um <strong>die</strong> Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung nachzuweisen<br />

1 Vgl. dazu Ingelheim/Paal, 2020 https://www.beck-stellenmarkt.de/ratgeber/r<br />

und-um-<strong>die</strong>-kanzlei/it-special-recht/privacy-tech-technologieunterstuetztes-0.<br />

2 Vgl. dazu Deparis CPO Magazine, 2020, https://www.cpomagazine.com/data<br />

-privacy/the-rise-of-the-privacytechs/.<br />

3 Vgl. dazu Deparis CPO Magazine, 2020, https://www.cpomagazine.com/data<br />

-privacy/the-rise-of-the-privacytechs/.<br />

4 Vgl. dazu Deparis CPO Magazine, 2020, https://www.cpomagazine.com/data<br />

-privacy/the-rise-of-the-privacytechs/.<br />

5 Insbesondere: EU, DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung, 2018), Brasilien<br />

LGPD (Lei Geral de Proteção de Dados, 2020), US-Bundesstaat Kalifornien,<br />

CCPA (California Consumer Privacy Act).<br />

6 Vgl. dazu https://www.dsgvo-portal.de/dsgvo-bussgeld-datenbank.php.<br />

224 LTZ 4/2022


Adrian/Dykes/Evert/Heinrich/Keuchen · Entwicklung und Evaluation automatischer Verfahren Tech & Market Insights<br />

• Das kontinuierliche Risikomanagement von Dritten und<br />

Lieferanten mit den integrierten Anforderungen (ua<br />

Datenschutz) wird zukünftig immer bedeutsamer. Die<br />

Ecosysteme der Abhängigkeiten in der Wertschöpfung<br />

und Leistungserbringung sind komplex und enorm vernetzt.<br />

Integrierte toolbasierte Lösungen, <strong>die</strong> über den<br />

Anwendungsbereich einer Organisation hinausgehen, stellen<br />

einen weiteren Trend und möglichen Wachstumstreiber<br />

<strong>für</strong> den Privacy Tech Markt dar.<br />

2. Herausforderungen <strong>für</strong> Privacy Tech Anbieter<br />

In der Realisierung der Megatrends und Wachstumstreiber <strong>für</strong><br />

den Privacy Tech Markt sehen sich <strong>die</strong> Privacy Tech Anbieter<br />

aktuell folgenden Kern-Herausforderungen ausgesetzt 45 :<br />

• Privacy Tech Lösungen werden sich vom reinen Datenschutzmanagement<br />

hin zu Data Governance entwickeln.<br />

Die Lösungen müssen zukünftig mehr sein als nur von<br />

den operativen Abläufen entkoppelte Workflow-, Rechenschafts-,<br />

Dokumentations- und Berichts-Engines. Sie müssen<br />

sich mehr in den operativen Betrieb und <strong>die</strong> Nutzung<br />

von Daten in den Organisationen integrieren, um<br />

<strong>die</strong> Automatisierung und Durchsetzung konkreter Data<br />

Governance Vorgaben, beispielsweise zur Aufbewahrung<br />

und Löschung, zum Zugriff oder zur Datenminimierung,<br />

zu leisten.<br />

• Mit den neuen innovativen Technologien zur Datenhaltung<br />

und -auswertung, wie beispielsweise IPA (Intelligent<br />

Process Automation), KI (Künstliche Intelligenz) oder Data<br />

Lakes und Data Analytics entstehen eine Vielzahl neuer<br />

möglicher Anwendungsfälle zur Digitalisierung und Automatisierung.<br />

Einhergehend damit steigt allerdings auch<br />

<strong>die</strong> Komplexität der Anforderungen an <strong>die</strong> Privacy Tech<br />

Lösung.<br />

• Datenschutz als Querschnittsaufgabe in der Organisation<br />

mit dem Dreiklang Rechtskonformität, Fachprozesse und<br />

IT-Integration weist eine hohe Komplexität und Vielschichtigkeit<br />

der Anforderungen auf. Diese in Privacy Tech<br />

Lösungen vollumfänglich, möglichst einfach und auf den<br />

Punkt abzubilden ist eine weitere Herausforderung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Privacy Tech Anbieter.<br />

• Die effektive Umsetzung des Datenschutzes wird zunehmend<br />

regionaler und branchenspezifischer. Es bedarf Privacy<br />

Tech Lösungen, <strong>die</strong> individuell spezielle Anforderungen<br />

der Region oder einer Branche mit spezifischen Lösungen<br />

abbilden können (zB Branchenlösungen <strong>für</strong> Krankenhäuser<br />

oder Banken).<br />

45 Kurzfragebogen Privacy Tech des Autors, 24.8.2021 (Antworten führender<br />

Anbieter vom 5.10.2021 und 26.10.2021).<br />

Entwicklung und Evaluation automatischer Verfahren zur Anonymisierung<br />

von Gerichtsentscheidungen<br />

Axel Adrian, Nathan Dykes, Stephanie Evert, Philipp Heinrich und Michael Keuchen<br />

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Entwicklung und Evaluation von Verfahren zur automatischen Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen.<br />

Wir stellen zunächst den Prozess der Erstellung eines Goldstandards vor, der auf Grundlage von Richtlinien, <strong>die</strong> der aktuellen<br />

Rechtslage folgen, manuell erstellt wurde. Dieser <strong>die</strong>nt als Basis <strong>für</strong> Training und Evaluation eines von uns entwickelten neuronalen Sprachmodells<br />

zur automatischen Annotation von sensiblen Textstellen. Neben unserem eigenen Prototyp (LeAK) werden drei verfügbare Tools (TAB,<br />

OpenRedact und A-Tool) vorgestellt.<br />

Prof. Dr. Axel Adrian ist Honorarprofessor <strong>für</strong> Rechtstheorie<br />

und Rechtsgestaltung an der FAU und im<br />

Hauptberuf Notar in Nürnberg. Fragen zur Schnittstelle<br />

von Recht und Technik und im Zusammenhang<br />

mit Recht und Rechts<strong>die</strong>nstleistung durch Maschinen<br />

sowie Legal-Tech und AI and Law sind u.a. Hauptforschungsgebiete<br />

im Rahmen seiner universitären<br />

Tätigkeit.<br />

Nathan Dykes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />

der FAU. Nach Studium der Skandinavistik, Computerlinguistik<br />

und Linguistik promoviert er aktuell am<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> Korpus- und Computerlinguistik. Seine<br />

Forschungsinteressen liegen vor allem im Bereich korpuslinguistischer<br />

Methodologie sowie der korpusbasierten<br />

Diskursanalyse.<br />

LTZ 4/2022 233


Tech & Market Insights Adrian/Dykes/Evert/Heinrich/Keuchen · Entwicklung und Evaluation automatischer Verfahren<br />

I. Einleitung<br />

Prof. Dr. Stephanie Evert forscht als Inhaberin des<br />

Lehrstuhls <strong>für</strong> Korpus- und Computerlinguistik an der<br />

FAU zu korpuslinguistischen Fragestellungen, quantitativer<br />

Methodologie und Datenanalyse, Entwicklung<br />

sprachtechnologischer Anwendungen und insbesondere<br />

der Verzahnung menschlichen Verständnisses mit<br />

maschinellen Lernverfahren („<strong>digitale</strong> Hermeneutik“).<br />

Philipp Heinrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und<br />

Doktorand am Lehrstuhl <strong>für</strong> Korpus- und Computerlinguistik<br />

der FAU. Nach dem Studium der Mathematik,<br />

Anglistik und Philosophie richtet sich sein Forschungsinteresse<br />

nun auf statistische Verfahren im Natural Language<br />

Processing und <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>digitale</strong>n Geisteswissenschaften.<br />

Michael Keuchen (Ass. jur.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter,<br />

Stu<strong>die</strong>nfachberater sowie Koordinator <strong>für</strong> Qualitätsmanagement<br />

und Evaluation am Fachbereich<br />

Rechtswissenschaft der FAU. Als Doktorand befasst<br />

er sich mit interdisziplinären Fragestellungen bei der<br />

Veröffentlichung und Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen.<br />

Aufgrund des Demokratieprinzips, des Rechtsstaatsprinzips,<br />

des Gewaltenteilungsgrundsatzes und des Justizgewährungsanspruchs<br />

besteht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />

eine Pflicht zur Veröffentlichung von veröffentlichungswürdigen<br />

Gerichtsentscheidungen. 1 Transparenz und Nachvollziehbarkeit<br />

der Entscheidungspraxis der Gerichte sind ein Kernbestand<br />

von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und sind ganz<br />

allgemein nicht nur <strong>für</strong> Rechtspraxis und Rechtswissenschaft,<br />

sondern auch <strong>für</strong> <strong>die</strong> Öffentlichkeit wichtig, um das eigene<br />

rechtliche Verhalten anpassen und <strong>die</strong> Gerichtspraxis einschätzen<br />

und beurteilen zu können. 2 Daneben ist <strong>die</strong> Verfügbarkeit<br />

von Entscheidungen ein wesentlicher Baustein <strong>für</strong> zukünftige<br />

Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) im großen<br />

Spektrum von Legal Tech. 3 Was liegt näher, als Gerichtsentscheidungen<br />

als Trainingsdaten <strong>für</strong> KI-Anwendungen zu nutzen?<br />

Um hier erfolgreich zu sein, werden sehr große Datenmengen<br />

benötigt. 4 In Deutschland wurden jedoch beispielsweise<br />

von allen Gerichtsbarkeiten in den Jahren 2011 bis 2020<br />

nur ca. 2,3 % der grundsätzlich veröffentlichungsfähigen<br />

Gerichtentscheidungen in öffentlich zugänglichen Rechtsprechungsportalen<br />

von Bund und Ländern publiziert. 5<br />

Eine wesentliche Ursache, warum nur so wenige Entscheidungen<br />

veröffentlicht werden, ist <strong>die</strong> Notwendigkeit, vor einer<br />

Veröffentlichung sicherzustellen, dass keine Rechte der beteiligten<br />

natürlichen und juristischen Personen verletzt werden. 6<br />

Zu den zu schützenden Rechtspositionen der Beteiligten und<br />

Betroffenen gehören insbesondere das Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 2 GG iVm Art. 1 Abs. 1<br />

