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Gut Aiderbichl Magazin: Leben lieben Herbst 2022

Lesen Sie herzerwärmende Tierrettungsgeschichten und erfahren Sie allerlei Wissenswertes rund um Gut Aiderbichl.

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GUT AIDERBICHL<br />

WISSEN<br />

Das Erbe der<br />

Lipizzaner<br />

Das Geheimnis des Glücks<br />

ist Freiheit“, schrieb einst<br />

der griechische Staatsmann<br />

Perikles. Und so<br />

mag es sein, an diesem<br />

Tag, in diesem Augenblick:<br />

Gemessenen Schrittes tritt der<br />

Hengst aus seiner Box auf die Weide hinaus.<br />

Abertausend taubenetzte Spinnweben<br />

wiegen sich zart zwischen den Halmen;<br />

am Boden lösen sich die letzten<br />

Schwaden des Morgennebels langsam auf.<br />

Noch liegt die Welt irgendwo zwischen<br />

Träumen und Wachen, und in der kühlen<br />

Morgenluft dampft der Atem des Tieres,<br />

während es nun seinen Kopf hebt und den<br />

Blick über die Weite<br />

wandern lässt, die sich<br />

vor ihm erstreckt. Der<br />

Name dieses Hengstes<br />

ist Maestoso Fabiola,<br />

und er ist weit über 20<br />

Jahre alt. In seinen Adern<br />

fließt das Blut jener Pferde,<br />

mit denen vor mehr<br />

als 450 Jahren die weltberühmte<br />

Spanische Hofreitschule in Wien<br />

begründet wurde. Auf einem seiner direkten<br />

Vorfahren – dem Lipizzanerhengst Maestoso<br />

Cerbero – wurde Kaiser Franz Josef<br />

1867 einst zum König von Ungarn gekrönt,<br />

und er selbst zählt zu den wenigen Pferden<br />

dieser Welt, die die höchsten Lektionen der<br />

Lehrmeister auf vier Hufen<br />

Es dauert rund sechs Jahre, bis ein Hengst<br />

so weit ausgebildet ist, dass er mit der<br />

berühmten Schulquadrille (u.) an der<br />

Spanischen Hofreitschule auftreten kann.<br />

Hier übt ein Hengst gerade die Levade,<br />

eine Steigung um 45 Grad.<br />

Das Geheimnis des<br />

Glücks ist Freiheit<br />

klassischen Reitkunst in Perfektion beherrschen.<br />

In diesem Moment aber verliert all<br />

das seine Bedeutung:<br />

Maestoso Fabiola<br />

schnaubt einmal laut,<br />

dann wirft er ungestüm<br />

seinen Kopf zurück<br />

– und galoppiert<br />

los. Schneller und immer<br />

schneller, einem<br />

schier endlosen Horizont<br />

entgegen.<br />

Der Hengst ist einer von insgesamt zwölf<br />

Lipizzanern der Spanischen Hofreitschule,<br />

die auf den Gütern von <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> ihren<br />

<strong>Leben</strong>sabend genießen dürfen. Hier,<br />

auf <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong> Szepalma in Ungarn,<br />

