PT-Magazin - Ausgabe 6 2022
PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft Die Top-Themen: • Premiers, Preisträger, Finalisten - Mittelstandswettbewerb 2022 abgeschlossen • Neuausschreibung 2023 - Jahresmotto: "Gemeinsam Zukunft sichern!" • Nachhaltig sein kann jeder - Auch eine grüne Wirtschaft darf satte Gewinne machen • Industrie 5.0 neu denken - Der Mittelstand braucht keinen erhobenen Zeigefinger
PT-Magazin für Wirtschaft und Gesellschaft
Die Top-Themen:
• Premiers, Preisträger, Finalisten - Mittelstandswettbewerb 2022 abgeschlossen
• Neuausschreibung 2023 - Jahresmotto: "Gemeinsam Zukunft sichern!"
• Nachhaltig sein kann jeder - Auch eine grüne Wirtschaft darf satte Gewinne machen
• Industrie 5.0 neu denken - Der Mittelstand braucht keinen erhobenen Zeigefinger
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16 Gesellschaft<br />
17<br />
Industrie 5.0 neu denken<br />
Ein Plädoyer von Professor Dr. Jörn-Axel Meyer<br />
Der Beitrag stellt infrage, ob das, was derzeit als Eigenschaften und Entwicklungen unter dem ambitionierten Titel „Industrie 5.0“ –<br />
was nur einer neuen industriellen Revolution gebührt – subsumiert wird, tatsächlich eine Revolution darstellt oder doch wohl eher<br />
nur eine Evolution. Wenn einer Entwicklung der Titel „Industrie 5.0“zusteht, dann nur der anstehenden Transformation der Wirtschaft<br />
zu Klimaneutralität und Nachhaltigkeit. Sie lesen hier ein Plädoyer für ein Umdenken, ein neues Verständnis für die nächste – nicht<br />
nur – industrielle Revolution unter dem bedeutungsvollen Begriff „Industrie 5.0“.<br />
Industrie 5.0 ist noch nicht so bekannt<br />
wie es Industrie 4.0 bereits schon seit vielen<br />
Jahren ist. Doch wird ihr allein schon<br />
wegen des bedeutungsvollen Titels eine<br />
große Zukunft vorhergesagt, wird hier<br />
doch – zumindest verbal – eine weitere<br />
industrielle Revolution propagiert.<br />
Doch sind die benannten technischen<br />
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wie organisatorischen Veränderungen,<br />
die aktuell unter Industrie 5.0 subsumiert<br />
werden, tatsächlich so fundamental<br />
und umfassend für Wirtschaft und<br />
besonders Industrie, dass hierfür die<br />
nächste verbale Stufe in der Nomenklatur<br />
(nicht nur) industrieller Revolutionen<br />
beschritten werden darf? Oder muss hier<br />
nicht vielmehr „nur“ von einer Evolution<br />
gesprochen werden, so dass diese mit Industrie<br />
4.1 oder 4.2 angemessener zu bezeichnen<br />
wären? Und wenn dem so wäre,<br />
was ist dann Industrie 5.0? Die Antworten<br />
darauf führen zu einem zwangsläufig<br />
neuen Verständnis:<br />
Neue „industrielle Revolution“<br />
Industrie 4.0 hat Mängel und zeigt Fehlentwicklungen,<br />
so z. B. eine exzessive<br />
Automation und die Verdrängung der<br />
menschlichen Arbeitsleistung aus der<br />
Produktion bis hin zur menschenleeren<br />
Fabrik, das Primat von Effizienz- und<br />
Produktivitätsgewinnen durch große,<br />
maschinell erstellte Lose sowie auch feh-<br />
Ihr kompetenter<br />
Partner seit 1981<br />
ISO 9001:2008<br />
Qualitätsmanagment<br />
lende Integration smarter Technologien,<br />
wie die intelligente Vernetzung von Robotern<br />
und dem Einsatz von Künstlicher<br />
Intelligenz (KI) für autonom arbeitende<br />
Produktionsketten hin zu „smart factories“.<br />
Das heutige Verständnis von Industrie<br />
5.0 stammt von Esben Østergaard, der<br />
2018 die o. g. Mängel und Fehlentwicklungen<br />
mit aktuellen technologischen<br />
und gesellschaftlichen Entwicklungen<br />
für Modell der zukünftigen industriellen<br />
Arbeitswelt als Lösungen verband. „Industrie<br />
5.0“ war geboren und wird seitdem<br />
– besonders von Autoren aus der<br />
Praxis – in Østergaard’s Sinne propagiert<br />
– allerdings fehlen signifikante, konzeptionelle<br />
Weiterentwicklungen, es bleibt<br />
zumeist bei Versuchen, Industrie 5.0 anhand<br />
von konkreteren, aber auch zum Teil<br />
sehr isolierten Anwendungen zu illustrieren<br />
und verständlich zu machen. Altbekannte<br />
Schlagworte, wie personalisierte<br />
Massenproduktion (mass customization),<br />
Elektronische Bauteile<br />
Export Import Distribution<br />
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Rudolf-Wanzl-Str. 3+5<br />
89340 Leipheim<br />
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<strong>PT</strong>-MAGAZIN 6 <strong>2022</strong><br />
<strong>PT</strong>-MAGAZIN 6 <strong>2022</strong><br />
Cobots (Cooperative Robots)<br />
oder Wertstromkinematik erlangen<br />
wieder Aufmerksamkeit<br />