GG) 7 , das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, <strong>die</strong> Betriebs-,<br />

Geschäfts-, Steuer- 8 , und Sozialgeheimnisse (§ 30 AO und § 35<br />

SGB I) und der allgemeine Datenschutz. 9 Diese Rechte müssen<br />

zumindest durch eine effektive Anonymisierung geschützt<br />

werden, bevor Entscheidungen veröffentlicht werden dürfen. 10<br />

Die Anonymisierung ist <strong>die</strong> Erkennung und Unkenntlichmachung<br />

kritischer Textstellen (wie Personennamen, Adressen,<br />

Datumsangaben, Kennzeichen sowie weitere (indirekt) identifizierende<br />

Merkmale). Damit Informationen als anonym im<br />

rechtlichen Sinne gelten, dürfen <strong>die</strong> zu schützenden Personen<br />

nicht oder nur mit einem großen Aufwand bestimmbar sein. 11<br />

Das ist dann der Fall, wenn <strong>die</strong> personenbezogenen Daten so<br />

verändert werden, dass Einzelangaben über persönliche und<br />

sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig<br />

großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft,<br />

gegebenenfalls unter Heranziehung von Zusatzwissen<br />

aus allgemein zugänglichen Quellen, einer bestimmten oder<br />

bestimmbaren Person zugeordnet werden kann. 12 Daher ist<br />

derzeit eine sehr aufwändige, weil nur manuell durchgeführte,<br />

Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen vorzunehmen,<br />

so dass <strong>die</strong> Zahl an Veröffentlichungen durch personelle und<br />

sächliche Kapazitätsgrenzen der Justizverwaltungen erheblich<br />

beschränkt wird. Zugleich darf <strong>die</strong> Anonymisierung aber<br />

nicht so weit reichen, dass Lesbarkeit und Verständlichkeit der<br />

Entscheidung nicht mehr gegeben sind. Deshalb wird es häufig<br />

erforderlich sein, statt einer reinen „Schwärzung“ insbesondere<br />

zur Unterscheidung von Beteiligten eine Pseudonymisierung<br />

vorzunehmen. Die Pseudonymisierung ist <strong>die</strong> Maskierung<br />

der kritischen Textstellen durch Ersetzung mit realistischen<br />

Fantasiebezeichnungen. Anhand <strong>die</strong>ser Beschreibung<br />

und Herausforderungen, einen gerechten Ausgleich zwischen<br />

öffentlichen Informationsinteressen und berechtigten Interessen<br />

der Beteiligten und Betroffen zu finden, zeigt sich das<br />

Problem einer effizienten Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen<br />

und ist damit eine der Hauptursachen, warum<br />

<strong>die</strong> Digitalisierung von rechtswissenschaftlichen Anwendungen<br />

im Vergleich zum Digitalisierungsstand in anderen Disziplinen<br />

stark hinterherhinkt. Auch um später Gerichtsentscheidungen<br />

als Trainingsdaten <strong>für</strong> KI-Anwendungen nutzen zu<br />

1 BVerwG NJW 1997, 2694 (2695); BVerfG NJW 2015, 3708 (3710); BGH NJW<br />

2017, 1819 (1819 f.).<br />

2 BVerwG NJW 1997, 2694 (2695); BGH NJW 2017, 1819 (1820); Huff, Justiz<br />

und Öffentlichkeit, 1996, S. 8 f.; Lederer, Open Data, 2015, S. 53.<br />

3 Keuchen/Deuber RDi 2022, 189 (190 f.).<br />

4 Adrian/Evert/Kohlhase et al./Adrian/Schröder/Maier, Digitalisierung von<br />

Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung, 2022, S. 199 ff.; Keuchen/Deuber<br />

RDi 2022, 229 (235); Bilski/Schmid NJOZ 2019, 657.<br />

5 Keuchen/Deuber RDi 2022, 229 (233).<br />

6 Adrian/Evert/Kohlhase et al./Adrian/Dykes/Evert et al., Digitalisierung von<br />

Zivilprozess und Rechtsdurchsetzung, S. 173.<br />

7 BVerfG NJW 1984, 419 (422); Nöhre MDR 2019, 136 (136 f.); BGH NJW 2018,<br />

3123.<br />

8 Haupt DStR 2014, 1025 (1029).<br />

9 Schweighofer/Kummer/Saarenpää et al./Adrian/Evert/Keuchen et al.,<br />

Cybergovernance <strong>–</strong> Tagungsband des 24. Internationalen Rechtsinformatik<br />

Symposions IRIS, 2021, S. 137 (142 f.).<br />

10 OLG Karlsruhe Beschl. v. 22.12.2020 <strong>–</strong> 6 VA 24/20, GRUR-RS 2020, 37423,<br />

Rn. 36 ff.; Nöhre MDR 2019, 136 (138 f.); BVerwG NJW 1997, 2694 (2695).<br />

11 OLG Karlsruhe Beschl. v. 22.12.2020 <strong>–</strong> 6 VA 24/20, GRUR-RS 2020, 37423,<br />

Rn. 36 ff.; VGH Baden-Württemberg MMR 2011, 277 (278).<br />

12 OLG Karlsruhe Beschl. v. 22.12.2020 <strong>–</strong> 6 VA 24/20, GRUR-RS 2020, 37423,<br />

Rn. 36 ff.; VGH Baden-Württemberg MMR 2011, 277 (278); Schweighofer/<br />

Kummer/Saarenpää et al./Adrian/Evert/Keuchen et al., Cybergovernance <strong>–</strong><br />

Tagungsband des 24. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS,<br />

S. 137 (141); vgl. Erwg. 26 DSGVO.<br />

234 LTZ 4/2022


Keilhau · Interessenvertreter sind das Nadelöhr der Digitalisierung Tech & Market Insights<br />

Interessenvertreter sind das Nadelöhr der Digitalisierung<br />

Valerie Keilhau<br />

Verbände und Kammern haben <strong>die</strong> Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Doch was passiert, wenn <strong>die</strong> Ansichten der Mitglieder massiv<br />

auseinandergehen? Der Artikel gibt Einblick in das Wirken juristischer Vertreter im Spannungsfeld der Digitalisierung des Rechtsmarktes. Ein<br />

Thema, das bestehende Organisationen und Strukturen an ihre Grenzen bringt. Denn der enge Blick einzelner Berufsgruppen auf <strong>die</strong> eigenen<br />

Interessen bremst <strong>die</strong> Digitalisierung einer längst von vielen unterschiedlichen Playern dominierten Branche aus. Nur ein berufsübergreifender<br />

Austausch mit allen Akteuren am Rechtsmarkt, wird darüber hinweghelfen können. Hintergründe und Ziele des daraufhin gegründeten Legal<br />

Tech Verbandes werden beleuchtet und Lösungsvorschläge <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft gemacht. Am Beispiel „Digitalisierung der Justiz“ wird dargelegt,<br />

wie Verbände ihre Stellung in der Politik nutzen <strong>–</strong> und ihre Mitglieder so in eine positive Zukunft führen <strong>–</strong> können.<br />

einzelnen Berufsgruppe oder einfach gesagt: Ein Beruf, ein<br />

Interessenverband.<br />

I. Struktur von Interessenvertretungen<br />

Die Autorin ist Volljuristin und ausgebildete<br />

PR-Beraterin. Seit Mai 2022 leitet sie den<br />

Legal Tech Verband Deutschland. Zuvor war<br />

sie Geschäftsführerin der Notarkammer in<br />

Hamburg und <strong>für</strong> <strong>die</strong> Bundesnotarkammer<br />

im Bereich Presse und Public Affairs tätig.<br />

Die Interessen einzelner Berufsgruppen in Deutschland werden<br />

zentral von Verbänden und Kammern vertreten. Diese<br />

Struktur hat eine lange Tradition und bringt viele Vorteile<br />

mit sich. So können berufspolitische aber auch ganz praktische<br />

Herausforderungen und übergeordnete Themen einer<br />

Branche zentral gebündelt und vorangetrieben werden. Nicht<br />

zuletzt geht es hierbei um <strong>die</strong> Interessenvertretung gegenüber<br />

Politik und Öffentlichkeit. Im Falle der Kammern ist<br />

<strong>die</strong> Mitgliedschaft sogar verpflichtend. Diese Struktur findet<br />

sich auch auf dem Rechtsmarkt wieder. Für <strong>die</strong> deutsche<br />

Rechtsanwaltschaft entstanden bereits im 19. Jahrhundert erste<br />

Anwaltskammern auf gesetzlicher Basis. Zu den Aufgaben <strong>die</strong>ser<br />

berufsständischen Körperschaften gehören bis heute etwa<br />

<strong>die</strong> Berufsaufsicht, Zulassungsverfahren und <strong>die</strong> Abgabe von<br />

Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen. 1871 schon folgte <strong>die</strong><br />

Gründung des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Die Mitgliedschaft<br />

im DAV ist freiwillig, Voraussetzung aber <strong>die</strong> Zulassung<br />

bei einer deutschen Rechtsanwaltskammer. Zweck <strong>die</strong>ser<br />

Interessenverbände ist <strong>die</strong> Wahrung und Förderung aller<br />

beruflichen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder <strong>–</strong><br />

im Falle des DAV <strong>die</strong> Anwaltschaft und damit einer einzelnen<br />

Berufsgruppe im Rechtsmarkt. Erst 1959 folgte mit Gründung<br />

der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und 1961 mit Gründung<br />

der Bundesnotarkammer (BNotK) <strong>die</strong> Entstehung der<br />

Dachorganisationen, deren Mitglieder <strong>die</strong> einzelnen Länderkammern<br />

sind. Ein Blick über den Anwaltsteller hinaus zeigt,<br />

dass sich auch andere Juristinnen und Juristen zu organisieren<br />

wissen. So vereint sich <strong>die</strong> deutsche Richterschaft innerhalb<br />

verschiedener Vereine in den Bundesländern und bereits seit<br />

1909 bundesweit im Deutschen Richterbund (DRB). Seit 2011<br />

gibt es auch den Bund der Unternehmensjuristen (BUJ). Diese<br />

Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ein Muster<br />

ist aber klar erkennbar: Die juristischen Berufe formieren<br />

sich in unabhängigen Verbänden. Vertreten werden damit <strong>die</strong><br />

jeweiligen beruflichen und wirtschaftlichen Interessen einer<br />

II. Vielfalt der Anbieter auf dem Rechtsmarkt wächst<br />

Bis vor kurzer Zeit gab es auf dem Rechtsberatungsmarkt <strong>für</strong><br />