rund zweieinhalb Stunden von der österreichischen<br />

Grenze entfernt, leben neben<br />

Maestoso Fabiola noch fünf weitere ehemalige<br />

Schulhengste aus Wien. In der Regel<br />

kehren diese nach dem Ende ihrer Karriere<br />

auf das Lipizzanergestüt Piber zurück, doch<br />

die Unterbringungsmöglichkeiten im Seniorenstall<br />

dort sind begrenzt – so begann<br />

eine händeringende Suche nach geeigneten<br />

Plätzen für einige der älteren Hengste.<br />

Und es war keine leichte Suche, bei Weitem<br />

nicht – denn es musste in jedem Fall eine<br />

artgerechte Hengsthaltung gewährleistet<br />

sein. Die setzt vor allem sehr viel Erfahrung<br />

und Sensibilität bei den Betreuern voraus.<br />

Denn Hengste reagieren grundsätzlich anders<br />

als Stuten oder Wallache – sie hinterfragen<br />

den Menschen öfter, wollen wissen:<br />

„Bist du in der Lage, die Führung zu übernehmen<br />

– oder soll ich das machen …?“<br />

Die Antwort hier muss liebevoll, aber be-<br />

stimmt er folgen – das<br />

funktioniert nur, wenn<br />

der Hengst seinem Betreuer<br />

vertraut, denn aus<br />

Pferdesicht legt er jeden<br />

Tag sein <strong>Leben</strong> in dessen<br />

Hände.<br />

Gleichzeitig brauchen Hengste Pferdegesellschaft<br />

– die noch immer in vielen Ställen<br />

verbreitete Isolationshaltung ist für sie (wie<br />

natürlich für alle Pferde!) die allergrößte<br />

Quälerei. Als Herdentiere sind sie auf den<br />

Kontakt zu Artgenossen angewiesen, um<br />

sich sicher zu fühlen und seelisch gesund<br />

zu bleiben. Doch auch hier müssen einige<br />

Voraussetzungen erfüllt sein, denn<br />

während Junghengste noch gemeinsam<br />

laufen können, ist dies bei vielen Alt-<br />

Hengsten nicht mehr möglich – es kann zu<br />

Rivalitätskämpfen kommen. Was möglich<br />

ist: ein Stall-System, das Blick- und Geruchskontakte<br />

ermöglicht, ein freundliches<br />

Beschnuppern und Fellpflege über stabile<br />

Zäune hinweg. Dazu Luft, Licht, Bewegung<br />

– das alles ist unabdingbar, um einen<br />

Hengst ausgeglichen, glücklich und<br />

gesund zu halten. Nur: Wer kann das<br />

schon bieten …?<br />

Als Stiftungsvorstand Dieter Ehrengruber<br />

von der Suche der Spanischen Hofreitschule<br />

erfährt, ist er tief berührt: „Es ist ein starkes<br />

Zeichen, dass sich die Hofreitschule so<br />

sehr für ihre Senioren-Pferde einsetzt“, sagt<br />

Platz genug für<br />

endlose Galoppaden<br />

er. Und er hat auch die<br />

rettende Idee: Auf <strong>Gut</strong><br />

<strong>Aiderbichl</strong> Szepalma<br />

und auch auf <strong>Gut</strong> <strong>Aiderbichl</strong><br />

Frankreich<br />

bei Moulin können<br />

die so wichtigen Bedingungen<br />

für die Hengste umgesetzt werden.<br />

Allein <strong>Gut</strong> Szepalma verfügt über 300<br />

Hektar Fläche – Platz genug für endlose<br />

Galoppaden. Unter der Leitung von Dieter<br />

Ehrengruber werden Ställe und Weiden so<br />

angepasst, dass alle sechs Hengste einen<br />

direkten Zugang zu ihrer Weide haben. Die<br />

liegen alle nebeneinander und ermöglichen<br />

einen sicheren Kontakt zum Nachbar-<br />

Hengst. Zudem sind die Weiden als schmalere,<br />

aber kilometerlange Flurstücke<br />

eingezäunt – ein psychologischer Trick, der<br />

die Pferde zu mehr Bewegung anregt. Ein<br />

wichtiger Aspekt für die Gesunderhaltung<br />

der Alt-Hengste: Sie sollen jeden Tag ordentlich<br />

galoppieren, um Herz, Lunge und<br />

Gelenke stark und belastbar zu halten. Und:<br />

Das tun sie – genau das. Mit donnernden<br />

Hufen galoppieren die sechs weißen<br />

Hengste ihre Weiden entlang, die Schweife<br />

hochgestellt, die Nüstern gebläht. Sie gehören<br />

der ältesten Kulturpferderasse der<br />

Welt an, in ihren Adern fließt edles Blut. In<br />

diesen Momenten aber ist all das egal.<br />

Denn was zählt, ist allein dieses: Das Geheimnis<br />

des Glücks ist – Freiheit …<br />

➤ Das Gründungsgestüt der<br />

Lipizzaner liegt im heutigen Slowenien:<br />

Dort gründete Erzherzog<br />

Karl II. von Innerösterreich im Jahr<br />

1580 ein Hofgestüt, denn er hatte<br />

den Auftrag erhalten, schöne<br />

Pferde nach Österreich für eine<br />

Hofhaltung zu bringen. Seine<br />

Wahl fiel auf einen vollkommen<br />

verwahrlosten Ort nahe Triest – Lipica.<br />

Das Gelände samt den ehemaligen<br />

Ländereien glich einer<br />

Steinwüste, wo spärliche Gräser<br />

und Kräuter dorrten. Allerdings<br />

war die Gegend auch bekannt für<br />

die Zucht von vorzüglichen Karstpferden,<br />

die berühmt waren für<br />

ihre Härte und Genügsamkeit.<br />

Zunächst durch die Einkreuzung<br />

von spanischen Pferden, ab 1700<br />

auch durch das Blut von Kladrubern,<br />

Frederiksborgern, Neapolitanern<br />

und Arabern wurde das<br />

ursprüngliche Karstpferd weiter<br />

veredelt. Es entstand ein prächtiges<br />

Barockpferd von mittlerer<br />

Statur, intelligent, gelehrig und<br />

mit genügend Härte ausgezeichnet<br />

– der Lipizzaner. Leider wird<br />

der Bestand dieser Pferde heute<br />

auf nur 3000 bis 4000 Tiere weltweit<br />

geschätzt; seit 1995 stehen<br />

die Lipizzaner daher auf der Roten<br />

Liste der vom Aussterben bedrohten<br />

Haustierrassen.<br />

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