und auch die Künstliche<br />
Intelligenz findet zentrale Beachtung<br />
in Industrie 5.0.<br />
Allen zusammen kennzeichnen<br />
drei Entwicklungen<br />
nunmehr diese „industrielle<br />
Revolution“: Die „Wiedereingliederung<br />
des Menschen<br />
in die Produktion an der<br />
Mensch-Maschine-Schnittstelle“,<br />
die intelligente Vernetzung<br />
auch von digital gesteuerten<br />
Produktionssystemen<br />
mit- und untereinander sowie<br />
die Einbindung von KI in intelligenten<br />
Produktionssystemen,<br />
die sich autonom physisch<br />
wie organisatorisch an<br />
ihr Umfeld anpassen und so<br />
zu höherer Flexibilität in einer<br />
ansonsten auf Masse ausgelegten<br />
Produktion (= Losgröße<br />
1 in der Massenproduktion)<br />
führt, was auch einen Beitrag<br />
zu mehr Resilienz der Produktion<br />
gegenüber dem Umfeld<br />
des Unternehmens darstellt.<br />
In manchen Beiträgen zu Industrie<br />
5.0 wird zudem auf<br />
Nachhaltigkeit hingewiesen,<br />
was dort an die zuvor<br />
erwähnten Resilienz- und<br />
Flexibilitätsanforderungen<br />
anknüpft und zumindest rudimentär<br />
auf einen nachhaltigen Umgang<br />
mit (natürlichen) Ressourcen und innovative<br />
Modelle der Kreislaufwirtschaft<br />
hinführt.<br />
Zweifel sind angebracht<br />
Eine Revolution, die zu einem neuen Industriezeitalter<br />
führt, muss aber fundamental<br />
und umfassend alle Produktionsprozesse<br />
verändern, wenn nicht sogar<br />
die gesamten Wertschöpfungsprozesse<br />
oder sogar komplette Geschäftsmodelle<br />
transformieren. Werden aber die oben<br />
genannten Entwicklungen dieser Anforderung<br />
gerecht?<br />
Zweifel sind angebracht, umso mehr<br />
bei einem Blick in die Historie der Organisationsforschung<br />
und -praxis: Die<br />
o. g. Trends und Konzepte sind nicht<br />
neu. Bereits seit den 80er Jahren werden<br />
Effizienz und Effektivität an der<br />
Mensch-Maschine-Schnittstelle in der<br />
Wissenschaft und in der Praxis optimiert,<br />
der handwerkliche Anteil an der<br />
Herstellung für Arbeitsmotivation und<br />
Marketing (Schlagwort „Manufaktur“)<br />
erhöht. Und nicht erst seit dem Einzug<br />
von Robotern in die Produktion in den<br />
80er Jahren werden teilautomatisierte<br />
Produktionsschritte elektronisch vernetzt.<br />
In den 90er Jahren wurden Mass-<br />
Customization-Modelle für Marketing/<br />
Produktion entwickelt und in praxi realisiert:<br />
Volkswagen berichtete schon damals<br />
stolz, dass an einem Tag keine zwei<br />
identischen VW Golf produziert wurden.<br />
Auch Kreislaufwirtschaft(en) gibt<br />
es vielfältig seit Jahrzehnten, nicht nur<br />
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bei Mehrwegflaschen. Seit<br />
Beginn der 90er Jahre findet<br />
Künstliche Intelligenz<br />
breite Anwendung, u. a. in<br />
Expertensystemen zur Entscheidungsunterstützung<br />
und Steuerung von Prozessen.<br />
Der heutige Einsatz von<br />
KI z. B. zur smarten Vernetzung<br />
(z. B. für Cobots oder<br />
situationsbestimmt flexible<br />
und damit intelligenter<br />
erscheinende Prozesse ist<br />
nur ein weiterer Optimierungsschritt<br />
altbekannter<br />
Produktionsmodelle.<br />
Bedeutungsvolle Titulierung<br />
Ist Industrie 5.0 also alter<br />
Wein in neuen Schläuchen<br />
– eher Marketing denn<br />
Fortschritt? Zweifel am<br />
Verständnis als Revolution<br />
werden mehr und lauter,<br />
auch im deutschsprachigen<br />
Raum, z. B. von Mario Buchinger.<br />
Aber wenn das<br />
bisherige Industrie 5.0 eher<br />
eine Evolution, ein Industrie<br />
4.1 ist, was wird dann Industrie<br />
5.0 sein? Gibt es eine<br />
„Alternative“, die sich so fundamental<br />
auf Wirtschaft<br />
und insbesondere Industrie<br />
auswirkt, dass sie als (nicht<br />
nur) industrielle Revolution<br />
diese bedeutungsvolle Titulierung verdient?<br />
Ja, es gibt sie:<br />
Sie findet sich in der (nicht nur) industriellen<br />
Antwort auf die Klimaveränderungen<br />
und die Folgen der Umweltbelastungen<br />
durch Mensch und Wirtschaft<br />
– der z. T. sehr drängenden Transformationen<br />
der Wirtschaft zu nachhaltigen und<br />
klimaneutralen Produkten, Leistungen,<br />
Wertschöpfungsprozessen, -ketten und<br />
-kreisläufen sowie deren energetische<br />
und Rohstoffversorgung. Wenn aber eine<br />
Transformation den Bedeutungsgewinn<br />
und die Dringlichkeit allein durch die<br />
Titulierung mit Industrie 5.0 verdient, so<br />
ist es diese.<br />
Was umfasst nun diese Revolution zu<br />
Industrie 5.0? Was treibt sie an, was<br />
ist ihr Ziel? Welche Entwicklungen, u