Verbraucherinnen und Verbraucher nur einen Weg. Wer Recht<br />

suchte, musste eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt<br />

konsultieren. Wenn nötig, zog man vor Gericht. Heute ist das<br />

längst nicht mehr der einzige Weg. Die sogenannte „Flucht<br />

in das Privatrecht“ und zahlreiche Legal Tech-Angebote verändern<br />

auch den deutschen Rechts<strong>die</strong>nstleistungsmarkt immens.<br />

Internationale Player wie PayPal oder Ebay bieten Kunden<br />

sogenannte „Konfliktlösungen“ an, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se nur zu gern nutzen.<br />

Kommt <strong>die</strong> gekaufte Ware etwa beschädigt an und das<br />

Gegenüber erklärt hieran auch nichts ändern zu wollen, reicht<br />

ein Klick auf den Button „Käuferschutz“ und schon prüft Pay­<br />

Pal den Fall. Kommt PayPal <strong>–</strong> und nicht etwa eine Richterin<br />

oder ein Richter <strong>–</strong> zu dem Ergebnis, dass der Käuferschutzantrag<br />

berechtigt ist, bekommt man den gesamten Kaufpreis<br />

sowie <strong>die</strong> Versandkosten zurück. Nach welchen Kriterien Pay­<br />

Pal seine Entscheidungen trifft, ist mehr oder weniger transparent<br />

dargelegt. Was als Beweis zugelassen wird, bestimmt<br />

das Portal selbst <strong>–</strong> ein Foto von der kaputten Ware reicht<br />

beispielsweise nicht aus. Ein amerikanisches Unternehmen<br />

bestimmt damit <strong>für</strong> deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher,<br />

wonach ein Fall entschieden wird. Unser gutes altes<br />

Zivilrecht hat hierauf jedenfalls keinen Einfluss. Die Akzeptanz<br />

solcher außergerichtlicher, privater Streitbeilegungsmechanismen<br />

ist bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern<br />

dennoch hoch. Die Gründe da<strong>für</strong> liegen auf der Hand. Das<br />

fehlende Kostenrisiko und <strong>die</strong> enorme Zeitersparnis sind einfach<br />

zu verlockend.<br />

Seit einem guten Jahrzehnt gibt es darüber hinaus mit den<br />

sogenannten Legal Tech-Unternehmen weitere, neue Anbieter<br />

auf dem Rechtsmarkt. Verbraucherinnen und Verbraucher<br />

können ihre Rechte mit den meist auf bestimmte Themenfelder<br />

spezialisierten Anwendungen ohne Kostenrisiko und<br />

digital durchsetzen. Da das Berufsrecht der Rechtsanwaltschaft<br />

dem Modell vieler <strong>die</strong>ser <strong>digitale</strong>n Geschäftsmodelle im Wege<br />

steht, firmieren <strong>die</strong> meisten Legal Tech-Anbieter als Inkasso<strong>die</strong>nstleister.<br />

In <strong>die</strong>ser Form sind sie weitestgehend unreguliert,<br />

was mit einem nicht unerheblichen unternehmerischen<br />

Risiko einhergeht. Den BGH beschäftigen seitdem regelmäßig<br />

Klagen im Spannungsfeld von Gewerbefreiheit und erlaubnispflichtiger<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistung. Das im Oktober 2021 in Kraft<br />

LTZ 4/2022 239


Interview Dörr · Auf einen Kaffee mit ... Dr. Bernd Scheiff<br />

Auf einen Kaffee mit ... Dr. Bernd Scheiff<br />

Sina Dörr<br />

Ein knappes Jahr ist Bernd Scheiff nun Präsident des Oberlandesgerichts Köln. Im Dezember des vergangenen Jahres wurde er in der Rheinmetropole<br />

in sein neues Amt berufen. In seiner 35jährigen Laufbahn hat er als Richter und in verschiedenen Funktionen der Gerichtsverwaltung<br />

unterschiedlichste Aufgaben im Dienst der Justiz wahrgenommen, zuletzt als Präsident des Landgerichts Düsseldorf.<br />

Die Entwicklungen im Bereich des IT-Betriebs der Justiz konnte er aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten. Erfahrungen, <strong>die</strong> ihm jetzt<br />

zugutekommen, denn das Oberlandesgericht Köln spielt eine besondere Rolle, wenn es um den IT-Betrieb der Justiz in Nordrhein-Westfalen<br />

geht: Unter dem organisatorischen Dach des Oberlandesgerichts ist nicht nur <strong>die</strong> „Gerichtsbarkeit“ angesiedelt, sondern auch der Zentrale<br />

IT-Dienstleister der Justiz (ITD) des bevölkerungsreichsten Bundeslandes.<br />

Der LTZ verrät er im Interview, worüber er nachdenkt, wenn es um <strong>die</strong> Herausforderungen der Digitalisierung der Justiz geht, welche dicken<br />

Bretter es zu bohren gilt und was wir von den nachfolgenden Generationen lernen können. Auf einen Kaffee mit Dr. Bernd Scheiff.<br />

Dr. Bernd Scheiff ist seit Dezember 2021 Präsident<br />

des Oberlandesgerichts Köln. Zuvor hat er als Richter<br />

und in verschiedenen Funktionen der Gerichtsverwaltung<br />

unterschiedlichste Aufgaben im Dienst<br />

der Justiz wahrgenommen. Nach vorangehenden<br />

Stationen u.a. als Präsident des Landgerichts Mönchengladbach<br />

und Vizepräsident des Landgerichts<br />

Aachen, war er zuletzt als Präsident des Landgerichts<br />

Düsseldorf tätig.<br />

„Die Justiz wird durch <strong>die</strong> Digitalisierung effizienter<br />

werden und gleichzeitig bestehende Hürden abbauen. Nur<br />

so wird sie ihrem verfassungsmäßigen Auftrag auch in der<br />

Zukunft gerecht werden können.<br />

Digitalisierung bedeutet mehr, als analoge Prozesse in<br />

<strong>die</strong> <strong>digitale</strong> Welt zu übertragen. Vielmehr geht es auch<br />

darum, <strong>die</strong> Vorzüge der <strong>digitale</strong>n Welt <strong>für</strong> <strong>die</strong> Abläufe<br />

nutzbar zu machen und <strong>die</strong> bisherigen Prozesse insgesamt<br />

zu überprüfen.“<br />

LTZ: Als neuer Präsident des Oberlandesgerichts Köln, dem auch<br />

der ITD angehört, sind Sie direkt dran am Maschinenraum des<br />

IT-Betriebs. Was sind Ihre ersten Erkenntnisse, seit Sie in <strong>die</strong>ser<br />

neuen Rolle sind?<br />

Bernd Scheiff: Mir ist noch bewusster geworden, wie hoch<br />

komplex und aufwändig der zentrale Betrieb der IT ist.<br />

Es müssen viele Details betrachtet werden, damit alle Prozesse<br />

reibungslos ineinandergreifen. Diese Details zu kennen<br />

und <strong>die</strong> Abläufe in ihrer Gesamtheit zu bewerten, ist ausgesprochen<br />

anspruchsvoll. Nicht wenige Anwenderinnen und<br />

Anwender haben keine vertieften IT-Kenntnisse. Umso wichtiger<br />

ist eine transparente, verständliche und zugewandte Kommunikation.<br />

Hier sollten Erfolge benannt werden. Ebenso<br />

wichtig ist es aber, Fehler und Probleme offen anzusprechen.<br />

Das schafft Vertrauen und vermittelt beiderseitige Wertschätzung.<br />

Besonders bemerkenswert ist, wie <strong>die</strong> Einführung der elektronischen<br />

Akte <strong>die</strong> Geschäftsabläufe innerhalb der Justiz verändert<br />

hat <strong>–</strong> und noch verändert. In <strong>die</strong>sem Bereich sind auch<br />

in Zukunft erhebliche Investitionen und Personalressourcen<br />

nötig, um <strong>die</strong> anstehenden Aufgaben erledigen und Prozesse<br />

reibungslos steuern zu können. Die Digitalisierung der Aktenbearbeitung<br />

und -führung ist eine der größten Veränderungen<br />

<strong>–</strong> vielleicht sogar <strong>die</strong> größte Veränderung <strong>–</strong> in der Justizgeschichte.<br />

Hier kann schnell ein Spannungsfeld zwischen der<br />

Umsetzung der Digitalisierung im IT-Betrieb und überkommenen<br />

Gewohnheiten und Arbeitsweisen entstehen.<br />

Eine besonders wichtige Erkenntnis ist, dass der IT-Betrieb<br />

und <strong>die</strong> Anwenderinnen und Anwender im Ergebnis das gleiche<br />

Ziel haben: den Erfolg des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

und der elektronischen Akte. Hier ziehen im Interesse der<br />

Sache alle an einem Strang. Nicht nur aus <strong>die</strong>sem Grund halte<br />

ich <strong>die</strong> Entscheidung <strong>für</strong> richtig, dass <strong>die</strong> Justiz ihre IT aus<br />

eigener Kraft steuert.<br />

LTZ: Hat sich Ihr Blick auf Fragestellungen rund um IT, aber<br />

auch Digitalisierung in der Justiz in <strong>die</strong>ser Rolle/Konstellation verändert?<br />

