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Büchereiperspektiven 2/22: Lesen fördern. Vermittlung für alle Zielgruppen

Lesekompetenz ist die Basis für Bildung, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe. In dieser Ausgabe finden Sie Vermittlungsangebote für alle Zielgruppen. Die Bedeutung des Vorlesens, der Wert von Mehrsprachigkeit, Möglichkeiten des barrierefreien Lesens, Wege der digitalen Leseförderung und das Zusammenspiel von Lesen, Schreiben und Reden werden thematisiert.

Lesekompetenz ist die Basis für Bildung, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe. In dieser Ausgabe finden Sie Vermittlungsangebote für alle Zielgruppen. Die Bedeutung des Vorlesens, der Wert von Mehrsprachigkeit, Möglichkeiten des barrierefreien Lesens, Wege der digitalen Leseförderung und das Zusammenspiel von Lesen, Schreiben und Reden werden thematisiert.

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LESEN FÖRDERN I LESEN, REDEN, SCHREIBEN<br />

erkennen geben. Selbst dann, wenn Einfälle sich zunächst<br />

verstecken.<br />

„Ich habe keine Fantasie“, sagte ein Junge einmal. „Wer<br />

hat dir das denn eingeredet?“, wollte ich wissen und riet<br />

ihm, genau das zum Thema seines Gedichts zu machen.<br />

Das ging dann so:<br />

„Ich habe keine Fantasie. / Aber ich habe Beine und<br />

Knie./ Habe Augen und Ohren / eine Haut mit Poren. / Ich<br />

kann mich bücken / hab einen Rücken. / Und einen Bauch /<br />

hab ich auch./ Mein Kopf ist rund, wie gemacht zum Denken./<br />

Dann kann ich meine Gedanken verschenken / und<br />

die Fantasielosigkeit versenken.“<br />

Ist das nicht phänomenal? Da wird im Gedicht der Sinn<br />

des Dichtens zum Ausdruck gebracht.<br />

Anliegen, kreative Spielwiesen zu eröffnen. Das Motto:<br />

Betreten erbeten!<br />

Für diese kunstvollen Bände habe ich Gedichte ausgesucht<br />

und ihnen Werke aus der bildenden Kunst zur Seite<br />

gestellt. Mich hat interessiert, wie das jeweilige Bild den<br />

Text verändert und umgekehrt. Mal kommentieren die Künste<br />

einander, mal antworten, mal widersprechen sie sich –<br />

immer lassen sie Platz <strong>für</strong> eine Interpretation derer, die sie<br />

sich zu Gemüte führen. Sie lassen Raum <strong>für</strong> eigene Gefühle<br />

und Erfahrungen.<br />

Schließlich durfte ich in meiner letzten Anthologie „Es<br />

flattert und singt! Gedichte und mehr und <strong>alle</strong>s <strong>für</strong> Kinder“<br />

die Gedichte von Antonie Schneider herausgeben und mit<br />

Schreibspielen, Gedanken und Mini-Szenen zu Gedichten<br />

und zum Dichten ergänzen: „Mach mit!“<br />

<strong>Büchereiperspektiven</strong> 2/<strong>22</strong><br />

24<br />

Leidenschaft <strong>für</strong> Lyrik<br />

vermitteln<br />

Denn so sind sie, die Kinder: Sie lassen sich ein mit Haut<br />

und Haaren. Sie schreiben sich von der Seele, schreiben<br />

sich frei. Stolz betreten sie mit ihren Gedichten die Bühne<br />

und lesen sie vor. Die anderen hören zu, wir besprechen<br />

die Texte. Das ist lustig, traurig, berührend. Manchmal wird<br />

es ganz still. Vor lauter Sprachspiel kann es die Sprache<br />

verschlagen. Um schnell wieder in Gelächter auszubrechen.<br />

Denn spätestens jetzt steht fest: Gedichte zu schreiben und<br />

vorzutragen ist ein wegweisendes Vergnügen. So etwas vergisst<br />

man nicht mehr.<br />

Auch Anthologien sind Spielwiesen<br />

Workshops wie „Wort vor Ort“ machen das unmittelbar<br />

erfahrbar. Das Konzept lässt sich übertragen auf andere<br />

Orte. Hauptsache, Kinder können (sich) ausprobieren und<br />

erleben, was ihre Gedichte, was Lyrik insgesamt, vermag.<br />

Auch <strong>für</strong> die von mir herausgegebenen Gedichtanthologien<br />

wie „Ich schenk dir die Farben des Windes“ war mein<br />

FOTO: LYRIK KABINETT<br />

Einfach einlassen, bitte!<br />

Vorwissen braucht es nicht – nur die Lust, sich einzulassen<br />

und mit den Gedichten in Beziehung zu treten. Kindern<br />

ist das zu eigen. Warum das so ist? Vielleicht, weil sie in<br />

Worten wohnen. Weil ein Wort das andere ergibt und sich<br />

ihr Horizont wie von selbst erweitert. Dann macht ihnen<br />

niemand ein X <strong>für</strong> ein U vor. Denn sie wissen ja jetzt, dass<br />

Worte wachsen (lassen), dass Sätze gehoben werden wollen<br />

wie Schätze, dass Sprache das Denken erst ermöglicht,<br />

dass Gedanken frei sind, aber geteilte Gedanken, zu Papier<br />

gebracht, freier machen.<br />

Unabhängig davon, ob im Lyrik Kabinett, zu Hause oder<br />

mit einem Buch – immer gilt: Sobald Menschen Gedichte<br />

lesen, schreiben, zu sich nehmen, bringen sie zur Sprache,<br />

was sie gesehen, gehört, gespürt, was sie erlitten, erlebt<br />

haben, was ihnen etwas ausmacht, was sie ausmacht.<br />

So gesehen, sind Gedichte Stimmen des Inneren:<br />

Nicht umsonst steckt im Wort Gedicht ein „ich“. Mit solcher<br />

Erkenntnis lässt sich besser, weiter, höher leben<br />

und lesen, wenn nötig schreien, immer schreiben. Denn<br />

Gedichte sind Lebensmittel. Man kann gar nicht früh<br />

genug damit anfangen.<br />

Damit Worte die Welt weiter und weiter verändern.<br />

Christine Knödler ist Journalistin, Autorin, Leiterin von Schreibworkshops<br />

und Herausgeberin von Gedichtanthologien. Unter dem Titel „freigeistern!“<br />

betreibt sie einen Podcast zu Kinder- und Jugendliteratur.<br />

https://freigeistern.com

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