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Festrede Konrad Paul Liessmann

Festrede vom Konrad Paul Liessmann anlässlich des Festakts zum 150. Gründungstag der Universität für Bodenkultur Wien.

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Die Verantwortung der Wissenschaft<br />

in Zeiten des Wandels<br />

<strong>Festrede</strong> vom <strong>Konrad</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Liessmann</strong><br />

anlässlich des Festakts zum 150. Gründungstag<br />

der Universität für Bodenkultur Wien<br />

Geehrte Festversammlung,<br />

Die „k. k. Hochschule für Bodencultur“<br />

wurde mit dem Gesetz vom<br />

3. April 1872 (RGBl. Nr. 46) gegründet.<br />

Die Hochschule sollte,<br />

so heißt es im §1 des „Statuts der Hochschule“,<br />

das am 6. Juni 1872 genehmigt<br />

wurde, „die höchste wissenschaftliche<br />

Ausbildung in der Land- und Forstwirtschaft<br />

erteilen.“<br />

Auch wenn die Entwicklung in Richtung<br />

forschungsstrategisch vernetzter Life<br />

Sciences und umfassender Biowissenschaften<br />

geht, darf anlässlich des 150.<br />

Gründungstages dieser Universität noch<br />

einmal auf ihre schöne, ursprüngliche Bezeichnung<br />

verwiesen werden: ‚k. k. Hochschule<br />

für Bodencultur‘. Das Aparte dieser<br />

Bezeichnung erschließt sich erst, wenn<br />

man weiß, dass bis ins 19. Jahrhundert<br />

der Begriff „Kultur“ generell im Sinne von<br />

Bodenkultur verstanden wurde. Der Terminus<br />

„Kulturlandschaft“ zeugt bis heute<br />

davon. Kultur und Kultivierung bedeuten<br />

deshalb auch im übertragenen Sinn Bearbeitung,<br />

Nutzbarmachung, Veränderung,<br />

Gestaltung, Neuschaffung von Natur.<br />

Kultiviert hört Natur auf, Wildnis zu sein,<br />

sie wird im schlimmsten Fall ausgebeutet<br />

und zerstört, im besten Fall gehegt und<br />

gepflegt. Heute ist viel vom Anthropozän<br />

die Rede: Die Spuren, die der Mensch<br />

in der Natur hinterlässt, sind unüber-<br />

4 BOKU Magazin 4 | 2022


sehbar; es gibt aber keine Rückkehr zur<br />

Wildnis, zur ungestalteten Natur. Umso<br />

wichtiger ist es, sich über die Prinzipien<br />

und Methoden dieser Umgestaltung im<br />

Klaren zu sein.<br />

„NACHHALTIG“ SEIT 1718<br />

Am Beispiel der „Nachhaltigkeit“ ließe<br />

sich dies veranschaulichen. Die Bezeichnung<br />

stammt selbst aus der Land- und<br />

Forstwirtschaft und ist in diesem Zusammenhang<br />

übrigens älter als vermutet. Sie<br />

wurde im Jahre 1718 von Hans Carl von<br />

Carlowitz, einem kursächsischen Beamten<br />

geprägt, der damit einen schonenden<br />

Umgang mit den knappen Holzressourcen<br />

seiner Zeit in die Wege leiten<br />

wollte, und auch das Grimmsche Wörterbuch<br />

kennt für das Wort „nachhaltig“<br />

schon eine entsprechende Belegstelle in<br />

Webers ökonomischen Lexikon von 1832:<br />

„Nachhaltiger ertrag des bodens wird<br />

nur erreicht, wenn der boden in gutem<br />

stand erhalten wird.“<br />

Der philosophisch interessante Gedanke<br />

im Konzept der Nachhaltigkeit liegt<br />

allerdings in der These, dass das gegenwärtige<br />

Handeln nicht nur im Horizont<br />

unmittelbarer Erfolgserwartung, sondern<br />

auch im Hinblick auf die gedeihlichen<br />

Lebensmöglichkeiten künftiger<br />

Generationen erfolgen soll. Lange bevor<br />

der Begriff der Nachhaltigkeit sich im<br />

politischen Diskurs durchsetzte, hatte<br />

der Philosoph Hans Jonas in seinem Spätwerk<br />

Das Prinzip Verantwortung (1979)<br />

die entscheidende Maxime für ein zukunftsorientiertes<br />

Handeln formuliert.<br />

Hans Jonas sah sich vor die Aufgabe gestellt,<br />

eine Richtlinie für unser Handeln<br />

zu formulieren, die den Fortbestand<br />

der Gattung Mensch mitberücksichtigt.<br />

Die Formulierungen, die Jonas diesem<br />

Imperativ gegeben hat, spielen in den<br />

ökologischen und technikkritischen Debatten<br />

seit den 80er-Jahren des vorigen<br />

Jahrhunderts eine entscheidende Rolle.<br />

Jonas formulierte diesen Imperativ unter<br />

anderem folgendermaßen: „Handle so,<br />

dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich<br />

sind mit der Permanenz echten<br />

menschlichen Lebens auf Erden“ oder,<br />

negativ formuliert: „Handle so, dass die<br />

Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch<br />

sind für die künftige Möglichkeiten<br />

solchen Lebens“. Für Jonas besagten<br />

diese Formulierungen letztlich, dass<br />

wir, aus welchen Gründen auch immer,<br />

„zwar unser eigenes Leben, aber nicht<br />

das der Menschheit wagen dürfen.“<br />

„ZUKUNFT“ ALS SINNHORIZONT<br />

Und ihm war klar, dass mit diesen Formulierungen<br />

in einer bisher nicht bekannten<br />

Form der „Zeithorizont“ zu einem bestimmenden<br />

Kriterium ethischen Verhaltens<br />

wurde, letztlich „Zukunft“ zum<br />

letzten Sinnhorizont verantwortlichen<br />

Handelns wird. Wenn heute von Theoretikern<br />

und Aktivisten der Klimabewegung<br />

die Rechte zukünftiger Generationen auf<br />

eine intakte Biosphäre als Maßstab für<br />

aktuelle Maßnahmen genommen werden,<br />

argumentieren sie, ohne es vielleicht<br />

immer zu wissen, auf dem Boden<br />

dieses „Prinzips Verantwortun“.<br />

Was aber heißt prinzipiell und in diesen<br />

speziellen Hinsichten Verantwortung<br />

tragen oder Verantwortung übernehmen?<br />

Im Begriff der Verantwortung<br />

steckt die Antwort. Und jede Antwort<br />

impliziert eine Frage. Sich verantworten<br />

bedeutet in einem ganz ursprünglichen<br />

Sinn, auf eine gestellte Frage antworten<br />

zu können oder schärfer: antworten<br />

zu müssen. Wo, aus welchen Gründen<br />

auch immer, keine Frage gestellt werden<br />

kann oder gestellt werden darf, gibt es<br />

keine Verantwortung. Verantwortung<br />

ist ein dreiwertiger Begriff. Verantwortlich<br />

ist jemand in Bezug auf eine Sache<br />

gegenüber einem anderen. Verantwor-<br />

Fotos: Christoph Gruber | BOKU IT<br />

BOKU Magazin 4 | 2022<br />

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tung ergibt sich, wenn jemand für etwas<br />