Bernd Scheiff: Verändert hat sich mein Blick nicht. Es hat<br />

sich vieles bestätigt, was ich zuvor angenommen hatte. Mir<br />

ist noch klarer geworden, dass auf dem Weg zu einer vollständig<br />

<strong>digitale</strong>n und modernen Justiz noch viele Schritte zu<br />

gehen und komplexe Fragen zu beantworten sein werden. Die<br />

Einführung der elektronischen Akte und der elektronische<br />

Rechtsverkehr sind erst der Anfang <strong>die</strong>ses Wegs. Das Ziel muss<br />

dabei sein, dass der ITD als der Digitalisierungs<strong>die</strong>nstleister<br />

der Justiz den Prozess der Digitalisierung aktiv mitgestaltet<br />

und nicht bloß einer Entwicklung nachläuft. Das erfordert<br />

viel Innovationsgeist, Mut zur Veränderung und den bereitwilligen<br />

Einsatz von Ressourcen.<br />

LTZ: Was glauben Sie: Wo liegen, wenn man aus der technischen<br />

Perspektive des „Maschinenraums ITD“ blickt, <strong>die</strong> größten Herausforderungen<br />

beim Betrieb <strong>digitale</strong>r Infrastrukturen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gerichte?<br />

Bernd Scheiff: Der <strong>digitale</strong> Betrieb bringt viele Herausforderungen<br />

mit sich. Einige habe ich bereits dargestellt. Wichtig im<br />

Hinblick auf <strong>die</strong> Infrastruktur ist, dass <strong>die</strong> Kombination der<br />

bereitgestellten Software-Produkte sehr anwenderfreundlich<br />

sein soll, zugleich aber auch ausgesprochen komplex und ressourcenintensiv<br />

ist. Dies stellt den Betrieb und <strong>die</strong> Softwareentwicklung<br />

immer wieder vor große Herausforderungen. Der<br />

Betrieb der <strong>digitale</strong>n Infrastruktur könnte in <strong>die</strong>sem Punkt<br />

sicher auch noch agiler werden. Hier darf sich <strong>die</strong> Justiz<br />

nicht in Abhängigkeit großer Anbieter am Markt mit stetig<br />

steigenden Lizenzkosten begeben. Es gibt aber schon einige<br />

ausgesprochen gute Ansätze, <strong>die</strong> Infrastruktur dynamischer<br />

und flexibler zu gestalten.<br />

244 LTZ 4/2022


Rönnecke · „Standardization of Artificial Intelligence“ <strong>–</strong> the 4th RAILS-Conference Tech & Market Insights<br />

es in der Natur der gemeinsamen Sache, als Team allein<br />

um <strong>die</strong> rechtlich richtige Lösung und <strong>die</strong> Befriedung eines<br />

Rechtsstreits zu ringen. Eine Mischung von Jung und Alt ist<br />

dabei von Vorteil. So wie ältere Generationen von jüngeren<br />

Kolleginnen und Kollegen in der Nutzung der Möglichkeiten<br />

der <strong>digitale</strong>n Welt lernen können, schätzen <strong>die</strong> Jüngeren in<br />

der täglichen Arbeit den Rat erfahrenerer Richterinnen und<br />

Richter. Veränderungen im Kommunikationsverhalten, im<br />

sozialen Umgang sowie der Nutzung <strong>digitale</strong>r Möglichkeiten<br />

überhaupt werden daher nicht zu einem „Generationenclash“<br />

führen, wenn und weil <strong>die</strong> jungen Kolleginnen und Kollegen<br />

von Anfang an ernst genommen werden und ihre Stimme<br />

wertgeschätzt wird, was aus den genannten Gründen gerade<br />

eine Stärke der Justiz ist.<br />

LTZ: Was können wir uns bei den nachfolgenden Generationen<br />

abschauen? Wo können wir von ihnen lernen?<br />

Bernd Scheiff: Die nachfolgenden Generationen werden auch<br />

in <strong>die</strong> Justiz frischen Wind bringen. Wir haben bekanntlich<br />

bei der Einführung der elektronischen Akte schnell festgestellt,<br />

dass Digitalisierung nicht heißen kann, althergebrachte,<br />

papierene Vorgänge eins zu eins in <strong>die</strong> <strong>digitale</strong> Welt zu übertragen.<br />

Es bedarf vielmehr kreativer Ansätze und einer Offenheit<br />

<strong>für</strong> neue Impulse. Nachfolgende Generationen, <strong>die</strong> als<br />

„Digital Natives“ von Beginn an mit den sich rasant entwickelnden<br />

Chancen und Risiken der Digitalisierung aufwachsen,<br />

entwickeln ein ganz neues Gespür <strong>für</strong> <strong>die</strong> Möglichkeiten<br />

und Grenzen der <strong>digitale</strong>n Welt. Sie bringen <strong>die</strong> notwendige<br />

Neugier mit, um bestehende Prozesse fortzuentwickeln und<br />

zu optimieren.<br />

Eindrucksvoll lernen können wir auch aus dem gewachsenen<br />

zivilgesellschaftlichen Engagement junger Generationen, beispielsweise<br />

im Bereich des Umweltschutzes, der Generationengerechtigkeit<br />

und der gelebten Demokratie. Hier zeigt sich,<br />

dass sich <strong>die</strong> jüngeren Generationen ihrer Verantwortung <strong>für</strong><br />

das Gemeinwohl und das friedliche Zusammenleben bewusst<br />

und bereit sind, hier<strong>für</strong> einzustehen. Wer in unserem Rechtsstaat<br />

eine sinnstiftende und zugleich fordernde Aufgabe sucht,<br />

<strong>die</strong> allein dem Gemeinwohl <strong>die</strong>nt und den hohen Idealen<br />

von Gerechtigkeit und (Rechts-)Frieden <strong>die</strong>nt, ist in der Justiz<br />

genau richtig.<br />

Das Interview führte Sina Dörr.<br />

Sina Dörr ist Richterin am Landgericht und derzeit<br />

als Referentin im Bundesministerium der<br />

Justiz im Bereich Legal Tech und Zugang zum<br />

Recht tätig. Sie begleitet seit 2015 Digitalisierungsprojekte<br />

der Justiz und ist Herausgeberbeirätin<br />

der LTZ.<br />

„Standardization of Artificial Intelligence“ <strong>–</strong> the 4th RAILS-Conference<br />

Susanne Rönnecke, LL.M. (Duke)<br />

On May 30, 2022, the Robotics and AI Law Society (RAILS e.V.) 1 , the KU Leuven Centre for IT & IP Law (CiTiP) 2 and the Knowledge Centre for<br />

Data & Society 3 invited numerous lawyers, researchers, artificial intelligence (AI) and standardization experts and practitioners at KU Leuven<br />

to discuss the freshest issue in the field of AI regulation <strong>–</strong> the standardization of AI. 4<br />

I.<br />

Susanne Rönnecke is a project coordinator at the<br />

Robotics and AI Law Society (RAILS e.V.) since<br />

August 2021 and a doctoral student focusing on the<br />

legal framework for algorithmic decision-making<br />

systems in Germany and the USA.<br />

Standardization as a mean to regulate artificial<br />

intelligence in the EU<br />

The European Commission presented in April 2021 its proposal<br />

for a regulation laying down harmonized rules on artificial<br />

intelligence, the Artificial Intelligence Act (AIA). The<br />

AIA attaches importance to standardization for the regulation<br />

of the technology. According to Recital 61 of the AIA it<br />

should even „play a key role to provide technical solutions<br />

to providers to ensure compliance with this Regulation“. Regu­<br />

lation (EU)1025/2012 on European standardization defines a<br />

standard as „a technical specification, adopted by a recognised<br />

standardisation body, for repeated or continuous application,<br />

with which compliance is not compulsory“. Standards can<br />

facilitate the implementation of AI systems and market access<br />

as well as establish uniform legal requirements and ethical<br />

values. Nevertheless, the definition of legal requirements by<br />

standardization organizations <strong>–</strong> which are privately organized<br />

<strong>–</strong> raise concerns regarding their democratic legitimacy and<br />

judicial control. The conference aimed at providing a platform<br />

to discuss those issues. 5<br />

1 https://ai-laws.org/.<br />

2 https://www.law.kuleuven.be/citip/en.<br />

3 https://www.data-en-maatschappij.ai/en/.<br />

4 Find the conference program here: https://ai-laws.org/wp-content/uploads/2<br />

022/05/Flyer-4.-RAILS-Konferenz-Stand-24.05.2022_3.pdf.<br />

5 For in-depth discussion on standardization of AI see M. Ebers, Standardizing<br />

artificial intelligence, January 22, 2022, https://blog.ai-laws.org/standardi<br />

zing-artificial-intelligence/.<br />

LTZ 4/2022 247


Tech & Market Insights Falk · Das war der Legal Tech Day 2022<br />

Das war der Legal Tech Day 2022<br />

Legal Tech Verband Deutschland lud zum Branchentreff nach Berlin<br />

Charlotte Falk<br />

Die Legal Tech-Branche in Deutschland ist reichlich gewachsen<br />

<strong>–</strong> und erwachsen geworden. Das hat sich beim ersten<br />

Legal Tech Day 2022 deutlich gezeigt. Ende September lud der<br />

Verband seine Mitglieder und ausgewählte Gäste zum Branchentreff<br />

nach Berlin.<br />

Charlotte Falk stu<strong>die</strong>rte Kommunikation &<br />

BWL an der Universität Mannheim und<br />

anschließend Jura an der LMU München. Sie<br />

war bis vor kurzem beim Legal Tech Verband<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> PR & Kommunikation zuständig und<br />

arbeitet nun als Program Managerin <strong>für</strong> das<br />

Legal Tech Colab der UnternehmerTUM.<br />

Panel 1: Digitalisierung der Justiz (v.l. Kathrin Helling-Plahr, Lars Zimmermann,<br />

Sina Dörr, Dirk Hartung, Corinna Budras)<br />

Beim Legal Tech Day standen drei Themen auf der Agenda:<br />

Die Digitalisierung der Justiz, <strong>die</strong> Attraktivität von Investitionen<br />

in Legal Tech und der War for Talents. Die Veranstaltung<br />

war restlos ausgebucht. Insgesamt kamen über 120 Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer, um sich über <strong>die</strong> Themen der<br />

