Grenzuntersuchung im Liegenschaftskataster

6.4 Mehrdeutigkeiten und Ermessen in der Grenzuntersuchung 223
So ist und bleibt eine Prioritätsfolge unbestimmt! Wie ist zu verfahren? Was ist
anzuhalten? Trotzdem – mit aller g e b o t e n e n V o r s i c h t – sei hier eine absteigende
Rangfolge genannt:
Prioritätenliste zur Grenzuntersuchung
1. Erstrangig ist der gewollte und rechtmäßige Grenzverlauf 78 durch die beurkundete
Willensbildung der Beteiligten oder durch ein zivilrechtlich richterliches
Urteil oder durch einen gerichtlichen Vergleich zustande gekommener
Grenzverlauf. Treten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grenzverlaufs auf,
sind Grenzniederschriften heranzuziehen 79 . Der Katasternachweis ist ein Beweismittel.
2. Als maßgebend oder bestimmend gelten die Angaben zur geometrischen Form,
Lage und Größe der Liegenschaften einschließlich der bestimmenden Koordinaten
80 des Liegenschaftskatasters (schlicht: Katasternachweis). Der praktische,
tägliche Umgang und die Anwendung des Katasternachweises für die Erhaltung,
Fiktion und Wahrung der Rechtmäßigkeit von Grenzen bewirkt die zu
1. erst- oder gleichrangige Stellung des Katasternachweises. Erst im Zweifelsfalle
wird er zweitrangig.
Die Erläuterungen zu 2. sind zunächst als allgemeingültig anzusehen. Sie werden in den
folgenden Punkten zu spezifizieren sein.
3. Die Koordinaten des Koordinatenkatasters in ihrer aktuellen Bestimmung;
dies dagegen nicht als absoluter Vorrang, wenn weitergehende Untersuchungen
Zweifel an der Richtigkeit oder Rechtmäßigkeit aufkommen lassen 81 .
4. Ergebnisse aus einem neueren oder erneuerten gegenüber einem älteren Katasternachweis
können nur vorrangig sein, wenn sie vermessungstechnisch
höherwertig sind und mit den Beteiligten urkundlich erörtert und von ihnen
anerkannt wurden. Sie setzen eine erfolgreiche Identitätsprüfung bzw.
einen niedrigeren Lagestatus der vorgefundenen Punkte gegenüber der Neuaufnahme
voraus. Die Gültigkeit eines neueren Katasternachweises impliziert
Bestandsschutz und Rückwirkungsverbot 82 . Dies darf in jedem, nicht anzuzweifelnden
Fall unterstellt werden.
5. Geometrische Bedingungen – i. d. R. die Geradlinigkeit – wenn sie viele, zusammenhängende
Grundstücke aufgrund öffentlich-rechtlicher Festlegungen
78 Der Begriff ‚ festgestellte Grenze‘ wurde hier bewusst nicht verwendet, weil er landesspezifisch und
nicht BGB-konform ist. Andererseits beziehen sich die folgenden Punkte – wenn nicht anders
angegeben – auf festgestellte Grenzen mit dem dazugehörigen Katasternachweis.
79 Denkbar sind Fälle oder Fragestellungen, ob es sich bei der betreffenden Grenze um eine festgestellte
oder nicht festgestellte handelt, zur Klärung geometrischer Bedingungen, Grenzverläufe
an oder in Gebäuden, Grenzeinrichtungen usw.
80 § 11(4) VermKatG [60]
81 i. d. R. bei nachbarschaftlichen Beziehungen oder geometrischen Bedingungen;
Beispiel s. Abbildung 6.50 auf Seite 254, Punkt A
82 z. B. Bestandsschutz durch nachträgliche, auch länger zurück liegenden Erklärungen. Dazu gehört
auch die Aufhebung einer ehemals nachgewiesenen Geradlinigkeit, beispielsweise durch
Bebauung im grenznahen Bereich.
Kapitel 6