zuständig ist und darüber Rede und<br />

Antwort stehen muss. Verantwortung<br />

kann also gar nicht anders als in Grenzen<br />

erfolgen. Es muss klar sein, wer für<br />

was zuständig ist und welche Instanz das<br />

Recht und die Möglichkeit hat, ihn dafür<br />

zur Rechenschaft zu ziehen. Das macht<br />

es so schwierig, gegenüber zukünftigen<br />

Generationen Verantwortung zu übernehmen:<br />

diesen kann man noch nicht<br />

Rede und Antwort stehen, es bedarf als<br />

Vertreter oder Einrichtungen, die schon<br />

jetzt in Namen der Ungeborenen, die sie<br />

nicht kennen, sprechen.<br />

RATIONALE WELTERSCHLIESSUNG<br />

Was bedeutet dies für die Wissenschaften?<br />

Gehört das Prinzip Verantwortung<br />

zu ihrer „Kultur“? Wissenschaftskultur<br />

bedeutet, an den Formen rationaler<br />

Welterschließung und den Prinzipien der<br />

Aufklärung in einer Zeit festzuhalten, die<br />

aufgrund von Krisen und Unsicherheiten<br />

dazu tendiert, ins Esoterische und Irrationale,<br />

Diffuse und Gefühlige, Ideologische<br />

und Schwärmerische abzugleiten.<br />

Kultiviert sind Wissenschaften, wenn sie<br />

in einer geregelten Form stattfinden,<br />

zu denen vorrangig die Einrichtung der<br />

Universität gehört.<br />

Die Idee der Universität als kulturelle<br />

Einrichtung leite sich ab von der mittelalterlichen<br />

universitas magistrorum et<br />

scolarium, der „Gemeinschaft der Lehrer<br />

und Schüler“, die später im Sinne Humboldts<br />

zu einer universitas litterarum,<br />

der „Gesamtheit der Wissenschaften“<br />

wurde. Universitäten stehen für eine<br />

Kultur der Kommunikation (Gemeinschaft;<br />

Gesamtheit), aber auch für eine<br />

Kultur der Auseinandersetzung (Streit,<br />

Wettbewerb, Dialog als Diskurs). Wissenschaftliche<br />

Kontroversen könnten auch<br />

als Modell für die rationale Bearbeitung<br />

gesellschaftlicher Konflikte dienen.<br />

Die Wissenschaften selbst stehen prinzipiell<br />

in einer dreifachen Verantwortung:<br />

Der Natur, umfassender: der Biosphäre<br />

gegenüber, die sie wissenschaftlich erschließen<br />

und praktisch gestalten will<br />

– das schließt den Gedanken an die zukünftigen<br />

Entwicklungen mit ein; der<br />

Gesellschaft gegenüber, die mitunter<br />

völlig divergente Ansprüche an den Umgang<br />

mit der Natur hat; und sich selbst<br />

gegenüber. Die Verantwortung der Wissenschaft<br />

gründet, so meine These, in<br />

ihrer besonderen Freiheit. Sie ist vorranging<br />

und in erster Linie ihren eigenen<br />

Methoden und Wahrheitsansprüchen<br />

gegenüber verantwortlich.<br />

RINGEN UM DAS<br />

BESSERE ARGUMENT<br />

Wissenschaft ist keine Gesinnung, keine<br />

Ideologie, keine moralische Haltung,<br />

sondern ein rational überprüfbares Verfahren<br />

zur Gewinnung von Erkenntnissen.<br />

Ihre Verantwortung der Natur und<br />

der Gesellschaft gegenüber ergibt sich<br />

aus diesem Ansatz. Verantwortungslos<br />

handelte eine Wissenschaft, die sich<br />

ganz in den Dienst wirtschaftlicher oder<br />

politischer Kräfte stellte und dabei ihre<br />

eigenen Prinzipien untreue würde, Forschungsergebnisse<br />