Branche auszutauschen und zu vernetzen. Unter den Gästen<br />

waren Kanzleien, Rechtsschutzversicherer, Rechtsabteilungen<br />

ebenso wie Technologieunternehmen und Unternehmensberatungen.<br />

Auch Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und<br />

Presse waren vor Ort. Die Qualität der Panels und begleitenden<br />

Diskussionen hat gezeigt, in welchem Stadium sich <strong>die</strong><br />

Legal Tech-Branche befindet. Sie ist den Kinderschuhen längst<br />

entwachsen und Legal Tech schon lange kein Buzzword mehr.<br />

Anstatt über ferne Zukunft oder potenzielle Gefahren zu sprechen,<br />

wurden Erfahrungswerte ausgetauscht und neue Kooperationsmöglichkeiten<br />

besprochen. Unser Fazit: Die Rechtsbranche<br />

hat das Potenzial von Legal Tech längst erkannt <strong>–</strong><br />

Berührungsängste gehören der Vergangenheit an!<br />

Digitalisierung der Justiz<br />

Im Panel über <strong>die</strong> Digitalisierung der Justiz attestierte Dirk<br />

Hartung von der Bucerius Law School Deutschland eine<br />

Umbruchstimmung und appellierte an <strong>die</strong> Verantwortlichen<br />

„Die Stu<strong>die</strong> zeigt <strong>–</strong> Nichtstun ist keine Option“! Gemeinsam<br />

mit der Boston Consulting Group (BCG) und der Bucerius<br />

Law School hatte der Legal Tech Verband Deutschland im<br />

Juni <strong>die</strong>ses Jahres eine internationale Stu<strong>die</strong> zur Digitalisierung<br />

der Justiz veröffentlicht. Das Fazit <strong>für</strong> Deutschland:<br />

wir haben mehr als 10 Jahre Digitalisierungsrückstand. Das<br />

ergab sich aus einem Vergleich mit Vorreiternationen wie Singapur,<br />

Österreich, Großbritannien und Kanada. Moderiert von<br />

Corinna Budras von der Frankfurter Allgemeine Zeitung ging<br />

es im Gespräch mit der FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr<br />

und Richterin Sina Dörr um konkrete Herausforderungen<br />

und Lösungsansätze. Fokus der Diskussion war stets der Blick<br />

in <strong>die</strong> Zukunft. Lars Zimmermann vom GovTechCampus gab<br />

wichtige Impulse, wie Bund und Länder künftig effizienter<br />

zusammenarbeiten könnten. Zum Schluss waren sich alle<br />

einig: „Die Zeit ist jetzt!“.<br />

250 LTZ 4/2022


Falk · Das war der Legal Tech Day 2022 Tech & Market Insights<br />

Invest in Legal Tech<br />

Das dritte Panel „War for Talents“ wurde von den studentischen<br />

Partnern des Legal Tech Verbands Deutschland gestaltet.<br />

Unter der Leitung von Felipe Molina Gaviria (rightmart) diskutierten<br />

sechs Talente mit Sebastian von Glahn von Talent<br />

Rocket über Idealvorstellungen von Arbeitgebern und Einstiegsgehälter.<br />

Die Diskussion zeichnete sich durch absolute<br />

Offenheit aus und wurde vom Publikum aktiv mitgestaltet.<br />

Von Personalern, Großkanzleien bis hin zu kleinen Unternehmen<br />

<strong>–</strong> alle diskutierten mit. Die Talente auf der Bühne halfen<br />

dabei, zu verstehen, was der kommenden Generation an<br />

Juristen und Juristinnen an einem Job wichtig ist und welche<br />

Ansprüche sie gleichzeitig mitbringen. Anhand der regen<br />

Reaktionen im Publikum zeigte sich, dass hier noch eine<br />

Menge Redebedarf besteht. Das Thema „Nachwuchs“ bleibt<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Branche eine echte Herausforderung!<br />

Panel 2: Invest in Legal Tech (v.l. Dr. Jörn Eschment, Philippa Peters, Dr.<br />

Birte Gall, Dr. Philipp Hammerich, Markus Hartung)<br />

Das zweite Panel wurde durch einen Impulsvortrag von Esra<br />

Limbacher (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages) zum<br />

Thema „Investitionen im Rechtsmarkt“ eröffnet. „Legal Tech<br />

baut Brücken zwischen Wirtschaft, Justiz und den Bürgern“ so<br />

Limbacher. Er appellierte auch an <strong>die</strong> eigenen Reihen: „Die<br />

Abgeordneten müssen mitdenken und ermöglichen.“<br />

Im zweiten Panel ging es dann praxisnah weiter. Markus Hartung<br />

moderierte und befragte <strong>die</strong> Panelisten zu dem Thema<br />

neue Geschäftsmodelle. Die Gründerinnen Philippa Peters<br />

von Fides und Birte Gall von Erblotse berichteten, wie sie<br />

ihre Finanzierungsrunden erhalten haben. Dr. Jörn Eschment<br />

von Burford Capital verdeutlichte, welche regulatorischen<br />

Herausforderungen es bei Investments in deutsche Legal Techs<br />

gibt. Diese machen es Legal Tech-Startups oft schwer, Investoren<br />

zu überzeugen. Dr. Philipp Hammerich von rightmart<br />

Rechtsanwaltsgesellschaft mbH machte auf <strong>die</strong> nach wie vor<br />

unzureichende Rechtssicherheit <strong>für</strong> Legal Tech-Unternehmen<br />

aufmerksam. Außerdem ermutigte Hammerich alle künftigen<br />

Gründer und Gründerinnen „Einfach mutig sein und den<br />

Blick in <strong>die</strong> Welt wagen!“<br />

War for Talents<br />

Panel 3 „War for Talents“ (v.l. Sebastian von Glahn, Felipe Molina (Mitte)<br />

und Vertreter und Vertreterinnen verschiedener stud. Legal Tech-Initiativen)<br />

Ausblick<br />

Der Legal Tech Day überzeugte zum einen durch <strong>die</strong> fantastischen<br />

Speaker und Speakerinnen und kurzweiligen Panels.<br />

Zum anderen aber auch durch <strong>die</strong> Stimmung unter den<br />

Teilnehmer und Teilnehmerinnen und in den Pausen. Durchweg<br />

wurde sich auf Augenhöhe ausgetauscht <strong>–</strong> unabhängig<br />

von Karrierestufe und Fachrichtung. Auch <strong>die</strong> Location überzeugte.<br />

Mit direktem Blick auf das Reichstagsgebäude setzte<br />

der Verband ein Statement in Punkto Politiknähe. Die Veranstaltung<br />

endete auf der Rooftop-Terrasse und mit dem Blick<br />

auf das nächste Jahr: denn da soll der Legal Tech Day in <strong>die</strong><br />

zweite Runde gehen.<br />

LTZ 4/2022 251


Rechtsprechung Koslowski · Formanforderungen an per beA eingereichte elektronische Dokumente<br />

(Der Vorstand des Legal Tech Verbands mit Geschäftsführung<br />

versammelte sich über den Dächern Berlins zum<br />

Abschlussfoto). v.l. Alisha Andert, Alkan Dogan, Antonia<br />

Pape, Maraja Fistnic, Dr. Valesca Molinari, Philipp Hammerich<br />

und Geschäftsführerin Valerie Keilhau)<br />

Rechtsprechung<br />

Formanforderungen an per beA eingereichte elektronische Dokumente<br />

Richterin am Amtsgericht Katharina Agathe Koslowski<br />

Seit Anfang des Jahres sind Anwältinnen und Anwälte grundsätzlich verpflichtet, ihre Schriftsätze elektronisch einzureichen. Die vorliegende<br />

Entscheidung musste sich mit der Frage beschäftigen, wann ein Verstoß gegen <strong>die</strong> gesetzlichen Formvorschriften zur Unwirksamkeit eines Antrags<br />

führen kann. Aufgrund einer zwischenzeitlich erfolgten gesetzlichen Abmilderung, ist <strong>die</strong> Entscheidung vordergründig zwar nur noch <strong>für</strong> Altfälle<br />

von Bedeutung. Grundlegend stellt sich allerdings <strong>die</strong> im Urteil offen gelassene Frage, inwieweit der Justizgewährungsanspruch der Annahme<br />

einer Formunwirksamkeit entgegenstehen kann.<br />

ZPO § 130a in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung<br />

(aF) und in der ab 1. Januar 2022 geltenden Fassung (nF),<br />

§ 298a<br />

Die Autorin, LL.M., ist Richterin in Berlin und<br />

derzeit an <strong>die</strong> Berliner Senatsverwaltung <strong>für</strong><br />

Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung abgeordnet.<br />

Besonderes elektronisches Anwaltspostfach <strong>–</strong><br />

Fristwahrung<br />

GG Art. 80, 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1<br />

ArbGG § 46c in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung<br />

(aF) und in der ab 1. Januar 2022 geltenden Fassung (nF);<br />

Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) in der bis<br />

zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (aF) und in der ab<br />

dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung (nF) § 2 Abs. 2, § 5; Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung<br />

2019 (ERVB 2019)<br />

Nr. 1 Satz 1; Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften<br />

vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I S. 4607 ff. <strong>–</strong> Ausbaugesetz)<br />

Art. 34 Abs. 1, Abs. 2<br />

1. Das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

mit den Gerichten und zur Änderung weiterer<br />

Vorschriften sieht ab dem 1. Januar 2022 Erleichterungen<br />

der Formalitäten bei Einreichung eines elektronischen<br />

Dokuments vor. Ob sie anwendbar sind,<br />

hängt davon ab, wann eine prozessuale Frist abläuft,<br />

<strong>die</strong> gewahrt werden soll.<br />

2. Für <strong>die</strong> Formwirksamkeit der Einreichung eines elektronischen<br />

Dokuments ist lediglich noch zwingend,<br />

dass es im PDF-Format eingereicht wird. Dann ist entscheidend,<br />

ob das elektronische Dokument konkret<br />

zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist, auch<br />

wenn <strong>die</strong> vorgesehenen Standards nicht eingehalten<br />

sind. Es ist formunwirksam, wenn es nach dem konkreten<br />

Stand der elektronischen Aktenbearbeitung<br />

nicht bearbeitet werden kann, ohne ausgedruckt zu<br />

werden.<br />

3. Weist das Gericht nicht unverzüglich auf Formmängel<br />

im elektronischen Dokument hin, entfällt dadurch<br />

weder <strong>die</strong> Notwendigkeit noch <strong>die</strong> Möglichkeit des<br />

gesetzlichen Heilungsverfahrens.<br />

252 LTZ 4/2022


Koslowski · Formanforderungen an per beA eingereichte elektronische Dokumente Rechtsprechung<br />

