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Büchereiperspektiven 2/22: Lesen fördern. Vermittlung für alle Zielgruppen

Lesekompetenz ist die Basis für Bildung, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe. In dieser Ausgabe finden Sie Vermittlungsangebote für alle Zielgruppen. Die Bedeutung des Vorlesens, der Wert von Mehrsprachigkeit, Möglichkeiten des barrierefreien Lesens, Wege der digitalen Leseförderung und das Zusammenspiel von Lesen, Schreiben und Reden werden thematisiert.

Lesekompetenz ist die Basis für Bildung, kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe. In dieser Ausgabe finden Sie Vermittlungsangebote für alle Zielgruppen. Die Bedeutung des Vorlesens, der Wert von Mehrsprachigkeit, Möglichkeiten des barrierefreien Lesens, Wege der digitalen Leseförderung und das Zusammenspiel von Lesen, Schreiben und Reden werden thematisiert.

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LESEN FÖRDERN I LESEN, REDEN, SCHREIBEN<br />

Gründerin des Lyrik Kabinetts, Ursula Haeusgen, benutzt.<br />

„Dürfen wir draufhauen?“, fragen vor <strong>alle</strong>m die Jungs. „Nein,<br />

aber ihr dürft darüber schreiben.“ Und das tun sie dann auch.<br />

Der Boxsack wurde Ausgangspunkt eines Gedichts von<br />

Johann: „Die Fäuste meiner Ängste / schlagen durch den<br />

Regen.“<br />

An Buchstaben drehen<br />

Wie er darauf gekommen ist? Ich weiß es nicht. Aber ich<br />

staune jedes Mal, wie die Schüler:innen sich inspirieren<br />

lassen von der Umgebung, den Spielen, ihrem Alltag, ihren<br />

Erfahrungen, wie sie mit Silben jonglieren, mit der Sprache,<br />

mit Tempo, Klang, Rhythmus, Reim spielen. Und wie sie sich<br />

wundern, wenn sie manchmal nur an wenigen Buchstaben<br />

drehen müssen, um den Sinn zu verändern. Aus Sinn wird<br />

Unsinn. Tiefsinn. Wahnsinn!<br />

Wörter sind wie Sprungbretter. Flügel. Fallschirme. Netze.<br />

Sicherheitsnetze. Sprache ist aber auch Material, und<br />

Sprachbeherrschung ein Handwerk. Das kann man lernen.<br />

In den drei Stunden, die die Workshops dauern, und an<br />

denen inzwischen knapp 90 Klassen von der Hauptschule bis<br />

zum Gymnasium teilgenommen haben, lesen wir Gereimtes<br />

und Ungereimtes aus <strong>alle</strong>n Epochen. Wir sprechen darüber,<br />

wie man Gedichte verstehen und schreiben kann – nämlich<br />

auf die jeweils eigene Weise. Richtig und falsch gibt es nicht.<br />

Das ist wichtig.<br />

Und dann geht’s los: Fürs Dichten wärmen wir uns auf wie<br />

beim Sport. Statt Kniebeugen zu machen, sammeln wir Reimwörter<br />

und schreiben unser erstes gemeinsames Gedicht:<br />

„Sport – Wort – Ort – fort / Und – uuh! – ein Mord ...“<br />

Wir springen zusammen von Wort zu Wort, als hüpften wir<br />

auf Steinen durch einen Fluss. Wir balancieren. Wir lachen<br />

viel. Wir hangeln uns an Stilmitteln und Versformen entlang,<br />

an Assonanzen, Alliterationen, Kreuz- und Paarreimen.<br />

Doch darauf kommt es nicht an. Selten bitte ich die<br />

Schüler:innen, nach Vorgaben wie „Haikus“ zu schreiben,<br />

sondern vielmehr darum, einfach aus sich heraus loszulegen –<br />

wohl wissend, dass das nicht einfach ist.<br />

Trotzdem bleibt meine Antwort auf die Frage, wie man<br />

mit Kindern Gedichte schreibt: indem man sie einfach lässt.<br />

Hilfe, mir fällt nichts ein!<br />

Ein guter Anfang sind Namens-Gedichte: Auf Anne reimt<br />

sich Kaffeekanne, auf Christine Biene, auf Klaus – eh klar.<br />

Oder die Buchstaben des eigenen Namens werden untereinander<br />

geschrieben und Wörter gesammelt, die mit den<br />

Literatur<br />

Christine Knödler (Hg.): Ich schenk dir die Farben des Himmels –<br />

Kunst, Gedichte & Geschichten <strong>für</strong> Kinder & Erwachsene<br />

Prestel junior 2014<br />

Christine Knödler (Hg.), Antonie Schneider: Es flattert<br />

und singt. Gedichte und mehr und <strong>alle</strong>s <strong>für</strong> Kinder<br />

Mit Bildern von Marion Goedelt<br />

Reihe Hanser im dtv 2020<br />

Christine Knödler, Benjamin Knödler: Young Rebels<br />

25 Jugendliche, die die Welt verändern! Hanser 2020<br />

Dichter:innen zu tun haben. Die sind vielleicht a wie angenehm,<br />

artig oder albern, n wie nett oder normal, e wie energisch<br />

oder englisch. Wie ein Engel? Das Eis ist gebrochen.<br />

Übrigens: Wortspiele sind ebenfalls Türöffner zum Schreiben:<br />

über einen Hund, der in der Pfanne verrückt wird oder ...<br />

Es reicht, die Sprache beim Wort zu nehmen.<br />

Auch die „Vergnügungen“ von Bertolt Brecht helfen<br />

zuverlässig weiter: Kein Kind, dem kein eigenes Vergnügen<br />

einf<strong>alle</strong>n würde. Zeile <strong>für</strong> Zeile ergeben sich daraus persönliche<br />

Texte. Manche riskieren eigenwillige Kreationen: Eine<br />

unverkennbare Sportskanone (im Trainingsanzug) notierte<br />

als Vergnügung: „Das Sirren des Netzes, wenn der Ball darin<br />

versinkt.“ Was <strong>für</strong> eine Steilvorlage!<br />

Im Grunde wissen die Schüler:innen, worüber sie schreiben<br />

wollen – sie hinterfragen vielleicht nur zu sehr ihre<br />

Ideen. Doch wenn sie erstmal erzählen, zeigt sich im Handumdrehen,<br />

was <strong>für</strong> sie zählt.<br />

Dann kommt in den Gedichten <strong>alle</strong>s vor, was sie beschäftigt:<br />

Computerspiele, Einhörner, die Jahreszeiten, Familie,<br />

Freundschaft, Liebe, Farben, Stadt, Land, Fluss, Verlust,<br />

Schule, Wind und Wetter, Wut und Glück.<br />

Vom Sinn des Dichtens<br />

Besonders mag ich die Momente, in denen die Kinder auf<br />

ihren Gedanken herumkauen wie auf Stiften. Die Köpfe<br />

rauchen. Zeit wird’s <strong>für</strong> eine Pause. Zuweilen kehren sie<br />

von weither zurück, manchmal fragen sie auch: Dürfen wir<br />

weiterschreiben?<br />

Dürfen. Wir. Weiter. Schreiben. Im Ernst? Ja! Und das,<br />

obwohl an den Workshops nicht nur Schüler:innen teilnehmen,<br />

die gern schreiben. Für viele ist es eine Zumutung.<br />

Umso bewundernswerter ist ihr Mut, mit dem sie sich zu<br />

<strong>Büchereiperspektiven</strong> 2/<strong>22</strong><br />

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