manipulierte oder aus<br />

moralisch-politischen Bedenken zurückhielte.<br />

Umgekehrt gilt aber auch im Sinne<br />

einer Verantwortungsethik: Wissenschaft<br />

hat sehr wohl die möglichen Konsequenzen<br />

ihrer Forschungen mitzubedenken<br />

und im Dialog mit der Gesellschaft zu<br />

reflektieren. Das betrifft nicht nur die<br />

Technikfolgenabschätzung auf unterschiedlichsten<br />

Ebenen – von der Künstlichen<br />

Intelligenz bis zur Gentechnik –,<br />

sondern auch die möglichen Implikationen<br />

sozial- oder kulturwissenschaftlicher<br />

Christoph Gruber | BOKU IT<br />

Klaus Langer<br />

Theoriebildung. Bei all dem aber gilt – und<br />

hier möchte ich aus aktuellen Gründen<br />

einen Schwerpunkt der Verantwortung<br />

der Wissenschaft sehen –: Wissenschaft<br />

darf sich nie gegen Kritik immunisieren.<br />

Wissenschaft lebt von der kontroversen<br />

Auseinandersetzung, vom Ringen um<br />

das bessere Argument. Wissenschaft ist<br />

kein Austausch von Meinungen, die man<br />

beliebig vertreten oder verwerfen kann,<br />

sondern unterliegt der Begründungspflicht.<br />

In dieser aber muss sie absolut<br />

frei sein. Es ist ein Zeichen des Verfalls,<br />

wenn auf universitärem Boden akademische<br />

Veranstaltungen, die durchaus<br />

den Regeln der Wissenschaft gehorchen,<br />

nicht stattfinden dürfen, weil sich Menschen<br />

dabei unbehaglich fühlen.<br />

Natürlich: Wissenschaft soll nie ad hominem,<br />

sondern stets sachlich argumentieren.<br />

Aber wir dürfen nicht vergessen,<br />

auch und gerade im Zusammenhang mit<br />

den elaborierten Lebenswissenschaften,<br />

dass die großen wissenschaftlichen Erkenntnisse,<br />

die unsere moderne Welt<br />

erst möglich gemacht haben und denen<br />

sich auch die Gründung dieses Hauses<br />

verdankt, für viele Menschen bis heute<br />

eine ungeheure Kränkung darstellt: dass<br />

die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums<br />

ist, dass der Mensch nicht die<br />

Krone der Schöpfung, sondern ein evolutionär<br />

entwickelter Teil der Natur und<br />

dass unser bewusster Wille nicht so souverän<br />

und frei ist, wie wir es uns manchmal<br />

vorstellen. Die Verantwortung der<br />

Wissenschaft beweist sich in dem immer<br />

wieder von neuem auf die Probe gestellt<br />

Mut, Menschen auch mit unangenehmen<br />

Wahrheiten zu konfrontieren. Sie<br />

beweist sich aber auch im Mut sich einzugestehen,<br />

dass alle wissenschaftliche<br />

Erkenntnis vorläufig ist und Wissenschaft<br />

ein offenes und unabschließbares Unternehmen<br />

ist. Diesen Mut, die Offenheit,<br />

diese Lust und Freude an der Erkenntnis<br />

wünsche ich dieser Universität in diesen<br />

schwierigen Zeiten ebenso wie in einer<br />

hoffentlich etwas besseren Zukunft. •<br />

<strong>Konrad</strong> <strong>Paul</strong> <strong>Liessmann</strong> ist Philosoph, Essayist<br />

und Kulturpublizist. Vor seiner Emeritierung<br />

hatte er einen Lehrstuhl für „Methoden zur<br />

Vermittlung von Philosophie und Ethik“ an der<br />

Universität Wien inne.<br />

6 BOKU Magazin 4 | 2022

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