4. Es fehlt nicht an der Formwirksamkeit eines elektronischen<br />

Dokuments, wenn nicht sämtliche Schriftarten<br />

eingebettet sind.<br />

BAG, Beschluss vom 25.04.2022 <strong>–</strong> 3 AZB 2/22 <strong>–</strong> BeckRS 2022,<br />

11120<br />

Tenor<br />

Auf <strong>die</strong> Revisionsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss<br />

des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 30. Dezember 2021<br />

<strong>–</strong> 6 Sa 684/21 <strong>–</strong> aufgehoben und <strong>die</strong> Sache zur Verhandlung<br />

und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.<br />

Entscheidungsgründe<br />

I.<br />

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf<br />

Anpassung ihrer Betriebsrente zum 1. Oktober 2019.<br />

Das Arbeitsgericht hat <strong>die</strong> Klage durch Urteil vom 6. Mai 2021<br />

abgewiesen, das der Klägerin am 19. Mai 2021 an ihren anwaltlichen<br />

Prozessbevollmächtigten als elektronisches Dokument<br />

zugestellt worden ist. Sie hat über ihn am 7. Juni 2021 beim<br />

Landesarbeitsgericht unter Nutzung des besonderen elektronischen<br />

Anwaltspostfachs (beA) mit einer PDF-Datei Berufung<br />

eingelegt und in derselben Form am 19. Juli 2021 begründet.<br />

Keine der beiden Dateien ist durchsuchbar und kopierbar, <strong>die</strong><br />

Schriftarten sind nicht eingebettet gewesen. Beide Dateien<br />

sind an <strong>die</strong>sen Tagen vom Gericht ausgedruckt, gestempelt<br />

und zur Papierakte genommen worden. Eine Erstverfügung<br />

wurde am 8. Juni 2021 unterzeichnet. Die Zustellung der Berufungsbegründung<br />

ist am 20. Juli 2021 in der Akte auf dem<br />

Ausdruck verfügt worden. Die Berufungsschrift wurde der<br />

erstinstanzlich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen<br />

Beklagten mit Zustellurkunde zugestellt. Den Erhalt<br />

der elektronischen Berufungsbegründung hat der anwaltliche<br />

Beklagtenvertreter am 22. Juli 2021 bestätigt.<br />

Das Gericht hat nach Wiederbesetzung des Vorsitzes der Kammer<br />

bei der Terminierung der mündlichen Verhandlung auf<br />

den 25. Mai 2022 am 5. Oktober 2021 <strong>die</strong> Mängel der elektronischen<br />

Dokumente „festgestellt“ und <strong>die</strong> Parteien darauf hingewiesen,<br />

dass sowohl Berufung als auch Berufungsbegründung<br />

im falschen Dateiformat eingegangen sind, weil sie weder<br />

durchsuchbar noch kopierbar sind, noch alle Schriftarten eingebettet.<br />

Diese Mängel könnten aber nach § 130a Abs. 6 Satz 2<br />

ZPO rückwirkend geheilt werden.<br />

Mit einem über das beA als PDF-Datei eingereichten Schriftsatz<br />

vom 5. Oktober 2021 hat der Prozessbevollmächtigte der<br />

Klägerin <strong>die</strong> Berufung und Berufungsbegründung erneut als<br />

PDF-Datei eingereicht und im Schriftsatz „gemäß § 130a Abs. 6<br />

Satz 2 ZPO versichert“, <strong>die</strong>se Dokumente stimmten inhaltlich<br />

mit den bereits eingereichten Dokumenten vom 2. Juni 2021<br />

und 16. Juli 2021 überein. Dieser Schriftsatz sowie <strong>die</strong> nachgereichten<br />

elektronischen Dokumente sind zwar kopier- und<br />

durchsuchbar gewesen, jedoch sind weiterhin nicht sämtliche<br />

Schriftarten eingebettet gewesen. Diese Schriftsätze sind<br />

erneut ausgedruckt und zur Akte genommen worden.<br />

Mit Beschluss vom 29. November 2021 ist der zunächst auf den<br />

25. Mai 2022 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung<br />

vor der Kammer wieder aufgehoben worden. Das<br />

Gericht hat den Parteien rechtliches Gehör bis zum<br />

14. Dezember 2021 eingeräumt und mitgeteilt, dass es beabsichtigt,<br />

<strong>die</strong> Berufung ohne mündliche Verhandlung als unzulässig<br />

zu verwerfen, da <strong>die</strong> Schriftsätze nicht dem geforderten<br />

Dateiformat entsprächen.<br />

Mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 hat der Bevollmächtigte<br />

der Klägerin <strong>die</strong> Berufung und Berufungsbegründung über<br />

das beA erneut als PDF-Dateien eingereicht <strong>–</strong> weiterhin ohne<br />

Einbettung sämtlicher Schriftarten. Mit über das beA als PDF-<br />

Datei eingereichtem Schriftsatz vom 13. Dezember 2021 hat <strong>die</strong><br />

Klägerin <strong>die</strong> Berufung und Berufungsbegründung nochmals<br />

als PDF-Dateien eingereicht; <strong>die</strong>smal verbunden mit der<br />

anwaltlichen Versicherung der Übereinstimmung mit den<br />

bereits vorher eingereichten Dokumenten, aber weiterhin<br />

ohne Einbettung sämtlicher Schriftarten. All <strong>die</strong>se Dokumente<br />

sind ausgedruckt und zur Papierakte genommen worden.<br />

Mit Beschluss vom 30. Dezember 2021 hat der Vorsitzende <strong>die</strong><br />

Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und <strong>die</strong> Revisionsbeschwerde<br />

zugelassen.<br />

II.<br />

Die Revisionsbeschwerde der Klägerin ist begründet. Das<br />

Berufungsgericht hat <strong>die</strong> Berufung der Klägerin zu Unrecht<br />

als unzulässig verworfen. Das Landesarbeitsgericht hat <strong>die</strong><br />

Anforderungen an eine zulässige Einlegung und Begründung<br />

der Berufung mittels elektronischer Dokumente jedenfalls<br />

iRd. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO in der maßgeblichen Fassung<br />

überspannt. Mit ihrer auf Hinweis des Gerichts vom 5. Oktober<br />

2021 erneut eingereichten Berufungs- sowie Berufungsbegründungsschrift<br />

nebst Versicherung deren Identität hat der<br />

Bevollmächtigte der Klägerin jedenfalls <strong>die</strong> danach anzuwendenden<br />

Vorgaben gewahrt.<br />

1. Auf <strong>die</strong> <strong>für</strong> den Beschluss maßgeblichen Rechtsfragen findet<br />

<strong>–</strong> wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat <strong>–</strong> das<br />

bis zum 11. Oktober 2021 geltende Recht und damit § 64<br />

Abs. 6, Abs. 7 ArbGG in der bis zum 11. Oktober 2021 iVm.<br />

§ 130a ZPO in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung<br />

Anwendung.<br />

a) Die gesetzlichen Grundlagen des elektronischen Rechtsverkehrs<br />

wurden zuletzt durch das „Gesetz zum Ausbau des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung<br />

weiterer Vorschriften“ vom 5. Oktober 2021 (BGBl. I<br />

S. 4607 ff.; im Folgenden Ausbaugesetz) geändert. Es trat nach<br />

seinem Art. 34 Abs. 1, Abs. 2 iVm. Art. 7 in Bezug auf <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />

das Berufungsverfahren geltende Verweisung in § 64 Abs. 7<br />

ArbGG am 12. Oktober 2021 in Kraft. Seitdem gelten <strong>die</strong> <strong>für</strong><br />

das erstinstanzliche Verfahren in §§ 46c ff. ArbGG enthaltenen<br />

Regeln über den elektronischen Rechtsverkehr auch im<br />

arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren. Die vorher maßgebliche<br />

Verweisung in § 64 Abs. 7 ArbGG auf § 130a ff. ZPO (vgl.<br />

zur entsprechenden Rechtslage im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht:<br />

BAG 3. Juni 2020 <strong>–</strong> 3 AZR 730/19 <strong>–</strong> Rn. 25,<br />

BAGE 171, 1; 24. Oktober 2019 <strong>–</strong> 8 AZN 589/19 <strong>–</strong> Rn. 5) entfiel.<br />

LTZ 4/2022 253


Rechtsprechung Römermann · Der BGH an der Spitze der Fortentwicklung des Rechts<strong>die</strong>nstleistungsrechts<br />

Der BGH an der Spitze der Fortentwicklung des Rechts<strong>die</strong>nstleistungsrechts<br />

Volker Römermann<br />

„Die Inkassoerlaubnis umfasst den Einzug von Forderungen, <strong>die</strong> ausländischem Sachrecht unterfallen“, so lautet der kurze Leitsatz, den der BGH<br />

seiner jüngsten Entscheidung zum RDG verliehen hat. Ginge es nur darum, dann könnte man das Urteil rasch zur Seite legen: Einzelfallentscheidung<br />

zu einer eher seltenen Konstellation. Sieht man näher hin, dann erkennt man den viel grundsätzlicheren Charakter <strong>die</strong>ses Meilensteins auf<br />

einem Weg, der im Begriff ist, den deutschen Rechts<strong>die</strong>nstleistungsmarkt zu transformieren. Der BGH ist unter den Protagonisten des juristischen<br />

Feldes zu dem führenden Gestalter der Rechtsentwicklung geworden. 1<br />

RDG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP ist<br />

Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG in Hannover,<br />

Hamburg, Berlin, Frankfurt, Erfurt und Mannheim.<br />

Die Inkassoerlaubnis umfasst den Einzug von<br />

Forderungen, <strong>die</strong> ausländischem Sachrecht unterfallen.<br />

BGH, Urt. v. 13. Juni 2022 <strong>–</strong> VIa ZR 418/21 <strong>–</strong> financialright <strong>–</strong><br />

BeckRS 2022, 20036<br />

Tenor:<br />

Auf <strong>die</strong> Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats<br />

des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 7. Oktober 2021<br />

aufgehoben.<br />

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,<br />

auch über <strong>die</strong> Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht<br />

zurückverwiesen.<br />

Von Rechts wegen<br />

Tatbestand:<br />

Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht des C. (künftig:<br />

Zedent) gegen <strong>die</strong> beklagte Fahrzeugherstellerin Schadensersatzansprüche<br />

wegen der Verwendung von unzulässigen<br />

Abschalteinrichtungen geltend.<br />

Nach klägerischem Vortrag erwarb der damals in der Schweiz<br />

wohnhafte Zedent im Februar 2015 von einem Schweizer Vertragshändler<br />

einen von der Beklagten hergestellten VW<br />

Tiguan zum Kaufpreis von CHF 37.960. In das Fahrzeug ist ein<br />

Dieselmotor der Baureihe EA 189 eingebaut. Der Motor war<br />

mit einer Software ausgestattet, <strong>die</strong> erkannte, ob das Fahrzeug<br />

auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus<br />

(NEFZ) unterzogen wurde. In <strong>die</strong>sem Fall schaltete sie vom<br />

regulären Abgasrückführungsmodus 0 in einen stickoxidoptimierten<br />

Abgasrückführungsmodus 1 (Prüfstanderkennungssoftware).<br />

Es ergaben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere<br />

Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb.<br />

Das Kraftfahrt-Bundesamt (künftig: KBA) bewertete <strong>die</strong>se Software<br />

als unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

betroffenen Fahrzeuge einen Rückruf an. In der Schweiz<br />

erließ das Bundesamt <strong>für</strong> Straßen (ASTRA) im Oktober 2015<br />

ein vorläufiges Zulassungsverbot <strong>für</strong> bestimmte Fahrzeuge mit<br />

Dieselmotoren der Baureihe EA 189, von dem das Fahrzeug des<br />

Zedenten nicht betroffen war. Der Zedent ließ Ende 2016 ein<br />

Software-Update aufspielen. Am 18. Dezember 2017 trat der<br />

Zedent sämtliche Ansprüche gegen <strong>die</strong> Beklagte wegen des<br />

Einbaus der unzulässigen Abschalteinrichtungen treuhänderisch<br />

an <strong>die</strong> Klägerin ab. Der Abtretungsvertrag soll nach der<br />

Vereinbarung der Vertragsparteien dem Schweizer Recht<br />

unterfallen.<br />

Die Klägerin, eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige<br />

Gesellschaft mit beschränkter Haftung, verfügt über eine<br />

Registrierung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Rechts<strong>die</strong>nstleistungsgesetzes<br />

(RDG) <strong>für</strong> den Bereich Inkasso<strong>die</strong>nstleistungen.<br />

Über ihre Vertragsbeziehungen zum Zedenten hinaus<br />

wurden ihr Forderungen von in der Schweiz wohnhaften Personen<br />

treuhänderisch abgetreten, <strong>die</strong> jeweils ein von der<br />

Beklagten hergestelltes Fahrzeug mit dem Motor des Typs EA<br />

189 gekauft oder geleast hatten. Die Vertragspartner der Klägerin<br />

(künftig: Auftraggeber) beauftragten sie mit der außergerichtlichen<br />

und gerichtlichen Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche<br />

gegen <strong>die</strong> Beklagte. Die Ansprüche sollten<br />

gerichtlich vor dem Landgericht Braunschweig im Wege der<br />

Anspruchshäufung in der Weise durchgesetzt werden, dass<br />

gleichartige Ansprüche verschiedener Auftraggeber in einem<br />

Verfahren zusammengefasst werden sollten. Die Durchsetzung<br />

der Ansprüche sollte außergerichtlich und gerichtlich in<br />

Zusammenarbeit mit qualifizierten Rechtsanwälten erfolgen.<br />

Die Klägerin sollte als Vergütung („Erfolgsprovision“) <strong>für</strong> ihre<br />

Tätigkeit im Erfolgsfall einen Anteil von 35 % auf <strong>die</strong> tatsächlich<br />

in Ansehung der Entschädigungsansprüche durchgesetzten<br />

Beträge erhalten, wobei von der Leistung der Beklagten<br />

zunächst der Wert etwaiger Zug-um-Zug-Leistungen in Abzug<br />

gebracht werden sollte. Sollten <strong>die</strong> Bemühungen der Klägerin<br />

erfolglos bleiben, sollten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Auftraggeber <strong>–</strong> auch in den<br />

Fällen der Beauftragung eines Rechtsanwalts und der gerichtlichen<br />

Geltendmachung der Forderungen <strong>–</strong> keine Kosten ent­<br />

1 Der Verfasser war, wie der Transparenz halber erwähnt werden soll, <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Klägerin in dem besprochenen Fall, <strong>die</strong> financialright, bereits gutachterlich<br />

tätig <strong>–</strong> Zusammenfassung der damaligen Erkenntnisse bei Römermann/<br />

Günther NJW 2019, 551 -, jedoch nicht in dem hier konkret interessierenden<br />

Fall.<br />

260 LTZ 4/2022


Reading Corner<br />

in der nun geltenden Fassung. Die Norm wurde um einen<br />

Satz 2 ergänzt, wonach eine Gefährdung der ordnungsgemäßen<br />

Erbringung der Rechts<strong>die</strong>nstleistung nicht schon<br />

deshalb anzunehmen ist, weil aufgrund eines Vertrags mit<br />

einem Prozessfinanzierer Berichtspflichten gegenüber <strong>die</strong>sem<br />

bestehen. Der Gesetzgeber wollte damit, so der BGH,<br />

klarstellen, dass lediglich der Abschluss eines Prozessfinanzierungsvertrags,<br />

der auch Berichtspflichten gegenüber<br />

dem Prozessfinanzierer enthalte, nicht schon per se den<br />

Schluss zulasse, eine ordnungsgemäße Erbringung der<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistung sei konkret gefährdet. Dass Prozessfinanzierer<br />

wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgten,<br />

begründe <strong>für</strong> sich genommen noch nicht, dass <strong>die</strong>se Interessenverfolgung<br />

mit den rechtlichen und wirtschaftlichen<br />

Interessen der Rechtsuchenden auch kolli<strong>die</strong>ren müssten.<br />

V. Zusammenfassung<br />

Der BGH hat <strong>die</strong> Gelegenheit <strong>die</strong>ses Falles genutzt, um<br />

<strong>die</strong> fehlende Stringenz der Struktur der Registrierungsvarianten<br />

nach dem RDG aufzudecken. Wer eine allgemeine<br />

Inkassoerlaubnis bekommt, darf danach Ansprüche geltend<br />

machen, ohne durch den Katalog der Gebiete, in denen ein<br />

Sachkundenachweis erfordert wird, begrenzt zu sein.<br />

In einer nächsten Überarbeitung von Bestimmungen des<br />

RDG könnte es angezeigt sein, <strong>die</strong> Systematik der Registrierung<br />

nach dem RDG und das Verhältnis zwischen Befähigungsnachweis<br />

und Beratungskompetenz grundlegend<br />

zu überdenken.<br />

Aus den ansonsten gegen <strong>die</strong> Zulässigkeit des Geschäftsmodells<br />

vorgebrachten Argumenten ist im Grunde nur das<br />

der etwaigen Interessenkollision erwähnenswert: Kann ein<br />

Anbieter zugleich mehrere Anspruchsteller vertreten? Hier<br />

besteht abstrakt <strong>die</strong> Gefahr, dass eine Konkurrenzsituation<br />

der Anspruchsteller entsteht. Dem stehen aber eine Reihe<br />

von Vorteilen des gebündelten Vorgehens gegenüber, <strong>die</strong><br />

der BGH detailliert darlegt. Die Gesamtabwägung fällt<br />

zugunsten des Geschäftsmodells der Klägerin aus.<br />

Auffällig hoch ist <strong>die</strong> Argumentationsebene des BGH,<br />

wenn er an verschiedenen Stellen das BVerfG (in der Phase<br />

bis 2004) und Art. 12 GG erwähnt. Zudem sieht sich der<br />

BGH in <strong>die</strong>ser Entscheidung als Wegweiser <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Zukunft, indem er sich verschiedentlich bereits mit der<br />

neuen, <strong>für</strong> seinen Fall noch nicht relevanten Rechtslage<br />

beschäftigt. Insgesamt wird deutlich, dass der BGH über<br />

den konkreten Fall hinaus eine Richtung vorgeben möchte.<br />

Diese Richtung geht auf eine weitere Erweiterung der<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistungsbefugnisse von Inkassounternehmen.<br />

Wohltuend, dass Art. 12 GG im Berufsrecht wieder an praktischer<br />

Anwendung gewinnt. Mit Hilfe <strong>die</strong>ser Freiheitsnorm<br />

lassen sich noch manche Bastionen überkommener<br />

Einschränkungen schleifen <strong>–</strong> im Dienste der Nachfrager<br />

nach Rechts<strong>die</strong>nstleistungen, deren Zugang zum Recht<br />

zunehmend leichter wird.<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann, CSP<br />

Reading Corner<br />

Charlotte Marie Flory, Grenzen inkasso<strong>die</strong>nstlicher<br />

Rechts<strong>die</strong>nstleistungen, Nomos, 2022, 296 Seiten<br />

Der BGH hat, erstmals im Jahr 2019, zu Inkasso<strong>die</strong>nstleistern,<br />

<strong>die</strong> auf Online-Plattformen tätig sind, Stellung genommen<br />

und entschieden, dass <strong>die</strong>se berechtigt sind auch streitige Forderungen<br />

gerichtlich geltend zu machen. Es ging um <strong>die</strong><br />

Online-Plattform weniger.miete.de. Diese Rechtsprechung ist<br />

später sowohl von VIII. Senat des BGH als auch vom II. Senat<br />

fortgesetzt und bestätigt worden. Mit den daraus resultierenden<br />

Fragen <strong>für</strong> das Rechts<strong>die</strong>nstleistungsrecht setzt sich <strong>die</strong><br />

vorliegende Arbeit intensiv auseinander. Hintergrund sind<br />

beispielsweise Massenfälle, wie der VW-Abgasskandal (ab S. 21)<br />

oder Kartellrechtsstreitigkeiten. Der Verfasserin geht es in der<br />

Arbeit darum <strong>die</strong> Grenzen aufzuzeigen, <strong>die</strong> ein Inkasso<strong>die</strong>nstleister<br />

nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG einzuhalten hat (S. 41). Es<br />

geht ihr darum <strong>die</strong> Norm in das Regelungssystem des RDG<br />

einzuordnen und Konflikte, <strong>die</strong> über das RDG hinausgehen,<br />

zu vermeiden (S. 41).<br />

Um <strong>die</strong>ses Ziel zu erreichen, stellt Verfasserin zunächst einmal<br />

<strong>die</strong> Entwicklung der Rechtsberatung und ihrer Regulierung<br />

im historischen Kontext vor (ab S. 43). Hintergrund sind <strong>die</strong><br />

gewerberechtlichen Privilegierungen <strong>für</strong> Rechtsanwälte ab<br />

1878 (ab S. 45). Das Berufsbild des Rechtsanwaltes wurde im<br />

Nationalsozialismus grundlegend umgestaltet (ab S. 49). Das<br />

damalige RbMG wurde nach dem 2. Weltkrieg in Rechtsberatungsgesetz<br />

umbenannt (S. 56) und bis zum Jahr 2007 mehrfach<br />

geändert (ab S. 56). Das heutige RDG trat im Juli 2008 in<br />

Kraft (S. 65). Parallel zur Entwicklung des Anwaltsberufes entwickelte<br />

sich auch das Berufsbild von Inkasso<strong>die</strong>nstleistern (ab<br />

S. 66). Dabei wurden traditionell unstreitige Forderungen<br />

durchgesetzt (S. 71). Im dritten Kapitel widmet sich Verfasserin<br />

ausführlich der Auslegung von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG (ab<br />

S. 73). Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass sich <strong>die</strong><br />

Grenze der zulässigen Rechts<strong>die</strong>nstleistung kaum rechtssicher<br />

beschreiben lässt (S. 160). Eine Überschreitung läge wohl vor,<br />

wenn ein Inkasso<strong>die</strong>nstleister verspreche Forderungen durchzusetzen,<br />

deren streitige Auseinandersetzung vor Gericht von<br />

Beginn an feststehe (S. 160). In <strong>die</strong>sem Zusammenhang ist<br />

allerdings darauf hinzuweisen, dass es bei Forderungen generell<br />

nicht möglich ist zu sagen, ob <strong>für</strong> ihre Einziehung<br />

Gerichte benötigt werden. Dies kann selbst bei unstreitigen<br />

LTZ 4/2022 275


Reading Corner<br />

Forderungen nicht ausgeschlossen werden, nämlich dann,<br />

wenn der Schuldner nicht zahlt, also ein Mahnverfahren und<br />

eine Zwangsvollstreckung erforderlich wird. Umgekehrt kann<br />

niemand vorwegsagen, ob eine Forderung streitig oder<br />

unstreitig ist, denn das hängt von der Meinungsbildung der<br />

beteiligten Parteien ab -das heißt, das steht im Vorfeld der Entstehung<br />

einer Forderung nicht fest.<br />

Verfasserin fragt im nächsten Schritt, ob ein Konflikt mit dem<br />

Berufsrecht des RDG, insbesondere mit § 4, vorliegen könnte<br />

(ab S. 162) <strong>die</strong>ses verneint sie mit guten Gründen (ab S. 191).<br />

Sehr wichtig ist <strong>die</strong> Frage, welchen Einfluss das Verfassungsrecht<br />

auf <strong>die</strong> Tätigkeit der Inkassounternehmen hat (S. 195).<br />

Verfasserin entwickelt ihre These, wonach <strong>die</strong> Berufsfreiheit<br />

von Inkassounternehmen nicht verletzt sei, wenn sie von<br />

Beginn an streitige Forderungen nicht durchsetzen dürften (ab<br />

S. 241). Dieses Ergebnis misst Verfasserin nunmehr am europäischen<br />

Recht (ab S. 242). Sie weist daraufhin, dass möglicherweise<br />

<strong>die</strong> Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) verletzt ist<br />

(ab S. 242). Dabei wird allerdings hauptsächlich auf den Beruf<br />

des Rechtsanwaltes geblickt und weniger auf Tätigkeit eines<br />

Inkasso<strong>die</strong>nstleister, der grenzüberschreitend seine Leistungen<br />

anbieten könnte so, dass sich <strong>die</strong> Frage stellt, wie Inkasso<strong>die</strong>nstleister<br />

in europäischen Nachbarstaaten reguliert sind.<br />

Zu <strong>die</strong>ser Frage äußert sich Verfasserin nicht mehr, sondern<br />

beschäftigt sich nun mit dem Regierungsentwurf des Gesetzes<br />

zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechts<strong>die</strong>nstleistungsmarkt<br />

(ab S. 247). Es geht um Angleichungen<br />

der Rechte <strong>für</strong> Rechtsanwälte an <strong>die</strong> Rechte von Inkasso<strong>die</strong>nstleistern,<br />

etwa bei der Übernahme von Prozesskosten oder bei<br />

der Vereinbarung eines Erfolgshonorars. Im Kern wünscht<br />

sich Verfasserin eine bundesweite Aufsicht über Inkassounternehmen<br />

und eine Verstärkung des Sachkundeerfordernisses<br />

(S. 263).<br />

Aus der Perspektive der interessierten Leser und Leserinnen<br />

ist <strong>die</strong> Arbeit ein Gewinn, weil sie vor allem den historischen<br />

Kontext der inkasso<strong>die</strong>nstlichen Rechtsleistungen nachzeichnet.<br />

In der Zukunft wird es darauf ankommen, das Verhältnis<br />

zwischen den Inkasso<strong>die</strong>nstleistern auf der einen und<br />

den Rechtschutzversicherern auf der anderen Seite zu klären.<br />

Könnte es sein, dass <strong>die</strong> Inkasso<strong>die</strong>nstleister <strong>die</strong> Rechtsschutzversicherung<br />

überflüssig machen? Oder ist es umgekehrt so,<br />

dass <strong>die</strong> Rechtsschutzversicherer mithilfe von Tochtergesellschaften,<br />

<strong>die</strong> Inkasso<strong>die</strong>nstleistungen anbieten, Deckungslücken<br />

in der Rechtschutzversicherung kundenfreundlich schließen<br />

könnten? Entwickelt sich hier möglicherweise ein völlig<br />

neues Modell des effektiven Rechtsschutzes insbesondere <strong>für</strong><br />

Menschen, <strong>die</strong> über keine Rechtsschutzversicherung verfügen.<br />

Welche Beziehung besteht zwischen den Inkassounternehmen<br />

auf der einen Seite und den Prozessfinanzierern auf der anderen<br />

Seite?<br />

Schließlich müsste vertieft untersucht werden, ob Inkasso<strong>die</strong>nstleister<br />

in anderen europäischen Mitgliedstaaten ebenfalls<br />

einem Erlaubnisvorbehalt unterworfen sind und eine<br />

bestimmte Sachkunde nachweisen müssen. Wenn und soweit<br />

das nicht der Fall sein sollte, so wäre grenzüberschreitende<br />

Inkassotätigkeit zulässig und möglich, es sei denn zwingende<br />

Gründe des Allgemeinwohls würden da<strong>für</strong> sprechen, Inkasso<strong>die</strong>nstleister<br />

in Deutschland anders zu behandeln als beispielsweise<br />

in Österreich, den Niederlanden oder in Dänemark.<br />

Verfasserin zeigt an vielen Stellen ihres Werkes, wie schwierig<br />

es ist, eine Inkasso<strong>die</strong>nstleistung präzise von einer Rechts<strong>die</strong>nstleistung<br />

abzugrenzen, <strong>für</strong> <strong>die</strong> eine rechtsanwaltliche<br />

Ausbildung notwendig und zwingend ist. Dies ist ebenso<br />

schwierig mit Blick auf Unternehmensberater oder Versicherungs-<br />

oder Rentenberater oder Berater in Vermögens- und<br />

Finanzanlagen. Damit stellt sich <strong>die</strong> ganz grundlegende Frage,<br />

ob es nicht sinnvoller sein könnte, <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> im Grenzbereich<br />

von Rechts<strong>die</strong>nstleistungen tätig sind, einer gewerberechtlichen<br />

Sachkundeprüfung (verbunden mit einer entsprechenden<br />

Haftpflichtversicherung) zu unterwerfen <strong>–</strong> etwa wie<br />

bei Versicherungs- oder Finanzberatern <strong>–</strong> und ansonsten da<strong>für</strong><br />

zu sorgen, dass Ansprüche vor den Gerichten -von einem<br />

bestimmten Streitwert an- nur noch durch ausgebildete<br />

Anwälte*innen verfolgt werden können. Ein solches Konzept<br />

würde auf <strong>die</strong> Erlaubnisvorbehalte des RDG weitgehend verzichten<br />

und durch entsprechende Sachkundenachweise ersetzen.<br />

Aus der Perspektive des Prinzips des effektiven Rechtsschutzes<br />

und der daraus resultierenden Stärkung des funktionsfähigen<br />

Wettbewerbs zwischen Anbietern und Nachfragern<br />

(Art. 119, 120 AEUV), müsste <strong>die</strong>ses eigentlich der richtige<br />

Weg <strong>für</strong> <strong>die</strong> Zukunft sein. Dass <strong>die</strong> Anwaltschaft durch <strong>die</strong>sen<br />

Weg nicht diskriminiert und benachteiligt werden darf, ist<br />

selbstverständlich. Damit aber werden sehr viel weitergehende<br />

Fragen eröffnet, <strong>die</strong> hier nicht vertieft werden können. Jedenfalls<br />

ist <strong>die</strong> von Charlotte Marie Flory vorgelegte Arbeit eine<br />

Fundgrube <strong>für</strong> jene, <strong>die</strong> sich mit der Geschichte der Inkasso<strong>die</strong>nstleistung<br />

vertieft beschäftigen wollen.<br />

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski<br />

276 LTZ 4/2022


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Legal Tech Verband Deutschland<br />

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